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EXIT–SEMINAR: 27.-29.09. in Mainz

Rechtsruck und konformistische Rebellion

Spätestens seit Mitte der 2010er Jahre und der Wahl von Trump ist weltweit ein massiver Rechtsruck zu verzeichnen. Nachdem man den Crash von 2008 durch Rettungspakete abgefedert hatte, trat zunächst einmal Stille ein. Robert Kurz sprach von „Weltkrise und Ignoranz“. Dann kam es auch in Deutschland dicke. Im Zuge der Flüchtlingsbewegungen Mitte der 2010er Jahre machte Pegida lautstark auf sich aufmerksam und die schon vorher gegründete AfD, die in der Wählergunst stetig stieg, radikalisierte sich zusehends. Corona machte das Kraut gar fett. Ohnehin schon vorhandene Querdenkereien und Verschwörungstheorien hatten bzw. haben bis in die Linke hinein noch Hochkonjunktur.

Hier kulminierte eine Entwicklung, die schon mit „Rostock-Mölln-Solingen“ Anfang der 1990er Jahre, ja eigentlich schon in den 1980er Jahren begonnen hatte. Der Ukraine-Krieg und der Angriff der Hamas auf Israel führten dabei ebenfalls zu Verwerfungen in den Einschätzungen.

Rassismus, Sexismus, Homo- und Transphobie, vor allem aber auch Antisemitismus nach dem 7. Oktober 2023 und Antiziganismus nehmen stark zu. Linke Positionen sind heute randständig. Zwar wurde etwa Bolsonaro von Lula abgelöst und in Frankreich setzte sich das Linksbündnis durch, jedoch erzielte die Partei Le Pens ihr bestes Ergebnis überhaupt, ebenso ist die AfD in Umfragen bei 17% und wäre somit zweitstärkste Kraft im Bundestag – und das noch nach den Großdemonstrationen gegen Rechts Anfang 2024. Dabei ist bei einem Scheitern linker Politik – das zu erwarten ist – zu befürchten, dass das Pendel wieder in die andere Richtung ausschlägt. Der Rechtstrend ist somit keineswegs gebrochen, zumal bürgerliche Parteien im Kontext einer Krisenverwaltung mit einer demokratischen Rhetorik faktisch rechte Programmatiken übernehmen (Abschiebungen, Kürzung der Sozialausgaben u. ä.). All dies verweist darauf, dass „Politik“ selbst an ihre Grenze gekommen ist, sich gegenwärtige Krisen nicht mehr immanent managen lassen und die Demokratie ihre Kinder frisst.

Dabei machen auch nicht wenige übriggebliebene Linke heute wieder die „kleinen Leute“ mit ihren bornierten Normalitätsbedürfnissen zu ihren Adressaten und wollen deren Interessen vertreten. Im Niedergang des Kapitalismus zeigen sich allenthalben regressive und autoritäre Tendenzen – auch bei Linken. So gewinnen heute auch wieder sogenannte rote Gruppen mehr Zulauf, die an einen Traditionsmarxismus anschließen möchten. Völlig realitätsfern hofft man der Krise so Einhalt gebieten zu können.

Mit dem Rechtsruck, einem konformistischen Rebellentum und dem autoritären Zeitgeist wollen wir uns auf dem diesjährigen Exit!-Seminar beschäftigen.

Freitag 19.00 – 21.30

Leo Roepert: Flucht in den Mythos. Über den Zusammenhang von Krise und „Rechtsruck“

Die „bürgerliche Mitte“ wie auch die Linke stehen dem anhaltenden Erstarken der populistischen und extremen Rechten ohnmächtig gegenüber. Gerade in linken Debatten ist die Tendenz zu beobachten, den Rechtspopulismus als zwar fehlgeleiteten, aber im Grunde verständlichen Protest gegen Neoliberalismus und Postdemokratie zu verharmlosen – weshalb auch die Forderung nach einem linken Populismus als Gegenmittel immer mehr Zuspruch erfährt. Solche linken Erklärungsversuche erkennen zwar richtig, dass es einen Zusammenhang zwischen Krise und „Rechtsruck“ gibt, es fehlt allerdings an einem Verständnis für das negative Wesen der Krise und für die irrationale und destruktive Eigendynamik des bürgerlichen Krisenbewusstseins, das in den neuen rechten Mythen zum Ausdruck kommt.

Der Vortrag gibt zunächst einen Überblick über die aktuellen theoretischen Debatten um den „Rechtsruck“. Anschließend wird gezeigt, wie der Rassismus, die identitären Geschlechtervorstellungen und die Untergangs- und Verschwörungsmythen der populistischen und extremen Rechten eine Deutung der Krise liefern, die eine Einsicht in ihre ökonomischen Ursachen umgeht und es ermöglicht, die Identifikation mit dem Bestehenden aufrechtzuerhalten. So erscheint die Krise als Verschwörung dunkler Mächte, als Verfall von Identität und Gemeinschaft und als Überwältigung durch Fremde. Damit ist auch eine autoritär-destruktive Handlungsoption vorgegeben: Beseitigung der Feinde, Sturz der „dekadenten“ Verhältnisse und die Wiederherstellung von „ewigen“ Werten und Ordnungsprinzipien.

Samstag 10.00 – 12.30

Tomasz Konicz: Rechtspopulismus und Querfront

Der aufschäumende Faschismus und die Querfront im 21. Jahrhundert sollen im Rahmen des Vortrags als Krisenideologien dargestellt werden – sie bilden gewissermaßen eine ideologische Reaktion auf die sich zuspitzende sozioökologische Krise, auf die immer deutlicher sich abzeichnenden inneren und äußeren Schranken des Kapitals. Der Faschismus soll somit als die in die Barbarei führende Krisenform kapitalistischer Herrschaft verstanden werden. Den Begriffen des Extremismus der Mitte und der konformistischen Rebellion soll hierbei breiter Raum eingeräumt werden, um anhand der neoliberalen Ideologie und der spätkapitalistischen nationalen Identitäten die in Verrohung übergehenden und in die Barbarei mündenden Kontinuitätslinien zu erhellen, die der Neuen Rechten und dem Rechtspopulismus ihren Massenanhang verschaffen.

Zudem soll – gerade vor dem Hintergrund der voll einsetzenden Deglobalisierung – das ökonomische Fundament des Faschismus konkret diskutiert werden, der gerade in Deutschland aufgrund der einbrechenden Exportkonjunktur zusätzlichen Auftrieb erhält. In Abgrenzung zur verkürzten Kapitalismuskritik des orthodoxen Klassenkampf-Marxismus, der trotz evidenter Systemkrise weiterhin überall das Interesse der Bourgeoisie wittert, wird aber auch der Faschismus als ein System dargelegt werden, das in seiner Irrationalität – insbesondere in seinem Todesdrang – den widerspruchsgetriebenen Fetischismus des Kapitalverhältnisses spiegelt, der den Zivilisationsprozess in Gestalt der ökologischen Krise akut bedroht. Abschließend sollen die Differenzen der gegenwärtigen Krisenideologie zum Faschismus des 20. Jahrhunderts diskutiert werden, der in der damaligen Durchsetzungskrise noch quasi den Fordismus vorwegnahm. Ein solches neues Akkumulationsregime zeichnet sich im 21. Jahrhundert gerade nicht ab.

Samstag: 15.30 – 18.00

Johannes Vogele: Auschwitz als Alibi des Kapitals: Die Geschichte der verschwörungstheoretischen Holocaustleugnung in der traditionsmarxistischen Linken

In Frankreich weist die Geschichte der Holocaustleugnung eine besondere Komponente auf, die man anderswo nicht findet. Eine Zeit lang wurde die Leugnung des Holocaust von einem Teil der „Ultralinken“ – einer marxistischen oder marxschen, antileninistischen, rätekommunistischen Bewegung/Schule – propagiert und aktiv in die Öffentlichkeit getragen. Sie stützten sich dabei auf die italienischen linkskommunistischen Bordiguisten und deren Anti-Antifaschismus. Inwiefern stellt diese Geschichte mehr als nur eine Anekdote oder eine Skurrilität dar und steht auf der einen Seite in der Tradition des linken Antisemitismus und Antizionismus und vertritt auf der anderen Seite eine manichäische Sichtweise des Kapitalismus als im Wesentlichen geprägt von Klassenkampf und eigennützigen Strategien? Wo treffen sich eine ultralinke verkürzte Kapitalismuskritik und eine ultrarechte antisemitische Verschwörungstheorie? In welchem Verhältnis steht die völlige Leugnung des Genozids („die Shoah hat nicht stattgefunden“) zur heute stark verbreiteten Leugnung durch Verharmlosung („Der Holocaust ist nur eines der vielen Verbrechen des kapitalistischen Regimes“), wobei die Erinnerung an den Genozid zwei Zwecken diene: der Ablenkung des Proletariats von seiner historischen Mission und die Rechtfertigung der Gründung des Staates Israel.

Samstag 19.00

Mitgliederversammlung

Sonntag 10.00 – 12.30

Herbert Böttcher: Projektiver Antisemitismus, „rohe Bürgerlichkeit“ und gesellschaftlicher Wahn

Angesichts des Terrors der Hamas und Israels militärischer Antwort darauf wird Antisemitismus als globales Phänomen deutlich sichtbar. Als auf Israel bezogener Antisemitismus artikuliert er sich vor allem in post- und dekolonialen Zusammenhängen sowie in davon geprägten Universitäten wie im Kulturbetrieb. Auch in Deutschland stößt er auf positive gesellschaftliche Resonanz.

Von dieser Situation ausgehend greift das Referat auf Ansätze der kritischen Theorie zur Bestimmung des Antisemitismus zurück. Sie insistiert auf dem Zusammenhang von Antisemitismus und kapitalistischer Gesellschaft und versteht Antisemitismus als projektive Krisenverarbeitung und darin als Ausdruck gesellschaftlichen Wahns. Daran anknüpfend geht es um die Frage, wie sich projektiver Antisemitismus angesichts der gegenwärtig sich dramatisch zuspitzenden Krisenlagen darstellt. Dabei werden Moishe Postones Reflexion über die abstrakte Herrschaft des Kapitals und die mit ihr einhergehende Antinomie von Konkretem und Abstraktem als wesentlichem Hintergrund antisemitischen Wahns ebenso aufgegriffen wie der Rekurs von Robert Kurz auf die Vermehrung von Kapital als irrationalem Selbstzweck der Wert-Abspaltungsvergesellschaftung samt ihres Krisencharakters.

Antisemitismus als projektive Krisenverarbeitung ist aktuell verortet in der immanent nicht mehr zu bewältigenden Krise des Kapitalismus, die sich in den sog. Vielfachkrisen ausagiert. Die Kontrollverluste der politischen Akteure sollen kompensiert werden durch die Flucht ins Konkrete und die Abwehr des Abstrakten. Aus dem Nährboden „roher Bürgerlichkeit“ reichen die offerierten Lösungen von Abwehr von Migranten und Flüchtlingen, verschärften Repressionen gegen Arbeitslose, Hetze gegen Arme, autoritär-identitäre Orientierungen bis hin zu dem wieder einmal als (Er-)Lösung offerierten Klassenkampf bei Linken. Sie sind über die Fetischisierung der Arbeit miteinander verbunden. So können die projektiven Emotionen „roher Bürgerlichkeit“ sich gegen die Faulenzer unten sowie die ohne Arbeit zu Reichtum kommenden Eliten als Weltenlenker oben ausagieren.

Unangetastet und reflexionslos vorausgesetzt bleibt der irrationale und wahnhafte Selbstzweck der Vermehrung von Kapital samt seiner zerstörerischen Krisendynamik. Er läuft ins Leere, ins Nichts, und so auf Ver-Nicht-ung zu. In dem ins Nichts laufenden irrationalen Selbstzweck der Kapitalakkumulation, verbunden mit dem Wahn, die Normalität der Fetischverhältnisse ‚halten‘ zu können, werden „die Juden“ und „der Jude unter den Staaten“ zum Gegenstand wahnhafter Projektion, die letztlich auf die Vernichtung aller Juden zielt. Kommt es zu keiner Unterbrechung dieser Prozesse und ihrer Dynamik, droht die an den Juden exekutierte und ihnen drohende Vernichtung auf Selbst- und Weltvernichtung, auf Ganz-Vernichtung zuzutreiben.

Tagungsort

Jugendherberge Mainz, Otto-Brunfels-Schneise 4, 55130 Mainz

Anreise

Mit der Bahn: Vom Hauptbahnhof Buslinien 62 und 63 in Richtung Weisenau-Laubenheim, Haltestelle „Am Viktorstift/Jugendherberge“. Mit dem Pkw: Über Autobahnring A60 Mainz-Darmstadt, Abfahrt Weisenau/Großberg in Richtung Innenstadt/Volkspark.

Teilnahmekosten pro Person mit Übernachtung und Verpflegung

Freitag bis Sonntag: 2-Bettzimmer Du/WC: (24 Plätze) 110 € pro Person; 1-Bettzimmer Du/WC: (6 Plätze) 130 € pro Person.

Es stehen 30 Plätze zur Verfügung.

Teilnahme nur am Seminar, Tagungsbeitrag: 20 €. Teilnahme nur am Seminar, inkl. Vollpension: 40 €. Bitte entsprechend Bescheid geben!


Teilnahmebeiträge bitte nicht vorher überweisen, sondern bar mitbringen.


Wer nicht im Haus übernachtet, aber bestimmte Mahlzeiten dort einnehmen will, gebe bitte bei der Anmeldung an, welche (Frühstück, Mittagessen, Nachmittagskaffee, Abendessen).

Teilnehmer/-innen, die nicht in der Jugendherberge übernachten wollen, bitten wir, sich selbst um eine externe Übernachtungsmöglichkeit zu kümmern. Die Jugendherbergsleitung hat uns das Hotel Stiftswingert (Am Stiftswingert 4; Tel. 06131-982640) und das Ibis-Hotel (direkt am Südbahnhof; Holzhofstr. 2, Tel. 06131-2470) empfohlen; von beiden ist das Tagungshaus gut zu Fuß zu erreichen.

Ermäßigung

Wer sich den TN-Beitrag nicht leisten kann, muss deswegen nicht auf das Seminar verzichten: Bitte sprecht uns in diesem Fall bei eurer Anmeldung wegen einer Ermäßigung an!

Anmeldung

Bitte bei der Anmeldung angeben, falls vegetarisches Essen gewünscht wird. Ansonsten gehen wir von nicht-vegetarisch aus. Per Email: seminar@exit-online.org.