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erschienen im Neuen Deutschland
am 27.07.2007

Robert Kurz

SPIELWIESE INDUSTRIEPOLITIK

Die Angst geht um, nicht nur in der zerfallenden Deutschland-AG. Während noch der schon wieder bröckelnde Aufschwung als Resultat der Globalisierung gefeiert wird, kochen plötzlich Befürchtungen hoch, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis der erste Dax-Konzern von einem transnationalen Finanzinvestor übernommen, ausgesaugt und als „leblose Hülle“ zurückgelassen wird. Daimler nach dem Chrysler-Desaster oder auch die Deutsche Bank gelten als mögliche Kandidaten. Das Übernahme-Fieber wurde wohlwollend zur Kenntnis genommen, solange es nur die Börsenkurse zu treiben schien und die Global Player mit Zentrale in der BRD kräftig mitmischten. Jetzt entdeckt man plötzlich, dass es ans Eingemachte gehen könnte, wenn riesige Investment-Fonds wie Blackstone, der sich schon bei der Telekom eingekauft hat, auch vor den größten Brocken nicht mehr zurückschrecken. Gewehr bei Fuß stehen auch die Staatsfonds der Öl- und Schwellenländer, die ihre aus den einseitigen Exportwalzen resultierenden astronomischen Währungsreserven (allein in China 1,2 Billionen Dollar) für die Übernahme westlicher Konzerne verwenden wollen.

Plötzlich denkt die Bundesregierung laut über einen Schutz von „Schlüsselindustrien“ wie Telekommunikation, Banken, Post, Logistik und Energie vor Finanzinvestoren nach. Ähnliche Bestrebungen machen sich in Frankreich, Spanien, Italien und den USA geltend, wo der Kongress 2006 die Übernahme von fünf amerikanischen Häfen durch den Staatsfonds von Dubai verhindert hat. Aber diese neue nationale „Industriepolitik“ steht auf schwachen Füßen. Strukturell war es die innere Schranke der realen Verwertung in der 3. industriellen Revolution, die zusammen mit der Globalisierung den neuen Finanzblasen-Kapitalismus hervorgetrieben hat, der nun auch seine Väter zu fressen droht. Es waren die westlichen Konzerne selbst, die durch ihre Outsourcing-Investitionen in China die von dort rollende Exportlawine, eine defizitäre Weltkonjunktur und die Explosion des Ölpreises ausgelöst haben. Jetzt kommt die logische Konsequenz auf der Währungsebene, wenn die überbordenden Devisenreserven Chinas und der Ölförderländer als Übernahme-Finanzkapital zurückkehren. Werden diese Investments industriepolitisch verhindert, dann muss sich der Widerspruch auf der Devisenebene in anderer Weise gewaltsam lösen und das Ende der globalen Defizitkonjunktur beschleunigen.

Unglaubwürdig sind die Schutzbestrebungen auch deswegen, weil es die Privatisierungspolitik der Regierungen selbst war, die ehemals öffentliche Infrastrukturen wie Telekommunikation, Post und Energie in Form von Aktiengesellschaften erst reif geschossen hat für finanzkapitalistische Übernahmen mit allen Folgen. Zur Ironie dieser Geschichte gehört es, dass dieselbe Bundesregierung, die sich nun vor den asiatischen Staatsfonds fürchtet, gleichzeitig die Privatisierung und den Börsengang der Bahn gegen alle Widerstände mit Macht vorantreibt. Damit produziert sie eigenhändig ein neues potentielles Übernahme-Opfer. Das Rad der krisenhaften Globalisierung lässt sich nicht zurückdrehen und deren Zauberlehrlinge können den aufgestauten Widersprüchen nicht entkommen. BDI-Präsident Thumann und die Konzernlenker fürchten die Folgen von nationalen Schutzmaßnahmen ebenso wie klammheimlich ein desaströses Übernahme-Schicksal. Von einzelnen Kulissenschiebereien abgesehen wird die wieder aufgewärmte Idee der Industriepolitik wohl eine Spielwiese für politische Profilierungskünstler bleiben.