Krise und Kritik der Warengesellschaft |
erschienen im Neuen Deutschland Robert KurzFAULER ZAUBER„Finster wars, der Mond schien helle, als ein Wagen blitzeschnelle langsam um die Ecke fuhr“. Man fühlt sich an das alte Lügenmärchen in Kinderreimen erinnert angesichts der überbordenden Aufschwung-Euphorie im medialen und politischen Zirkus. Als hätte ihnen jemand etwas in den Kaffee geschüttet, schwelgen die üblichen Experten, Kommentatoren und Sonntagsredner in den blühenden Landschaften eines neuen Wirtschaftswunders. Jetzt würden die antisozialen Hartz-Gegenreformen ihre reichen Früchte tragen, so tönt es allenthalben. Die meisten Menschen in der BRD müssen sich die Augen reiben, denn in ihrer Alltagsrealität sieht es ganz anders aus. Anscheinend leben die Propagandisten des Booms wie die Gipfelteilnehmer hinter dem Sicherheitszaun von Heiligendamm in einer Art Parallelwelt. Tatsächlich ist die strukturelle Krise von Arbeitsmarkt und Realökonomie völlig ungelöst. Es handelt sich bei der aktuellen Konjunktur nicht um eine selbsttragende lange Welle der Prosperität wie in der Nachkriegszeit, wofür es gar keinen Grund gibt, sondern um eine kurzfristige zyklische Bewegung ohne Nachhaltigkeit. Seit in den 80er Jahren die Weltkrise der 3. industriellen Revolution begonnen hat, gab es mehrfach solche Strohfeuer innerhalb der langfristigen Abwärtsspirale. Und wie in der jüngeren Vergangenheit ist der relative Aufschwung auch diesmal hauptsächlich finanzgetrieben. So wurde die deutsche Vereinigungskonjunktur Anfang der 90er Jahre durch eine gigantische Staatsverschuldung finanziert, während gleichzeitig die ehemalige DDR-Industrie nahezu von der Bildfläche verschwand. Der ebenfalls groß gefeierte Mini-Boom der New Economy von 1998-2000 (mit sogar höherem Nominalwachstum als heute) platzte zusammen mit der dazugehörigen Finanzblase. Und der aktuelle Aufschwung ist ebenso wenig weittragend und schon gar keine Wirkung der Hartz-Reformen, sondern allein vom ganz aus dem Ruder gelaufenen pazifischen Defizitkreislauf genährt, in den seit 2006 auch die deutsche Exportindustrie (vor allem der Maschinenbau) verstärkt einbezogen wurde. Der zwangsläufige Einbruch der völlig verschuldeten US-Konsumkonjunktur und damit der asiatischen Exportüberschüsse wird auch dieses Schwungrad zum Stehen bringen. Die strukturelle Schwäche zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der Binnenmarkt trotz des medial gemanagten Stimmungshochs real nicht mitzieht. In der Schlüsselbranche der Autoindustrie brach der Inlandsumsatz von Januar bis Mai 2007 um 30 Prozent ein. Der unaufhaltsame Anstieg der Energiepreise saugt zusätzlich Kaufkraft ab. Auch der Einzelhandel erwartet allenfalls eine Stagnation. Kein Wunder, denn trotz der Neueinstellungen und der Lohnerhöhung in der exportlastigen Metallindustrie werden in den meisten anderen Bereichen Stellen entweder weiter abgebaut oder „prekarisiert“. Die Banken wollen demnächst 8.000 Arbeitsplätze streichen, bei der Post gelten nach dem Fall des Briefmonopols Ende diesen Jahres 32.000 Stellen durch Billiganbieter als gefährdet. Die Telekom will bekanntlich fast der Hälfte ihrer Beschäftigten durch Auslagerung in Tochtergesellschaften Mehrarbeit bei drastischer Lohnkürzung aufzwingen. Und das Versandhaus Quelle hat zum 80. Geburtstag seinen Beschäftigten im Kundenservice eine mehr als 50-prozentige Lohnkürzung „angeboten“, andernfalls werde man den ganzen Sektor nach Osteuropa verlagern. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Für die Mehrheit droht sich der glorreiche Aufschwung als fauler Zauber zu entpuppen. |