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erschienen im Neuen Deutschland
am 05.05.2006

Robert Kurz

MÜDER OPTIMISMUS

Es wird endlich wärmer, und die Wirtschaftsforschungsinstitute beginnen zu singen wie die Frühlingsvögel. Der berüchtigte „Aufschwung“, seit einem halben Jahr schon aufgrund von Stimmungsumfragen unter den Unternehmen medial ausgepinselt, schlägt sich nun im Frühjahrsgutachten der Konjunkturforscher nieder; die Wachstumsprognose für 2006 wurde von 1,2% auf 1,8% heraufgesetzt. Prompt lobte Wirtschaftsminister Glos die Kraft und Solidität des „laufenden Aufschwungs“, der das allgemeine Vertrauen in die Große Koalition widerspiegle. Tatsächlich handelt es sich bis jetzt um kaum mehr als die übliche Belebung nach den Wintermonaten. Aber auch sonst ist der Zweckoptimismus ein ziemlich müder. Für 2007 sieht das Gutachten schon wieder einen Sinkflug auf 1,2%, die Regierung selbst prognostiziert gar bloß magere 1%.

Im historischen Vergleich ist dieser Aufschwung ohnehin eher eine Stagnation. Die dritte industrielle Revolution setzt der realen Kapitalverwertung innere Schranken. Ein wirklich selbsttragender Aufschwung müsste auf breiter Front den regulären Arbeitsmarkt mitnehmen. Dafür wären heute in der BRD mindestens 3% Wachstum oder mehr erforderlich, die illusorisch sind. In Wirklichkeit bleibt die strukturelle Massenarbeitslosigkeit von konjunkturellen Schwankungen völlig unberührt. Was sich höchstens beleben wird, ist die Ausbreitung prekärer und irregulärer Billiglohn-Verhältnisse, forciert durch die weiter ausgebauten Zwangsmaßnahmen der staatlichen Arbeits- und Krisenverwaltung. Die für 2007 fest eingeplante Erhöhung der Mehrwertsteuer wird die Armut im großen Maßstab verschärfen. Deshalb fehlt das wichtigste Kennzeichen eines realen Aufschwungs, nämlich die Expansion der Konsumnachfrage; übrigens nicht nur hierzulande, sondern im gesamten Raum der EU. Der Einzelhandel erlebte im März einen herben Rückschlag, also das genaue Gegenteil von Aufschwung.

Der Optimismus stützt sich wie gehabt einzig auf den Export, der in Wahrheit identisch ist mit der unaufhaltsamen Transnationalisierung des Kapitals in der Krise. Der Prozess der Globalisierung wird unabhängig von nominellen Wachstumsraten zu weiteren Fabrikschließungen und Massenentlassungen führen. Aber auch die stets beschworene Weltkonjunktur, die gleichzeitig in allen Weltregionen immer mehr Menschen ausschließt, steht auf tönernen Füßen. Der explodierende Ölpreis belebt zwar die Importnachfrage der Produzentenländer und finanziert über deren Dollaranlagen das Handels- und Leistungsbilanzdefizit der USA, die bekanntlich bis jetzt die globalen Waren- und Kapitalströme zu erheblichen Teilen ansaugen. Aber die stetige Verteuerung der Energiekosten droht in der Folge als Bumerang auf die globale Konjunktur zurückzuschlagen.

Die von den US-Defiziten getragene Voodoo-Ökonomie, die mit transnationalen Kapitalinvestitionen in China, Indien und Osteuropa einhergeht, steht auch unabhängig davon auf Messers Schneide. Auf der Ebene der Währungsverhältnisse kann das ausufernde Ungleichgewicht in der US-Außenbilanz jederzeit den Dollar abstürzen lassen. Um den vom Ölpreis ausgehenden Inflationsimpuls zu bannen, sieht sich die europäische Zentralbank zu Zinserhöhungen veranlasst. Der Euro-Kurs gegenüber dem Dollar steigt bereits, weil die Zinsdifferenz zu den USA abnimmt. Die Widersprüche der defizit-genährten Weltkonjunktur drücken sich zwangsläufig in den Zins- und Währungsverhältnissen aus. Der Zwang zu Zinserhöhungen und die latente Dollarschwäche werden erst recht zur kalten Dusche für den Aufschwung. Die Zweckoptimisten sollten sich warm anziehen.