Krise und Kritik der Warengesellschaft |
erscheint demnächst auf portugiesisch Robert KurzDIE UNIVERSELLE HARRY-POTTER-MASCHINEDas Konzept der „immateriellen Arbeit“ und der technologisch reduzierte Neo-UtopismusEin Aspekt des weltweiten Erfolgs von „Harry Potter“ besteht vielleicht darin, dass eine infantile Sehnsucht geweckt wird: Statt der langwierigen Auseinandersetzung mit der ewig störrischen Materie wünscht man sich die Fähigkeit, durch eine magische Formel das Mittagessen auf den Tisch und den Erfolg ins Leben rufen zu können. Und in Zeiten der Krise wäre es doch höchst angenehm, die Probleme mit dem Zauberstab in Nichts aufzulösen. So ist es erklärlich, warum die Märchen der Joanne Rowling auch von der schon etwas angegrauten postmodernen Jugend verschlungen werden. Die Turbo-Konsumenten der 90er Jahre, denen inzwischen leider das Geld ausgegangen ist, befinden sich auf der Suche nach ideologischen Phantasien, mit deren Hilfe sie sich aus der brenzlig gewordenen gesellschaftlichen Realität hinausmogeln können. Nach der Misere des faulen Zaubers an den Börsen tritt nun an die Stelle des „fiktiven Kapitals“ eine Art „fiktive Arbeit“, deren Protagonisten sich ebenso jenseits von allen materiellen Bedingungen wähnen. Der von Antonio Negri und Michael Hardt kreierte Begriff der „immateriellen Arbeit“ ist zum Stichwort dieses neuen virtuellen Produktivismus geworden. Die „Ontologie der Arbeit“ bei den traditionellen Marxisten wird in eine postmoderne Seifenblasen-Sprache übersetzt. Informations- und Kommunikationstechnologie, Symbolanalytik, Medien usw. sollen das alte industrielle Paradigma ablösen. Die abschmelzende traditionelle Arbeiterklasse ersetzen Hardt/Negri kurzerhand durch die so genannte „Multitude“, eine diffuse postmoderne Menge oder Masse, deren Basis angeblich die „immaterielle Arbeit“ bildet. Oberflächlich betrachtet scheint es sich bei diesem Konstrukt um eine „entmaterialisierte“ Harry-Potter-Version des angestaubten marxistischen Begriffs vom Klassenkampf zu handeln. Solche Vorstellungen gehen in jeder Hinsicht an der globalen Realität vorbei. Erstens ist keine Arbeit „immateriell“, auch nicht in den Sektoren der Information und des „Wissens“; stets handelt es sich um die Verbrennung menschlicher Energie. Immateriell sind großenteils die Produkte dieser Arbeit, aber eben deshalb können diese Sektoren nicht die gesellschaftliche Reproduktion tragen, deren Basis der „Stoffwechselprozeß mit der Natur“ (Marx) und damit materiell bleibt. Zweitens sind aus demselben Grund die mit der Handhabung von Symbolen und Information kommerziell beschäftigten Menschen keineswegs eine „Multitude“, sondern im Gegenteil eine kleine Minderheit. Das liegt daran, dass die Mikroelektronik, von der die frühere industrielle Arbeit überflüssig gemacht wird, keine neue kapitalistische Massenarbeit hervorbringt. Hinter die Modelle der Informationsverarbeitung, Kommunikation und Symbolanalytik sind nicht mehr Millionen von sekundären, ausführenden Arbeiten geschaltet wie früher in den fordistischen Industrien, sondern selbsttätige technologische Prozesse, Kommunikationsmaschinen und Medien, die Menschen nur noch als Konsumenten benötigen. Hardt/Negri umgehen das Problem, indem sie ihre „Multitude“ auffüllen mit ganz anderen sozialen Gruppen wie Migranten, Arbeitslosen, Dienstboten, prekarisierten Humandienstleistern usw., die großenteils gar nichts mit der Arbeit in den von ihnen genannten Sektoren zu tun haben. Drittens schließlich ist auf dieser Basis auch die Rhetorik des Klassenkampfs hohl. Hardt/Negri bestimmen den Charakter ihrer „Multitude“ nämlich gar nicht durch das abhängige Verhältnis der Lohnarbeit, sondern durch die angebliche neue Selbständigkeit in den Sektoren des „Wissens“, der Information und ihrer Netzwerke. In diesem Sinne geißeln sie den „parasitären“ Charakter der Finanzkonzerne, die sich als „Vampire“ an der schöpferischen Kraft der „Multitude“ versündigen würden. Hier wird deutlich, dass in Wirklichkeit an die Stelle des ehemaligen Klassenkampfs der industriellen Lohnarbeit eine neo-kleinbürgerliche Vision tritt. Hardt/Negri wollen die obsolet gewordene Warenproduktion fortsetzen und verewigen durch eine unabhängige Vernetzung von kleinen informationellen Kollektiven der „Selbstverwertung“. Kein Wunder, dass dieses Konzept bei den Schiffbrüchigen der Postmoderne großen Anklang findet. Der soziale Kern dieser Ideologie wird tatsächlich nicht von einer neuen lohnabhängigen „Arbeiterklasse“ gebildet, sondern von Scheinselbständigen, Betroffenen des „Outsourcing“ und neuen Elendsunternehmern in den Bereichen der High-Tech-Produktion, der Medien und der Informationsverarbeitung bis hin zu depravierten Akademikern, Lehrern usw. in den privatisierten Institutionen der Ausbildung, die als intellektuelle „Subunternehmer“ ihre Sozialversicherung selbst bezahlen müssen. Diese „Klasse“, wenn man sie so nennen will, hat ihren grandiosen Misserfolg im Kasinokapitalismus bloß kompensatorisch verarbeitet als Beschimpfung des angeblich betrügerischen großen Finanzkapitals. Das ist die klassische Matrix einer kleinbürgerlichen Kapitalismuskritik; nicht frei von antisemitischen Untertönen. Es hat schon etwas Peinliches, wie hier das unreflektierte gesellschaftliche Sein der sozial abstürzenden kleinen „Wissens“- und Informationsproduzenten als ideologisches Bewusstsein wiedererscheint. Das Konzept der „immateriellen Arbeit“ hat sich auch im neuen Utopismus der internationalen Bewegung „Free Software“ niedergeschlagen. Die „Selbstverwertung“ von kleinen postmodernen Warenproduzenten wird hier verbunden mit der Vorstellung einer „Überwindung des Geldes“, wie sie auch schon in den Utopien des 19. Jahrhunderts virulent war. Aber diese Kritik des Geldes bezieht sich im Unterschied zu derjenigen von Marx nicht auf die gesamte Produktionsweise, sondern allein auf die Sphäre der Zirkulation. Es soll ein „Geben und Nehmen“ ohne Dazwischenkunft des Geldes stattfinden, während die zu Grunde liegende Logik des „abstrakten Reichtums“ (Marx) außerhalb der Kritik bleibt. Dieser Neo-Utopismus meint sein Dorado in der „immateriellen Arbeit“ der Informationsproduktion gefunden zu haben. Vor allem das Internet wird als das zentrale Feld für die Verwirklichung dieser Idee verstanden. Nun ist das Internet zweifellos eine technologische Kreation, die an die inneren Grenzen des Kapitalismus heranführt. Es hat sich als unmöglich erwiesen, dieses universelle Medium zum Terrain einer neuen Ära der Kapitalakkumulation zu machen. Gerade daran ist ja die New Economy gescheitert. Der Kapitalismus kann aus der Informationsverarbeitung keinen realen Mehrwert schöpfen. Deshalb muß er versuchen, durch formale juristische Lizenzen den informationellen Produkten Preise in der Geldform zu geben. Es ist die Simulation von Profit in der rein zirkulativen Sphäre, ganz ähnlich wie bei den „Finanzprodukten“ des fiktiven Kapitals. Die als „Free Software“ firmierende Bewegung missversteht diesen immanenten Widerspruch der kapitalistischen Entwicklung, indem sie so tut, als gäbe es hier schon eine Art „befreites Gebiet“ jenseits des Geldes zu besetzen. Aber die Kritik an der Bereicherung der Medienkonzerne durch juristische Lizenzen für Software und andere Produkte der „Information“ bleibt oberflächlich, weil sie das gesellschaftliche Produktionsverhältnis nicht berührt. Ein sekundärer Aspekt der Krise in einem kleinen Bereich wird einseitig überbetont und die Frage der Emanzipation darauf verengt. Die Gesellschaft soll nicht durch eine große soziale Bewegung gegen die Zumutungen der Krisenverwaltung umgewälzt werden, sondern durch ein alternatives „Modell“ aus der virtuellen Sphäre, das nur noch ausgedehnt werden müsse. An „Free Software“ soll die Welt genesen. Wieder einmal geht es darum, ohne gesamtgesellschaftliche Vermittlung eine vermeintliche Modellwelt zur Allgemeinheit aufzublasen. Diese Utopie scheitert aber gerade am tatsächlich immateriellen Charakter der Inhalte, die über das Internet transportiert werden. Wenn der materielle Aspekt der „abstrakten Arbeit“ in den Informationsflüssen des Internet nicht dargestellt werden kann, so die wirklichen Gegenstände des Bedürfnisses großenteils erst recht nicht. Man kann kein Brot, keinen Wein und keine Hose „herunterladen“, geschweige denn Walzstahl oder Baumaterialien; und noch nicht einmal ein Buch, wie jeder erfahren muß, der versucht, ein größeres literarisches Werk am Bildschirm zu lesen oder als Papierflut auszudrucken. Schon deshalb kann allein aus dem Internet kein „Modell“ jenseits des warenproduzierenden Systems für die gesellschaftliche Reproduktion gezogen werden. Die Neo-Utopisten wollen sich über diese Schranke ihrer einseitigen Idee hinwegtäuschen, indem sie das Problem als ein bloß vorläufiges deklarieren, das durch zukünftige technologische Entwicklung gelöst werden könne. Der britische Ingenieur Adrian Bowyer (Universität Bath) will in diesem Sinne eine „universelle Maschine“ konstruieren, die im Unterschied zum Computer Gegenstände nicht mehr bloß virtuell, sondern materiell reproduziert. Diese „Rapid-Prototyping-Maschine“ (RepRap) in der Größe eines Kühlschranks soll sich selbst replizieren und zusätzlich nahezu beliebige andere Gegenstände nach Modell-Datensätzen herstellen. Funktionieren soll sie nach dem Prinzip von Kopiermaschinen, wie sie beim Industrie-Design für die Modellierung von Prototypen eingesetzt werden. Faktisch handelt es sich um Drucker, die mit Materialien wie Maisstärke, Plastik oder leicht schmelzbaren Legierungen dreidimensionale Objekte hervorbringen. Die Internet-Freaks erhoffen sich, dass diese „universelle Maschine“ nach einer „darwinistischen Evolution“ ihrer Selbst-Replikation alles und jedes herstellen kann, von der Digitalkamera bis zum Brötchen. Ausgemalt wird eine Zukunft, in der die Menschen sich mühelos alle überhaupt denkbaren Güter „herunterladen“ können. Das ist keine „Marx-Maschine“, wie behauptet wird, sondern eher eine Harry-Potter-Maschine. Diese groteske Idee verweist auf den technizistisch verkürzten Charakter des ganzen Konstrukts. Das Ziel sind nicht andere soziale Beziehungen und ein anderer Umgang mit der Natur jenseits des warenproduzierenden Systems, um der jeweils eigenen Qualität verschiedener Lebensbereiche Rechnung zu tragen. Ganz im Gegenteil soll erst recht die gesamte Gesellschaft unter eine einzige „funktionale Logik“ subsumiert werden. Die „abstrakte Arbeit“ mit ihrem destruktiven, negativ-universalistischen Zugriff auf die Welt wird nicht überwunden, sondern als Phantasma eines vollautomatischen kybernetischen Aggregats fortgesetzt. Der Held ist der von allen materiellen Bedingungen losgelöste Warenkonsument als „wahrer Mensch“. Galt in den Halluzinationen der postmodernen Linken der 90er Jahre der Konsument als „Dissident“, so gilt er nun als dissidenter „immaterieller Produzent“. In Wirklichkeit ist das Internet ein zwar universelles, aber rein zirkulatives Medium, das in jeder Hinsicht Produktion anderswo voraussetzt. Selbst Software muß erst einmal entwickelt werden, bevor sie in die mediale Zirkulation eingespeist werden kann. Mag der spielerische Konsum von „Usern“ im speziellen Fall von Computer-Programmen eine begrenzte Weiterentwicklung ermöglichen, so ist derselbe anonyme Kollektivismus von „produzierenden Konsumenten“ bei kulturellen Gegenständen eine völlige Illusion. Denn Kultur im weitesten Sinne folgt ihrem Wesen nach nicht dem Schema der Logik von „0“ und „1“; sie kann sich nicht als bloße Kombination von informationellen Modulen entwickeln. Besonders deutlich wird deshalb das Defizit dieser Idee, wenn das geldlose „Geben und Nehmen“ als Pseudo-Produktion von der Software auf künstlerische und theoretische Inhalte übertragen werden soll. Das geht weniger auf Kosten der Medienkonzerne als vielmehr auf Kosten der unmittelbaren kulturellen Produzenten, die ja unter kapitalistischen Bedingungen nicht ohne Geldeinkommen leben können. Davon abgesehen entstehen anspruchsvolle literarische und theoretische Texte aber nur durch individuelles Durchdenken und Verarbeiten von gesellschaftlichen Erfahrungen. Dabei vollziehen sich der Austausch mit anderen und die Weiterentwicklung nicht durch „Herunterladen“ und mechanische Neu-Konfiguration. Wie die erträumte „universelle Maschine“ in materieller Hinsicht nur universellen Schrott produzieren kann, so kann das erträumte universelle wissenschaftliche und kulturelle Aggregat von „produzierenden Konsumenten“, die lediglich formal „angeeignete“ Text- und Symbolbausteine kombinieren, nichts als universellen Unsinn hervorbringen. Wenn befreiendes Denken ausgerechnet darin bestehen soll, dass sich die Individuen nur noch als „Schaltstellen im Intertext“ verstehen, wie es der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk ausdrückt, dann wird die abstrakte Individualität des Kapitalismus nicht überwunden, sondern radikalisiert. „Die Geste des Downloading“, so Sloterdijk, sei „die Befreiung von der Zumutung, Erfahrungen zu machen“. Der postmoderne Philosoph meint das nicht im geringsten kritisch; für ihn ist diese Entwicklung „fast ohne Einschränkung zu begrüßen“. An die Stelle der Marxschen Idee eines „Vereins freier Individuen“ tritt ein entmaterialisierter und zirkulativer Kollektivismus im virtuellen Raum. Das ist keine Antwort auf die soziale und intellektuelle Krise der emanzipatorischen Bewegung. |