Der pazifische Crashkurs

erschienen im Neuen Deutschland
am 09.10.2009

Noch vor wenigen Jahren sprach man vom „pazifischen Jahrhundert“. Die Achse der Weltwirtschaft, so hieß es, hätte sich von der atlantischen Beziehung zwischen den USA und Europa auf die pazifische zwischen den USA und Asien (vor allem China) verlagert. Gleichzeitig war bekannt, dass die angebliche neue Achse ein extremes „Ungleichgewicht“ trug. Der Pazifik war eine breite Export-Einbahnstrasse. Die USA nahmen trotz stetig fallender Reallöhne einseitig den gewaltigen Warenüberschuss aus Asien auf. Dieses Konsumwunder der Mittelschicht, das 80 Prozent der US-Konjunktur ausmachte, nährte sich größtenteils von fiktiven Einkommen aus der Aktien- und zuletzt vor allem der Immobilienblase. Der Motor der Weltkonjunktur bestand in dieser pazifischen Defizitstruktur. Seit Herbst 2008 stottert der Motor und wird in den kommenden Monaten zum Stehen kommen. Der asiatische Export in die USA ist bereits eingebrochen. Trotzdem soll alles halb so schlimm sein. Der Internationale Währungsfondsrechnet für 2010 schon wieder mit einer anziehenden Weltkonjunktur.

Aus welchen Erwartungen speist sich der neue Zweckoptimismus? Die US-Konjunktur, so heißt es, hätte ebenso wie die europäische die Talsohle durchschritten. Verantwortlich für das Abfedern des Einbruchs waren überall in der Welt Konjunkturprogramme, die schon jetzt die Staatshaushalte überfordern und nicht weit tragen. Die Abwrackprämien in den USA und der BRD sind ausgelaufen. Die US-Arbeitslosigkeit hat sich auf 10 Prozent nahezu verdoppelt und steigt weiter. Bei den Zuliefer- und Dienstleistungsbetrieben hat die Pleitewelle gerade begonnen. Eine weitere Zufuhr von Kaufkraft aus Finanzblasen ist nicht in Sicht. Im Gegenteil wackeln inzwischen die Kreditkarten-Systeme. Es gibt überhaupt keine Begründung, warum die von allen Ländern der Welt am meisten konsumabhängige US-Konjunktur schnell wieder anspringen sollte. Ohnehin würden nach dem Einbruch selbst Wachstumsraten von 2 oder 3 Prozent, wofür es gar keine Grundlage gibt, das alte Niveau der Defizitkonjunktur erst nach 5 bis 10 Jahren wieder erreichen.

Wenn aber das US-Konsumwunder nicht wiederbelebt werden kann, ist auch der einseitige Export über den Pazifik nicht zu retten. Die zaghafte Hoffnung, dass China in Umkehrung der bisherigen Defizitstruktur die Rolle der USA übernehmen könnte, ist völlig illusionär. Das chinesische Exportwunder beruhte auf dem US-Konsumwunder. Trotz der Bevölkerungsmasse ist der chinesische Binnenmarkt viel zu klein, um die Warenüberschüsse der Welt aufnehmen zu können. Das vermeintliche Erfolgsrezept aus einer Kombination von Billiglohn und importierten High-Tech-Komponenten für den einseitigen Export, großenteils mittels der Investitionen amerikanischer, japanischer und europäischer Konzerne in den Sonderwirtschaftszonen, kann nicht auf einen ausreichend großen chinesischen Binnenkonsum umgestellt werden; schon gar nicht innerhalb kurzer Zeit.

Nach dem Einbruch des Exports in die USA hat China sein Wachstum vorübergehend durch das größte Konjunkturprogramm der Welt gerettet. Aber der Löwenanteil besteht in kreditfinanzierten Infrastruktur-Investitionen, die allesamt auf weiteren Export ausgerichtet sind. Es ist absehbar, dass davon nur Investitionsruinen übrig bleiben, gefolgt vom Platzen der chinesischen Kreditblase. Während man beiderseits des Pazifik davon träumt, von der anderen Seite irgendwie gerettet zu werden, bahnt sich auf der bisherigen Export-Einbahnstraße ein Crashkurs an. Europa wird kaum der lachende Dritte sein, weil es selber von einer Erneuerung der globalen Defizitkonjunktur abhängig ist.