Die Wetterkarte der Globalisierung

erschienen im Neuen Deutschland
am 20.8.2004

Die noch in den 90er Jahren heiße Debatte über die Globalisierung ist abgeflaut. War der Begriff nur eine Seifenblase des postmodernen Diskurses oder die Erfindung eines neoliberalen Putsches in der Weltpolitik, wie damals manche altlinke Kritiker meinten? Die Tatsachen sprechen eine andere Sprache. Globalisierung ist ein realer Prozeß, der in der Krise der weltweiten kapitalistischen Verwertung wurzelt und eine neue Qualität von Kapitalexport bezeichnet: An die Stelle des Exports kompletter Industrieproduktionen ist das „Outsourcing“ einzelner betriebswirtschaftlicher Bereiche im globalen Verdrängungswettbewerb getreten; es handelt sich nicht mehr um Erweiterungs-Investitionen im Ausland, sondern der Kapitalexport ist zur Funktion der Rationalisierung und des Abbaus von Überkapazitäten geworden.

Während viele linke Theoretiker den Charakter der Globalisierung verleugneten und sich in die keynesianische Nostalgie von politischen Regulationsphantasien flüchteten, hat sich die betriebswirtschaftliche Globalisierung rasant beschleunigt. Nach einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung Roland Berger und der Universität Aachen, deren Ergebnisse im „Handelsblatt“ veröffentlicht wurden, haben sich nach den Automobilkonzernen als Vorreitern inzwischen auch deren Zulieferer transnational aufgestellt. Viele Teilfunktionen selbst von mittelständischen Betrieben wandern ab, dem globalen Kostengefälle folgend. Gleichzeitig werden immer mehr Bereiche an externe Spezialunternehmen vergeben; heute nicht nur Reinigungsdienste oder Lohnabrechnungen, sondern auch Teile der Fertigung und sogar der Entwicklung. Vor allem wird die Globalisierung branchenübergreifend. Der Paradesektor der deutschen Industrie, der Maschinenbau mit gegenwärtig noch fast einer Million Beschäftigten, befindet sich nach der Studie mitten im Prozeß des Outsourcings kompletter Baugruppen.

Dabei lassen sich auch Verschiebungen des Rationalisierungs-Exports erkennen. Die Direktinvestitionen in die USA haben offenbar nach dem Boom der 90er Jahre eine Sättigungsgrenze erreicht; stattdessen ist China zur bevorzugten Drehscheibe transnationaler Wertschöpfungsketten geworden, um von dort aus den defizit-genährten US-Markt zu beliefern. Die deutschen und europäischen Kapitalexporte folgen hier nur dem Trend der US-Industrie selbst, die inzwischen das Hauptkontingent der ausländischen Direktinvestoren in China bildet. Im europäischen Nahbereich hat sich im Zuge der Beitritte zur EU der Schwerpunkt des Outsourcings von Ländern wie Spanien, Portugal oder Irland nach Osteuropa verlagert. Das gilt vor allem für die Zulieferer der Autoindustrie und den Maschinenbau.

Man könnte gewissermaßen von einer Wetterkarte der Globalisierung sprechen. Je nach den Verschiebungen des Kostengefälles verschieben sich auch die Investitionsbewegungen der Rationalisierungs-Exporte. Dabei verdichtet sich das Outsourcing auf die zentralen Weltregionen Nordamerika, Ostasien und Europa einschließlich der osteuropäischen Beitrittsländer. Der größere Teil der Welt wird ganz abgekoppelt und wachsender Verelendung überlassen. In den Kernzonen der Globalisierung findet gleichzeitig ein Prozeß der Ausdifferenzierung statt: Um die wandernden Produktivitätsinseln herum lagern sich sekundäre Bereiche minderer Einkommens- und Lebensqualität an, von verlängerten Werkbänken über Elendsdienstleistungen bis hin zu einer Armutspopulation, die sich buchstäblich aus den Abfällen der anderen ernährt.

Die Hartz-Reformen der BRD, die es in irgendeiner Variante in allen Ländern gibt, steuern genau in diese Richtung. An die Adresse der Montags-Demos heißt das: Erstens ist die Ausrichtung auf die offizielle Politik zwecklos, es bedarf einer selbständigen außerparlamentarischen Sozialbewegung. Zweitens ist auch jede nationale Orientierung zum Scheitern verurteilt. Nur ein transnationaler Widerstand kann dem transnationalen Kapital und dessen Vollstreckern aus der politischen Klasse Paroli bieten.