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Krise und Kritik der Warengesellschaft |
Bei
dem folgenden Text handelt es sich um eine Replik auf
eine Debatte zum Charakter der gegenwärtigen Krise, die am 6.
und 7. August
2013 in „neues deutschland“ zwischen
Funktionären von „Die Linke“ stattfand,
siehe Das Angebot zur Veröffentlichung auch dieser Replik an gleicher Stelle war der Redaktion von „neues deutschland“ noch nicht einmal eine negative Antwort wert. Elmar FlatschartAm Ende wird Altbekanntes nicht reichenOder: Um uns aus dem Elend zu erlösen, müssen wir zuerst verstehen, wie es beschaffen ist.Einer der erfreulichen Effekte der sogenannten „Finanzkrise“ und ihrer politischen Konsequenzen ist es, dass bisweilen neuer Raum für Debatten entsteht, wo früher bestenfalls verschlossene Türen vorzufinden waren. Gewisse Fragenkomplexe, die in etablierten linken Kreisen ehedem kaum diskutiert wurden bzw. werden konnten, schaffen nun ihren Weg in die öffentliche Auseinandersetzung. Dass dies alles andere als einfach ist beweist der krisentheoretische Beitrag von Manfred Sohn. Er ist mutig angesichts einer gewissen hegemonialen Ausrichtung der deutschsprachigen linken Diskurse, die krisentheoretischer Intervention allzu oft mehr als nur Kritik entgegenbringt. Ob polemisch oder nicht – die Kritiken an radikalen krisentheoretischen Auseinandersetzungen können nicht nur auf einen breiten politischen Konsens bauen, sie tun dies meist auch in einer sehr eindeutigen, oft an Arroganz grenzenden Art und Weise. Dass dabei der inhaltliche Austausch auf der Strecke bleibt, beweist leider auch die an Sohn gerichtete Replik von Alban Werner. Werners Kritik beginnt mit einem Zugeständnis – die Frage nach dem „Stadium des Kapitalismus“ wäre eine wichtige, die zu diskutieren ist. Genau darum sollte es tatsächlich gehen – unabhängig vom Ergebnis bedürfte es umfassenderer gesellschaftstheoretischer Debatten, die sich jener Frage sachlich widmen. Sachlich heißt nun aber, die Sache selbst überhaupt in Betracht zu ziehen und zugleich in der Kritik auch wirkliche auf sie einzugehen. Beides ist bei Werner – wie vielen Kritiker_innen der Krisentheorie – offensichtlich nicht gegeben. Gleich zu Beginn wird klar gemacht, dass nicht nur den Autor, sondern auch „viele in der Partei“ derartiges „nicht überzeugt“. Mit dieser Flankierung versehen geht die kritische Auseinandersetzung jedoch nur vermeintlich in medias res, denn bereits die Frontalattacke bleibt hinsichtlich der gebotenen Argumente unklar bis bodenlos. Ohne tatsächlich auf die krisentheoretischen „Versatzstücke“ einzugehen, wird die Beweisführung auf das Theorem des tendenziellen Falls der Profitrate – welches wohl für die meisten Marxist_innen zumindest noch „altbekannt“ ist – verlagert. Dass sich Sohn auf die maßgeblich von Robert Kurz entwickelte Krisentheorie bezieht, die nicht auf dem tendenziellen Fall der Profitrate, sondern dem säkularen Abschmelzen der Wertmasse basiert, interessiert hier bereits nicht. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass das Konzept der „inneren Schranke“ nicht als Ausdruck ein und desselben krisentheoretischen Korpus verhandelt wird, sondern relativ vulgär die „ungeheure Anpassungsfähigkeit“ des Kapitalismus dagegen ins Feld führt. Dies ist aber erneut kein adäquates Argument, denn wer die krisentheoretischen Überlegungen teilt, muss nicht zwangsläufig die Anpassungsfähigkeit und Dynamik des Kapitalismus bestreiten. Die Kapitalbewegung kann und wird in ihrer betriebswirtschaftlichen Binnenlogik einer „kreativen Zerstörung“ (Schumpeter) so innovativ sein, wie noch nie – trotzdem kann sich das System als Ganzes an den Abgrund bewegen. Das sind schlicht zwei Paar Schuhe und gänzlich unterschiedliche gesellschaftstheoretische Abstraktionsebenen. Aber erneut zählt ohnehin nicht die Sache, vielmehr wird Sohn vorgeworfen, dass er ungenügende „empirische und theoretische Untermauerung“ liefere. Der Vorwurf fehlender Untermauerung an einen relativ kurzen Debattenbeitrag gerichtet erscheint reichlich deplatziert – v.a. dann, wenn eine Quelle genannt wird, die eben jene Untermauerung durchaus umfassender liefert. Keine „industrielle Revolution“ in SichtIm Weiteren wird nun die These einer „ökologischen Schranke der Kapitalakkumulation“ hinterfragt, wobei v.a. eingewandt wird, dass eine post-fossilistische Energieordnung doch möglich wäre und der Kapitalismus diese in einer neuen „industriellen Revolution“ auch immanent herbeiführen könne. Dieses recht einfache „Was wäre wenn“-Argument zu widerlegen ist natürlich schwieriger, als es aufzustellen – theoretisch und empirisch untermauerter wird es dadurch nicht unbedingt. Tatsächlich gibt es zahlreiche theoretische und empirische Gründe, die gegen die Möglichkeit eines „green capitalism“ sprechen. So hat etwa Elmar Altvater, der krisentheoretisch sicherlich nicht zu den radikalsten der Radikalen gehöret, argumentiert, dass ein radikaler Wechsel des Energiesystems weg von fossilen Quellen mit derartig hohen ökonomischen und politischen „Transitionskosten“ verbunden wäre, dass sie die Grenzen aller (bisher bekannten) institutionellen und betriebswirtschaftlichen Arrangements sprengen würden. Und bereits bei Marx finden wir das zentrale Diktum, dass die Kapitalbewegung in ihrer Subsumption alles (menschlichen und nicht-menschlichen) Lebens „maß- und ziellos“ ist, grundsätzlich den Weg des nach ihrer Rationalität geringsten Widerstands geht – und dieser Weg ist naheliegenderweise nicht einer der völligen Transformation der materialen Basis ökonomischer Verhältnisse. Es wäre also hier am Kritiker zu „beweisen“ wie völlig neue, in der Geschichte des Kapitalismus noch nie dagewesene, gesellschaftliche Naturverhältnisse auf Basis der bestehenden systemischen Ordnung möglich sein sollen. Abgesehen davon ist die krisentheoretische Argumentation aber eigentlich bereits auf einer abstrakteren, formtheoretischen Ebene angesiedelt, die der stofflichen vorgelagert ist. Das Argument bei Kurz und anderen ist nicht (primär) ein ökologischer Engpass bzw. dessen Konsequenzen für die kapitalistische Verwertungsmöglichkeit; vielmehr wird die These entwickelt, dass die Form, in welcher der stoffliche Bezug hergestellt wird, selbst in die Krise gerät. Arbeit als Wertsubstanz, die sich in der unmittelbaren Verbrennung von menschlicher Energie –„Herz, Muskel, Hirn“ – im Kontext eines realen Naturverhältnisses in der Warenproduktion artikuliert, wird zusehends obsolet. Wohlgemerkt nicht im landläufigen Verständnis des „Tätig Seins“ schlechthin, sondern im Marxschen Sinne der abstrakten Arbeit, d.h. der spezifischen Tätigkeitsform, in der im Kapitalismus die soziale Synthesis hergestellt wird. Die These ist also um vieles komplexer als in der Kritik verhandelt – finale Krise heißt auch bei Kurz nicht, dass in einem großen Kladderadatsch alles plötzlich zusammenbricht, sondern meint vielmehr, dass eine progressive Entwicklung der soziale Synthesis stiftenden Vergesellschaftungsweise auf Basis ihrer eigenen Grundlage nicht mehr möglich ist. Die Ausführungen Sohns zur Frage der Finanzmarktpolitik lese ich ausgehend von diesen Prämissen nicht als Dechiffrierung eines „Täuschungsmanövers“, sondern als kausale Einordnung des jahrzehntelangen Trends umfangreicher Verschiebungen hin zum Finanzsektor: die krisenhafte Entwicklung des Kapitals hat die Flucht in die Finanzmärkte, nebenbei auch die sogenannte „neoliberale Transformation“ , nicht nur möglich, sondern systemisch notwendig gemacht. Gerade die immense Bedeutung des fiktiven Kapitals zeugt also davon, dass das Ende der Fahnenstange allmählich erreicht ist: Die schubhaften Kriseneruptionen auf den Finanzmärkten sind Ausdruck der zunehmenden Unmöglichkeit, auf Basis der immer fiktiver werdenden sozialen Verhältnisse die aktuell herrschende Reichtumsform weiter aufrecht zu halten. Es gibt am Stand der Produktivkräfte also tatsächlich keinen Weg zurück hinter das fiktive Kapital – gerade dieses Faktum demarkiert jedoch die innere Schranke der kapitalistischen Prozesslogik. Veraltete Rezeptlösungen lieber entsorgenDie Krisentheorie hat also selbst bei Sohn – empirisch und v.a. theoretisch – weit mehr zu bieten, als Werner vormacht. Sicherlich gibt es auch einige Baustellen, so müsste zweifellos über strikt ökonomische Überlegungen hinausgegangen werden, auch Krisentendenzen in der politischen Form und der modernen Staatlichkeit in Betracht gezogen werden. Die Frage des Politischen lässt sich aber auch nicht rein voluntaristisch lösen und schon gar nicht mit Rezeptlösungen von gestern. Das Problem ist dabei weniger die Verschreibung – die idealtypische Opposition zwischen „reinem“ Keynesianismus und Monetarismus ist in der komplexen Realität wirtschaftspolitischer Sachzwänge und dem Einsatz von „mixed methods“ (z.B.: zugleich deficit spending zur Bankenrettung und Austeritätsprogramme in der Sozial- und Europapolitik) ohnehin eine obsolete. Zu problematisieren ist vielmehr die Diagnose der Krankheit als solche. Auf Basis der Annahme einer radikalen Krise der herrschenden Vergesellschaftungsweise wäre eine Teilnahme an den von vorneherein zwecklosen Heilungsversuchen des Patienten Kapitalismus nicht nur faktisch effektlos, sondern auch strategisch unvernünftig. Denn eine systemisch induzierte „Kernschmelze“ der Finanzmärkte lässt sich mittelfristig auch dann nicht politisch verhindern, wenn in ihr fatalerweise die Ansprüche der „Millionen Erwerbstätigen“ vernichtet werden (um die es aber – das weiß wohl auch Werner – längst nicht in relevantem Ausmaß geht). Es ist das Problem gewisser politizistisch orientierter linker Kreise, dass sie ihre Analysen immer noch allzu stark mit Hinblick auf die gewünschten immanenten Ergebnisse betreiben. Die realen Verhältnisse sprechen jedoch andere Worte – die imaginierte (wirtschafts-)politische Gestaltbarkeit existiert schlicht immer weniger und Politik gerinnt vermehrt zur Exekution von „Sachzwängen“, die nicht einmal mehr technokratischer Herkunft sind, sondern die Politik gewissermaßen von Tag zu Tag vor sich hertreiben. Politische Regulation verkommt damit zu einer unkontrolliert sich entfalteten Reaktionsform, die der ökonomischen Entwicklung immer einen Schritt hinterher zu sein scheint. Größere Rezepte, ja umfangreiche Programme taugen unter diesen Verhältnissen nichts mehr. Das erkennt instinktiv übrigens auch eine immer größer werdende Zahl des Wahlvolks und wendet sich populistischen und „Spass“-Parteien zu oder geht erst gar nicht mehr (überzeugt) wählen, sondern orientiert sich abseits der repräsentativen Politik. Das alles gilt auch außerhalb EuropasDie systemischen Dynamiken sind heute im Prinzip auf nationalstaatlicher Ebene die gleichen wie auf globaler. Natürlich reicht es in polit-ökonomischen Analysen nicht aus, alleine die westliche Welt zu betrachten. Der Vorwurf des Eurozentrismus ist dabei selbst aber etwas altbacken. Denn während systemische Tendenzen sich notwendig globalisiert entfalten, sind gewisse ökonomischen Indikatoren, die für die Länder des Zentrums Geltung haben mögen, nicht so einfach auf die Peripherie zu übertragen. So scheint etwa die Berechnung der „kapitalistisch beschäftigten Lohnarbeitenden“ in nicht westlichen Regionen (und überdies vermehrt auch im Zentrum) eine recht schwierige Angelegenheit zu sein. Was hier dem „formellen“ oder „informellen“ Sektor zuzuordnen ist, kann selbst im Paradeland China vielfach nicht genau gesagt werden – geschweige denn was im marxistischen Sinne Wert-„produktive“ oder „unproduktive“ Arbeit ist. Tatsächlich sind in weiten Teilen der Welt viele Menschen noch nicht einmal annähernd (formell) ins Kapitalverhältnis einbezogen. Dies heißt aber weder, dass sie dies notwendig sein werden oder können – für viele Regionen, die sich in den 60er und 70er Jahren noch als „Entwicklungsländer“ gerierten, ist diese Perspektive heute in weite Ferne gerückt. Noch heißt es, dass die rezenten Prozesse der „Subsumption unter das Kapital“ in den sogenannten Schwellenländern auf soliden Beinen stehen. Denn von Marx wissen wir, dass kapitalistische Produktion letztlich nur dann wertschaffend ist, soziale Synthesis über die Wertform nur dann gelingt, wenn sie auf Basis der Durchsetzung des höchsten technologischen und organisatorischen Niveaus universal erfolgt. Global betrachtet bleibt damit der Westen gerade auf Grund seiner (kolonial fundierten) geopolitischen Position das Maß der Dinge – trotz der Auslagerung gewisser arbeitsintensiver Sektoren in die Peripherie und einem damit einhergehenden beschränkten exportorientierten Wachstum in den jeweiligen Regionen. Dies wird nach einem „Hype“ insbesondere der sogenannten „BRIC“(Brasilien, Russland, Indien, China)–Schwellenländer an den Aktienmärkten, der selbst im Grunde nur eine Spekulation wie jede andere war, nun auch den letzten Anleger_innen klar. Die Vorstellung dass ein neuer Wachstumsschub genuin aus der Peripherie kommt, ist reine Illusion. So stellte etwa die Financial Times kürzlich fest:
Dabei spielt v.a. die Überbewertung Chinas eine zentrale Rolle, das zunehmend Schwierigkeiten hat, sein in den letzten Jahren nur noch künstlich stimuliertes Wachstum selbst auf dem viel zu niedrigen Niveau, auf dem es inzwischen angelangt ist aufrecht zu halten. Wenn jedoch die durch starke regulative Eingriffe noch zusammengehaltene Wirtschaft Chinas an die Grenzen gerät, trifft dies viele der “emerging markets”, die inzwischen selbst stark auf nach China orientierte Produktionsketten verwiesen sind. Es ist also alles etwas komplexer, als es aus der nationalökonomisch-reduzierten Perspektive erscheint. Fest steht allerdings: Wenn es in den USA und Europa wirklich kracht, dann können dies auch die gesamten „Schwellenländer“ zusammen nicht auffangen, weil schlicht die logistischen, organisatorischen, konsumstrukturellen, kulturellen und politischen Fäden weiterhin – gewissermaßen einem „realen Eurozentrismus“ folgend – in diesem kapitalistischen Zentrum lokalisiert sind. Dies gilt mutatis mutandis auch für den „informellen Bereich“, die Reproduktionstätigkeiten und die klassisch weibliche Sphäre von Care und Familie. Global betrachtet ist die Subsumption unter astreine kapitalistische Verhältnisse nämlich stets auch relativ zum Stand der Entwicklung des Gesamtaggregats zu betrachten. Hier ist allerdings auch Manfred Sohns emphatische Bezugnahme auf den vage definierten „Reproduktionsbereich“ zu kritisieren – letzterer kann nicht als frei von systemischen Zwängen oder gar Hort der Emanzipation verstanden werden, sondern ist die „dunkle Kehrseite“ (Roswitha Scholz) des Werts, repräsentiert seine notwendige informelle Seite. Diese ist aber von vorne herein (patriarchaler) Teil der Vergesellschaftungsweise und steht im kapitalistischen Idealfall in einem geordneten Verhältnis zur formellen Wertproduktion. Ist dies nicht der Fall, nehmen informelle und quasi-häusliche Reproduktionsformen überproportional zu, so kann dies als Krisenerscheinung und Ausdruck einer „Verwilderung“ der patriarchalen Momente des Kapitalismus verstanden werden. Es stellt sich also die weitere Frage, in welcher Proportion die Zahl der nun „westlichen“ Konsum- und Arbeitsnormen unterworfenen Haushalte zur Zahl jener steht, die nur noch informell, halb oder gar nicht mehr richtig ins System geholt werden – dabei aber trotzdem nicht mehr zurück zu einer alten Versorgung können, „im“ System und zugleich von im exkludiert vegetieren müssen. In diesem Zusammenhang ist auch der Grad der Verstädterung mitnichten ein eindeutiger Indikator für eine steigende Arbeitspopulation, da die Leute vielfach vom Land ins städtische Slum und äußerst schwierige Überlebensbedingungen wechseln. Wird diese Rechnung berücksichtigt, dann fallen global mehr Menschen aus formalen Verhältnissen und (zurück) in nicht-wertproduktive Formen der Reproduktion, als in den wenigen Ländern des Zentrums von reproduktiven Tätigkeiten in formelle Verhältnisse überführt werden. Letztlich kann sich auch im Westen nur eine privilegierte Elite die Abgabe der Care-Arbeit an (selbst natürlich nicht abgesicherte, meist migrantische und erneut weibliche) Lohnarbeiter_innen leisten. Was sich hier herausbildet ist eine beschränkte und herrschaftsförmige Care-Kette, die gerade in Zeiten der Krise selbst noch auf tönernen Beinen steht. Angesichts der zunehmend prekären Verhältnisse auch in Deutschland von einer neuen „Vergesellschaftung“ zu sprechen ist nicht nur eine schlechte „Prognose“ von Seiten Werners, es ist purer Zynismus. Aus Altbekanntem mach Altbekanntes? Wunschdenken ist auch keine LösungDer große Denkfehler Werners und jener „Vieler in der Partei“, die seine Auffassung teilen, ist die Entkopplung von politischen und ökonomischen Fragestellungen in der gesellschaftstheoretischen Beschäftigung. Dabei werden sukzessive verschiedene Ebenen der Auseinandersetzung vermischt bzw. verwechselt und nur fadenscheinig unter dem Label eines „empirisch und theoretisch abgesicherten“ Common Sense verkauft. Deutlich wird dies etwa, wenn am Schluss von Fragen der Entwicklung gesellschaftlicher Verhältnisse ganz selbstverständlich zu solchen der immanenten politischen Gestaltung übergegangen wird. Suggeriert wird dabei, dass ja eigentlich reformistische Politik doch – auch in der Krise – noch ganz gut möglich ist. Die Frage ist dann nicht, ob „möglichst gleichheitsorientierte, öffentliche Organisierung von Daseinsvorsorge und Dienstleistung“ in den gegebenen Verhältnissen überhaupt noch möglich ist – alles scheint dagegen zu sprechen, wenn die gegenwärtigen Zustände in Europa betrachtet werden. Gefragt wird scheinbar immer nur, ob und wie „wir“ es schaffen die Reformen umzusetzen. Dieser zahme Reformismus, der obendrein völlig an der Realität vorbeigeht, wird auch dadurch nicht besser, dass ein – ebenso fleischloses – Plädoyer für die revolutionäre Transformation nachgeschoben wird. Revolution follows Reform hat sich überdies historisch als eher unbrauchbares Programm erwiesen. Darüber hinaus ist es aber schon grundfalsch, die Frage der Entwicklung des Kapitalismus auf die einfache Entscheidung der Menschen zu reduzieren. Natürlich hört der Kapitalismus auf, wenn „wir“ aufhören ihn zu machen. Aber dass der Weg dorthin keiner der einfach und bewussten „Entscheidungen“ ist – schon gar nicht jener an der Wahlurne oder für einen Parteiapparat – sollte bereits aus der Kenntnis der weitgehend unbewussten, verdinglichten Form der Herrschaftsverhältnisse deutlich werden. Die Frage nach der Emanzipation muss deshalb gerade umgekehrt gestellt werden – zuerst ist zu klären, was Sache ist, in welchem Stadium sich das „automatische Subjekt“ Kapitalismus und mit ihm die sich für „Altbekanntes“ entscheidenden Menschen befinden. Danach erst könnte überlegt werden, wie sich jene historischen Verhältnisse überwinden lassen. Krisentheoretische Analysen, die viel denunzierten „Zusammenbruchsdiagnosen“ sind also für die Einschätzung politischer, strategischer und bewegungsorientierter Praxisformen von höchster Relevanz. Denn auch wenn die innere Schranke selbst niemals eine progressive Überwindung des Systems darstellt oder hervorbringt (eher das Gegenteil dürfte der Fall sein) so ist jeder „Kampf- und Gestaltungsversuch“ von vorneherein zum Scheitern verurteilt, wenn er sich seines historischen Kontextes, des Stands der systemischen Entwicklung nicht bewusst ist. 1 http://www.ft.com/cms/s/0/25399eb4-0433-11e3-8aab-00144feab7de.html#ixzz2cdYx6Vn3 |