Robert Kurz

DIE THEORETIKERIN IST IMMER DER MÖRDER

Wer stoppt das pathologische Monster?

Dass an der Theorie in Zeiten der universellen Big-Brother-Show die Theorie selber zu allerletzt interessiert, das war ja zu ahnen. Es muss ad personam gehen, sonst geht gar nichts. Wenn das gelegentlich lesende Publikum schon immer wissen wollte, aber nicht zu fragen wagte, wie es bei Theoretikers so zugeht daheim in ihrem  Menschlertum, dann kann es sein „heimliches Auge“ jetzt ganz unbefangen auf deren Schlafzimmergeheimnisse werfen. Der Alpendoktor Franz Schandl hat nämlich der „Person des Theoretikers“ endlich mal eine sensationelle Diagnose gestellt, nachdem er von der deutschösterreichischen freiwilligen Gedankenfeuerwehr eigens bestellt worden ist als Gutachter (Streifzüge 43/08). Es schaut leider nicht gut aus für die Theoretikers: „Theoriebesessenheit“ ist ihnen zu bescheinigen, ihre „Sicherheit gleicht einem Bunker“, „kalt und tot“ wirken sie auf den Normalo. Magenkrebs wäre da noch ein vergleichsweise harmloser Befund.

Woher kommt sie bloß, diese Unmenschlichkeit der Theoretikers? Der Alpendoktor weiß die Antwort: Theorie an und für sich ist bloß ein „Surrogat für das Leben selbst“, noch dazu ein „hochprozentiges“. Denn „nur im Lebensentzug gedeiht Denken“, sonst nicht. Zuviel denken bedeutet, „sich in einem hohen Grad der Welt zu entziehen“. Denken ist das Gegenteil von leben, und aus vollem Herzen leben heißt nicht denken. Nashörner und Schachtelhalme machen sich auch nicht besonders viel aus dem Denken, aber sie leben sorglos wie Gott sie geschaffen hat, und ebenso wenig sollte man als kreatürlicher Mensch den Ruf der zweiten Natur leichtfertig in den Wind schlagen, wenn es ums Leben geht. „Das Leben lebt nicht“ (Adorno) - diese Behauptung eines typischen Theoretikers ist grundfalsch, denn nur das Denken lebt nicht, weil es „nicht ganz von dieser Welt“ ist. Aber „auf Dauer ist der Entzug weder lebbar noch aushaltbar“. Der hausärztliche Rat des Alpendoktors lautet, sich erst einmal eindeutig für das Leben zu entscheiden, später kann man weitersehen.

Weil die Theoretikers lebensmäßig völlig uneinsichtig sind, müssen sie die unheimlichen Folgen tragen: „Beim Verrücken kann eins schon verrückt werden“. Möbel verrücken kann der Alpendoktor damit nicht meinen, das gehört schließlich zum Leben, aber Gedanken verrenken schon eher. Davon werden die Theoretikers eben verrückt, falls sie nicht rechtzeitig den Heimatschuss kriegen für die Wiederankunft im lebenden Leben: „Und dass es doch wenige werden, ist eher darauf zurückzuführen, dass viele das Handtuch werfen und (sofern möglich) ins normale Leben flüchten“. Im heroischen Selbstversuch hat der Alpendoktor erkannt, dass das „zwar keinen Fortschritt darstellt, aber doch die Anspannung löst“. Und das ist ja schon mal was. Wegen garantierter Denkferne droht im wirklichen Leben wenigstens nicht der Verlust der geistigen Gesundheit, insofern man normal unter Normalen und wieder „ganz von dieser Welt“ sein darf. So hat man das Ohr am Puls der lebendigen Praxis, und das ist die wahre Voraussetzung aller „Transformation“.

Die abnormen Theoretikers hätten sich ein abschreckendes Beispiel ziehen können aus dem eklatanten Lebensmangel des Karl Marx. Als Connaisseur der Marxschen „diversen psychosomatischen Heimsuchungen“ kann der Alpendoktor genau verfolgen, wie dessen „denkerische Kraft wohl schon Mitte der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts (schwand)“ und er seiner „Frische und Kühnheit“ allmählich verlustig ging. Furunkeln am Hintern hat er sich geholt mit seiner lebensentzieherischen Denkerei, und dann hat er geraucht wie ein Schlot, noch dazu Zigarren, und seine Haushälterin geschwängert hat er bekanntlich auch, „im Prinzip ... einsam und weggetreten“ wie er halt war. Weil das kommt alles von der verdrängten Sinnlichkeit. Hätte er mehr Mensch-ärgere-dich-nicht gespielt oder mehr Möbel verrückt statt Gedanken verrenkt, dann wäre die Menschheit nicht mit dem „Kapital“ belästigt worden, und nicht einmal der Alpendoktor hätte an schlechten Tagen in so einem pathologischen Wälzer herumblättern müssen, als gäbe es nichts besseres zu tun. Schließlich ist er auch noch gestorben, der Marx, das hat er davon gehabt. Aber nichts haben sie gelernt aus dem Marx seinen Furunkeln, die Theoretikers, gar nichts. Der Alpendoktor dagegen ist von dem Marx seinen Furunkeln geradezu erleuchtet worden, und jetzt muss er mit diesem furchtbaren Wissen frei herumlaufen, um es zur Warnung der Allgemeinheit mitzuteilen.

Im Nebenberuf ist der Alpendoktor außerdem in der gynäkologischen Abteilung des Intellekts tätig. „Der Theoretiker als Meisterdenker ist eine absolut abendländisch-männliche Maske“, und diese Maske steht Frauen ganz schlecht, das widerspricht ihrer Natur. Schlimm genug, wenn die männlichen Denkungeheuer „sich von ihren Sinnlichkeiten ... absentieren“, da sollten nicht auch noch Frauen mitmischen wollen, weil ihnen sonst womöglich Bärte wachsen, was ausgesprochen hässlich wäre: „Der Theoretiker ist männlich, auch wenn er weiblich ist“. Blaustrümpfige Lebensentzieherinnen haben gerade noch gefehlt, wo die Frau doch mit ihrer Mütterlichkeit für das denkfreie Sinnliche an und für sich steht. Mit Theoretikerinnen ist ja überhaupt kein lebendiges Leben mehr zu machen; Frauen sollten lieber Bein zeigen als Reflexion.

Nun weiß der Alpendoktor natürlich selber, dass es ganz ohne Denken nicht geht, auch wenn es ein notwendiges Übel ist. Die Theorie wäre vielleicht manchmal gar nicht so schlecht, wenn bloß die Theoretikerinnen nicht wären, die eine „Ausklammerung des eigenen Lebens“ betreiben. „Der Status“ der Theoretikerin „ist eine Zumutung“, denn es handelt sich um Personen, „die sich permanent eine Überdosis zufügen“. Die Lösung ist ganz einfach: „Theorie und Theoretiker müssen auseinander gehalten werden“. Theorie geht nämlich auch ganz ohne Theoretikerinnen, wenn die Reflexion als gemäßigte Hobbyveranstaltung von Normalos für Normalos auf kleiner Dosis gehalten wird. „Kein Dauerzustand, sondern Stadium“ sollte das Denken sein, und glücklich, wer sein geistiges Zwergapfelbäumchen gepflanzt und dieses Stadium hinter sich gebracht hat.

Nur wenn dieses Rezept des Alpendoktors beherzigt wird, sind Theorie und Praxis nicht mehr „das streitende Paar, wo eins den andern nicht leiden kann“. Das „Unvermögen des Theoretikers“ und das „Nichtkönnen des Praktikers“ lösen sich in Wohlgefallen auf, sobald es jenseits von Theorie und Praxis nur noch das ewige Leben gibt, in dem als Ausnahmefall auch mal ein bisschen gedacht werden darf. Das hat gewaltige Vorteile, weil man es dann vermeiden kann, „sich der Unmittelbarkeit und des Pragmatismus ... (zu) entschlagen“. Wenn nämlich „kein richtiges Leben im falschen möglich ist, ist das richtige Leben überhaupt nicht möglich“. Der Alpendoktor empfiehlt, „das Richtige im Falschen auszuloten“ und sich nicht mehr um den Inhaltsfetischismus der Theoretikerinnen zu kümmern, denn „wo stets die Inhalte hochgehalten werden, ist dies mit äußerster Vorsicht zu genießen“. Das Leben selbst kann überhaupt nicht falsch sein, und deshalb muss man sich auch für nichts mehr inhaltlich rechtfertigen; das ist das Schöne daran.

Ohnehin will der Denkwahn der Theoretikerinnen bloß „als Wahrheit brillieren“. Der Zaubermeisterei „mächtiger Worte und glänzender Begriffe“ geht es einzig um die „Akrobatik der Sprache“, an der die „sich zu Kleingeistern degradierenden Anhänger“ mehr kleben „als an der Substanz des Geäußerten“. Der Alpendoktor macht vor, wie es richtig geht: Seine Sprache hat etwas von einem verarmten kleinen Wanderzirkus, der sich in bemühtester Anstrengung darstellt, aber trotzdem keine Akrobatik zeigt, die das Publikum nicht auch selbst machen könnte. Auf diese Weise entgeht er der „Verachtung gegenüber allem Gewöhnlichen“, was ihm von seiner Klientel sehr gedankt wird. Die „Substanz des Geäußerten“ kann dann erst durch die sprachliche Bescheidenheit unbefleckt ans Licht treten und Zug um Zug ihre enorme Dialektik entfalten. Voraussetzung allen Lebens ist die Vielfalt in der Einfalt, und deshalb gilt: „Theorie darf nicht nur theoretisch sein“, so wie bekanntlich der Bär nicht nur bärig und das Wasser nicht nur nass sein darf. Diese glasklare Einsicht führt uns zum Begriff des Widerspruchs: „Ohne Denken ist nichts zu lösen, aber Denken löst nichts“. Denken oder Nichtdenken, das ist jedoch nicht die Frage, denn die Auflösung folgt auf dem Fuß: „Was nicht wirkt, bewirkt nichts“. Und was nicht schmiert, beschmiert nichts bzw. was nicht kotzt, bekotzt nichts. Diese Wahrheit ist von solch sinnspruchhafter Schlichtheit und Wucht, dass sie sogar von den Lesern des Alpenmagazins sofort verstanden werden kann.

Nachdem der Alpendoktor seine „Substanz des Geäußerten“ mit derart durchschlagender Evidenz bewiesen hat, kann er sich gestatten, das Denken, soweit es vom Leben erlaubt wird, „auf Anwendung zu drängen“. Die Theoretikerinnen hingegen weigern sich, „Nutzen zu haben“. Ihre „geile Maske“ ist das „gnadenlose Denken“, und damit werden sie wie die Spekulanten zu Schädlingen der Welt. Sie wollen immer nur das eine: „Die anderen sollen erblassen“. Die Theoretikerinnen als andere Monstersorte lassen die bereits einer „reellen Gewalt“ von Finanzhaien und Heuschrecken ausgelieferten Normalos „noch einmal die ideelle Gewalt des Geistes spüren“. Diese brutale „Arroganz des Denkens“ hat „etwas Abstoßendes an sich“, was „den Menschen nicht gut (tut)“, wie alle bestätigen können, die nicht so gern denken, weil sie davon Sodbrennen bekommen. Die Theoretikerin als solche ist immer der Mörder am Leben oder der Josef Fritzl der harmlosen Daseinskunst, die sie vergewaltigen und einsperren möchte in ihre „Aura der Besserwisserei“.

Nun könnten böse Zungen behaupten, dass der Alpendoktor nur die dumpfen Ressentiments einer miefigen Szene zum Ausdruck bringt. Aber weit gefehlt, er ist ja geradezu ein Weltrekordler in der Selbstkritik: „Der Verfasser dieser Zeilen schließt sich hier keineswegs aus“, weil er sowieso immer nur von sich selber redet. Eigentlich wäre er ja auch beinahe eine Theoretikerin geworden. Gescheitert ist dieser Horrortrip aber „nicht aufgrund mangelnden Köpfchens“ des Alpendoktors, denn das ist ziemlich voluminös, sondern an „Lebensumständen, die eine umfangreiche Zeit reflektierten Reflektierens einfach nicht gestatten“. So ist er gerade noch einmal davongekommen und hat ins gnadenvolle Wenigerdenken hineingefunden. Deshalb konnte er zusammen mit dem Männlichen auch die Theoretikerin in sich überwinden und ist unversehens zur besseren Frau geworden, die das ungeschmälerte Leben liebt und trotzdem das Denken noch nicht völlig eingestellt, sondern bloß auf den normalen Hausgebrauch reduziert hat.

Umso übler muss dem in sich reflektiert aufgehobenen Alpendoktor das gemeingefährliche Dasein der Theoretikerinnen aufstoßen, die „in manisches Schreiben“ verfallen. Das kann im Prinzip nicht geduldet werden, weil nämlich die Leser kaum „noch nachkommen“. „Das Leben selbst“ fordert also gebieterisch, dass der „theoretische(n) Überproduktion“ Einhalt geboten wird. Und da fühlt sich der Alpendoktor direkt berufen zum Eingreifen und Durchgreifen und Aufräumen, sodass es leider manchmal zu „organisatorischen und personellen Turbulenzen samt ihren Ungustiositäten“ kommen kann. In der linken Wiener Unterwelt hat er sich dabei einen soliden Ruf erworben als Alltagsstalinist und intriganter Hintertreppenpolitiker mit Piefke-Mentalität. Aber ein sinnliches Lüstchen am Machtspiel im Kleinformat gehört auch zum Leben des Lebens; man gönnt sich ja sonst nichts, wenn man im Denken so bescheiden geworden ist.

Außerdem ist es die pure Humanität und auch ein Zeichen von „Freundschaft, Liebe, Schenken“, wenn die Theoretikerinnen einmal administrativ an die Kandare genommen werden sollen, damit sie in sich gehen, weil ihnen die Publikationsmöglichkeit genommen wird, und sie so vielleicht zurückfinden in die Menschlichkeit. Dann müssten sie lernen, ihre nichtsnutzigen „Aufgabenstellungen ... unbedingt einzuschränken“ und könnten sich unter dem psychiatrischen Regime des Alpendoktors zeigen lassen, was für sie „dringend angesagt“ ist, nämlich „Entschleunigen, aussteigen, sich anderen Leidenschaften widmen“. Aber leider nehmen die Theoretikerinnen die Chance nicht an, unter ärztlicher Überwachung ihre „Angst vor dem Sinnlichen“ durch eine Theorie-Entziehungskur in einer landschaftlich schön gelegenen Anstalt zu überwinden, um nicht länger seelisch zu „verhunger(n) ob ihrer emotionalen (Be-)Dürftigkeit“. Selber schuld, wenn ihre „einseitige Kost“ dann „Appetitlosigkeit und Verdauungsstörungen auslöst“.

Es ist ein schwacher Trost, dass hoffentlich auch die „mentalen Blasen ... ausgerechnet vor dem Platzen ihre größte Dynamik entfalten“. Und „die Abnehmer“ der völlig überflüssigen Bücher und viel zu langen Artikel sind „auch schon ganz unwillig“ ob des wahnwitzigen „serielle(n) Produzieren(s)“. Aber ganz sicher sein kann sich da der sinnliche Mensch leider nicht. So nagen die Umtriebe der pathologischen Theoretikerinnen unablässig am prall gewordenen Lebensbewusstsein ihres verhinderten Betreuers. Wann kollabieren sie denn endlich? Kann ihnen nicht jemand was in den Kaffee schütten, den sie literweise saufen, damit der natürliche Gang ein wenig beschleunigt wird? Wenn das so weitergeht, wird der Alpendoktor womöglich selber noch von Marxschen Furunkeln heimgesucht vor lauter Groll und Verdruss.

Eigentlich ist diese kriminelle Energie des „Abstrahieren(s) von ... elementaren Anliegen“ ein Fall für die Behörden. Die permanente Überdosis des Theoretizismus „bringt auch Sonderlinge hervor“, bei denen es ausschaut wie bei Hempels unterm Sofa. Keinen Sonnenaufgang kann man dort sinnlich genießen, weil seit zehn Jahren die Fenster nicht mehr geputzt worden sind, im Kühlschrank tobt der Schimmelpilz, und schon längst haben die Haustiere die Macht übernommen. Die sind wie die Zigeuner, die Theoretikers, ein normal empfindender Mensch kann sich das überhaupt nicht vorstellen. Das kommt alles von dieser einseitigen Denkerei den ganzen Tag, als gäbe es kein richtiges Leben mit Gießkannen und Waschmaschinen. Die Sozialfürsorge sollte man anrufen. Oder vielleicht das Veterinäramt? Aber die Behörden versagen ja wahrscheinlich auch in diesem Fall wieder.

Der unhaltbare Zustand spitzt sich zu, „das Durchknallen liegt immer im Bereich der Möglichkeit“, und der hypernervös gewordene, schlecht schlafende Alpendoktor schließt sich da, wie er ja selber sagt, „keineswegs aus“. Wenn nicht endlich jemand den Theoretikers das Handwerk legt, dann kann er keinen Tag länger seine brillante Insuffizienz und seine mit dem Rasenmäher gepflegte Sinnlichkeit genießen, und nicht einmal der 351. nicht-zahlenden Abonnentin seines bescheidenen Alpenmagazins für lebensnahes Minimaldenken wird er mehr froh. Die Allgemeinheit darf da nicht länger wegschauen wie bei dem Fritzl, weil es sich um einen echten Notstand handelt. Sachdienstliche Hinweise und Freiwilligenmeldungen an streifzuege@chello.at oder bei jeder Polizeidienststelle in Deutschland und Österreich.