Krise und Kritik der Warengesellschaft |
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erschienen in: Neues Deutschland Nov. 2003 Robert Kurz
Dollarinflation
Still und unaufhörlich wächst das Handels- und Kapitalbilanzdefizit der USA vor sich hin und hat aufsummiert eine astronomische Größenordnung erreicht. Man ist inzwischen irgendwie daran gewöhnt. Die ganze Welt legt ihr überschüssiges, weil wegen der globalen Überkapazitäten nicht mehr rentabel reinvestierbares Geldkapital in den USA an, indem dort Aktien und Staatsschuldpapiere gekauft werden. Mit den beispiellosen Geldschulden, die sie auf diese Weise im Ausland machen, kaufen die USA die überschüssigen Waren derselben Welt auf, für die sich sonst mangels Kaufkraft aufgrund von Rationalisierung, Massenarbeitslosigkeit und Massenarmut keine Käufer mehr finden würden. Die eigentlich fällige Weltwirtschaftskrise wird damit gemildert und ständig weiter hinausgeschoben. Fast scheint es so, als hätte der globale Kapitalismus dank der Absorptionsfähigkeit der letzten Supermacht das ökonomische Perpetuum mobile erfunden. Nach dem Lehrbuch sind die Export-Einbahnstraßen in die USA ein Ding der Unmöglichkeit. Eine Nationalökonomie kann nicht auf Dauer derart viel mehr importieren, als sie exportiert. Wenn die USA nicht durch gesteigerte Exporte nach Asien, Europa usw. selber den Ausgleich wieder herstellen, müssen die immensen Ungleichgewichte früher oder später zu einer gewaltsamen ökonomischen Kontraktion führen. Vergeßt die Lehrbücher, behauptet schon seit einigen Jahren der US-Ökonom Paul Krugman. Denn Staaten würden ja in Wirklichkeit gar nicht wie Unternehmen miteinander konkurrieren. Unter den Bedingungen der Globalisierung sei es naiv, weiterhin anzunehmen, daß die Erfolgsrechnung einer Volkswirtschaft ihre Handelsbilanz ist. Import und Export, so Krugman, finden jetzt in Wahrheit auf einer betriebswirtschaftlichen Ebene statt. Und da ist es so, daß gerade US-Firmen große Teile ihrer Produktionskapazitäten wegen des Billiglohns und anderer Kostenfaktoren nach China verlagert haben, das inzwischen als Drehscheibe in ihren globalen Produktionsnetzen fungiert. Was als Export Chinas in die USA erscheint, ist in Wirklichkeit die Belieferung von US-Kunden durch US-Konzerne. Deshalb macht es gar nichts, wenn z.B. in den USA selber überhaupt keine Laptops mehr hergestellt werden, meint Krugman frohgemut. Leider ist dem US-Ökonomen bei seinem optimistischen Räsonnement ein anfängerhafter Fehler unterlaufen. Auf der Ebene des stofflichen Güterflusses hat er zwar recht, da handelt es sich beim Import aus China betriebswirtschaftlich gewissermaßen um eine inneramerikanische Angelegenheit. Dem Kapital geht es aber nun einmal nicht um die stoffliche Güterproduktion, sondern diese dient einzig der Akkumulation von Geldkapital. Ausgerechnet das Geld aber, das der Zweck der ganzen Übung ist, kann sich genausowenig globalisieren wie die Staaten. Es gibt ebensowenig ein unmittelbares Weltgeld, wie es einen unmittelbaren Weltstaat gibt. Geld existiert überhaupt nur in der Form von Währung, das heißt von nationalen Geldnamen. Das gilt auch für den Dollar. Als Behelfs-Weltgeld bleibt er dennoch gleichzeitig nationale Währung. Und auf der Ebene der Währungsverhältnisse schlägt das astronomische Handels- und Kapitalbilanzdefizit der USA sehr wohl negativ zu Buche. Auch wenn es sich stofflich um betriebswirtschaftliche Binnenbewegungen von US-Konzernen handelt, bleibt es doch auf der Währungsebene ein Anspruch des einen Währungsraumes an einen anderen. Was muß auf dieser Ebene schließlich unausweichlich passieren? Machen wir ein kleines Gedankenexperiment und stellen uns das vermeintliche ökonomische Perpetuum mobile zwischen den USA und der übrigen Welt übertragen auf eine Binnenökonomie vor. Kaufkraft, die reell nicht da ist, wird durch Verschuldung simuliert. Wenn auch keine nennenswerten Ersparnisse da sind (wie es in den USA der Fall ist), gibt es nur noch die Möglichkeit, daß der Staat mit Hilfe seiner Notenbank wie verrückt Geld druckt und es unter die Leute bringt, damit die kaufen können. Das Resultat ist bekanntlich keine "ewige Konjunktur" als Perpetuum mobile, sondern die galoppierende Inflation, also der Ruin des Geldes selbst, und damit eine umso schlimmere Krise. Im Prinzip läuft der ständige Zufluß von ausländischem Geldkapital in die USA auf nichts anderes hinaus. Das in Fremdwährungen zufließende Geld muß zwecks Kauf von Aktien und Staatsanleihen in Dollars gewechselt werden, bläht also permanent die Dollarmenge auf. Dies erscheint jedoch zunächst nicht als Inflation in den USA, weil es sich um ausländische Gläubiger-Positionen handelt, die in Asien, Europa usw. in den Büchern stehen. Der inflationäre Mechanismus, der im Rahmen einer Binnenökonomie viel schneller greifen würde, ist daher vorläufig gefiltert durch die Grenzen der Währungsräume. Aber nun zurück zum Lehrbuch: Permanente Handels- und Kapitalbilanzdefizite einer Volkswirtschaft (somit auch eines Währungsraumes), so heißt es, müssen, werden sie nicht ausgeglichen, nach einer gewissen Inkubationszeit zu einem entsprechenden Verfall des Außenwertes der jeweiligen Währung führen. Die Binnenkaufkraft einer Währung ist jedoch nicht unabhängig vom Außenwert. Verfällt letzterer nur drastisch genug, so ist die Folge eine dramatische Inflation auch auf der binnenökonomischen Ebene des jeweiligen Landes, wie sich immer wieder gezeigt hat. Es ist nicht so recht einzusehen, warum es eine Möglichkeit geben sollte, daß die USA sich dieser Gesetzmäßigkeit dauerhaft entziehen könnten. Zwar lassen sie ganz bewußt alle paar Jahre (so auch jetzt wieder) einen gewissen Verlust im Außenwert des Dollars zu, weil auf diese Weise im Grunde die ausländischen Gläubiger selber einen Teil der US-Schulden zähneknirschend bezahlen müssen, indem ihre Dollar-Guthaben entsprechend verfallen. Das geht freilich nur, solange es sich um eine relativ mäßige, kontrollierte Pendelbewegung des Dollarkurses handelt. Je höher sich die US-Außendefizite aufakkumulieren, desto wahrscheinlicher wird es aber, daß der Geldkapitalzufluß ins Stocken gerät und der Außenwert des Dollars unkontrolliert nach unten durchbricht. Die dann unvermeidliche Dollarinflation wird allerdings nicht nur die Binnenökonomie der USA in die Knie gehen lassen, sondern damit auch die Exportmaschine der übrigen Welt zum Stehen bringen. Dann ist es aus mit der Herrlichkeit des vermeintlichen Perpetuum mobile. Wunder gibt es nur im Märchen. |