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erschienen im Neuen Deutschland
am 28.09.2007

Robert Kurz

UNPRODUKTIVE ARBEIT

Wenn in den wirtschaftspolitischen Debatten der bürgerlichen Öffentlichkeit die „Produktivität“ im Namen des Standorts scheinbar unschuldig beschworen wird, dann geht es nicht allein um die technische Seite und das dazugehörige Qualifikationsniveau, sondern immer auch darum, aus der verbliebenen kapitalistisch anwendbaren Arbeitskraft das Letzte herauszuholen. Es ist ein Zeichen für die innere Schranke der Kapitalverwertung in der 3. industriellen Revolution, dass heute schon die ehemalige „Normalarbeit“ als unproduktiv gilt, dass die Arbeit sich bis zur Schmerzgrenze und darüber hinaus verdichtet, die Arbeitszeit sich wieder verlängert, Pausen und Urlaubstage gestrichen werden etc. Das gilt längst auch für die qualifizierten Bereiche.

Das Problem bezieht sich aber auch auf den Charakter der Arbeit für die gesellschaftlichen Voraussetzungen einer „verwissenschaftlichten“ Produktion. Soweit diese Arbeit etwa in den Wissenschafts-, Bildungs- und Ausbildungsinstitutionen die allgemeingesellschaftlichen sachlichen Bedingungen auf dem Niveau der 3. industriellen Revolution gewährleisten muss, handelt es sich um kapitalistisch unproduktive Arbeit in der Form von „faux frais“ (Marx), also um „tote Kosten“, die aus der realen Mehrwertmasse abgeschöpft werden müssen. Indem die gesteigerte Produktivität den Wert der Konsumgüter und damit die Reproduktionskosten (also auch den Preis) der Ware Arbeitskraft senkt, wird zwar der „relative Mehrwert“ (Marx) gesteigert, d.h. der Anteil des Kapitals am produzierten Neuwert pro Arbeitskraft. Dieser Effekt verpufft aber, wenn sich die „toten Kosten“ der unproduktiven Wissenschafts- und Ausbildungsarbeit zu stark erhöhen, während gleichzeitig die eigentliche kapitalproduktive Arbeitsmasse schrumpft. Genau diese Schere geht heute auseinander.

Als Reaktion darauf werden die kostenträchtigen Sektoren der Verwissenschaftlichung teils zusammengestrichen, teils privatisiert. Die Privatisierung ist aber nur eine formale Scheinlösung, da diese Sektoren als Marktunternehmen zwar Profite erzielen können, diese aber auch wieder aus der gesellschaftlichen Mehrwertmasse alimentiert werden müssen. Denn der unproduktive Charakter bleibt im Kreislauf des Gesamtkapitals erhalten. Andererseits wird die zu geringe reale Mehrwertproduktion auch nicht durch Outsourcing in Billiglohnländer ausgedehnt. Obwohl die nominelle Beschäftigung etwa in China stark ansteigt, bleibt unter den Bedingungen des globalisierten mikroelektronischen Produktivitätsstandards ein Großteil dieser Billigarbeit bei relativ niedrigem Kapitaleinsatz auf der Ebene des „Weltmehrwerts“ unproduktiv, auch wenn sie sich betriebswirtschaftlich „rechnet“.

Unabhängig davon sind außerdem alle Arbeiten kapitalistisch unproduktiv, auch scheinbar handfeste industrielle, deren Produkte nur von Finanzblasen-Geld gekauft werden, das keine Grundlage in Einkommen aus vergangener realer Mehrwertschöpfung hat. Das gilt für große Teile des pazifischen Defizit-Exports ebenso wie für die bloß spekulative weltweite Produktion von Baustoffen, Baumaschinen und Gebäuden. Wenn gegenwärtig die angeblich „robuste Weltkonjunktur“ durch Finanzkrisen abgewürgt zu werden droht, dann steht dahinter die ungeheuer angeschwollene Last der verschiedenen Sorten kapitalistisch unproduktiver Arbeit. Das ist nur ein anderer Ausdruck dafür, dass der Kapitalismus die von ihm selbst hervorgebrachten Potenzen nicht mehr in seine bornierte gesellschaftliche Form bannen kann.