Startseite Krise und Kritik der Warengesellschaft


Robert Kurz

DER ONTOLOGISCHE BRUCH

Vor dem Beginn einer anderen Weltgeschichte

Die Debatte über die Globalisierung scheint gegenwärtig einen Zustand der Erschöpfung erreicht zu haben. Das liegt aber nicht daran, dass der zu Grunde liegende gesellschaftliche Prozeß erschöpft wäre; er befindet sich vielmehr immer noch in den Anfängen. Es sind die Ideen der Interpretation, denen vorzeitig die Luft ausgegangen ist. Zwar hat die Zunft der Ökonomen und Politikwissenschaftler inzwischen schon ganze Bibliotheken darüber geschrieben, dass durch die Globalisierung des Kapitals die Grenzen der nationalen Ökonomien aufgesprengt worden sind und dass sich damit der ganze bisherige Bezugsrahmen von Nationalstaat und politischer Regulation aufzulösen beginnt. Aber die Konsequenzen aus dieser Erkenntnis sind bislang weitgehend ausgeblieben. Je deutlicher die Analyse zeigt, dass Nation und Politik hoffnungslos obsolet werden, desto hartnäckiger hält der politische und theoretische Diskurs an den Begriffen von Nation und Politik fest. Entsprechend schwach und unglaubwürdig fallen die Bewältigungskonzepte aus.

Das Dilemma scheint darin zu bestehen, dass es zu diesen Begriffen keine immanente Alternative gibt, weil sie ebenso wie die Begriffe von Arbeit, Geld und Markt basale Bestimmungen der modernen kapitalistischen Ontologie darstellen, also deren Kategorien. Versteht man Ontologie nicht als anthropologisch oder transhistorisch, sondern als selber historisch bedingt, dann wird durch die ontologischen Begriffe oder Kategorien von Gesellschaftlichkeit ein bestimmtes historisches Feld markiert; in Marxschen Terms: eine Gesellschaftsformation oder Produktions- und Lebensweise. Das moderne warenproduzierende System bildet eine solche historische Ontologie.

Innerhalb dieses Feldes gibt es ständig Alternativen und Auseinandersetzungen, die sich aber immer in denselben historisch-ontologischen Kategorien bewegen. Die Kritik und Überwindung dieser Kategorien selbst erscheint als undenkbar. So ist es zwar möglich, eine bestimmte Politik zu kritisieren, um sie durch eine andere Politik zu ersetzen; aber innerhalb der modernen Ontologie ist es unmöglich, die Politik als solche zu kritisieren, um an ihre Stelle einen anderen Modus der gesellschaftlichen Regulation zu setzen. Dafür gibt es keine Vorstellung und daher auch keinen Begriff. Disponibel ist allein der jeweils bestimmte kontingente Inhalt, nicht jedoch die kategoriale Form oder der Modus aller Inhalte. Dasselbe gilt für die Kategorien von Nation, Staat, Recht, Arbeit, Geld und Markt, aber auch von Individuum, Subjekt und Geschlechterverhältnis (soziale Männlichkeit und Weiblichkeit). Stets können diesen kategorialen Formen differente inhaltliche Bestimmungen gewissermaßen als Adjektive zugeordnet werden; nie steht jedoch die Kategorie selber oder der entsprechende soziale Modus zur Disposition.

Die analytische Erkenntnis, dass der Prozeß der Globalisierung Nation und Politik obsolet macht, ist also mit den zur Verfügung stehenden Mitteln und Methoden der modernen Gesellschaftswissenschaft gar nicht bewältigbar. Es handelt sich dabei nicht mehr wie bisher um einen bestimmten Inhalt, der obsolet wird und durch einen anderen, neuen Inhalt in derselben gesellschaftlichen Form abzulösen wäre; etwa dass eine herrschende politische Konstellation durch eine andere ersetzt würde, also zum Beispiel die Weltmacht USA von einem neuen eurasischen Machtblock übertroffen oder die neoliberale Wirtschaftspolitik durch die Rückkehr zum keynesianischen Paradigma überwunden werden könnte. Vielmehr stellt die Globalisierung den politischen Modus und die nationale Form als solche in Frage.

Damit sagt die gängige Analyse mehr, als sie weiß; denn unfreiwillig stößt sie mit der Einsicht in den Verlust der Regulationsfähigkeit von Nationalstaat und Politik an die Grenzen der modernen Ontologie überhaupt. Wenn eine Kategorie fällt, müssen auch alle anderen fallen wie Dominosteine; denn die historische Formation des modernen warenproduzierenden Systems kann nur als kategorialer Zusammenhang existieren, in dem eine basale Bestimmung auf die andere verweist und die verschiedenen Kategorien sich wechselseitig bedingen.

Es ist also nicht so, dass der Kompetenzverlust der Politik die Ökonomie unbehelligt lassen oder ihr sogar erst freien Lauf lassen würde; vielmehr bildet die Politik die Regulationsweise des modernen warenproduzierenden Systems, das ökonomisch ohne diese Regulation gar nicht funktionieren kann. Die Globalisierung selbst, die den nationalen Rahmen sprengt und damit die Politik als Form der Regulation destruiert, ist ihrerseits wieder dadurch bedingt, dass die "abstrakte Arbeit" (Marx) als Form der produktiven, Wert und Mehrwert erzeugenden menschlichen Tätigkeit im Prozeß der Produktivkraftentwicklung zunehmend durch Sachkapital ersetzt wird. Die damit verbundene "Entwertung des Werts" nötigt das Management erst zur transnationalen Rationalisierung der Betriebswirtschaft. In demselben Maße, wie verwissenschaftlichtes Sachkapital die Arbeit ersetzt, wird das Kapital "entsubstantialisiert" und die "Verwertung des Werts" (Marx) stößt an historische Grenzen; die "Entwertung" von Nation und Politik ist nur eine Folge davon. Indem sich aber dieses kategoriale Gefüge der Formen von Produktion, Reproduktion und Regulation zersetzt, werden auch die dazugehörigen Formen der Individualität, des Subjekts und deren geschlechtliche, androzentrische Bestimmung obsolet.

Was zunächst wie eine partikulare Krise der Politik und ihres nationalen Rahmens aussieht, ist also in Wahrheit eine Krise der modernen Ontologie. Eine solche kategoriale Krise erfordert als Antwort eine kategoriale Kritik. Dafür aber gibt es eben keine Vorstellung und keine Begriffe. Alle bisherige Kritik war kategorial immanent und bezog sich immer nur auf bestimmte Inhalte, nicht aber auf die ontologischen Formen und Modi des modernen warenproduzierenden Systems. Deshalb die gegenwärtige Paralyse des theoretischen Denkens und des praktischen Handelns. Die planetarische Verwaltung der ontologischen Krise kann die Auflösung der kapitalistisch definierten Weltgesellschaft in die Barbarei nicht stoppen; sie wird im Gegenteil selber zum Bestandteil dieser Barbarisierung.

Nötig wäre ein ontologischer Bruch, vor dem jedoch der globale Diskurs zurückscheut, sogar in der radikalen Linken. Stattdessen dominieren regressive Ideen, die das Rad der Geschichte zurückdrehen möchten, um diesen schier undenkbaren ontologischen Bruch zu vermeiden. Während die Hardliner der Krisenverwaltung die Mehrzahl der Menschheit von ihren eigenen Lebensbedingungen abschneiden wollen, flüchten die meisten Kritiker der nur oberflächlich analysierten Globalisierung ideell in die Vergangenheit: zurück zu den hoffnungslos reaktionär gewordenen Paradigmen von Nation, Politik und keynesianischer Regulation, oder sogar noch weiter zurück zu den Idealen einer verklärten Agrargesellschaft. Der in allen Kulturkreisen aufblühende religiöse Wahn, der heute über alle vergleichbaren Erscheinungen in den Brüchen der Modernisierungsgeschichte hinausgeht, ist ein integraler Bestandteil dieser regressiven Tendenz.

Um überhaupt wieder einen klaren Gedanken fassen und die moderne Ontologie als solche in Frage stellen zu können, wäre es nötig, diese Ontologie als eine historische, gewordene zu begreifen. Denn nur so ist auch der Gedanke ihrer Überwindung möglich. Die aktuelle ontologische Krise des 21. Jahrhunderts kann nur bewältigt werden, wenn die Geschichte der Konstitution jener selbstverständlich und apriorisch gewordenen Kategorien des modernen warenproduzierenden Systems vom 16. bis zum 18. Jahrhundert nicht nur neu ausgeleuchtet, sondern auch grundsätzlich neu bewertet wird.

Diese Aufgabe wird jedoch blockiert von einem ideellen Apparat, der für die Moderne ebenso konstitutiv ist wie der kategoriale Zusammenhang ihrer gesellschaftlichen Reproduktion. Das Fundament dieses ideellen und in seinem ontologisch affirmativen Charakter schon immer ideologischen Apparats bildet die Philosophie der Aufklärung. Alle modernen Theorien stammen gleichermaßen aus dieser Wurzel, der Liberalismus ebenso wie der Marxismus und die bürgerlich-reaktionäre Gegenaufklärung oder Antimoderne; und alle sind sie deshalb gleichermaßen unfähig, die notwendige kategoriale Kritik zu formulieren und den notwendigen ontologischen Bruch zu vollziehen.

Die einstmals weltbewegenden Gegensätze von Liberalismus, Marxismus und Konservatismus bezogen sich immer nur auf bestimmte soziale, politische, juristische oder ideologische Inhalte, nie jedoch auf die kategorialen Formen und den ontologischen Modus von Gesellschaftlichkeit. In diesem Sinne konnten Liberale, Marxisten und Konservative oder Rechtsradikale gleichermaßen "Patrioten", "Politiker" und "Subjekte", "androzentrische Universalisten" und "Staats-Männer", Liebhaber der "Arbeit", des "Rechts" und "Geld-Menschen" sein; nur mit jeweils anderer inhaltlicher Akzentuierung. Aufgrund ihrer gemeinsamen Fundierung im Denken der Aufklärung entpuppen sich die scheinbar gegensätzlichen Ideologien der Modernisierungsgeschichte in der Krise der modernen Ontologie als ein ideologischer Gesamtapparat im Sinne eines gemeinsamen Verharrens in dieser Ontologie um jeden Preis.

Die seit den 80er Jahren im postmodernen Diskurs gelegentlich aufblitzende Erkenntnis, dass linke, rechte und liberale Ideologien austauschbar geworden seien, verweist ebenso auf das verborgene gemeinsame Fundament wie die Tatsache, dass der Neoliberalismus als Krisenideologie heute parteiübergreifend mit nur geringen Variationen das gesamte politische Spektrum erfasst hat. Das postmoderne Denken hat diese Austauschbarkeit jedoch bloß phänomenologisch und oberflächlich festgestellt, ohne die zu Grunde liegende Ontologie der Moderne kritisch zu befragen. Stattdessen will man sich am ontologischen Problem vorbeimogeln, indem jede darauf bezogene Theorie als dogmatisch-totalitärer Anspruch verworfen wird - als wäre das Problem kein reales der gesellschaftlichen Reproduktionsweise, sondern bloß ein theoretisches. Die basalen Kategorien des modernen warenproduzierenden Systems werden auf diese Weise erst recht nicht kritisiert, sondern einfach ausgeblendet, ohne ihnen jedoch in der gesellschaftlichen Praxis entkommen zu können. Auch die Postmoderne erweist sich so als integraler Bestandteil des ideologischen Gesamtapparats und trotz gegenteiliger Behauptungen ebenso als Derivat der Aufklärungsphilosophie.

Das Denken der Aufklärung hat im 18. Jahrhundert die vorher noch schwankenden Kategorien der modernen Ontologie explizit begründet, ausformuliert, verfestigt und ihnen die ideologische Legitimation gegeben. Deshalb muß der notwendige ontologische Bruch einhergehen mit einer radikalen Kritik der Aufklärung und aller daraus hervorgegangenen Derivate der modernen Philosophie-, Theorie- und Ideologiegeschichte. Wenn das Fundament verworfen wird, dann wird auch alles andere verworfen. Eben darin besteht der ontologische Bruch.

Die Aufklärung hat aber nicht allein die Kategorien von Arbeit, Wert, Ware, Markt, Staatlichkeit und Politik, Rechtsform, androzentrischem Universalismus, Subjekt und abstrakter Individualität als Reflexionsbegriffe einer in blinden historischen Prozessen entstandenen gesellschaftlichen Ontologie der Moderne herausgearbeitet; sie hat diese Begriffe gleichzeitig in einen logisch-historischen Kontext gestellt, in dem sie unangreifbar gemacht werden sollten.

Auch alle früheren Formationen der Agrargesellschaften hatten ihre jeweils eigene historische Ontologie; das alte Ägypten und Mesopotamien ebenso wie die griechisch-römische Antike, das chinesische Reich, die islamische Kultur oder das so genannte christliche Mittelalter. Aber alle diese Ontologien waren in gewisser Weise selbstgenügsam; sie verstanden sich von selbst, mussten sich an keiner anderen Ontologie messen und unterlagen keinem Rechtfertigungsdruck. Zwar gab es jeweils Bezüge zu externen Kulturen auf derselben Zeitebene; diese "anderen" wurden meistens negativ bestimmt als "Barbaren", "Ungläubige" oder "Heiden". Aber solche Bestimmungen unterlagen keiner geschichtsphilosophischen Systematik, sondern erschienen eher als beiläufige Abgrenzung.

Das moderne warenproduzierende System dagegen musste in doppelter Weise seine eigene Ontologie im Unterschied zu den vormodernen Agrargesellschaften reflexiv begründen; reflexiv jedoch nicht etwa in kritischer Absicht, sondern im Sinne einer Selbstlegitimation. Es war der Zwang zur Rechtfertigung eines neuen, über alle bisherigen Ontologien hinausgehenden Anspruchs auf Unterwerfung und Zurichtung der Individuen, der die Geschichtsphilosophie der Aufklärung hervorbrachte. Die ungeheueren Zumutungen des Kapitalismus, der den gesamten Lebensprozeß unmittelbar in eine Funktion seiner Verwertungslogik verwandeln will, konnten nicht mehr bloß durch ein lockeres Gefüge von Traditionen begründet werden.

Zum einen galt es, der spezifisch modernen Ontologie die Dignität eines objektiven Naturverhältnisses zu geben, das heißt diese historische Ontologie explizit in eine transhistorische, anthropologische zu verwandeln, - in das Menschsein schlechthin. Daraus ergab sich aber zum andern die Notwendigkeit, alle früheren geschichtlichen Formationen und alle gleichzeitigen nichtkapitalistischen (noch weitgehend agrargesellschaftlich bestimmten) Kulturen in eine logische Beziehung zur modernen, nunmehr transhistorisch begründeten Ontologie zu setzen.

Das Ergebnis konnte nur darin bestehen, der gesamten Vergangenheit den Stempel der Inferiorität aufzudrücken. Das war nicht nur eine völlig neue Sicht der Welt, sondern eine Umwertung aller Werte. In den agrarischen Gesellschaften verstanden sich die Menschen als Kinder ihrer Eltern nicht bloß im ontogenetischen, sondern auch im phylogenetischen, historisch-gesellschaftlichen Sinne. Verehrt wurden die Ältesten ebenso wie die Vorfahren und die mythischen Helden der Vergangenheit. Das goldene Zeitalter lag in den Anfängen, nicht in der Zukunft; das unübertreffbare Optimum war das mythische "erste Mal", nicht das "Endresultat" eines Leistungsprozesses.

Die Geschichtsphilosophie der Aufklärung reflektierte diese Weltsicht nicht kritisch, sondern stellte sie nur auf den Kopf. Jetzt betrachtete man die Vorfahren und die "ersten Menschen" in den Anfängen der Gattung als die unmündigen phylogenetisch-historischen "Kinder", die erst in der modernen Ontologie endlich erwachsen geworden seien. Alle früheren Zustände erschienen zuerst als "Irrtümer" der Menschheit, dann als noch unvollkommene, unreife Vorstufen der Moderne, die den Gipfel und Abschluß eines Reifeprozesses darstellen sollte - das "Ende der Geschichte" im ontologischen Sinne. Geschichte wurde erstmals systematisch definiert als "Entwicklung" von einfachen Formen oder Ontologien zu höheren und besseren; als "Fortschritt" von der Primitivität bis zum eigentlichen Menschsein der warenproduzierenden Moderne.

Einerseits wurden also die spezifisch-historischen ontologischen Kategorien der Moderne transhistorisch gesetzt, als wären sie immer schon dagewesen. Der Begriff der Ontologie selbst erschien als Synonym für transhistorische oder ahistorische anthropologische Gegebenheiten. Deshalb konnte gar nicht mehr nach anderen historischen Ontologien in der Geschichte gefragt und deren jeweils eigene Spezifik bestimmt werden. Stattdessen projizierte die Aufklärung die neu konstituierten und von ihr legitimierten modernen Kategorien auf alle Vergangenheit und auf alle Zukunft. Die Frage konnte dann nur noch lauten: Wie sah die "Arbeit", die "Nation", die "Politik", der "Wert", der "Markt", das "Recht", das "Subjekt" usw. im alten Ägypten, bei den Kelten oder im christlichen Mittelalter aus; oder umgekehrt: Wie werden dieselben Kategorien in der Zukunft aussehen und modifiziert werden? Indem er diese Ontologisierung der modernen Kategorien übernahm, konnte auch der Marxismus seine "sozialistische Alternative" gewissermaßen nur im Adjektiv formulieren, als lediglich andere inhaltliche Akzentuierung oder Regulation innerhalb derselben gesellschaftlich-historischen Form.

Andererseits erschienen in dieser Projektion dann natürlich die vergangenen anderen Gesellschaften als kategorial unvollkommen. Was in Wirklichkeit andere historische Ontologien waren, das wurde als kategorial "unreife", noch nicht genügend "entwickelte" moderne Ontologie definiert und zwanghaft zurechtgestutzt. Auch alle gleichzeitigen, aber noch nicht oder nicht vollständig von der modernen Ontologie erfaßten Gesellschaften wurden in dieses Schema eingepaßt; sie galten ebenso als "unterentwickelt", "unreif" und inferior. Die so konstituierte Geschichtsphilosophie der Aufklärung diente wesentlich als legitimatorische Ideologie für die innere und äußere Kolonisierung. Im Namen dieser Geschichtsphilosophie und ihrer Schematik konnte die Unterwerfung der Gesellschaft unter das System der "Verwertung des Werts" und der dazugehörigen "abstrakten Arbeit" mit allen Zumutungen und Disziplinierungen als "historisch notwendig" und als Wendung zum Besseren verkauft werden.

Der aus den agrarischen Hochkulturen entlehnte Begriff der "Barbaren" erschien als pejorative Bestimmung der früheren oder der gleichzeitigen außerkapitalistischen Menschheit; die "Barbarei" als Synonym für mangelnde Bürgerlichkeit im Sinne der kapitalistischen Zirkulation (Markt-Subjektivität und Rechtsform), somit als mangelnde Unterwerfung unter die moderne Ontologie. Noch immer steht uns kein anderer Begriff zur Verfügung, um destruktive, gewaltsame, den sozialen Zusammenhang zerstörende Erscheinungen in der Gesellschaft zu kennzeichnen. Schon Marx wendete jedoch den Begriff der "Barbarei" kritisch, indem er ihn auf die Konstitutionsgeschichte des warenproduzierenden Systems selbst in der "ursprünglichen Akkumulation" ebenso bezog wie auf die Zersetzungsgeschichte der Moderne in den kapitalistischen Krisen. Der heute anstehende Bruch mit der modernen Ontologie erfordert es, über Marx hinaus den Kern der kapitalistischen Gesellschaftsmaschine, die "abstrakte Arbeit" und ihr als "Zivilisation" mißverstandenes Gefüge von innerer Disziplinierung und Menschenverwaltung, selber als barbarisch zu bestimmen und von Grund auf zu destruieren.

Diese Aufgabe des ontologischen Bruchs erweist sich jedoch als komplex und schwer greifbar, weil die aufklärerische Geschichtsphilosophie sich auf paradoxe Weise nicht nur affirmativ, sondern gleichzeitig auch kritisch legitimiert. Der von der Aufklärung begründete ideologische Apparat blockiert den notwendigen ontologischen Bruch gerade deswegen, weil er sich über lange Zeit in dieser Paradoxie bewegen konnte. Die bürgerlich-liberale Kritik bezog sich allerdings immer nur auf gesellschaftliche Zustände, die der Durchsetzung der modernen Ontologie im Wege standen. Im Sinne der inneren wie der äußeren Kolonisierung waren dies Restbestände der agrarischen Formationen; und zwar nicht nur Reste älterer Herrschaftsverhältnisse in der Form von persönlichen Abhängigkeiten, sondern auch bestimmte praktische Lebensverhältnisse, die für die modernen Anforderungen der "abstrakten Arbeit" Reibungsverluste darstellten. So wurden bekanntlich die zahlreichen religiösen Feiertage der Agrargesellschaften bis auf wenige Ausnahmen abgeschafft, um der Verwandlung von Lebenszeit in Funktionszeit der Kapitalverwertung freie Bahn zu schaffen.

Die Aufklärung kritisierte die früheren Formen persönlicher Abhängigkeit nur, um die neuen Formen versachlichter Abhängigkeit von "abstrakter Arbeit", Markt und Staat zu legitimieren. Gleichzeitig trug diese Kritik repressive Züge, weil sie mit der Propaganda von abstraktem Fleiß, Disziplinierung und Unterwerfung unter die neuen Erfordernisse des Kapitalismus verbunden war und zusammen mit der alten Form der Herrschaft auch lebensweltliche Errungenschaften der agrarischen Verhältnisse zerstörte. Im Grunde wurden die alten Übel nur durch neue, teilweise sogar schlimmere Übel ersetzt. Dennoch gelang es der liberalen Ideologie der Aufklärung, die entstehenden modernen Verhältnisse schon in den Anfängen als Befreiung von feudaler Last und sich selbst als Lichtbringer nach dem finsteren Aberglauben des Mittelalters zu feiern. Die feudale Gewalt durfte denunziert werden, während die "abstrakte Arbeit" der Moderne selber mit beispielloser Gewalt in die Menschen "hineingefoltert" wurde, wie Marx sich ausdrückte. Der Begriff der Kritik überhaupt wurde vom aufgeklärten Liberalismus mit der Kritik der Agrargesellschaft identifiziert, während die kapitalistische Moderne noch in ihren Übeln als "Fortschritt" erschien, obwohl es sich in der realen Lebenswelt für die große Masse der Menschen oft ganz anders darstellte, nämlich eher als Verschlechterung.

Im Lauf des späten 19. und noch mehr des 20. Jahrhunderts verlagerte sich der liberale Begriff der Kritik mehr und mehr auf die kapitalistischen Binnenverhältnisse, nachdem die alte Agrargesellschaft mit ihren Strukturen persönlicher Abhängigkeit schon größtenteils untergegangen war. Dabei ging es jedoch natürlich nicht um die moderne Ontologie und deren Kategorien, sondern immer nur um die Überwindung jeweils alter Inhalte und Strukturen durch neue auf demselben ontologischen Boden. Das warenproduzierende System, das heißt der Kapitalismus, ist seinem Wesen nach kein statischer Zustand, sondern ein dynamischer Prozeß der ständigen Veränderung und Weiterentwicklung; aber ein Prozeß, der immer in denselben formalen und modalen Kategorien sich vollzieht. Es ist ein permanenter Kampf des Neuen gegen das Alte, aber immer nur des kapitalistisch Neuen gegen das kapitalistisch Alte. Für den liberalen Begriff der Kritik ist das jeweils kapitalistisch Alte an die Stelle des früheren ontologisch Alten, das heißt der inzwischen unwirklich gewordenen agrargesellschaftlich-feudalen Verhältnisse getreten. Der ontologische Bruch zwischen der Vormoderne und der Moderne ist ersetzt worden durch den permanenten Strukturbruch innerhalb der Moderne und ihrer Ontologie selbst. Dieser Prozeß der Binnendynamik firmiert unter dem Label der "Modernisierung". Die liberale Kritik wird seither formuliert im Namen einer "Modernisierung der Moderne" in ihren eigenen Kategorien.

Dieser Prozeß der ständigen "Modernisierung" in den ontologischen Kategorien der Moderne selbst erfährt eine zusätzliche Legitimation durch eine komplementäre immanente Gegenkritik, die sich romantisch oder reaktionär legitimiert. Es wird das vermeintlich gute Alte gegen das schlechte Neue beschworen, ohne daß jedoch die moderne Ontologie dabei auch nur im mindesten einer Kritik unterzogen würde. Dabei handelt es sich noch nicht einmal um eine Verteidigung der tatsächlichen vormodernen, agrargesellschaftlichen Ontologie. Vielmehr ist die reaktionäre oder konservative Antimoderne ebenfalls eine Erfindung der Moderne und ein Derivat der Aufklärung selbst.

Es ist eine bürgerliche Kritik der Bürgerlichkeit, die sich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts zwar immer wieder mit Vorstellungen einer idealisierten Agrargesellschaft und mit pseudo-feudalen Wertvorstellungen aufgeladen hat, ähnlich wie der konträre Liberalismus mit den Idealen und Wertvorstellungen der kapitalistischen Zirkulation ("Freiheit" des autonomen Marktsubjekts etc.). Aber die pseudo-agrarischen Ideale waren von Anfang an in den Kategorien der modernen Ontologie formuliert, nicht gegen diese. Mit den wirklichen vormodernen Ontologien hatten sie nie etwas zu tun, sondern waren diesen gegenüber schon fremd. Wie die Romantik zur ideologischen Geburtshelferin der modernen abstrakten Individualität wurde, so wurden der Konservatismus und seine radikalisierten Versionen des reaktionären Denkens zu Propagandisten des modernen Nationalismus und seiner ethno-ideologischen, rassistischen und antisemitischen Legitimierung. Im protestantischen Ethos der Arbeit und im Sozialdarwinismus gab es stets eine Gemeinsamkeit der Konservativen und Reaktionäre mit dem Liberalismus, die auf die gemeinsame Verwurzelung im Denken der Aufklärung verweist.

Je mehr der ideologische Bezug des konservativ-reaktionären Denkens auf die idealisierte Agrargesellschaft verblaßte, desto deutlicher mußte es sich innerhalb der modernen Ontologie und deren Dynamik positionieren. Darin folgte die reaktionär-romantische Strömung dem Liberalismus, nur mit entgegengesetztem Vorzeichen. Wie die liberale Kritik im Sinne der permanenten binnenkapitalistischen "Modernisierung der Moderne" und damit als Sachwalterin des kapitalistisch Neuen gegen das kapitalistisch Alte auftrat, so die konservative und reaktionäre Gegenkritik umgekehrt im Namen und als Sachwalterin des jeweils kapitalistisch Alten gegen das als demoralisierend und zersetzend empfundene kapitalistisch Neue.

Da diese immanente Polarität jedoch dasselbe ontologische Feld markierte, bildete ihr immanenter Gegensatz zugleich eine Abschirmung dieses Feldes gegen eine mögliche Meta-Kritik. Der aus den Zumutungen, Übeln und Destruktionspotentialen des modernen warenproduzierenden Systems immer wieder aufsteigende kritische Impuls konnte so weitgehend ab- und umgeleitet werden auf die Binnenbewegung des Gegensatzes von Fortschritt und Reaktion, von Liberalismus und Konservatismus. Die Destruktivität der Moderne sollte entweder durch den nächsten Schub der "Modernisierung" geheilt ("Fortschritt") oder umgekehrt durch das Festhalten am jeweiligen Ist-Zustand der Moderne gegen deren eigene innere Dynamik gebändigt werden ("Konservatismus" bzw. "Reaktion"), während die Kritik der diesem Gegensatz zugrunde liegenden gesellschaftlich-historischen Ontologie selbst gerade dadurch blockiert wurde.

Der innerbürgerliche Gegensatz von Liberalismus einerseits und Konservatismus oder romantischer Reaktion andererseits bildete jedoch nicht die einzige Blockade einer Kritik der modernen Ontologie. Vielmehr entwickelte sich eine zweite Welle der Kritik innerhalb dieser Ontologie, von der die erste überlagert wurde. Diese zweite Welle wurde einerseits von der westlichen Arbeiterbewegung und andererseits von den sogenannten Befreiungsbewegungen an der Peripherie des Weltmarkts getragen, wobei zu letzteren sowohl die russische Revolution als auch die antikolonialen Bewegungen und Regimes zu rechnen sind. In allen diesen historischen Bewegungen machte sich zwar offiziell ein Programm grundsätzlicher Kritik am Kapitalismus geltend, das sich in vieler Hinsicht durch den Rekurs auf die Marxsche Theorie artikulierte. Dennoch blieb auch diese zweite Welle der Kritik grundsätzlich in der modernen Ontologie des warenproduzierenden Systems und damit in dessen Kategorien befangen; der Rückgriff auf Marx ging nur so weit, wie Marx selber noch Bestandteile dieser Ontologie beibehalten hatte, während alle darüber hinaus gehenden Momente seiner Theorie ignoriert wurden oder stumpf blieben.

Der Grund für dieses historische Phänomen einer zweiten, den innerbürgerlichen Gegensatz überlagernden Welle der affirmativen Kritik ist in jenem Problem zu suchen, das in der Geschichtstheorie und in den Sozialwissenschaften oft als "historische Ungleichzeitigkeit" bezeichnet worden ist. Die moderne Ontologie hat sich weder strukturell noch geographisch gleichmäßig herausgebildet, sondern in diskontinuierlichen Schüben.

In den westlichen Geburtsländern des modernen warenproduzierenden Systems wurden zunächst nur einige Kategorien ausgeformt, während andere "unterentwickelt" blieben. Das galt vor allem für die Form des modernen Subjekts, der abstrakten Individualität, der dazugehörigen Rechtsform und politischen Form. Aufklärung und Liberalismus hatten diese Kategorien noch nicht in voller Konsequenz als abstrakt-allgemeine, für alle Gesellschaftsmitglieder gleichermaßen gültige denken können. Der einerseits theoretisch formulierte Universalismus brach sich andererseits an der sozialen Schranke; Aufklärer und Liberale wollten beharrlich "den Menschen" der modernen Ontologie nur in den männlichen Besitzbürgern erkennen, während die Masse der Lohnarbeiter und Lohnarbeiterinnen zwar der Disziplin der "abstrakten Arbeit" unterworfen wurde, jedoch juristisch und politisch gewissermaßen ontologisch exterritorial blieb. Damit sich jedoch die moderne Ontologie einer versachlichten statt persönlichen Abhängigkeit vollenden konnte, mußte sie verallgemeinert werden. Erst durch die juristische und politische Integration war die kategoriale Unterwerfung der Menschen perfekt zu machen.

Aus dieser Konstellation heraus übernahm die westliche Arbeiterbewegung eine spezifische Funktion der "Modernisierung der Moderne", nämlich eben den Kampf um die Anerkennung der Lohnarbeiter und Lohnarbeiterinnen als vollgültige Subjekte des modernen Rechts und der modernen Staatlichkeit bzw. Politik (allgemeines und gleiches Wahlrecht, Koalitionsfreiheit, Versammlungsfreiheit etc.). Damit aber war auch von dieser Seite die kategoriale Kritik blockiert; statt des ontologischen Bruchs vollzog die Arbeiterbewegung die Vollendung der modernen Ontologie. Sie übernahm im Sinne der tatsächlichen praktischen Verallgemeinerung bestimmter moderner Kategorien teilweise den Part des Liberalismus, der sich in dieser Hinsicht als unfähig und in gewisser Weise selber als konservativ erwies. Konsequenterweise warf die Arbeiterbewegung dem Liberalismus Verrat an seinen eigenen Idealen vor und übernahm ihrerseits die wesentlichen Ideologeme der Aufklärung, einschließlich der protestantischen Arbeitsethik.

Die moderne Ontologie des warenproduzierenden Systems schließt allerdings eben auch ein bestimmtes Geschlechterverhältnis ein, indem alle von den kapitalistischen Kategorien nicht erfassbaren Momente des Lebens und der Reproduktion sowohl materiell als auch sozialpsychologisch und kulturell-symbolisch als "weiblich" konnotiert und praktisch an die Frauen delegiert werden - durch alle historischen Binnen-Entwicklungen dieser Ontologie hindurch. Die Anerkennung der Lohnarbeiterinnen und überhaupt der Frauen in der bürgerlichen Gesellschaft als Rechtssubjekte und Staatsbürgerinnen-Subjekte, von der Mehrheit der Aufklärungsphilosophen ohnehin verworfen, galt daher auch nach der zweiten Welle der immanenten Kritik immer nur soweit, wie sie sich in den offiziellen Sphären der Gesellschaft bewegen, während sie gleichzeitig stets gewissermaßen mit einem Bein "draußen" stehen, weil sie die abgespaltenen, nicht systemisch integrierbaren Momente repräsentieren müssen. Insofern bildet die moderne Ontologie keine in sich geschlossene Totalität, sondern - vermittelt durch das geschlechtlich konnotierte "Abspaltungsverhältnis" (Roswitha Scholz) - eine in sich widersprüchliche, gebrochene. Die bürgerliche Anerkennung der Frauen muß aufgrund des strukturellen Abspaltungsverhältnisses im Kontext der modernen Ontologie eine dementsprechend gebrochene, halbe bleiben. Das abstrakte Individuum ist als vollgültiges in Wirklichkeit männlich bestimmt, wie der abstrakte Universalismus eben deshalb ein androzentrischer ist und bleibt.

Im größeren Maßstab wiederholte sich die affirmative Dialektik der bürgerlichen Anerkennung bei den Bewegungen in der Peripherie um nationale Unabhängigkeit und selbständige ökonomische Teilhabe am Weltmarkt. Dabei bezog sich die Kritik am Kapitalismus wesentlich auf die kolonialistische und postkolonialistische Struktur der Abhängigkeit von den fortgeschrittensten westlichen Ländern, nicht auf die grundlegenden gesellschaftlichen Kategorien. Auch hier ging es also um Anerkennung auf dem Boden der modernen Ontologie, nicht um deren Kritik und Überwindung. So übernahmen die russische wie die chinesische Revolution und die späteren nationalen Befreiungsbewegungen des Südens ebenfalls eine spezifische Funktion in der "Modernisierung der Moderne", nämlich die nachholende Bildung von Nationalökonomien und Nationalstaaten in der Peripherie. Konsequenterweise mußte sich auch diese historische Bewegung auf die idealisierten Kategorien der Moderne und auf deren Legitimation durch die Aufklärung berufen, also dem androzentrischen Universalismus verhaftet bleiben.

Die Ungleichzeitigkeit innerhalb der modernen Ontologie erzeugte ein binnengesellschaftliches und ein geographisches Gefälle der Entwicklung, an dem sich die scheinbar radikale Kritik ebenso abarbeiten mußte wie die aufklärerische und liberale Kritik. Westliche Arbeiterbewegung, östliche Revolutionen und südliche nationale Befreiungsbewegungen stellten nur verschiedene Varianten einer "nachholenden Modernisierung" im Kontext dieser Ungleichzeitigkeit dar. Es ging um das Hineinkommen in das moderne warenproduzierende System, nicht um das Hinauskommen aus dieser historischen Ontologie. Diese Option konnte positiv als "Fortschritt" und "Entwicklung" besetzt werden, solange das Weltsystem als Ganzes noch einen Spielraum für die weitere "Modernisierung der Moderne" hatte.

Diesen Raum der Entwicklung gibt es nicht mehr. In der 3. industriellen Revolution stößt die moderne Ontologie als solche an historische Grenzen. Die Kategorien selbst werden obsolet, in denen sich der gesamte Prozeß der Modernisierung abgespielt hatte, wie sich augenfällig an der "Arbeit" ebenso wie an der Nation und der Politik bereits praktisch zeigt. Damit erlischt auch die Ungleichzeitigkeit innerhalb des warenproduzierenden Systems. Aber nicht deshalb, weil alle Gesellschaften dieser Welt nun den höchsten Grad moderner Entwicklung erreicht hätten, das Gefälle ausgeglichen und eine positive planetarische Gleichzeitigkeit auf demselben Niveau erreicht worden wäre. Die Ungleichzeitigkeit erlischt vielmehr deswegen, weil das warenproduzierende System in die ontologische Krise gestürzt wird. Egal, welches Niveau der Entwicklung die einzelnen Gesellschaften erreicht hatten, sie werden allesamt gleichermaßen von dieser ontologischen oder kategorialen Krise erfaßt.

Es sind also nach wie vor ganz unterschiedliche materielle, soziale, politische usw. Ausgangslagen, in denen sich die verschiedenen Gesellschaften der Welt befinden. Viele Länder stehen erst in den Anfängen der modernen "Entwicklung", andere sind auf halbem Wege stecken geblieben. Aber das Gefälle mobilisiert keine weitere Dynamik "nachholender Modernisierung" mehr, sondern nur noch die Dynamik der Barbarisierung. Die ontologische Krise produziert eine negative Gleichzeitigkeit, einen "Weltuntergang" der modernen Kategorien, der sich sukzessive unter allen immer noch ungleichen Bedingungen vollzieht. Es gibt kein Zurück in die alte Agrargesellschaft, aber die Entwicklung in den modernen ontologischen Formen, soweit sie stattgefunden hat, wird abgebaut; ganze Industrien werden stillgelegt, ganze Kontinente abgekoppelt, und auch in den westlichen Kernländern selbst wird nur noch perspektivlos die fortschreitende Krise verwaltet.

Und überall, auf allen unterschiedlichen Niveaus der erschöpften kapitalistischen Ontologie, erfasst die Krise nicht nur die kapitalistischen Kategorien, sondern auch das Verhältnis der geschlechtlich bestimmten Abspaltung. Auch die Beziehungen der Geschlechter geraten "außer Kontrolle"; die brüchig gewordene männliche Identität der vollen, eindimensionalen Subjektivität von abstrakter Arbeit, Recht, Politik etc. zersetzt sich in einen Zustand der "Verwilderung" (Roswitha Scholz), der ein integraler Bestandteil der Tendenz zur Barbarei wird und neue Potentiale einer ziellosen Gewalt gegen Frauen freisetzt. Auch in dieser Hinsicht kann die Barbarei nicht mehr durch eine schon gescheiterte bloß immanente Anerkennung der Frauen gestoppt werden, sondern nur noch durch den ontologischen Bruch mit dem gesamten historischen Feld der kapitalistischen Moderne, dem das Verhältnis der geschlechtlich bestimmten Abspaltung inhärent ist.

Dieselbe ontologische Krise paralysiert aber auch überall die Kritik mehr als je zuvor. Die aus der Ungleichzeitigkeit stammenden Paradigmen der kategorial immanenten, ontologisch affirmativen sozialistischen Kapitalismuskritik sind so tief verwurzelt, daß erst einmal nichts anderes gedacht werden kann. Die gespenstische Wiederholung dieser Vorstellungen geht ins Leere, weil auf diese Weise die erforderliche Höhe der kategorialen Kritik und des umfassenden ontologischen Bruchs nicht erreicht wird. In gewisser Weise sind Liberalismus, Konservatismus und traditioneller Marxismus gemeinsam reaktionär geworden. Die Ideologien der Modernisierung zersetzen sich und gehen ineinander über. Aufklärung und Gegenaufklärung werden identisch. Es gibt heute antisemitische Kommunisten und rassistische Liberale, konservative Aufklärer, marktradikale Sozialisten und frauenfeindliche, sexistische Utopisten. Die neuen sozialen Bewegungen stehen den Problemen der ontologischen Kritik und der negativen Gleichzeitigkeit bis jetzt hilflos gegenüber. Obwohl die aus der Vergangenheit ererbten Ausgangslagen unterschiedlich sind, können diese Probleme nur noch als gemeinsame einer planetarischen Gesellschaft formuliert und gelöst werden.