Startseite Krise und Kritik der Warengesellschaft


erschienen in einer leicht gekürzten Fassung
im Neuen Deutschland am 22.04.2005

Robert Kurz

GLÜCKLICHE ARBEITSLOSIGKEIT?

Die Rede von der Befreiung der Arbeit hat sich als obsolet erwiesen. Während die 3. industrielle Revolution Arbeit im globalen Maßstab überflüssig macht, werden gleichzeitig massenhaft nutzlose oder gemeingefährliche Produkte hergestellt. Der Standpunkt der Arbeit ist demoralisiert. Jetzt rächt es sich, dass der Marxismus aus der bürgerlichen Geschichte die protestantische Arbeitsethik und die liberale Ideologie vom anthropologisch-überhistorischen Charakter der Arbeit ererbt hat.

Heute zeigt sich der Zwangscharakter der Arbeit in der Parole der Arbeitsverwaltung, jede Arbeit sei besser als keine. Beschäftigung um jeden Preis, auch den des Hungerlohns, frühkapitalistischer Arbeitszeiten, extremer Mobilitätsanforderungen usw. soll durchgesetzt werden. Gerechtfertigt wird das durch den Appell an den „inneren Arbeitsaufseher“ in den modernen Individuen, die das kapitalistische Zumutungsprofil verinnerlicht haben.

Aber der Kapitalismus kann beim besten Willen nicht hinter die Produktivkräfte zurück, die seine „Arbeitssubstanz“ (Marx) bereits ausgehöhlt haben. Weil in Sachen Arbeitsbeschaffung gar nichts mehr geht, entdeckt nun ausgerechnet das bürgerliche Feuilleton die Kritik der Arbeit. Schon Paul Lafargue, der Schwiegersohn von Marx, hatte bekanntlich ironisch das „Recht auf Faulheit“ gefordert. Damit wollte er darauf hinaus, dass die LohnarbeiterInnen sich durch den Verteilungskampf einen größeren Anteil am „abstrakten Reichtum“ (Marx) der Kapitalverwertung holen, um dessen Früchte zu genießen, statt allzu frugal der Arbeitsethik zu frönen. Heute ist aber in der Krise der 3. industriellen Revolution zusammen mit der Arbeitsethik auch die traditionelle Beschränkung auf den Verteilungskampf obsolet geworden. Die kapitalistische Form des Reichtums in Gestalt einer „ungeheuren Warensammlung“ (Marx) selber muß kritisiert und überwunden werden. Wenn nun ohne Bezug auf die gesellschaftliche Form ganz unvermittelt „Die Entdeckung der Faulheit“ propagiert wird, so der Bestseller der französischen Autorin Corinne Maier, geht dies an der Wirklichkeit der krisenhaften Zwangs- und Armutsverhältnisse vorbei.

Corinne Maier will ausdrücklich keine grundsätzliche Systemkritik formulieren. Sie zeigt zwar die Absurditäten der Management-Philosophie und der Arbeits-Animation auf, aber ihr Appell geht nicht weiter als bis zur „inneren Kündigung“: Wer noch beschäftigt ist, soll sich an seinem Arbeitsplatz verschanzen, möglichst wenig tun und sich irgendwie durchmogeln. Diese Schwejk-Strategie kommt dem Bewusstsein der postmodernen Individualisierung und den Illusionen der abstürzenden „neuen Mittelklasse“ entgegen, die immer noch glauben möchte, dass ihre eigene Verarmung bloß ein Film ist. „Schöner scheitern“ (Matthias Horx) ist angesagt. Wie bestellt kam da als Ergänzung Alexander von Schönburgs Buch „Die Kunst des stilvollen Verarmens“, vom Feuilleton ebenso hoch gelobt.

Was bei den Berliner „Glücklichen Arbeitslosen“ in den 90er Jahren noch als subversives Handeln gemeint war, um sich den arbeitsbürokratischen Zumutungen zu entziehen, droht nun auf paradoxe Weise selber zu einem Bestandteil der Krisenverwaltung zu werden. Auch die in Teilen der Linken kursierenden Konzepte wie „Umsonst-Läden“ und andere selbstbeschäftigungs-therapeutische Wohlfühlprojekte laufen bloß auf selbstverwaltete Armut hinaus, die sich radikale Gesellschaftskritik in die Tasche lügt. Ohne eine ernsthafte soziale Widerstandsbewegung gehen alle schelmischen Faulheitsphantasien ins Leere und werden konservativ besetzbar. Mitten im Kapitalismus gibt es nur unglückliche Arbeitslosigkeit. Eine verkürzte und oberflächliche, nicht aufs Ganze der gesellschaftlichen Reproduktion gehende Arbeitskritik wird bald genauso demoralisiert sein wie der alte Standpunkt der Arbeit.