Krise und Kritik der Warengesellschaft |
erschienen im Neuen Deutschland Robert KurzINDUSTRIELLE SCHEINBLÜTEAufschwung ade, so liest sich nun auch das aktuelle Konjunkturbarometer des IFO-Instituts. An der Masse der Beschäftigten ist die mediale Euphorie der vergangenen Monate ohnehin spurlos vorbeigegangen. Mit einer Ausnahme: Die deutsche Paradeindustrie des Maschinenbaus erlebt immer noch einen Boom, der tatsächlich an Wirtschaftswunderzeiten erinnert. Die Flut der Aufträge staut sich mit Lieferzeiten bis zu zwei Jahren; die mittelständisch strukturierte Branche ist restlos ausgebucht. Nachgefragt wird die gesamte Palette der Erzeugnisse von Stahlpressen bis zu automatischen Werkzeugmaschinen. Die Beschäftigung steigt kontinuierlich an; allein seit 2005 sind 70.000 neue Arbeitsplätze entstanden. Dabei zeigt sich allerdings eine tiefe Spaltung in der industriellen Struktur. Während der Maschinenbau floriert wie seit Jahrzehnten nicht mehr, nimmt die Deindustrialisierung in anderen Sektoren immer größere Ausmaße an. Es gibt keinen Ausgleich zwischen den beiden „Abteilungen“ der industriellen Produktion, wie es Marx im „Kapital“ als Bedingung für die Akkumulation beschrieben hatte. Dem Boom bei der Produktion von Produktionsmitteln (Abteilung I) steht die Stagnation bei der Produktion von Konsumgütern (Abteilung II) gegenüber. In der Konsumgüterindustrie drohen weitere Werksschließungen und Auslagerungen. Die Spaltung ist auch eine soziale. Im Maschinenbau steigen die Löhne, es gibt fette Zulagen, Prämien und Weihnachtsgelder. In der Konsumgüterindustrie dagegen gehen die Streichorgien weiter; selbst die Kernbelegschaften werden von der Prekarisierung erfasst. Unter dem Strich geht die Rechnung nicht auf, weil der Maschinenbau viel zu klein ist, um die Gesamtwirtschaft tragen zu können. Außerdem konzentriert er sich auf wenige Regionen, vor allem in Baden-Württemberg. Es scheint eine winzige neue Arbeiteraristokratie zu entstehen, während die Masse der alten degradiert wird. Das ist aber nur eine Momentaufnahme. Der Absatz des deutschen Maschinenbaus hat sich seit Beginn des Booms im Zuge der Globalisierung dramatisch verlagert. Abnehmer sind immer weniger die Konsumgüterindustrien in der BRD selbst, in Europa und den USA, sondern zunehmend die Ölförderländer mit Russland an der Spitze, vor allem aber Indien und China. Dort verläuft die ungleichmäßige Entwicklung der beiden industriellen Abteilungen genau umgekehrt. Als Drehscheibe transnationaler Wertschöpfungsketten exportiert China einseitig eine Flut von Konsumgütern, Russland ebenso einseitig Öl und Gas. Gleichzeitig muss ein Großteil der erforderlichen Produktionsmittel importiert werden, weil die Fertigungstiefe kaum verbessert werden konnte. Allein dadurch ist der deutsche Anteil am globalen Maschinenexport auf fast 20 Prozent gestiegen. Wenn die „Wirtschaftswoche“ schwärmerisch vom „zentralen Zahnrad im Motor der Weltwirtschaft“ und vom „goldenen Zeitalter“ des deutschen Maschinenbaus auf Jahrzehnte hinaus spricht, ignoriert sie freilich den globalen Zusammenhang der Ungleichmäßigkeit im Verhältnis der beiden industriellen Abteilungen. Sobald der defizitäre Kreislauf der einseitigen Exportströme von Konsumgütern und Energie durch die heranreifende Finanzkrise zum Stehen kommt, wird es für den Maschinenbau Stornierungen im Bestellvolumen nur so hageln. Die Diskrepanz in der Entwicklung von Produktionsmittel- und Konsumgüterproduktion beruht auf einem nicht durchhaltbaren globalen Verschuldungsprozess. Der Boom des Maschinenbaus ist daher nur eine minoritäre industrielle Scheinblüte in der Krise. |