Alternativen zum Kapitalismus

Im Check: Bedingungsloses Grundeinkommen

Günther Salz

 

Über das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) wird bereits seit Jahrzehnten – manche würden sogar von Jahrhunderten sprechen – immer wieder debattiert. In Zeiten, in denen zwar in Deutschland – im Gegensatz zu globalen Entwicklungen – immer mehr Menschen beschäftigt sind, aber zum einen kaum mehr in sog. Normalarbeitsverhältnissen, sondern prekär, und zum anderen immer mehr Produktionsprozesse von Maschinen und Computern/Robotern übernommen werden, nimmt die Diskussion um ein BGE erneut zu. Viele erhoffen sich davon ein Ende der Gängelung durch Job-Center, Sozialämter und ArbeitgeberInnen sowie ein Ende des allgemeinen Arbeitszwangs und der sozialen Unsicherheit. Umgekehrt soll ein BGE allen ermöglichen, in Freiheit und Sicherheit tätig zu sein und Beruf und Familie besser vereinbaren zu können.

Aber kann das BGE halten, was es verspricht? Diese Frage muss im Kontext einer krisenhaften kapitalistischen Gesellschaft eindeutig verneint werden. Weder eine noch so gut gemeinte Neuverteilung des Reichtums noch die berechtigten Wünsche nach einer emanzipatorischen Überwindung der bestehenden Verhältnisse können vom BGE erfüllt werden.

Als Sozialarbeiter, der in der Armutsbekämpfung seit 1980 tätig war und sowohl die wachsende Arbeitslosigkeit als auch die Erosion abgesicherter Arbeitsverhältnisse erlebt hat, war das Thema „Grundeinkommen“ kaum zu umgehen. Deshalb habe ich in meinem ersten Buch über „Armut durch Reichtum“, das 1991 erschien, das Thema schon kurz behandelt. Stärker befasste ich mich mit dem Grundeinkommen (GE), als die KAB 2005 eine Arbeitszeitoffensive startete und 2007 einen Beschluss zur Einführung eines Garantierten Grundeinkommens in die öffentliche Debatte brachte. Dabei gefiel mir der Gedanke, die Forderung nach einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung (AZV) mit einem GE zu kombinieren, um mit seiner Hilfe mögliche Lohnsenkungen auffangen zu können. Nachdem ich mich aber zusammen mit anderen KAB- und Netz-KollegInnen im Rahmen eines Kapitalismus-Kurses mit seinen Grundkategorien Ware, Arbeit, Geld, Krise, Markt und Staat (sowie später mit den abgespaltenen und weiblich konnotierten Momenten, die seine stumme Voraussetzung darstellen) befasst hatte, ging mir auf, dass die Idee des Grundeinkommens mitsamt der KAB-Vision einer „Tätigkeitsgesellschaft“ die Rechnung ohne den kapitalistischen Wirt macht.

1. Essentials des Bedingungslosen Grundeinkommens

Ein (bedingungsloses) Grundeinkommen ist „ein Einkommen, das von einem politischen Gemeinwesen an alle seine Mitglieder ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Gegenleistung individuell ausgezahlt wird“ (Vanderborght/Van Parijs, 2005, S. 14).

  • Es wird also ab der Geburt an Einzelpersonen und nicht an Haushalte oder „Bedarfsgemeinschaften“ wie z.B. bei Hartz IV gezahlt.
  • Es ist universell und steht jedem/jeder BürgerIn eines Gemeinwesens (Inländer) zu.
  • Es ist bedingungslos und wird ohne Vor- oder Gegenleistungen wie z.B. Anspar- oder Arbeitsleistungen und ohne Rücksicht auf eigenes Einkommen und Vermögen – also ohne Bedürftigkeitsprüfung – gewährt.
  • Meist – aber nicht immer – wird mit dem BGE verbunden, dass es in existenzsichernder, armutsvermeidender Höhe ausgezahlt werden soll (Rätz/Paternoga/Steinbach, 2005, S. 12).

Dass es bedingungslos an alle ausgezahlt werden soll, zeigt schon, dass es um mehr geht als um Armutsbekämpfung. Aber auch der immer größer werdende Kreis seiner Protagonisten deutet das an.

Denn die Gruppe der BGE-VerfechterInnen ist inzwischen zu einer bunten Ansammlung von UnternehmerInnen, unternehmensnahen Instituten, linksliberalen BürgerInnen und Bürgern, prekarisierten Selbstständigen, politisierten Jugendlichen (BDKJ), sozialen Bewegungen wie z.B. Attac, Arbeits- und KapitalismuskritikerInnen, Parteien (wie z.B. das Netzwerk GE innerhalb der Linken), Arbeitslosenvertretungen und Netzwerkern von der KAB über humanistische SozialistInnen bis hin zu MenschenrechtlerInnen und prominenten FürsprecherInnen wie Klaus-Maria Brandauer, Jean Claude Juncker, Yanis Varoufakis und dem Philosophen Richard David Precht geworden. Gerade die Unternehmensseite forciert in den letzten Jahren die Einführung eines BGEs, so die Vereinigung „Wirtschaft für GE“, oder Klaus Schwab, der Organisator des Reichen-Treffens in Davos, oder Joe Kaeser, der Chef von Siemens.

Ihre tendenziell gemeinsame Diagnose ist, dass Vollbeschäftigung der Vergangenheit angehört und das Grundeinkommen einen Aufbruch in eine neue Zukunft darstellt. Ein Grundeinkommen ermögliche Selbstbestimmung, Kreativität und Freiheit. „In Freiheit und Sicherheit tätig sein“, so lautet das Credo der BGE’ler.

Dass die Genannten alle die gleichen Ziele oder humanistische Absichten verfolgen, ist wohl zweifelhaft. Aber schauen wir uns dies näher an und prüfen einige Ansätze beispielhaft, um die Unterschiede herauszuarbeiten.

2. Die aktuelle BGE-Diskussion

Dabei beziehe ich mich zunächst auf zwei marktradikal-neoliberale Konzepte, dann auf den Ansatz der „BAG GE“ in der Partei „Die Linke“ und schließlich auf die Vorstellungen der KAB.

2.1. Götz Werner

Da ist also zunächst der Ansatz des Gründers der dm-Drogeriemarktkette. Er hält Hartz IV für „offenen Strafvollzug“, ein „Recht auf Arbeit“ für unsinnig und fordert ein BGE als ein Bürgerrecht, das von Existenzängsten befreit (Werner, 2007).

Er sieht, dass menschliche Arbeit durch immer mehr technischen Fortschritt bzw. Maschineneinsatz immer weniger wird. Um den ungleichen Zweikampf zwischen Mensch und Maschine aufzuheben, schlägt er die Einführung einer Konsumsteuer und die Abschaffung der Einkommens- und Lohnsteuern vor. Hierdurch würde Deutschland zu einer „Steueroase und zum Arbeitsparadies“ (S. 192) werden. Die Unternehmen könnten wieder investieren und würden mit Hilfe des Grundeinkommens und ohne die lästige Unternehmenssteuer viel lieber einstellen als heute (2007).

Mit dem BGE zwischen 800 und 1.500 € würden nach und nach alle Sozialtransfers überflüssig – ebenso wie Flächentarife und damit wohl auch die Gewerkschaften. Dies schrieb Götz Werner in seinem Buch „Einkommen für alle“ 2007; 2018 hat er eine aktualisierte Neuausgabe seines Buches mit dem Untertitel „Bedingungsloses GE – die Zeit ist reif“, herausgebracht. Hier setzt er sich noch einmal mit Denkhürden und Gegenargumenten gegenüber einem BGE auseinander und begründet – ähnlich wie vor 10 Jahren – warum ein BGE die einzige Alternative zur „Vollbeschäftigung“ und zum unsinnigen „Recht auf Arbeit“ sei (Werner, 2018).

Statt an der historisch eingebläuten Arbeitsideologie festzuhalten, sollte man den technischen Fortschritt und das Verschwinden der Arbeit begrüßen. Denn der Sinn von Rationalisierung sei, effizienter zu produzieren und Menschen von schlechter und gefährlicher Arbeit zu befreien (S. 97). Überdies sei der Arbeitsmarkt kein freier Markt, da man keine wirkliche Wahl und kein Einkommen ohne Arbeit habe. Auf einem echten Arbeitsmarkt gelte der Grundsatz „Alle können, aber keiner muss arbeiten“. Das „Recht auf Arbeit“ sei nicht mehr auf der Höhe der Zeit und müsse vom „Recht auf Einkommen“ – vor allem für NiedrigverdienerInnen – abgelöst werden (S. 99 und S. 128f).

Götz Werner geht es darum, alle Hindernisse für die freie Entfaltung des Kapitals und der Arbeit abzuschaffen – für das Kapital mittels einer Konsumsteuer am Ende des Wertschöpfungsprozesses und mit einem BGE zwischen 1000 und 1500 Euro für angstfreie und dadurch kreative Arbeit. So könnten Kapital und Arbeit in Ruhe arbeiten (S. 277). Hier sind anscheinend alle Widersprüche zwischen Kapital und Arbeit, alle Widersprüche im Inneren der Ware und der Warenproduktion beseitigt. Arbeit und Kapital sind nach Götz Werner „Ausformungen derselben humanen Kraft“, überhaupt nichts Materielles, sondern im Grunde etwas rein Geistiges. Und dieser Geist verändert die Realität (S. 277f.).

2.2. Thomas Straubhaar

Ein weiterer quirliger Geist in der GE-Diskussion ist der Schweizer Thomas Straubhaar, Prof. für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Uni Hamburg und Botschafter der neoliberalen „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“. Er hatte (zusammen mit anderen) in einer Studie vom März 2007 nicht nur das Althaus-Modell vom „Solidarischen Bürgergeld“ durchgerechnet und als finanzierbar dargestellt, sondern auch eigene Vorstellungen anhand von Modellrechnungen entwickelt (Straubhaar et al., 2007). Dabei geht er von einer Kritik der Sozialsicherungssysteme aus. Das Versicherungssystem sei zu teuer und zu ineffizient. Die Bevölkerungspyramide kehre sich um, Wachstumskräfte erlahmten; hierdurch verschwänden die bisherigen Verteilungsspielräume. Da lebenslange Erwerbsarbeit künftig die Ausnahme sei, löse sich das alte lohnarbeitsbezogene Sicherungssystem aus seiner Verankerung. In dieser Situation helfe nur ein Wechsel des Systems.

Und dieser Wechsel lasse sich mit einem BGE bewerkstelligen. Damit werde allen Deutschen von der Wiege bis zur Bahre, ohne Bedingung, ohne Gegenleistung, ohne Antrag und damit ohne bürokratischen Aufwand ein sozialpolitischer Universaltransfer ausbezahlt (a.a.O., S. 13). Dafür verschwinden Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung, Alg II und Sozialhilfe, Wohn- und Kindergeld, genauso wie Kündigungsschutz und Mindestlöhne. So soll der Sozialstaat schlanker, d.h. billiger werden.

In seinem neuen Buch „Radikal gerecht“ von 2017 aktualisiert Straubhaar seine älteren Überlegungen und eröffnet sein Konzept mit den plakativen Worten: „’Geld für alle’. Vom Staat. Ohne Gegenleistung. Einfach so. An alle. Ob arm oder reich, jung oder alt, ob mit oder ohne Familie, allein lebend oder zusammen mit anderen“, ob mit oder ohne Arbeit – und zwar so viel, dass das Existenzminimum gewahrt und Teilhabe möglich ist (Straubhaar, 2017, S. 7).

Warum „Geld für alle“? Weil es auf die Entwicklungen des 21. Jahrhunderts wie Individualisierung, Überalterung und Digitalisierung adäquat reagiert (S.28). Die alten Konzepte des 19. Jahrhunderts taugen nicht mehr. Deshalb sei ein Systemwechsel nötig.

Der „Systemwechsel“ bezieht sich allerdings nicht auf das kapitalistische Ganze, sondern in erster Linie auf den Sozialstaat und das Steuersystem. Im Kern sei das GE eine fundamentale Steuerreform, indem es alle sozialpolitischen Maßnahmen in einem Instrument nach Art einer negativen Einkommenssteuer bündelt (S. 14). Dessen Kosten beliefen sich bei 80 Millionen BezieherInnen auf jährlich ca. 576 Mrd. Euro bei einem GE von 600 Euro und auf ca. 960 Mrd. bei einem Betrag von 1000 Euro monatlich (S. 142). Finanziert werden soll das BGE durch Quellensteuern auf alle Einkommen mit einem einheitlichen Steuersatz – egal, welcher Herkunft die Einkommen sind (S.62). Unter die Besteuerung fallen auch Gewinne durch Einsatz von Robotern mittels Besteuerung ihrer EigentümerInnen, z.B. dann, wenn Firmen Gewinne aus Aktienbesitz verteilen. Eine direkte Maschinen- oder Robotersteuer würde nur deren Anwendung bremsen – ganz ähnlich, wie das Götz Werner meint.

Man sieht: Der technische und ökonomische Fortschritt soll durch das BGE und ein adäquates Steuersystem gefördert werden. Der Ersatz von Menschen durch Maschinen gehört nach Straubhaar nun einmal zum Wesen des Kapitalismus. Durch die gleiche Besteuerung soll eine immanente Gerechtigkeit für alle Wirtschaftssubjekte hergestellt werden – aber die realen Eigentumsverhältnisse und vor allem die abhängige Lohnarbeit bleiben unangetastet. In liberalem Gestus hält Straubhaar die administrative Arbeitszucht durch die Jobcenter für verzichtbar, weil sie ineffizient und zu teuer sei. Aber Vorsicht: Damit könnte zwar der Arbeitszwang aufgehoben werden; aber gleichzeitig entstünde eine kostengünstige postindustrielle Reservearmee für die wechselnden Bedürfnisse des Kapitals (vgl. Finanzierungsmodelle S. 142f.). Mein Fazit: In sich wirkt das Konzept von Straubhaar ganz vernünftig und stimmig – aber es ist die immanente Vernunft des Kapitals, die aus ihm spricht.

2.3. Das linke BGE

Linke Vorstellungen des BGEs setzen an gesellschaftlichen Widersprüchen und an der Verteilungsfrage an, wenden sich aber auch gegen den staatlich verordneten Arbeitszwang.

Eine Gruppe innerhalb der Partei „Die Linke“ bemüht sich seit 2007 unter der Führung der Bundestagsabgeordneten Katja Kipping und ihres wissenschaftlichen Mitarbeiters Ronald Blaschke darum, der Idee des BGE innerhalb und außerhalb ihrer Partei Geltung zu verschaffen. Eine „repressionsfreie, bedarfsorientierte Grundsicherung“ (2007) bzw. eine sanktionsfreie Mindestsicherung von 1050 Euro, wie sie ihre Partei heute fordert, genügt ihnen nicht.

2013 hat die BAG Grundeinkommen in der Linken dann einen erweiterten Beschluss gefasst, der seit 2016 als Broschüre mit dem Titel „Unser Konzept eines BGE – finanzierbar, emanzipatorisch, gemeinwohlfördernd“ vorliegt. Das neue BGE, das in zwei Varianten, nämlich als Sozialdividende und als negative Einkommenssteuer ausgestaltet ist, kommt mitten aus der linken Diskussion heraus und soll ein emanzipatorisches sein. Es versteht sich als Grundabsicherung, welche allen repressions- und voraussetzungsfrei gewährt wird und vom Charakter her keine Sozialleistung ist, sondern eine Art „Primäreinkommen“ darstellt, das angeblich den Markt- und Kapitaleinkommen vorgelagert ist. Das emanzipatorische GE will mehr Selbstbestimmung, Freiheit von Armut und Freiheit zur Muße gewährleisten und ein Schrittmacher in Richtung einer solidarischen und ökologischen Wirtschaft sein. So könne die Erwerbsarbeit nur eine von vielen möglichen Tätigkeiten für Männer und Frauen sein; und so könnten auch die gesellschaftliche Macht und die Macht der LohnarbeiterInnen gestärkt werden. Daher kommen auch weitere gesellschaftliche Ziele in Betracht wie eine demokratische Gestaltung von Wirtschaft und Finanzen, die Aneignung aller Mittel für eine gesellschaftliche Produktion, die mit der kulturellen Vorherrschaft von Kapital und Konsum bricht. Das linke GE ermögliche auch, dem Raubbau an der Natur „angstfrei“, weil abgesichert, entgegenzutreten. Es sei also weit mehr als ein Umbau der Sozialsysteme, sondern ein Ansatz zur Überwindung kapitalistischer und patriarchalischer Herrschaftsverhältnisse (S. 29). Es wird überdies als globales Menschenrecht verstanden.

Die Höhe des GE ist an die Höhe des BIP gekoppelt. Für Kinder bis 16 Jahre wird die Hälfte eines Erwachsenen-GE vorgesehen. Das wären 2013 540 Euro gewesen; Erwachsene sollen entsprechend 1080 Euro erhalten (S. 31). Das GE wird auf andere Einkommen nicht angerechnet, sondern ist voll kumulierbar. So wird ein angemessener Lohnabstand gewährleistet (von wegen „Relativierung der Erwerbsarbeit“!).

Die Gesamtkosten für ein linkes GE betragen in der Variante einer Sozialdividende ca. 985 Mrd. Euro pro Jahr. Bei Anrechnung wegfallender Steuererleichterungen noch netto 863 Mrd. Euro jährlich. Die Kosten eines BGE in Form einer negativen Einkommenssteuer würden 589 Mrd. und netto 467 Mrd. Euro betragen (S. 32f.). Finanziert werden soll das GE durch eine eigene BGE-Abgabe auf alle Brutto-Primäreinkommen, was eine linke Besonderheit unter den verschiedenen BGE-Konzepten ist. Aber ganz ähnlich wie das KAB-Konzept will man flankierend Mindestlöhne, Arbeitszeitverkürzungen und eine ausgebaute Daseinsvorsorge sowie die Einführung einer Bürgerversicherung. Damit komme ich zu dem Modell der KAB, das hier aber Garantiertes Grundeinkommen (GGE) heißt.

2.4. Das GGE der KAB

Auch die KAB verbindet mit ihrem GGE eine Vision, die der „Tätigkeitsgesellschaft“. Sie steht für den Wunsch nach Befreiung von der Herrschaft des Kapitals über die Menschen, für die Absicht zur Relativierung der Erwerbsarbeit. Deshalb werden in der Tätigkeitsgesellschaft Erwerbsarbeit, Familien- und gemeinwohlorientierte Arbeit als prinzipiell gleichwertig anerkannt (Triade der Arbeit). Diese Idee schließt eine neue Gerechtigkeit und die Geschlechterparität ein. Alle sollen an allen Arbeitsformen teilhaben können: Arme wie Reiche, Frauen wie Männer. Ziel ist es, von fremdbestimmter Arbeit zu selbstbestimmten Tätigkeiten zu kommen – auch durch die Ablösung der Sozialen Sicherung von der Lohnarbeitszentrierung mit Hilfe eines GGE. Dementsprechend wird es als Menschenrecht definiert und nicht als ein Recht, das auf Erwerbsarbeit gründet.

Die Höhe des GGE orientiert sich grundsätzlich an der Armutsvermeidungsgrenze. Erwachsene erhalten mit Stand 2015 795 Euro und Kinder 497 Euro. Der Wohngeldanspruch bleibt. Bei Bedarf gibt es einen Lebenslagenzuschuss in Höhe von 298 Euro. Die klassischen Sozialversicherungen bleiben bestehen, dafür fallen Fürsorgeleistungen wie ALG II, das Sozialgeld, aber auch Kindergeld und Bafög weg. Diese Einsparungen sollen im Verbund mit einer gerechten Steuerreform das GGE finanzieren. Über das GGE hinausgehende Einkommen werden ab dem ersten Euro steuer- und sozialversicherungspflichtig. Eine ausgebaute öffentliche Daseinsvorsorge, ein Mindestlohn und Arbeitszeitverkürzungen stellen wichtige Rahmenbedingungen für das KAB-Modell dar (KAB 2015).

Die KAB betont bei allem die Bedeutung der Arbeit für die Teilhabe an der Gesellschaft. Und so liegt denn dem garantierten Grundeinkommen auch ein „positives Menschenbild“ zugrunde. Man baut darauf, dass die Menschen auch bei Einführung eines GGE der Arbeit nachgehen werden. Denn Arbeit soll ja Teilhabe an Gottes Schöpfung und nur „gute Arbeit“ sein, die allen ein gutes Leben ermöglicht.

3. Grundsätzliche Kritik und Bewertung des BGE

Ist diese Idee nur eine Utopie oder eine realistische Hoffnung? Ist ein BGE Instrument einer neuen, freien Gesellschaft, die die Armut abgeschafft hat und in der man „in Freiheit tätig“ sein kann? Zweifel sind angebracht.

Die Grundeinkommensmodelle bleiben in der Regel auf der Verteilungsebene gesamtwirtschaftlicher Prozesse und blenden gewöhnlich die polit-ökonomischen Tiefenstrukturen ebenso aus wie das funktionale Verhältnis von Staat und Markt. Sie machen sich die stillschweigenden Voraussetzungen ihrer Konzepte oft nicht klar. Von einer Problemdarstellung schreitet man mehr oder weniger umstandslos zur Lösung, dem BGE, fort, ohne eine kategoriale Analyse der den Problemen zugrunde liegenden gesellschaftlichen Widersprüche zu leisten, geschweige denn die krisenhafte Struktur und Dynamik des Kapitalismus anhand marxscher und feministischer Kriterien und Begriffe beleuchtet zu haben. Das Konzept der LINKEN-BAG deutet diesen Bezug zwar an, entwickelt aber kein genuin marxistisches Konzept der Gesellschaftsveränderung. So bleibt es in der kapitalistischen Immanenz stecken. Bereits der Begriff der „Sozialdividende“ zeigt die Nähe zum kapitalistischen Denken im Zusammenhang mit dem Finanzkapitalismus: Es soll einen individuellen Anspruch auf ein Einkommen geben, das dem von Aktionären gleicht, gewissermaßen als Aktionär der „Deutschland AG“, das mir nichts dir nichts eingestrichen werden kann, woher auch immer es kommen mag. Die Unmöglichkeit dieses Unterfangens, sozusagen analog zum unmöglichen Abzapfen von „Geld ohne Wert“ (Robert Kurz) aus der Blasenökonomie, kann in dieser Denkform gar nicht wahrgenommen werden.

Dabei ist das Garantierte oder Bedingungslose Grundeinkommen schon eine faszinierende Idee. Wer wollte nicht „in Freiheit tätig sein“? Wer wollte nicht in einer freien und solidarischen Gesellschaft leben? Welcher Menschenfreund wollte nicht das repressive Hartz-System mit seinem Arbeitszwang abschaffen? Wer wollte nicht kürzer, sinnvoller und selbstbestimmter arbeiten? Wer sollte etwas gegen eine gesicherte Existenz, verkürzte Erwerbsarbeit und einer besseren Balance von Arbeit, Familie und Gemeinwesen haben?

Allein: Diese Modellvorstellungen sind weder der kapitalistischen Eigenart noch seiner Dynamik gewachsen. Das soll nun anhand wesentlicher Momente der kapitalistischen Totalität erläutert werden.

3.1. BGE bedingungslos?

Ein allgemeines Grundeinkommen wäre in keiner Ökonomie bedingungslos. Zunächst muss immer ein Mehrprodukt geschaffen werden, wenn man „Nicht-ArbeiterInnen“ – und zwar Arme wie Reiche – alimentieren will oder muss. Unter kapitalistischen Bedingungen setzt jedes Einkommen gelingende Mehr-Wert-Produktion und Mehrwert-Realisierung auf dem Markt voraus. Mehrwert-Produktion setzt (Lohn-)Arbeit voraus, also Ausbeutung und Abhängigkeit. Die „Freiheit“ der GrundeinkommensbezieherInnen erfordert also die Unfreiheit der LohnarbeiterInnen. Der Zwang zur Arbeit wäre nur für die abgeschafft, die von einem (möglichst hohen) Grundeinkommen leben wollen, nicht aber für jene, die es zu finanzieren hätten. Das Attribut „bedingungslos“ trifft allenfalls auf den Wegfall einer Bedarfsprüfung und eine eventuelle Auszahlung durch Finanzämter zu. Grundsätzlich ist es nicht möglich, mitten in der Wüste des Kapitals eine Oase der Freiheit entstehen zu lassen – ebenso wenig wie eine wirkliche Entkoppelung von Einkommen und Arbeit vorzunehmen. Das BGE „weist (...) so wenig über die bestehende Gesellschaft hinaus, wie eine Fata Morgana über die Wüste hinausweist, die sie erzeugt“, kommentiert Rainer Roth treffend (Roth, 2006, S. 71).

3.2. Freiheit durch Geld?

Aber wie kann es zu der Illusion, Freiheit durch Geld herbeiführen zu wollen, kommen? Das hängt mit dem eigenartigen, nicht leicht durchschaubaren Wesen des Geldes zusammen. Denn Geld ist nicht einfach Tausch- oder Zahlungsmittel. Geld ist die Erscheinungsform des Werts als ein abstraktes, sinnlich nicht fassbares Verhältnis von Produzenten und den von ihnen erzeugten Waren auf dem Markt. Was heißt das genauer?

Geld ist die allgemeinste aller Waren. Aus vorgeschossenem Geld soll am Ende von Warenproduktion und -verkauf mehr Geld werden (G-W-G'). Das ist das Alpha und das Omega des Kapitals. Die hergestellten ‚Güter’ dienen als stoffliche Träger des Tauschwerts nur nebenbei der Erfüllung menschlicher Bedürfnisse; hauptsächlich geht es um die Vermehrung von Geld als Kapital, als ein maß- und endloser Prozess und Selbstzweck. Die menschliche Arbeit ist maßgebliches Mittel zu diesem irrationalen menschen- und naturfeindlichen Selbstzweck (Kurz, 2001, S. 56-59; Ders. 2004, S.44-129). Das ist auch der Grund, warum eine Besteuerung von Robotern, die einige Protagonisten als Finanzierungsgrundlage eines BGE erwähnen, nicht möglich ist. Maschinen/Roboter generieren – im Gegensatz zur menschlichen Arbeitskraft – keinen (Mehr-)Wert und können daher auch nicht besteuert werden.

Im Geld drückt sich die Lohnarbeit als „abstrakte“, allgemein menschliche Arbeit und Substanz des Werts aus. Geld spiegelt den Umfang der durchschnittlichen Arbeitszeit, also den Wert wieder, der in der Produktion von Waren enthalten ist. Und im Austausch der Waren auf dem Markt taucht der Wert in Form des Geldes als das abstrakt Gemeinsame der höchst unterschiedlichen Waren auf. Denn der Wert als „gespenstische Eigenschaft“ eines sozialen Verhältnisses (s.o.) benötigt einen selbständigen, erkennbaren Ausdruck – und den erhält er im Geld. Ohne abstrakte Arbeit kein Geld und ohne Mehrwert aus Ausbeutung keine Geldvermehrung. In der Abstraktion „Geld“ sind alle kapitalistischen Produktions- und Fetischverhältnisse als verselbständigte, fremde Macht über die Macher, als Verhältnisse von Sachen, die die Verhältnisse von Personen bestimmen, als Täuschung über die Lohnverhältnisse als angeblich gerechter und gleicher Tausch, als abstrakter Reichtum bei konkreter Armut, als Verselbständigung des Geldes von der Arbeit, als Finanzkrisen, die niemand wollte, als universale Konkurrenz und als Umweltzerstörung, die offenbar unaufhaltsam ist, enthalten. Nur durch die naiv-unbewusste Abstraktion von diesen Fetisch-Verhältnissen kann Geld als Heilmittel für die Befreiung vom Joch der Lohnarbeit oder gar zur Selbstverwirklichung erscheinen. Da es aber zum Wesen des Geldes als abstraktestem, allgemeinstem Ausdruck des Werts gehört, die Verbindung zur Produktion und zum Markt unsichtbar zu machen, ist es geeignet, Illusionen und Trugbilder über die Wirklichkeit zu erzeugen. Hierzu gehört auch die Täuschung, soziale Sicherheit mit Geld zu schaffen bzw. Einkommen von Arbeit entkoppeln zu können und dabei weder die ökologischen Krisendimensionen noch die abgespaltenen Momente überhaupt zu erwähnen, geschweige denn sie kritisch zu reflektieren.

3.3. Der Staat als Garant der Freiheit?

Wenn die Ökonomie und ihr Geld die Befreiung nicht realisieren können – kann der Staat vielleicht Geburtshelfer und Garant der Freiheit sein? Das ist offensichtlich die Hoffnung vieler BGE/GGEler und auch der KAB.

Aber auch das ist kaum anzunehmen, wenn man bedenkt, dass der Staat die komplementäre Seite des Marktes bzw. der Ökonomie ist. Da er auf gelingende Kapitalakkumulation angewiesen ist, um zu funktionieren, muss er zuvörderst deren Dauer und damit die Stabilität des Kapitalverhältnisses garantieren. (KAB 2016, S. 35f.; Netztelegramm, 2014, S.2) Das schließt ein, dass Arbeit garantiert bleiben soll, die als „Substanz des Kapitals“ (Marx) immerdar zur Verfügung stehen muss. Ist unter diesen Umständen allen Ernstes daran zu glauben, dass der Staat per Grundeinkommen eine Art Befreiungs- oder Streikgeld für alle zahlt? (vgl. Roth, 2006, S. 44).

Stattdessen würde die Einführung eines Grundeinkommens womöglich sogar eine Verschlechterung der Lage der LohnarbeiterInnen bedeuten. Denn dem Kapital käme es gerade recht, wenn die Löhne heruntergingen und es von der moralischen Verpflichtung, wenigstens die Reproduktion seiner Arbeitskräfte zu sichern, entlastet würde. Denn mit einem BGE oder GGE hätte der Staat die alleinige Aufgabe der Existenzsicherung aller übernommen. Die Ansprüche der ArbeitnehmerInnen auf einen angemessenen Lohn könnten von den ArbeitgeberInnen mit Verweis auf das Grundeinkommen leicht zurückgewiesen werden. Es käme womöglich zu dem, was schon während des englischen Systems eines Lohnzuschusses für arme ArbeiterInnen zwischen 1795 und 1834 auftrat: Die Kapitalisten betrachteten die öffentliche Armenhilfe als Teil des Lohnes und zogen sie wie selbstverständlich von diesem ab (Marx, MEW 40, S. 524).

Auch die Höhe eines GE dürfte aus Kostengründen nicht allzu üppig ausfallen. Wenn das BGE in die Welt kommen sollte, dann als kapitalfunktionale Variante zur Rationalisierung der kapitalistischen Widersprüche. Denn das BGE passt wie die Faust aufs Auge eines entsicherten flexiblen Kapitalismus. Das hat offenbar auch der Chef von Siemens, Joe Kaeser, erkannt. Mit Blick auf Digitalisierung und prekäre Arbeit plädiert auch er für ein GE. Wo bleibt dann noch das Emanzipatorische?

3.4. Menschenrechte als Garanten der Freiheit und Sicherheit?

Auch wenn das Grundeinkommen zwischen Staat und Kapital zerrieben würde – wären dann nicht die Menschenrechte ein Rettungsanker der Freiheit? Denn diese sollten angeblich ja die Rechte des Einzelnen vor dem Staat und im Staat schützen. In der Tat gründet die Vorstellung einer Befreiung aus Abhängigkeit und Existenzängsten für die BGEler auf der Idee der Menschen- und Bürgerrechte. Menschenrechte, wie das Recht auf Leben(!), seien immer bedingungslos, sagt zum Beispiel Werner Rätz von Attac, einem langjährigen Verfechter des BGE.

Aber leider kamen auch die Menschen- und Bürgerrechte mit einem Geburtsfehler auf die Welt. Schon während der Französischen Revolution (im Juni 1793) gewann das Recht auf Eigentum, also die Freiheit der Unternehmer, den Vorrang vor dem Recht auf Leben1, das Robespierre gefordert hatte (vgl. Rainer Roth in www.klartext-info.de/artikel/bge_als_menschenrecht.htm). Damals ließen die Menschenrechte Sklaverei, Ausbeutung und Missachtung der Frauenrechte ebenso zu wie heute Globalisierungskriege und eine Milliarde hungernder Menschen. Menschenrechte sind Teil der Freiheits- und Gleichheitsideologie der bürgerlichen Aufklärung, die ihr Gegenteil schon in sich tragen. Anerkennung als Rechtssubjekt, und damit Anerkennung auf „unveräußerliche“ Menschenrechte, erhält nur der, der verwertbar ist und sich verwerten lassen will (vgl. hierzu: Kurz, 2004, S. 53-88). Deshalb hat der bürgerliche Staat, auf den die BGElerInnen bauen, mit Hartz IV und dem Sanktionsparagraphen 31 SGB II das „Recht auf Leben und Unversehrtheit“ zur Disposition gestellt.

Es ist im übrigen verräterisch und erhellend, was der Revolutionär und Menschenrechtler Thomas Paine 1796 zur Begründung einer frühen Art eines Grundeinkommens vorgebracht hat: Er empfahl u.a., allen Bürgern ab ihrem 25. Geburtstag eine kleine pauschale Geldsumme „als Entschädigung für die naturrechtlichen Ansprüche (wonach die Erde allen gehört; G.S.), die ihnen durch das System des Grundeigentums verloren gegangen sind, auszuzahlen“ (vgl. Vanderborght/Van Parijs, 2005, S. 21).

Ganz ähnlich wäre heute ein Grundeinkommen eine Art Abfindung für kleine Selbständige, prekäre LohnarbeiterInnen und Arbeitslose für entgangenen Besitz an Produktionsmitteln und fehlender Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum. Gegenüber der Kapital-Seite ein schlechter Tausch, der am Konkurrenz- und Wertverhältnis nichts änderte.

Genau das aber meinen die linken BGElerInnen (und tendenziell auch die KAB) mit dem GE erreichen zu können. Wahrscheinlich hängt diese Illusion auch damit zusammen, dass es bei ihnen, wie auch bei den neoliberalen Ansätzen, an einer gründlichen Geld- und Krisentheorie des Kapitalismus fehlt.

3.5. Krisen und BGE

Wenn aber Arbeit, Ware und Geld, wie oben ausgeführt, unzertrennlich zusammenhängen, wie ist es dann um die Krise der Arbeit, mit der ja die Diskussion um ein BGE entstand, bestellt? Dabei geht es weniger um zyklische Verwertungskrisen, sondern um die potentiell finale Verfallskrise des Kapitalismus und den Zusammenhang dieser mit der Entwertung des Geldes. Denn in der blinden Kapitalakkumulation steckt ein dicker Wurm drin, der in der Lage ist, das System selbst aufzufressen. Marx nennt diesen in seinen „Grundrissen“ von 1857/58 den „prozessierenden Widerspruch“, den er so beschreibt: „Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch (dadurch), dass es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren sucht, während es andrerseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt“ (Marx, 1974, S. 593). Mit einfachen Worten: Das Kapital lebt von der Arbeit als seiner Substanz, muss diese aber in wachsendem Maße reduzieren!

Dieser Systemwiderspruch wird durch die zwanghafte Konkurrenz der Einzelkapitalien untereinander hervorgerufen. Denn wenn das Einzelkapital im Wettbewerb auf dem Markt überleben oder gar einen Extraprofit einfahren will, muss es produktiver, also billiger und schneller sein als die anderen. Dies erreicht es durch den vermehrten Einsatz von arbeits- und zeitsparenden Maschinen und macht damit menschliche Arbeit überflüssig.

Wenn nun im Zuge der dritten mikroelektronischen und der vierten industriellen Revolution (Industrie 4.0) insgesamt mehr produktive Arbeit wegfällt, als neu geschaffen wird, wird der logische Widerspruch historisch reif. Das Kapital stößt gleichzeitig an seine innere (Wert)Schranke und an seine äußere (Natur)Schranke. Denn mit dem vermehrten Einsatz von Maschinen wird einerseits die Produktivität und damit der stoffliche Output gesteigert, andererseits aber die in den Waren enthaltene Mehrwertmasse verringert. Da es dem Kapital aber genau darauf ankommt, müssen noch mehr Waren erzeugt werden, um den Wertverlust auszugleichen. Das aber bedeutet noch mehr Ressourcenverbrauch und weiter gesteigerte Rationalisierung. Auf diese zwanghaft-verrückte Weise untergräbt das Kapital selbstzerstörerisch die Grundlagen „alles Reichtums: die Erde und den Arbeiter“ (Marx, 2008, S. 529f.). Und das kann auch nicht folgenlos für das Geld bleiben. Wie soll Sicherheit durch Geld bewirkt werden, wenn man bedenkt, dass „Geld“ als abstrakteste Ausdrucksform des Werts genauso vom Abschmelzen der Wertsubstanz „Arbeit“ betroffen ist wie der Staat? Sichtbare Zeichen dieses Verfalls sind Staatsverschuldung und Flucht in die Finanzmärkte mit ihren wertlosen Geldblasen ebenso wie die Ausbreitung prekärer Arbeit und zerfallender Staaten mit ihren Plünderungsökonomien und despotisch-autoritären Herrschaftsformen, die vermeintlich allem Herr werden können, nur definitiv nicht der Aufhebung des prozessierenden Widerspruchs.

4. Was folgt daraus?

Daher ist es, wie ich meine, geboten, nicht durch eine gigantische Neuverteilung des prekären Reichtums Sicherheit und Teilhabe schaffen zu wollen, sondern genau die Überwindung dieser Art von Reichtumsproduktion als verselbständigter Fetischform anzugehen: nämlich die Aufhebung der abstrakten Arbeit, des Werts und der Warenproduktion, des Geldes und des Markts, die Überwindung der Lohnarbeit und mit ihr die Abschaffung des Kapitals, aber auch die Aufhebung des Staats als Organisator des Markts und der Fetischform „Nation“ – und nicht zu vergessen die Aufhebung der abgespaltenen und minderwertig konnotierten Reproduktionsseite als stummer Voraussetzung des Kapitalverhältnisses (vgl. Scholz 2011).

Der auch von linken BefürworterInnen des BGE als notwendig erachtete Emanzipationsversuch von der globalen zerstörerischen kapitalistischen Gesellschaftsform muss daher andere als die BGE-Wege einschlagen und nicht vereinfachten, unreflektierten Sehnsüchten nach im Kapitalismus illusorischer (ökonomischer) Sicherheit das Wort reden. Positiv formuliert: „Mit der Aufhebung der Wert(Abspaltungs-)form und des Fetischismus müsste ein neuer menschenfreundlicher, solidarischer Daseins- und Sinn-Zusammenhang konstituiert werden, der den Menschen ein unbeschädigtes Weiterleben ohne unnötige, gesellschaftlich verursachte Leiden ermöglichte; ein neuer, für jedermann und jedefrau durchschaubarer Vergesellschaftungszusammenhang, der auf der Selbstbestimmung der ergänzungsbedürftigen und ergänzungsfähigen, d.h. konkreten ‚gesellschaftlichen Individuen‘ beruhte, und eine autonome, gesellschaftliche Zwecksetzung der Produktion ermöglichte, die allen Menschen ein würdiges Leben sicherte. Verhältnisse also, in denen auch die Natur zu ihrem ‚Recht’ käme und der Mensch kein Mittel für fremde, systemische Zwecke und kein erniedrigtes, kein geknechtetes, kein verlassenes, kein verächtliches Wesen mehr wäre, sondern ‚das höchste Wesen für den Menschen“ (KAB 2016: 98).

Diesen kategorischen Imperativ von Karl Marx sehen wir nicht als Gegensatz zur christlichen Auffassung des Liebesgebots unter den Menschen, sondern als Verknüpfung des jüdischen, des christlichen und des marxistischen Denkens, um einen Zustand ohne Entfremdung zwischen den Menschen und ohne Entfremdung zwischen Gott, den Menschen und der Natur zu erreichen.

Eine Vorahnung dieses Zustandes haben wir im jüdischen Sabbat und im christlichen Sonntag institutionalisiert. Eine Einrichtung, die mehr ist als das Ausruhen von der und für die Arbeit, sondern Leben in bewusster Freiheit von aller Herrschaft – sei sie personaler oder systemischer Art.

Literatur

BAG-Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE, Unser Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens, Berlin, 5. Auflage, 12/2017.

Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands e.V., Grundeinkommen garantiert, Köln, Mai 2015.

Katholische Arbeitnehmer-Bewegung in der Diözese Tier (Hrsg.), Das Ganze verändern. Beiträge zur Überwindung des Kapitalismus, Norderstedt 2016.

Kurz, Robert, Marx lesen. Die wichtigsten Texte von Karl Marx für das 21. Jahrhundert, Frankfurt 2001.

Kurz, Robert, Die Substanz des Kapitals, Abstrakte Arbeit als gesellschaftliche Realmetaphysik und die absolute innere Schranke der Verwertung. Erster Teil: Die negative historisch-gesellschaftliche Qualität der Abstraktion „Arbeit“, in: Exit, 1/2004.

Kurz, Robert, Blutige Vernunft. Essays zur emanzipatorischen Kritik der kapitalistischen Moderne und ihrer westlichen Werte, Bad Honnef 2004.

Marx, Karl, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie 1857-1858, Berlin 1974

Marx, Karl, Das Kapital, Bd. 1, MEW 23, Berlin 2008.

Netztelegramm, Informationen des Ökumenischen Netzes Rhein Mosel Saar, März 2014.

Rätz, Werner; Paternoga, Dagmar; Steinbach, Werner, Grundeinkommen: Bedingungslos, Attac-Basistexte, Hamburg 2005.

Roth, Rainer, Zur Kritik des BGE, Frankfurt, 2006.

Scholz, Roswitha, Das Geschlecht des Kapitalismus. Feministische Theorien und die postmoderne Metamorphose des Kapitals, Bad Honnef, 2011.

Straubhaar, Thomas; Hohenleitner, Ingrid; Opielka, Michael; Schramm, Michael, Bedingungsloses Grundeinkommen und Solidarisches Bürgergeld – mehr als sozialutopische Konzepte, Hamburg 2007.

Straubhaar, Thomas, Radikal gerecht. Wie das bedingungslose Grundeinkommen den Sozialstaat revolutioniert, Hamburg 2017.

Vanderborght, Yannick; Van Parijs, Philippe, Ein Grundeinkommen für alle? Geschichte und Zukunft eines radikalen Vorschlags, Frankfurt 2005.

Werner, Götz, Einkommen für alle, Köln 2007.

Werner, Götz, Einkommen für alle. Bedingungsloses Grundeinkommen - die Zeit ist reif, Köln 2018.


  1. Ein Recht auf Leben muss ja nur dann eingefordert werden, wenn die bloße Existenz bereits in Frage gestellt wird! ^