|
EXIT!
Krise und Kritik der
Warengesellschaft Heft
11, Juli 2013
Inhalt
Editorial
Roswitha
Scholz FEMINISMUS
– KAPITALISMUS
– ÖKONOMIE – KRISE Wert-Abspaltungs-kritische
Einwände gegenüber einigen Ansätzen
feministischer Ökonomiekritik heute
1.
Einleitung: Die Renaissance der
Ökonomie im heutigen Feminismus-Diskurs 2.
Der prozessierende Widerspruch als
Grundlogik des Kapitalismus 3.
Zum Verhältnis von Wert-Abspaltung
und prozessierendem Widerspruch als Grundlogik des Kapitalismus 4.
Care-Seiten der Regulationstheorie
(Silke
Chorus) 5.
„Mehrwert und menschliches Maß“
(Sabine Plonz) 6.
Die Neu-Bestimmung des Ökonomischen
mithilfe der Kategorie (Re-) Produktivtät?
(Biesecker/Hofmeister) 7.
Jenseits des Arbeitsparadigmas?
(Irene Dölling) 8.
Ein falsches Plädoyer für die
makrotheoretischen Dimensionen in der Genderforschung (Brigitte Young) 9.
Verfall des Kapitalismus und „Great
Transformation“ in einem feministischen Sinn? (Ingrid
Kurz-Scherf) 10.
Abschließende Bemerkungen zu
neueren feministischen Ökonomiekritiken aus der Warte der
Wert-Abspaltungskritik 11.
Resümee: Feministische
Ökonomiekritik, der prozessierende innere Widerspruch des
Kapitals und die
Wert-Abspaltung
als gesellschaftliches Formprinzip
Robert
Kurz KRISE
UND KRITIK Die
innere Schranke des Kapitals und die Schwundstufen des
Marxismus
5.
Psychologismus für Arme 6.
Ist der Kapitalismus nur wegen
mangelnder Funktionsfähigkeit kritikwürdig? 7.
Krise und soziale Emanzipation 8.
Exkurs: Macht die
Wert-Abspaltungskritik den Fetisch zum Schöpfer einer Welt von
Marionetten? 9.
Die Krise als subjektives
Willensverhältnis
JustIn
Monday DIE
DOPPELTE NATUR DES
RASSISMUS Über
den Mythos der
Gesellschaft in der Krise
Die
Differenz von Kolonialrassismus und Rassenbiologie Die
Eigenständigkeit des Rassismus Die
Undialektik
des Rassismus nach der Liquidation des Subjekts Die
Sarrazin-Debatte und die Krise Rassistische
Ambivalenzen Die
Eigenständigkeit des Rassismus als gesellschaftlicher Schein Degeneration
und Krise im Rassismus Mit
der Konservativen Revolution zum „Rassismus ohne
Rassen“ Determinismus
– Soziologismus – Vererbung Der
Rassismus nach der Krise Antimuslimischer
Rassismus
Daniel
Späth FORM-
UND IDEOLOGIEKRITIK
DER 195 FRÜHEN HEGELSCHEN SYSTEME Teil
I: Antizionismus in Hegels „Der Geist
des Judentums“
1.
„Politische Theologie“ oder „Fetisch
der Politikform“? 2.
Der subjekttheoretische
Begründungszusammenhang
des Hegelschen Antizionismus 3.
Der Fetisch der Politik
Udo
Winkel HELMUT
DAHMERS
INTERVENTIONEN
Claus
Peter Ortlieb TÄUSCHUNGEN
DES
INDIVIDUALISMUS Sohn-Rethels
Frühschriften
Udo
Winkel NEUE
LOKALE UNTERSUCHUNGEN
ZUR ARISIERUNG UND ENTNAZIFIZIERUNG
Udo
Winkel BEITRÄGE
ZUR
MARX-ENGELSFORSCHUNG
Editorial
„Wir
zahlen nicht für eure Krise!“,
war die mit trotziger Entschlossenheit vorgetragene Parole der ersten
linken
Proteste gegen die Krisenpolitik in Deutschland und der EU. Die
Vorstellung,
dass und wie viel „für die Krise gezahlt“
werden müsse – als handle es sich um
eine
teure, aber nun einmal nötige Anschaffung –,
konnte im Zuge der
staatlichen Maßnahmen entstehen, deren Ziel es war, einen
Zusammenbruch des
Banken- und Geldwesens zu verhindern. Damals wurde der Entwertungsdruck
durch
Bürgschaften und Mittel der Öffentlichen Hand
vorläufig vom Finanzsystem in die
Staatsverschuldung verschoben und damit bezifferbar, wenn auch in kaum
vorstellbaren Größenordnungen von mindestens
dreistelligen Milliardenbeträgen.
Der Staat, so wetterten Parteilinke und nicht nur diese, verwende
„unser Geld“,
um private Profite zu sichern; Geld, mit dem doch angeblich so sparsam
musste
umgegangen werden, weshalb im Zuge der Agenda 2010 Sozialleistungen
gekürzt und
die
Ausgaben für Bildung und Kultur eingeschränkt
worden sind.
Der
Finanzcrash wurde nicht als Manifestation einer
gesellschaftlich allgemeinen
Krise der kapitalistischen Akkumulation wahrgenommen, sondern lediglich
als
Problem einer kleinen Elite von moralisch ohnehin verkommenen
Spekulanten, die
ihren unlauteren politischen Einfluss nutzten, um ihre Verluste zu
verstaatlichen, nachdem sie die Gewinne ihres
gemeinwohlschädigenden Tuns als
„leistungsloses Einkommen“ privat eingestrichen
hatten. Die
strukturell-antisemitischen Implikationen einer solchen Deutung des
Krisengeschehens stechen ins Auge. Auch heute sind verbreitete linke
Antworten
auf die Krise weder frei von derlei Implikationen noch
geprägt
von einer
gesellschafts- und ideologiekritischen Analyse auf der Höhe
der Verhältnisse.
Die doch
alles
andere als planvollen Versuche, der immer neuen
Entwertungsschübe in Europa
politisch Herr zu werden, erscheinen parteinahen Linken offenbar als
souveränes
staatliches Agieren, dem nur ein anderer, sozialerer Inhalt gegeben
werden
müsste. „Doch die Frage, wer für die Krise
bezahlt, könnte auch anders beantwortet
werden. Anstatt Banken zu retten und Großvermögen zu
schützen, müssten genau
diese zur Kasse gebeten werden.“ Das schreibt etwa der
Studierendenverband „DIE
LINKE.SDS“ in einem Flugblatt zur
„Blockupy“-Kampagne
2013. Ziel von
„Blockupy“
war es, Ende Mai (erneut) die Europäische Zentralbank und die
Sitze großer
deutscher Geschäftsbanken, laut SDS
„Krisenprofiteure“, in Frankfurt zu
blockieren und damit ein Zeichen gegen die
deutscheuropäische Krisenpolitik
und ihre in der Tat katastrophalen Auswirkungen auf die
Lebensverhältnisse
insbesondere südeuropäischer Bevölkerungen
zu setzen.1
Dass die
Banken und „großen Vermögen“
bislang nicht deshalb geschützt wurden (seit
Zypern ist nicht einmal mehr das der Fall), weil die Politik mutwillig
falscher
Leute Interessen bedient, sondern weil die um
jeden Preis
aufrechtzuerhaltende
Zirkulation und (Schein-)Verwertung des Finanzkapitals das einzige ist,
was
einen unmittelbaren Zusammenbruch der
wertabspaltungsförmigen
gesellschaftlichen Reproduktion überhaupt verhindert, kommt
den
linksstudentischen Nachwuchskadern allen Kapitallesekreisen zum Trotz
offenbar
nicht in den Sinn. Ebenso wenig die Notwendigkeit, mit welcher die
staatlichen
Programme zur Rettung von Banken oder, wie in Euroland, ganzer
Staatshaushalte
auf Kosten der Beschäftigten, Arbeitslosen und RenterInnen
finanziert werden
müssen. Kapitalistischer Reichtum ist eben kein
„Vermögen“, über das man bzw.
der Staat in einem Akt souveräner Willkür frei
verfügen
kann, um es guten
Zwecken zuzuführen. Er ist vielmehr der prozessierende
Widerspruch einer
ständigen Vermehrung von Geld als Selbstzweck bei
gleichzeitiger Unterminierung
der eigenen historischen Bedingungen. Da seine fetischistische Substanz
die von
Marx so genannte „abstrakte Arbeit“ ist, existiert
und erhält er sich nur,
solange es gelingt, wertproduktive Beschäftigung zu
generieren. Das
verdinglichte linke Bewusstsein fällt, wo es politische
Forderungen wie die
zitierte erhebt, noch hinter den bornierten Alltagsverstand derer
zurück, die
es so gerne enteignet sehen möchte. Die meisten
AktienbesitzerInnen wissen
immerhin, dass ihr „Vermögen“ seinen Wert
nur behält, wenn
es erfolgreich
investiert wird, so bar sie auch jeder Kenntnis marxscher Kategorien
und der in
diesen erfassten komplexen Vermittlungsvorgänge sein
mögen.
Auch den
linken KrisenprotestlerInnen vom aktuellen
„Blockupy“Bündnis geht eine
adäquate ökonomie- und politikkritische
Einschätzung der Vorgänge in Europa ab.
Zum einen scheint bei wenigstens einigen derBündnisgruppen wie
etwa dem SDS in
Übereinstimmung mit der allgemeinen Wahrnehmung vergessen
worden zu sein, dass
die Entwertungsschübe, die seit vielen Monaten als
„Staatsverschuldungskrise“
ver- und mit strikten Sparprogrammen behandelt wurden, u. a. Resultat
der
ersten politischen AntiKrisen-Maßnahmen
sind und
ihnen eben deshalb nicht mit
einer Enteignung oder Zerschlagung der zuvor
„geretteten“ Privatbanken
beizukommen ist. Die jahrzehntelange finanzkapitalistische
Scheinverwertung war
Grundlage des Wirtschaftswachstums wie auch der schuldenbasierten
Staatsfinanzierung seit den 1980er Jahren. Darum wird sie durch
Maßnahmen wie
Leitzinssenkungen aufrechterhalten, während zugleich ihren
AkteurInnen quer
durch alle politischen Lager moralische Vorhaltungen gemacht und
strengere „Regulierungen“
des Bankensektors gefordert werden –
in der Hoffnung, einem erneuten Finanzkrach auf diese Weise vorbeugen
zu
können, ohne seine tieferliegenden Ursachen beseitigen zu
müssen.
Zum
anderen sind die
„Blockupy“-AktivistInnen durch und durch dem linken
Politizismus verfallen. Sie
sprechen in ihrem Aufruf, vermutlich in Anlehnung an den
regulationstheoretischen Begriff des Akkumulationsregimes, permanent
vom
„europäischen Krisenregime“, dem sie in
seinem „Herzen“ (Frankfurt a. M.)
entgegenzutreten gedenken. Die Unterschiede zwischen Krise und
Akkumulation des
Kapitals werden auf diese Weise verwischt, insofern beide
Zustände als
politisch moderierbar, mithin als eine Sache rationalen
Interessenkalküls
dargestellt werden. Darüber hinaus bleibt unklar, ob es die
Krise ist, die
regiert, oder ob sie regiert bzw. verwaltet wird oder ob sie Medium des
Regierens ist. Vielleicht
ist auch alles zugleich der Fall. Zutreffend
ist die
Rede vom Krisenregime allenfalls, weil die Krise in der EU aufgrund der
instabilen
Gemeinschaftswährung und den Ungleichgewichten in ihrem
integrierten
Wirtschaftsraum in größerem Maße politisch
vermittelte Verlaufsformen nimmt als
in anderen Regionen. Der Entwertungsdruck macht sich in der Eurozone
nicht
allein unmittelbar ökonomisch geltend, und ihm kann auch nicht
wie in anderen
Ländern durch nationale Währungsabwertung Rechnung
getragen werden. Stattdessen
setzt die in Europa zurecht verhasste, deutsch dominierte Troika in
Ländern,
deren Finanzierung durch Staatsanleihen an krisenbedingte Grenzen
stößt,
unerbittliche Verarmungsprogramme
durch, die freilich noch das letzte
Wirtschaftswachstum mitsamt den Voraussetzungen des deutschen
Exportbooms
ruinieren. An diesen Widersprüchen wird die Insuffizienz der
Analyse deutlich,
die Kampagnen wie „Blockupy“ zugrunde liegen.
Deutschland und seine Banken
„profitieren“ nicht von der Krise, sie waren
vielmehr die Profiteure des
Zustandes, der infolge des Finanzkrachs in die Krise geraten ist. Es
gelang
ihnen zudem bislang am besten, den Schaden von sich fernzuhalten und in
die
innereuropäische Peripherie zu exportieren wie zuvor die durch
Agenda-2010-Maßnahmen verbilligten Industriegüter.
In dem Maße, wie die
Kaufkraft der bisherigen AbnehmerInnen jedoch durch Sparzwang und
Verarmung
gesenkt
wird, wird auch das deutsche Exportmodell zugrunde gehen.
Das einzig Sympathische an
„Blockupy“ ist, abgesehen vom explizit geplanten
Engagement gegen die
menschenverachtende deutsch-europäische
Flüchtlingspolitik, im Versuch zu
erblicken, in der Bundesrepublik ein Zeichen der Solidarität
mit den von
Sparpolitik betroffenen Menschen zu setzen und der dreisten deutschen
Selbstgerechtigkeit entgegenzutreten, von der sowohl die Politik der
Bundesregierung als auch das Stammtischbewusstsein großer
Bevölkerungsteile
geprägt ist, welche die „griechische
Misere“ nicht als ihre eigene erkennen
möchten, weil alles Bedrohliche für sie schon immer
von Außen kam (man denke
in
diesem Zusammenhang auch an die fürchterlichen Diskurse
über
„Armutseinwanderung“ und
„Asylmissbrauch“). Die im
„Blockupy“-Aufruf zu
findenden Stellungnahmen „gegen jedwede reaktionäre
oder rassistische
Kriseninterpretation – gleich ob von ‚Unten oder
Oben‘ – gleich ob in
antisemitischer, antimuslimischer oder antiziganistischer
Form“ kommen dagegen
eher wie Lippenbekenntnisse daher. Immerhin hat man den auf die
strukturell und
in Einzelfällen sogar manifest-antisemitische
„Occupy“Bewegung positiv
bezugnehmenden Namen noch immer nicht abgelegt. Noch immer begreift man
außerdem Nationalismus vor allem als eine Taktik, mit der
von
wem auch immer
versucht werde, „Beschäftigte, Erwerbslose und
Prekäre“ in verschiedenen
Ländern „gegeneinander aufzuhetzen“ und
„uns zu spalten“. Auch der Hinweis auf
die sich verschärfende Geschlechterungerechtigkeit im Aufruf
bleibt beiläufig
und unvermittelt mit den übrigen Stellungnahmen und
Forderungen.
Der Mangel an
krisentheoretischer Tiefenanalyse auf der Grundlage einer kategorialen
Kritik
kapitalistisch-patriarchaler Vergesellschaftung innerhalb der
„Blockupy“ tragenden
Linken korrespondiert mit deren eklatantem und im Zweifelsfall
verheerendem
Unverständnis hinsichtlich des inneren Zusammenhangs der
verbreiteten Alltags-
und
Krisenideologien. Beidem, der Krise wie ihren regressiven
Verarbeitungsformen, haben Bewegungs- und Parteilinke nichts
entgegenzusetzen
als pseudo-ideologiekritische Leerformeln und die fade Forderung nach
der
„Demokratisierung aller Lebensbereiche“. Mehr und
Besseres als die
(selbstverständlich „solidarische“)
Selbstverwaltung des krisenkapitalistischen
Elends kann unter diesen Voraussetzungen von ihnen wohl kaum erhofft
werden,
selbst wenn die politischen
„Kräfteverhältnisse“ für
sie günstiger wären. Zu
fürchten ist vielmehr, dass die hilflos und immanent
bleibenden Abwehrkämpfe
und sozialen Unruhen in Europa und der ganzen Welt, mit denen sich das
„Blockupy“-Bündnis
solidarisiert, den
schon jetzt um sich greifenden Ideologien
erliegen, etwa wie in Ungarn, wo sich antiziganistische
Mordanschläge und
antisemitische Kampagnen auf perverse Weise ergänzen und so
die
autoritär-staatliche Zurichtung von Oben um
völkisches „Engagement“ von Unten
vervollständigt.
Dies alles verdeutlicht einmal
mehr, wie wichtig es
ist, die Kritik des fetischistischen warenproduzierenden Patriarchats
gerade in
seiner fundamentalen Krise nicht zur antikapitalistischen Phrase
verkommen zu
lassen. Eine Perspektive der Transformation jener immer unhaltbarer
werdenden
Verhältnisse, jenseits von gutgemeinten Scheinalternativen und
autoritären
Rezepten, eröffnet
sich erst auf der Grundlage einer
kritischen Theorie dieser
Gesellschaft. Den zahlreichen Varianten ideologischer Verwahrlosung
kann
ebenfalls nur begegnet werden, wenn der innere Zusammenhang
verschiedener
Formen falschen Bewusstseins begriffen ist und ihre historischen
Wandlungen und
Konjunkturen mit den Krisenprozessen der gebrochenen gesellschaftlichen
Totalität vermittelt werden. Das vorliegende,nunmehr elfte
Heft von EXIT!
enthält verschiedene Aufsätze zur
Ökonomie-und Ideologiekritik, die sich diesem
Anspruch stellen:
Feministische
Ökonomiekritik ist seit dem Krisenschub in der zweiten
Hälfte der 2000er Jahre
wieder im Kommen. In ihrem Text „FEMINISMUS –
KAPITALISMUS –
ÖKONOMIE – KRISE“
setzt sich Roswitha Scholz aus
wertabspaltungskritischer
Perspektive mit diversen ökonomiekritischen Ansätzen
im Feminismus auseinander,
die sich auf Marxsche Analysen beziehen. Dabei steht ein feministisch
reformuliertes Verständnis des „prozessierenden
Widerspruchs“ und der inneren
Schranken des Kapitalismus im Zentrum. Es wird gezeigt, dass die
verhandelten
Theorien in einem immanenten, reformerischen Rahmen verbleiben.
„Care“ etwa
wird als utopisches Moment veranschlagt, ohne zu sehen, dass die
„weiblich“
konnotierte Reproduktionsdimension dem kapitalistischen Patriarchat
schon immer
inhärent war und deshalb nicht einfach utopisch in
die Zukunft
verlängert
werden kann. Nicht zuletzt stellt sich die Frage der Finanzierbarkeit
von
Care-Tätigkeiten, wenn die absolute Mehrwertmasse schmilzt,
eine Tatsache, die
– selbst wenn frau darum weiß – letztlich
doch ignoriert wird. Ebenso wird
deutlich gemacht, dass auch arbeitskritische und makrodimensional
orientierte
Konzepte im Feminismus mit kapitalistisch-patriarchalen
Grundsätzen nicht
wirklich brechen; stattdessen werden kapitalismuskonforme
Lösungen gesucht,
selbst wenn die Möglichkeit eines Verfalls des Kapitalismus
– vor einigen
Jahren noch undenkbar – eingeräumt wird. Prinzipiell
sindderartige
feministische Überlegungen anfällig für eine
krisenverwalterische
Vereinnahmung
im Kontext des „Kollaps der Modernisierung“ (Robert
Kurz), der heute an allen
Ecken und Enden sichtbar wird.
Der zweite und letzte Teil
des Fragments „KRISE UND KRITIK“ aus dem Nachlass
von Robert Kurz, eine
Propädeutik zur Krisentheorie und zur
kategorialen Kritik, setzt sich mit den folgenden Themen auseinander:
Dem
Versuch, die radikale Krisentheorie bzw. ihre VertreterInnen qua
Psychologisierung zu denunzieren; dem Vorwurf einer bloß
moralisierenden
Kritik, die dem Kapitalismus nur seine mangelnde
Funktionsfähigkeit vorhalte;
dem Verhältnis von Fundamentalkrise und sozialer Emanzipation;
dem Vorwurf, die
Wert-Abspaltungskritik mache den Fetisch zum
Schöpfer einer
Welt von
Marionetten; und schließlich der Vorstellung von der Krise
als einem bloß
subjektiven Willensverhältnis ohne jeden objektiven Grund in
den
Gesetzmäßigkeiten der fetischistischen Reproduktion.
In seinem Text „DIE
DOPPELTE
NATUR DES RASSISMUS“ untersucht JustIn
Monday die Frage nach dem Zusammenhang von Rassismus und
Krise. Er entwickelt die These, dass sich
der Rassismus, so
wie er heute existiert, aus zwei gegenläufigen Tendenzen
zusammensetzt: Neben
stereotypen Fremdbildern beinhaltet er auch Selbstbilder, in denen
Aussagen
darüber getroffen werden, wie der Zusammenhang von Individuen
und Gesellschaft
beschaffen ist bzw. beschaffen
sein sollte. Sowohl die historische
Entstehung
dieser Vorstellungen als auch ihre Bedeutung für die
rassistischen Subjekte
differieren erheblich, weshalb im Text versucht wird, im Anschluss an
diese
Unterscheidung deutlich zu machen, wie sich diese beiden Pole zum
krisenhaften
historischen Verlauf der Vergesellschaftung durch den Wert verhalten.
Denn so
sehr RassistInnen auch auf ihr Recht auf Willkür pochen, sind
sie doch nicht in
der Lage, ihr Denken beliebig zusammenzusetzen. Der Rassismus hat mit
der
Krisengeschichte nicht nur seine Inhalte, sondern auch das
Verhältnis dieser
Inhalte zur Form der gesellschaftlichen Beziehungen gewandelt. Dieser
Wandel
wird aufgezeigt sowohl durch die Analyse zentraler rassistischer Bilder
und
Theorien,
als auch durch die Analyse der Probleme, die verschiedene
Varianten
antirassistischer Reaktionen mit sich gebracht haben und bringen.
Daniel Späth
hat sich in seinem auf
diese und die nächste Ausgabe von EXIT! verteilten Text
„FORM- UND
IDEOLOGIEKRITIK DER FRÜHEN HEGELSCHEN SYSTEME“ die
Aufgabe gestellt, den
eminenten Status, den Hegel in linksradikalen Theorien bis heute
einnimmt, zu
desavouieren. Dieser rührt – so die These
– aus einer Betrachtungsweise, die
den kategorialen Bruch negiert, der sich zwischen Hegel und Marx
auftut, und
stattdessen radikale Kritik als bloßen Wurmfortsatz
Hegelscher
Reflexionsfiguren erscheinen lässt, deren subversive Potenz
in
der Zuspitzung
seiner Gedanken bestehe, die nur materialistisch auf den Kopf gestellt
werden
müssten. Diese These soll im zweiten Teil der Arbeit belegt
werden, indem die
frühen Hegelschen Systeme einschließlich der
„Phänomenologie des Geistes“ einer
Form- und Ideologiekritik unterzogen werden. Der vorliegende erste Teil
untersucht
die frühen Religionsschriften Hegels und den in ihnen,
insbesondere in „Der
Geist des Judentums“ sich manifestierenden Antizionismus. Es
stellt sich die
Frage nach dessen Existenzbedingung: Ist der Hegelsche Antizionismus
ein
religiöser Ausdruck der „Politischen
Theologie“ oder doch originäre Konsequenz
des bürgerlichen „Politikfetischs“?
Das Heft
schließt mit vier Rezensionen: Udo
Winkel will in „HELMUT DAHMERS
INTERVENTIONEN“ mit einer
Zitatensammlung Appetit auf einen Sammelband mit kürzeren
Texten Dahmers
machen. Claus Peter Ortlieb bespricht
in „TÄUSCHUNGEN DES INDIVIDUALISMUS“ einen
vor kurzem erst erschienenen Band
mit Alfred Sohn-Rethels Frühschriften. Udo
Winkels Text „NEUE LOKALE UNTERSUCHUNGEN ZUR
ARISIERUNG UND
ENTNAZIFIZIERUNG“ beschäftigt sich mit Forschungen
zur Geschichte des NS im
Nürnberger Raum.Und schließlich weist Udo
Winkel in „BEITRÄGE ZUR
MARX-ENGELS-FORSCHUNG“ auf einige besonders
bemerkenswerte Sonderbände
der Marx-Engels-Gesamtausgabe hin.
Im Februar
2013 sind in der Edition TIAMAT, Berlin zwei Bücher von Robert
Kurz erschienen:
Die zweite, unveränderte Auflage von „Die
Welt als Wille und Design. Postmoderne, Lifestyle-Linke und die
Ästhetisierung
der Krise“, Critica Diabolis 85, 192 S., 14 Eur[D]
sowie der Sammelband „Weltkrise und
Ignoranz – Kapitalismus im
Niedergang. Ausgewählte Schriften“,
Critica Diabolis 204, 240 S., 16
Eur[D]. Im Mai 2013 soll im LAIKA-Verlag, Hamburg die Aufsatzsammlung
von
Robert Kurz: „Der Tod des
Kapitalismus.
Marxsche Theorie, Krise und Überwindung des Kapitalismus“,
168 S., 14,90
Eur[D]
erscheinen.
Wir danken
wie
immer Angela Aey für ihre
engagierte
Arbeit am Layout des Hefts. Georg Gangl
hat die Redaktion und Europa in Richtung Taiwan verlassen. Wir danken
ihm für
seine Mitarbeit und hoffen auf eine nicht allzu ferne
Rückkehr.
Die Redaktion, Ende Mai 2013
1 Vgl. zu den letzten derartigen
Kampagnen auch die Kritik von JustIn Monday in der Phase 2, 42/2013.
| |