Krise und Kritik der Warengesellschaft |
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Neuen Deutschland Robert KurzREKORDGEWINNE UND STREICHORGIENFür den gesunden kapitalistischen Volksverstand ist die Welt nicht mehr in Ordnung. Einerseits steigen die Profite der Unternehmen immer weiter an, gerade bei den großen Konzernen. Das Jahr 2006 wird wieder alle Rekorde brechen. Die Zahl der Unternehmen mit einem Gewinn von mehr als einer Milliarde Euro netto ist im Vergleich zum Vorjahr von 14 auf 21 gestiegen. Und andererseits geht gleichzeitig der Personalabbau im großen Maßstab weiter. Das zum „global player“ mutierte einstige Bundesunternehmen Deutsche Telecom hat seit 1995 jährlich im Schnitt 10.000 Arbeitsplätze wegrationalisiert; bis 2008 sollen noch einmal 32.000 wegfallen. Bei der Allianz hat der geplante Abbau von 7.500 Jobs Aufregung verursacht. Die Bahn ist auch nicht faul: Zählte das Unternehmen 1994 331.000 Beschäftigte, so sind es heute nur noch 190.000 mit weiter sinkender Tendenz. Siemens will demnächst 14.000 Stellen streichen, Volkswagen 20.000. Dieselbe strukturelle Großtendenz findet sich auch bei vielen kleineren Betrieben. Die bürgerlichen Medien, sonst ganz auf neoliberalen Sozialabbau als angebliche Naturnotwendigkeit eingeschworen, stimmen mit dem „gesunden Volksempfinden“ gern darin überein, dass die Streichorgien bei den Arbeitsplätzen „unmoralisch“ seien. Das ist so ziemlich die dümmste Argumentation. Denn es handelt sich dabei nicht um eine Frage der Moral, sondern um eine Frage der ökonomischen Logik. Es ist ein altes vulgärmarxistisches Fehlurteil, dass ein Unternehmen denjenigen Mehrwert realisiert, der in seinen vier Wänden produziert worden ist. In Wirklichkeit bildet der Mehrwert ein gesellschaftliches Verhältnis, und in der Konkurrenz realisieren die Unternehmen immer einen Teil des Gesamtmehrwerts. Sie sind dabei umso erfolgreicher, je günstiger sie anbieten können, und das gelingt ihnen am besten, wenn sie rationalisieren und Arbeitskraft überflüssig machen. Es ist gerade der kapitalistische Selbstwiderspruch, dass diejenigen Unternehmen den größten Anteil am Gesamtmehrwert realisieren, die am stärksten die Mehrwertproduktion als solche durch Freisetzung der einzigen Wertquelle Arbeitskraft untergraben. In der 3. industriellen Revolution hat dieser kapitalistische Selbstwiderspruch eine neue Qualität angenommen. Die reelle Mehrwertproduktion ist bereits so weit untergraben, dass Gewinne zunehmend von substanzlosen Finanzblasen abhängig sind; sie erscheinen nur noch als Differenzgewinne beim Kauf und Verkauf von Unternehmensteilen. Heute sind in der BRD bereits mehr Menschen bei Beteiligungsgesellschaften im Besitz von Private-Equity-Fonds beschäftigt als bei einem Großkonzern. „Mehrwert durch Zerschlagung“ titelte die „Wirtschaftswoche“ anlässlich der drohenden Übernahme und Zerlegung der Deutschen Telekom durch Investment-Gesellschaften. Das wäre natürlich kein realer Mehrwert im Marxschen Sinne, sondern ein reiner Finanzblasen-Gewinn. Der Beschäftigungsabbau hat unter diesen Bedingungen nichts mehr mit realökonomischen Strategien zu tun, sondern er ist zu einer finanzkapitalistischen Funktion geworden, zum bloßen „Signal“ in der Finanzblasen-Ökonomie, um die Preise für tranchierte Unternehmensteile in die Höhe zu treiben. Die Identität von Rekordgewinnen und Streichorgien gehört zum objektiven Autokannibalismus des Kapitals in der Krise der 3. industriellen Revolution. Jedes Moralisieren ist da fehl am Platz, gefordert ist eine neue Kritik der herrschenden Produktionsweise selber. |