Startseite Krise und Kritik der Warengesellschaft


erschienen im Neuen Deutschland
am 23.11.2007

Robert Kurz

WUNDER DAUERN ETWAS LÄNGER

In den meisten Weltregionen und in allen Industrieländern mit einer Ausnahme dümpelt die Konsumnachfrage vor sich hin oder trocknet aus mangels Massenkaufkraft, während die Konjunktur allein von wachsenden Exportüberschüssen getragen wird. Die Ausnahme sind die USA. Dort ist es genau umgekehrt: Allein der stetig gesteigerte Massenkonsum befeuert die Konjunktur, während die Exporte stagnieren und die Importüberschüsse astronomische Ausmaße angenommen haben. Das ist keine nationale Besonderheit, sondern ein Wechselverhältnis innerhalb des Weltkapitals. Die innere Schranke der globalen Kapitalakkumulation wäre längst in eine allgemeine Absatzkrise umgeschlagen, würden die USA nicht die überschüssige Warenproduktion aus aller Welt aufsaugen. Dieses „Konsumwunder“ der US-Ökonomie war es, das bislang alle Krisenerscheinungen aufgefangen hat; angefangen vom Platzen der japanischen Finanzblase Ende der 80er Jahre über die Asienkrise der „Tigerländer“ Mitte der 90er Jahre bis zur Argentinienkrise und zum Zusammenbruch der „New Economy“ nach der Jahrhundertwende.

Je mehr sich eine plumpe „antiamerikanische“ Ideologie rechter wie linker Provenienz in der Welt ausbreitet, desto abhängiger wird dieselbe kapitalistische Menschheit davon, dass die US-Konsumenten die angestaute Weltkrise durch Verknuspern der Warenüberschüsse in Schach halten. Das „Wunder“ dieser Voodoo-Ökonomie beruht bekanntlich auf einer inneren und äußeren Mega-Verschuldung. Um die Außendefizite zu decken, benötigen die USA täglich einen Netto-Kapitalzufluss von 2 bis 4 Milliarden Dollar. Die innere Verschuldung der privaten Haushalte beläuft sich auf fast 14 Billionen (!) Dollar, nicht weniger als 136 Prozent der nominellen Einkommen. Aber auch der militärische Weltmacht-Status kann diese Diskrepanz nicht auf Dauer erhalten; der „Payday“ lässt sich nicht ewig aufschieben. Allerdings mahlen die Mühlen der Krise relativ langsam. Käufe und Zahlungen fallen durch globale Finanzmechanismen zeitlich zunehmend auseinander. Und die Zirkulation des Kapitals in seinen verschiedenen Erscheinungsformen als Produktions-, Waren- und Geldkapital nimmt Jahre in Anspruch, zusätzlich gestreckt durch Kreditketten.

„Wunder“ dauern deshalb etwas länger, als es die schiere Logik zu erlauben scheint. Trotzdem wird die Krise der US-Verschuldung allmählich reif. Ein Ausdruck des Zuflusses von Geldkapital ohne Realinvestitionen war der langjährige fiktive Wertzuwachs von Immobilien gewesen, der für die Konsumenten als Geldmaschine diente trotz langfristig gesunkener Reallöhne. Das Platzen dieser Blase seit Anfang 2007 hinterlässt nun eine wachsende Masse fauler Hypothekenkredite, ablesbar am milliardenschweren Abschreibungsbedarf der Banken, der sich fast schon im Wochentakt steigert. Weil die US-Notenbank auf die Probleme mit einseitigen Zinssenkungen reagiert hat und damit der Dollarkurs verfällt, ist im 3. Quartal 2007 der Zufluss von globalem Geldkapital ins Stocken gekommen. Die Finanzierung der Importüberschüsse beginnt zusammenzubrechen. Gleichzeitig greift in der US-Binnenökonomie die Krise der Hypothekenkredite auf die Kreditkartenschulden über, in die viele bedrängte Privathaushalte ausgewichen sind. Erst 2008 und 2009 wird das wahre Ausmaß der US-Konsumschuldenkrise zum Vorschein kommen. Das herangerückte Ende des „Konsumwunders“ in den USA ist aber identisch mit dem Ende der Exportüberschüsse im Rest der Welt. Alle Krisen der 90er Jahre werden wiederkehren und sich bündeln.