erschienen im Neuen Deutschland
am 24.04.2009

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Robert Kurz

KAPITAL UND GESCHICHTE

Das Vertrauen in den Kapitalismus ist scheinbar unerschütterlich; auch in der Linken. Aus allen Krisen wird er sich wie der Phönix aus der Asche erheben und zu neuen Aufschwüngen starten. Inzwischen kann zwar nicht mehr geleugnet werden, dass wir es aktuell mit einem historischen Einbruch zu tun haben. Eine neue Weltwirtschaftskrise mit unabsehbaren Folgen steht auf der Tagesordnung der Geschichte. Aber trotzdem fragen alle nur: Wann ist die Krise zu Ende? Welcher Kapitalismus kommt nach der Krise? Diese Erwartungshaltung speist sich aus dem Verständnis, dass der Kapitalismus die „ewige Wiederkehr des Gleichen“ sei. Die elementaren Mechanismen der Verwertung bleiben immer dieselben. Es gibt zwar technologische Revolutionen, soziale Umwälzungen, Veränderungen der „Kräfteverhältnisse“ und neue Hegemonialmächte. Aber das ist nur eine äußerliche „Ereignisgeschichte“, ein immerwährendes Auf und Ab von Zyklen. Aus dieser Sicht ist die Krise bloß funktional für den Kapitalismus. Sie führt zur „Bereinigung“, indem sie überschüssiges Kapital entwertet. Dadurch wird der Weg frei gemacht für neue Akkumulationsprozesse.

Dieses Verständnis nimmt die innere Dynamik des Kapitalismus nicht ernst. Es gibt aber auch eine andere Auffassung. Danach existiert die Verwertung real nur in der historischen Dynamik einer aufsteigenden Produktivkraftentwicklung. Das ist keine bloß technologische Veränderung, sondern damit werden neue Verwertungsbedingungen gesetzt. Deshalb ist der Kapitalismus nicht die „ewige Wiederkehr des Gleichen“, sondern ein irreversibler historischer Prozess, der auf einen Kulminationspunkt zutreibt. Denn im Verlauf der kapitalistischen Binnengeschichte verengt sich der Spielraum der Verwertung. Triebkraft ist die Freisetzung von Arbeitskraft, die durch wissenschaftlich-technologische Aggregate in stets zunehmendem Maße überflüssig gemacht wird. Arbeit bildet aber die Substanz des Kapitals, da sie allein realen Mehrwert produziert. Der Kapitalismus kann diesen inneren Widerspruch nur durch eine Expansion des Kreditsystems kompensieren, also durch Vorgriff auf zukünftigen Mehrwert. Dieses Schneeballsystem muss aber an Grenzen stoßen, wenn der Vorgriff zu weit in die Zukunft gedehnt wird. Aus dieser Sicht bilden die Krisen keine bloße „Bereinigungsfunktion“, sondern sie verstärken sich historisch und führen an eine innere Schranke der Verwertung heran.

Es ist nun die Frage, welchen Status die neue Weltwirtschaftskrise hat. Den Vertretern der zweiten Auffassung wird vorgeworfen, sie wollten bloß das Ende des Kapitalismus abwarten. Aber das Erreichen einer inneren Schranke ersetzt nicht die soziale Emanzipation, sondern würde nur die Weltgesellschaft ins Chaos stürzen. Viel eher könnte man den Vertretern der ersten Auffassung vorwerfen, dass sie selber blauäugig abwarten wollen, wie der Kapitalismus nach der „Bereinigung“ wieder durchstartet. Diese Hoffnung teilen viele Linke mit den herrschenden Eliten. Was aber, wenn es sich nicht so verhält? Wenn keine neuen Potentiale realer Verwertung angegeben werden können, bleibt die Theorie der „Bereinigung“ eine Leerformel. Eine neue arbeitsintensive Produktion ist aber nirgends in Sicht. Für die allgemeine Erwartungshaltung könnte es ein böses Erwachen geben. Die Frage müsste dann lauten: Was kommt nach dem Kapitalismus? Die bloße Verstaatlichung der kapitalistischen Kategorien ist keine Option mehr, sondern selber schon Geschichte. Wenn diese Krise zivilisatorisch bewältigt werden soll, ist vielleicht mehr gefordert als das Warten auf den nächsten Aufschwung.