Robert Kurz
Die neue Krise des Geldes
Ein Abgesang auf den Monetarismus
Auch wenn die meisten
Ideologen und Mandarine der offiziellen Gesellschaft es noch nicht wahrhaben
wollen: das Zeitalter des Monetarismus geht zu Ende. Es war eine kurze Ära,
fast noch kürzer als die Ära des Keynesianismus. So feindlich diese
beiden Richtungen der ökonomischen Theorie und der Wirtschaftspolitik sich
auch gegenüberstehen, sie beziehen sich doch auf ein gemeinsames Problem,
das sie beide nicht lösen können. Und jedesmal kündigt eine allgemeine
Krise des Geldes den Bankrott der jeweils herrschenden ökonomischen Doktrin
an.
In den 70er Jahren war es die Inflation, die dem Keynesianismus das Grab schaufelte.
Inflation bedeutet bekanntlich eine allgemeine Preissteigerung, die nicht auf
eine erhöhte reale Nachfrage, sondern auf eine Entwertung des Geldes zurückzuführen
ist. So verteuerten sich in den USA die Konsumgüter von 1970 bis 1974 um
insgesamt 45 Prozent. Und Großbritannien befand sich im August 1975 fast
schon am Rande einer Hyperinflation: Die Preise waren in nur einem Jahr um 27
Prozent gestiegen. Während die westlichen Länder die Inflation nur
mühsam unter Kontrolle halten konnten, traf es in den 80er Jahren die Länder
der kapitalistischen Peripherie umso härter: Hyperinflationen zwischen
100 und 1000 Prozent breiteten sich wie eine ansteckende Seuche aus.
In dieser Zeit kam die dem Keynesianismus entgegengesetzte monetaristische Doktrin
zu akademischen und wirtschaftspolitischen Ehren. Milton Friedman, der Chefideologe
des Monetarismus, gab eine ziemlich schlichte Diagnose für die damalige
Krise des Geldes: "Das Problem der Inflation ist ein monetäres Phänomen,
das entsteht, wenn die Geldmenge schneller wächst als die Produktion. Die
zentrale Ursache dafür liegt im Anschwellen des Regierungsapparates und
dem damit verbundenen rapiden Anstieg der Staatsausgaben. Immer dann, wenn die
Ausgaben des Staates nicht mehr durch Steuern gedeckt werden können, greift
die Regierung zum Mittel der versteckten Steuer, indem sie die Geldmenge erhöht,
das heißt Zuflucht zur Inflation nimmt".
Tatsächlich hatte die Geldentwertung schon immer ihren Ursprung im Finanzgebaren
des Staates. Der Staat ist ja der eigentliche Schöpfer und Garant des Geldes:
Niemand sonst darf Münzen prägen oder Banknoten drucken; und es ist
die staatliche Notenbank, von der auch die Schöpfung des Buchgeldes im
Bankensystem ausgeht. Insofern hatte Milton Friedman natürlich recht, als
er das Problem der Inflation auf die künstlich aufgeblähte staatliche
Geldschöpfung zurückführte. Es ist wahrhaftig keine große
Kunst, diesen Zusammenhang zu entdecken. Ganz anders sieht es schon mit der
Therapie aus, die Friedmans monetaristische Doktrin verlangt. Diese Therapie
ist ebenso schlicht wie die Diagnose: Der Staat soll die emittierte Geldmenge
der realen Gütermenge anpassen. Deshalb müsse der Staatskonsum drastisch
reduziert und die Wirtschaft wieder dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen
werden. Die neoliberale "Wende" seit Anfang der 80er Jahre, die Politik
der Privatisierung und Deregulierung, steht und fällt also mit dem monetaristischen
Konzept einer restriktiven Steuerung der Geldmenge.
Wenn aber die Geldmenge auf die "reale Gütermenge" beschränkt
werden soll, dann erhebt sich die kleine Frage: Welches ist diese "reale
Gütermenge"? Sind es die Güter und Dienstleistungen, die mit
den vorhandenen menschlichen, technischen und wissenschaftlichen Produktionskräften
erzeugt werden können? Genau dies ist in einer kapitalistischen Marktwirtschaft
niemals der Fall. "Real" ist hier nicht die Menge der Güter,
die den materiellen Ressourcen entspricht, sondern immer nur die Menge der Güter,
deren Produktion das Kriterium der sogenannten Rentabilität erfüllt.
Der Standard der Rentabilität wiederum wird vom gesamtgesellschaftlichen
(heute globalen) Durchschnitt des Profits bestimmt. Das bedeutet, daß
sogar mit Gewinn produzierte Güter "unrentabel" werden, wenn
dieser Gewinn unter dem Standard der Rentabilität liegt. Deshalb produziert
eine Marktwirtschaft immer unterhalb ihrer "realen" technischen Kapazität,
selbst wenn für die Produkte ein dringendes soziales Bedürfnis besteht.
Bis zu welcher Absurdität dies führen kann, zeigen die beiden US-Ökonomen
Clifford Gaddy und Barry Ickes von der Brookings Institution in Washington unfreiwillig
am Beispiel der russischen Krise, wenn sie geradezu naiv feststellen: "Viele
Unternehmen in Rußland produzieren zwar, aber so ineffizient, daß
sie Werte vernichten, statt welche zu schaffen". Deutlicher könnte
nicht gesagt werden, daß der ökonomische "Wert" und die
darin zum Ausdruck kommende "Effizienz" des Kapitals nicht das geringste
mit den menschlichen Lebensnotwendigkeiten zu tun haben: Reale und durchaus
funktionsfähige Güter, die zwar dringend benötigt werden, aber
nicht auf dem globalen Niveau der Rentabilität produziert wurden, sind
für das Kapital "weniger als nichts" wert. Die Physik des Geldes
ist daher identisch mit der Metaphysik des Kapitals: Analog zur kapitalistischen
"Realität" der Güter, die produziert werden "dürfen",
ist auch das Geld nur ökonomisch gültig, wenn es die abstrakte Rentabilität
von produzierten Gütern und Dienstleistungen repräsentiert.
Aus der monetaristischen Sicht wird der Keynesianismus nun an seinem Resultat
- der inflationären Krise des Geldes - gemessen und deshalb als "falsche
Politik" einer im kapitalistischen Sinne überdimensionalen Ausweitung
der Geldmenge verworfen. Aber warum hat der Keynesianismus dieses Konzept verfolgt,
obwohl er doch ebenfalls auf das Kriterium der Rentabilität schwört?
In Wahrheit war die keynesianische Expansion der Geldmenge keineswegs eine bloß
subjektive, von bestimmten politischen Interessen geleitete Politik, sondern
eher eine verzweifelte Reaktion auf ein strukturelles Trauma des entwickelten
Kapitalismus im 20. Jahrhundert. Die große Weltwirtschaftskrise von 1929-33
und die nachfolgende lange Stagnation lenkten die theoretische und wirtschaftspolitische
Aufmerksamkeit auf ein ganz anderes Problem. Denn damals erhob statt des Ungeheuers
der Inflation das andere Ungeheuer der Deflation sein häßliches Haupt.
Deflation bedeutet, daß die Preise ebenso dramatisch sinken, wie sie in
der Inflation steigen. Die deflationäre Verminderung der Nachfrage ist
aber nicht auf eine Übersättigung der Bedürfnisse zurückzuführen,
sondern auf den Geldmangel der privaten Haushalte, der Unternehmen und des Staates.
Diese Situation entsteht, wenn im Abschwung der Konjunktur zu viele "unrentabel"
und daher arbeitslos gewordene Menschen weniger oder gar kein Einkommen mehr
haben, die Einnahmen des Staates zurückgehen und die Unternehmen keinen
Kredit mehr bekommen, weil die Banken auf faulen Krediten sitzen und keine neuen
Risiken eingehen können. Dann müssen alle Räder still stehen.
Um diese deflationäre Krise des Geldes zu überwinden, forcierte der
Keynesianismus die staatliche oder staatlich induzierte Nachfrage, indem durch
verschiedene Maßnahmen die Geldmenge für Ausgaben des Konsums erhöht
wurde. Der Staat speiste also Geld in die Wirtschaft ein, das keine rentable
Produktion repräsentierte, sondern diese im Gegenteil erst wieder "erwecken"
sollte. Die keynesianische Methode war aber nur so lange erfolgreich, wie die
globale Marktwirtschaft nach dem 2. Weltkrieg auch von sich aus expandierte;
die forcierte Erhöhung der Geldmenge hatte dabei eine verstärkende
Wirkung. Sobald jedoch seit den 70er Jahren das Wachstum abflachte, ließ
sich das System nicht länger überlisten und bestrafte die staatliche
überproportionale Geldschöpfung durch die Inflation.
Der als Reaktion auf das keynesianische Desaster aufkommende Monetarismus Friedmans
ignorierte nicht nur die realen historischen Voraussetzungen seines keynesianischen
Widerparts, sondern auch die neuen Bedingungen der 3. industriellen Revolution.
Die Verminderung der Nachfrage aufgrund der technologischen (strukturellen,
nicht mehr bloß konjunkturellen) Massenarbeitslosigkeit wurde durch die
monetaristische Restriktion der staatlichen Nachfrage und der Geldmenge drastisch
verschärft. Das war auch durchaus gewollt. Der Konsum sollte auf das vom
Standard der Rentabilität "erlaubte" Niveau abgesenkt werden,
um die Inflation zu bannen. Damit verbunden war die hoffnungsvolle Erwartung,
daß die vom inflationären Druck der Staatsausgaben befreiten Märkte
mehr unternehmerische Investitionen induzieren und darüber zu einem selbsttragenden
Wachstum zurückfinden würden. Das genaue Gegenteil trat jedoch ein,
weil die sprunghafte Steigerung der Produktivität durch die Mikroelektronik
bei gleichzeitigem Rückgang der konsumtiven Nachfrage zu globalen Überkapazitäten
führte.
Die Konsequenzen dieser Entwicklung wurden allerdings für eine gewisse
Zeit verzögert, in der sich der Monetarismus ebenso erfolgreich fühlen
konnte wie der Keynesianismus in den 60er Jahren - ein Erfolg, der auf ähnlich
tönernen Füßen stand. Die Reduktion der staatlichen Geldschöpfung
führte nämlich keineswegs dazu, daß alle definierten Geldmengen
an die kapitalistisch "reale" Gütermenge angepaßt wurden.
Während die auf den staatlichen und privaten Konsum bezogene und von den
Notenbanken regulierte Geldmenge sich verminderte, stieg stattdessen die Geldmenge
im kommerziellen Kreditsystems dramatisch an, begünstigt durch die Deregulierung
der Finanzmärkte. Weil durch die monetaristischen Maßnahmen kein
selbsttragender Boom der privaten Investitionen erzeugt werden konnte, verschuldeten
sich die privaten Haushalte und die Unternehmen exorbitant. Auch die Staatsverschuldung
ging nur unwesentlich zurück oder stieg in vielen Ländern sogar an,
weil die Lasten der sozialen Krise die Sparmaßnahmen überkompensierten.
Bei einer Expansion des Kredits besitzen aber die Banken eine autonome Potenz
der Geldschöpfung neben der staatlichen Notenbank. Das Ergebnis des Monetarismus
bestand also lediglich darin, daß sich die irreguläre Expansion der
Geldmenge vom Staat auf das kommerzielle Kreditsystem und die transnationalen
Finanzmärkte verlagerte. Auf diese neue Basis der zusätzlichen Geldschöpfung
wurde sehr bald ein spekulativer Boom aufgesattelt, der bekanntlich in der ganzen
Welt eine riesige Blase von fiktiven Wertsteigerungen hervorgetrieben hat.
In der angelsächsischen Literatur spricht man deshalb schon seit einiger
Zeit von einer "asset inflation", einer Inflation der Geldvermögen.
Im Unterschied zur staatlich induzierten überproportionalen Expansion der
Geldmenge, die sich vollständig in realer Nachfrage niederschlägt,
tritt jedoch die überproportionale Expansion des kommerziellen Kredit-
und Spekulationsgeldes nicht als offizielle Inflation in Erscheinung. Denn die
Simulation von Rentabilität durch kommerzielle Verschuldung wirkt sich
nicht unmittelbar aus wie bei einer Ausdehnung der Geldmenge durch die staatliche
Notenbank, sondern nur indirekt als Vorgriff auf die Erwartung von "zukünftiger
Rentabilität", die vorerst in den Büchern gültig ist. Und
das spekulative Geld expandiert sowieso nur innerhalb der Finanzmärkte,
scheinbar ohne die Realökonomie zu berühren. So konnten die monetaristisch
beeinflußten Regierungen im Laufe der 90er Jahre freudestrahlend "das
Ende der Inflation" verkünden, während sich der inflationäre
Prozeß in Wirklichkeit nur in das Geisterreich der Finanzmärkte verzogen
hatte.
Trotzdem trägt die im Finanzüberbau "geparkte" Geldmenge
der "asset inflation" auch einen Teil der realen Nachfrage, und zwar
in doppelter Weise. Zum einen können viele hoch verschuldete Unternehmen
nur noch deswegen auf dem Markt bleiben, weil sie schwarze Zahlen mit Hilfe
ihrer spekulativ tätigen Finanzabteilungen schreiben. Es werden also Einkommen
(und damit reale Nachfrage) erzeugt, die indirekt von der Expansion der spekulativen
Geldmenge abhängen. Zum andern ist vor allem in den USA für viele
Familien die spekulative Wertsteigerung ihrer Aktien zu einer Art "zweitem
Einkommen" geworden. Auch diese Geldmenge kann nicht direkt in reale Nachfrage
verwandelt werden, denn dann müßten alle ihre Aktien oder Fonds-Anteile
verkaufen und damit den Crash auslösen. Aber die meisten US-Bürger
haben die Wertsteigerung ihrer Aktien bei den Banken als Sicherheit für
Konsum- und Immobilien-Kredite verbuchen lassen und auf diese Weise die Quelle
doch angezapft (daher auch die scheinbar endlose gute Konjunktur trotz sinkender
Realeinkommen). Ganz ähnlich wurden in Südostasien Luxuskonsum und
Prestige-Bauten finanziert; so etwa in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur auf
Veranlassung des größenwahnsinnigen Präsidenten Mahatir das
höchste Gebäude und das größte Stadion der Welt. Und daran
hingen wieder viele kleine nachgeordnete Einkommen von Dienstleistern, Handwerkern,
Bauarbeitern usw. und damit reale Nachfrage.
Indem die irreguläre Expansion der Geldschöpfung vom Staat auf das
kommerzielle Kreditsystem und die spekulativen Finanzmärkte verlagert wurde,
hat sich aber die Geldmenge nicht nur viel weiter von der "realen"
Gütermenge entfernt als unter der Ägide des Keynesianismus, sie wurde
auch wesentlich ungleicher verteilt und hat die Schere zwischen Arm und Reich
neu geöffnet. Dieser Prozeß endet jetzt ebenso mit einem Desaster
wie die frühere staatliche Ausdehnung der Geldmenge, nur in die umgekehrte
Richtung. Die monetaristische Krise des Geldes erscheint nicht als inflationäre
Explosion, sondern als deflationäre Implosion: An die Stelle einer rapiden
Verteuerung der Waren tritt die Vernichtung der aufgeblähten Geldvermögen,
weil die spekulativen Blasen platzen und die Kreditketten reißen - und
das Resultat ist allgemeiner Geldmangel.
Innerhalb weniger Monate hat das globale Geldkapital auf den Schlachtfeldern
der Finanzmärkte in Asien, Rußland und Lateinamerika gewaltige Mengen
Blut verloren. Durch den "Salami-Crash" in den sonst immer ruhigen
Monaten August und September 1998 wurden auch die westlichen Börsen in
den Strudel hineingezogen. Die sich abzeichnenden Zusammenbrüche der großen
spekulativen Hedge-Funds zeigen, daß die neue Krise des Geldes bereits
das Herz der westlichen Finanzsysteme erfaßt hat. Schon jetzt sind viele
tausend Milliarden Dollar Geldkapital vernichtet, auch wenn es sich großenteils
um noch nicht realisierte Buchverluste handelt. Wie sollte diese Dynamik noch
aufzuhalten sein? Damit schließt sich der Kreis, den der Kapitalismus
im Verlauf von 65 Jahren gezogen hat: Nach der deflationären Krise Anfang
der 30er Jahre und der inflationären Krise in den 70er und 80er Jahren
kehren wir jetzt zur deflationären Weltdepression auf höherer Entwicklungsstufe
zurück.