Krise und Kritik der Warengesellschaft |
erschienen in der Wochenzeitung "Freitag" Robert KurzWER TRAUT SICH NOCH WAS?Lokführerstreik und soziale Konflikte in unsicheren ZeitenDer Tarifkonflikt bei der Bahn mit der Gewerkschaft der Lokführer (GDL) schien bereits reif für die Einschläferung zu sein; besänftigt und geräuschlos stillgelegt von den wohlwollenden Schlichtern Geissler und Biedenkopf. Aber die Verhältnisse, sie sind nicht mehr so. Die Bahn-AG ist in den Kernfragen beinhart geblieben. Weder ein eigener Tarifvertrag noch eine Lohnerhöhung über die mit den anderen Bahngewerkschaften ausgehandelten 4,5 Prozent hinaus wurden den Lokführern zugestanden; zusätzliche Vergütungen sollen nur gegen wöchentliche Mehrarbeit zu haben sein. Und das bei unregelmäßigen 12-Stunden-Schichten, Wochenendarbeit, hunderten von Überstunden (die praktisch nicht abgefeiert werden können) und nicht einmal 2000 Euro netto. Während die GDL jetzt mit dem Streik ernst machen will, reagieren die Medien gereizt. Von „Unfriedlichkeit“ ist die Rede. Man war ja schon eingestimmt auf den inzwischen üblichen Scheinkompromiss zu Lasten der Beschäftigten nach dem Telekom-Muster. Es geht nicht bloß um ein Sonderinteresse der Lokführer. Im Hintergrund steht die Privatisierungspolitik. Keineswegs zufällig legen sich gleichzeitig die Länder quer zu den Plänen für den Börsengang der Bahn, weil sie nicht zu Unrecht eine weitere Ausdünnung des Nah- und Regionalverkehrs befürchten. „Aus der Eisenbahn wird ein Global Player“, so die Bahn-AG in einer Werbebroschüre, und verweist stolz auf die „weltweite Präsenz“ mit 1.500 Standorten in 150 Ländern „in den Bereichen Mobility, Networks und Logistics“. Die Verwandlung der öffentlichen Infrastruktur in ein globalisiertes Marktunternehmen geht zwangsläufig damit einher, dass „unrentable“ Strecken stillgelegt werden und sich die Tarifpolitik auf Niedriglöhne ausrichtet. Nicht umsonst verweist Mehdorn auf die noch schlechtere Bezahlung und die noch grässlicheren Arbeitsbedingungen bei der privaten Konkurrenz. Die neoliberalen Hardliner laufen Sturm gegen die „Eisenbahnromantiker“, die mit dem „Gerede von Infrastrukturauftrag und Daseinsvorsorge“ den neuen Börsenkandidaten „wie eine Pony-Bahn im Bauernhofmuseum“ (Wirtschaftswoche) behandeln wollten. Ein ähnliches Bild bietet sich bei der Post. Hier wird der gerade erst ausgehandelte gestaffelte Mindestlohn von 8,00 bis 9,80 Euro für Briefzusteller schon wieder in Frage gestellt, auch von Teilen der Bundesregierung mit Wirtschaftsminister Glos an der Spitze. Der vor kurzem gegründete Verband privater Zustelldienste verlangt eine Absenkung des Mindestlohns auf höchstens 7,50 Euro. Für die bisherigen Postbeschäftigten wäre das eine drastische Verschlechterung. Und auch im Kliniksektor rumort es wieder: Die angestellten Ärzte beklagen, dass die jüngsten Tarifverträge in der Praxis keine Verbesserung gebracht hätten und diskutieren teilweise über neue Streikmaßnahmen. Bald könnten auch die „Postromantiker“ und die „Arztromantiker“ zur Zielscheibe für die Privatisierungsromantiker werden. Die Denunziation zweifellos vorhandener berufsständischer Interessengesichtspunkte verschleiert, dass diese gleichzeitig eine letzte Barriere gegen die totale Ökonomisierung der ehemaligen „Daseinsvorsorge“ bilden, weil die großen Gewerkschaften gegenüber der Privatisierungspolitik versagt haben. Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass die betriebswirtschaftlichen Kostensenkungs-Imperative bei den „entgesellschafteten“ Infrastrukturen in der Kombination von Hochpreis- und Niedriglohnpolitik zu einer Absenkung der Qualität geführt haben. Fehlt nur noch, dass die Skandalisierung dieses Trends als „Qualitätsromantik“ angeprangert wird. Die verschärfte Auseinandersetzung um die Tarife im Zuge der Privatisierung öffentlicher Dienste hat Methode, denn dieser Sektor war bislang ein Nachzügler in Sachen Auslagerung und Billiglohn. Jetzt sollen die Bremsen gelöst werden; die Telekom hat es ja vorgemacht. Es geht um eine Angleichung an die gesellschaftliche Verarmungstendenz. Auch die gepriesenen Beschäftigungseffekte in der Industrie, die von der einseitigen und defizitären asiatischen Exportkonjunktur mitgetragen wurden, gingen hauptsächlich auf das Konto von schlechter bezahlter Zeitarbeit und befristeten Verträgen. Nachdem sich der Konjunkturhimmel durch die vom Immobiliensektor ausgehende Finanzkrise eingetrübt hat, deren Höhepunkt erst 2008 kommen dürfte, ist die nächste Entlassungswelle zu erwarten mit verstärktem Druck auf das allgemeine Lohnniveau. Da ist der ernsthafte Widerstand gegen Niedriglohn und Leistungshetze bei einem Teil der Bahnbeschäftigten den Global Players ein Dorn im Auge. Die unzufriedenen übrigen Servicebediensteten der Bahn betrachten die Lokführer durchaus nicht als „Verräter“. Laut Medienberichten heißt es allenthalben: „Die trauen sich wenigstens was“. Die Frage ist, wer sich sonst noch etwas traut. Wenn die GDL genauso das Gesicht verliert wie Verdi bei der Telekom, ist der nächste Damm gebrochen. Das wäre ein Signal für die soziale Resignation im großen Maßstab. |