Euro-Dämmerung?

Von der Krise der EU-Verfassung zur Krise der Währungsunion

erschienen in der Wochenzeitung „Freitag“
am 10.06.2005

Europa schien seinen Gang zu gehen mit dem viel gefeierten Beitritt der ostmitteleuropäischen Länder zur EU. Aber wie aus heiterem Himmel stellt das absehbare Scheitern des EU-Verfassungsvertrags nach den ablehnenden Referenden in Frankreich und den Niederlanden plötzlich den gesamten Integrationsprozeß in Frage. Sogar Gerüchte über die Auflösung der Währungsunion kamen in Umlauf. Das war der größte Schock. Es zeigt sich nun, dass das Konstrukt des Euro von der sozialökonomischen Krise eingeholt wird. EU-Verfassung und Währungsunion sind von eindeutig neoliberalem Zuschnitt; es ging stets nur darum, die Globalisierung des Kapitals zu exekutieren, die Transaktionskosten innerhalb der EU zu senken und den Global Players auf Kosten der Sozialtransfers freie Bahn zu schaffen. Aber die Ablehnung dieses neoliberalen Inhalts durch die Wahlbürger als Ansatz sozialen Widerstands mißzuverstehen, ist fahrlässig; vielmehr handelt es sich einzig um den regressiven Wunsch, vor der Krise in die Renationalisierung zu flüchten. Das ist nur die Kehrseite derselben Medaille. Gerade hierzulande lauert im Euro-Frust nichts anderes als der alte DM-Nationalismus.

Nach innen bestand der Geburtsfehler des Euro darin, dass er nicht als Währungs-Ausdruck eines binnenökonomisch und politisch vereinheitlichten Raumes auf den Weg gebracht, sondern äußerlich völlig verschiedenen nationalen Bedingungen aufgesetzt, also das Pferd vom Schwanz aufgezäumt wurde. Die auseinanderklaffenden Produktivitätsstandards, die verschiedenen Rechtsformen und Staatsapparate können kein gemeinsames Gelddach tragen. Eine Einheitswährung mit völlig unterschiedlichen Inflationsraten, gegensätzlichen nationalen Haushaltspolitiken und einem trotz krasser Produktivitätsunterschiede nach unten nivellierten Zinssatz muß auf eine Zerreißprobe zusteuern. Der Honeymoon der ideologischen Euro-Rhetorik ist vorbei; jetzt drohen überall so genannte Anpassungskrisen, wie sie aus dem Auseinanderfallen von Produktionsbedingungen sowie Politikformen einerseits und Einheitswährung andererseits zwangsläufig irgendwann folgen müssen.

Nach außen stand die Einführung des Euro sowieso im Zeichen einer permanenten Krise des Weltwährungssystems seit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Modells, eigentlich schon seit der Aufhebung des Goldstandards im 1. Weltkrieg. Das 20. Jahrhundert war auch ein Zeitalter der Inflationen, Geld- und Währungskrisen, weil die Wertsubstanz des Geldes nicht mehr objektiv gewährleistet werden konnte, sondern nur noch als staatliche, politisch-juristische Garantie eines „gesetzlichen Zahlungsmittels“ erschien, die immer wieder ausgehöhlt wurde. Nachdem auch die Goldbindung des Dollar 1973 gekappt werden musste, destabilisierten sich die internationalen Währungsverhältnisse und gingen in wilde Wechselkursschwankungen über, die zum besonderen Spekulationsfeld wurden.

Der Euro sollte auch zur Restabilisierung des Weltwährungssystems beitragen. Einige meinten sogar, er könne im Zuge von Weltmacht-Ambitionen der EU zur Konkurrenz für den Dollar als Weltgeld (internationale Transaktions- und Reservewährung) werden. Aber auch dafür fehlten alle Bedingungen. Denn nach dem Verlust der Goldbindung wurde die konkurrenzlose US-Militärmaschine als Garantiemacht für den sich globalisierenden Verwertungsprozeß quasi zum „Gold“ des Dollar. Die EU hat nichts Vergleichbares zu bieten. Überdies sind die USA durch die Identität von Weltgeld und militärischer Garantiemacht der Globalisierung zum „Staubsauger“ sowohl für das nicht mehr rentabel reinvestierbare Geldkapital als auch für die Warenüberschüsse der Welt geworden. Auch die EU hat ein vitales Interesse daran, dass der globale Defizitkreislauf mit den USA im Zentrum nicht zusammenbricht. Als Resultat des aufakkumulierten Handels- und Kapitalbilanzdefizits der USA droht allerdings die Entwertung des Weltgeldes Dollar. Aber der Euro bildet als innere Fehlkonstruktion und mangels äußerer Garantiemacht keine Alternative. Die Krise des Euro könnte sich zu einer neuen Krise des ohnehin fragilen Weltwährungssystems zuspitzen. Eine Flucht zurück in DM und Franc würde daran erst recht nichts ändern. Denn die Währungskrise ist nur Ausdruck einer tiefer gehenden Krise des Weltmarkts unter den Bedingungen der 3. industriellen Revolution.