Krise und Kritik der Warengesellschaft |
erschienen in der Wochenzeitung "Freitag" Robert KurzNIE WIEDER VOLKSKAPITALISMUSDer lange Katzenjammer nach dem Telekom-DesasterWer erinnert sich noch? In den 90er Jahren war der Aktienhype der große Schlager. Die deutsche Biedermeierei mutierte zur Zockergemeinde. Handwerker und Hausfrauen, Ökobauern und Opas lagen im Börsenfieber; die Handys liefen heiß. Kein Stammtisch, der nicht aus selbsternannten Schnäppchenexperten bestand. Mit roten Ohren hofften alle auf das schnelle Geld. Da kam der Börsengang des ehemaligen Staatskonzerns Telekom gerade recht. Mit mehr als einer Milliarde Aktien, die in drei Tranchen von 1996 bis 2000 ausgegeben wurden, war es die größte Emission in der deutschen Börsengeschichte. Es gab einen Ansturm wie beim Sommerschlussverkauf. Schon bei der ersten Tranche im November 1996 schlugen rund 1,9 Millionen Privatanleger zu. Wer zu spät kam, ging leer aus und weinte ins Kissen. Die glorreiche Vision eines neuen Volkskapitalismus von geldschwangeren Volksaktionären machte die Runde. Vom Konsumboom bis zur Altersvorsorge sollte allen Ernstes ein gutes Leben aus unendlichen Kurssteigerungen finanziert werden, die schon für das nächste halbe Jahrhundert hochgerechnet wurden. In seinen T-Werbespots schlug der Schauspieler Manfred Krug vor, die neue Volksaktie im Depot reifen zu lassen wie edlen Rotwein. Die Sektkorken knallten, als das T-Papier im Frühjahr 2000 kurz vor der Ausgabe der dritten Tranche einen Rekordstand von 104,87 Euro erreichte. Von da an reifte der Wein jedoch in atemberaubendem Tempo zu Essig. Anfang April 2008 lag der Kurs bei gerade noch 11,18 Euro. Bis jetzt wurden nach Angaben der „Wirtschaftswoche“ satte 267 Milliarden Euro T-Börsenwert verbrannt. Und es könnte noch viel weiter abwärts gehen. Die globale Finanzkrise droht auf die Realwirtschaft umzuschlagen; betroffen sind nicht zuletzt die Elektronik- und Telekommunikations-Konzerne, für die schwere Gewinneinbrüche erwartet werden. In den USA musste General Electric bereits die Hosen herunterlassen. Seit Anfang 2008 haben die großen Börsen-Indizes den fiktiven Wertzuwachs von mehr als einem Jahr verloren, der im Zuge des ebenso fiktiven „finanzgetriebenen“ Aufschwungs erzielt wurde. Aber da war die Telekom schon nicht mehr dabei. Mit der T-Aktie kann man eigentlich nur noch Toilettenpapier sparen. Die Reaktion auf das Fiasko der vermeintlichen Volksaktie im besonderen und auf die größte Finanzkrise seit den 30er Jahren im allgemeinen ist bezeichnend. Was sind die Banker und Spitzenmanager? „Gierige Haie“ selbstverständlich. Was sind die Politiker? Gemeine Betrüger, wie man schon immer wusste. Und was sind die hitzigen kleinen Zocker von gestern? Natürlich die unschuldigen Geprellten und Opfer. Sie wurden manipuliert und über den Tisch gezogen. Nicht die kritische Reflexion macht sich Luft, sondern die Massenselbsttäuschung schlägt in das kleinbürgerliche Ressentiment eines langen Katzenjammers um. So hat sich der größte deutsche Börsengang in das größte Wirtschaftsverfahren aller Zeiten verwandelt. Nach US-amerikanischem Muster wurde eine Sammelklage auf den Weg gebracht. 900 Anwälte vertreten 17.000 wütende Kleinaktionäre, die kapitalistische Gerechtigkeit fordern. Bei der ersten Tranche des Börsengangs soll die Telekom ihre Immobilien zu hoch bewertet und bei der dritten Tranche die geplante Übernahme des US-Mobilfunkunternehmens Voicestream nicht im Börsenprospekt erwähnt haben, obwohl diese mit einer hohen Verschuldung verbunden war. Es gibt keine kapitalistische Krise, sondern nur Managementfehler und Gaunereien. Verschuldet sind zwar sowieso alle und alles, aber Schuldige wird man doch wohl zu finden wissen. Ob speziell von der Telekom die geforderten 80 Millionen Euro Schadenersatz einzutreiben sind, steht allerdings in den Sternen. Das Urteil im Mammut-Prozess wird frühestens 2010 erwartet. Bis dahin muss der Wert der Telekom-Immobilien von 1996 in einem komplizierten Gutachterverfahren nachträglich geschätzt werden. Das wird etwa 20 Millionen Euro kosten. Immerhin sind auf diese Weise auch die Arbeitsplätze der Anwälte und ihrer Kanzleibeschäftigten vorerst gesichert. Während in der Wirtschaftspresse unglaubwürdige Rezepte feilgeboten werden, wie Kleinanleger sich selbst schützen können, hat die Idee der Volksaktie ihren Geist ausgehaucht. Inzwischen kauft nur noch eine Handvoll Unentwegter solche Papiere, weniger als Anfang der 90er Jahre. Nicht einmal SPD-Chef Kurt Beck wagt beim ohnehin umstrittenen Börsengang der Bahn AG den Begriff mehr in den Mund zu nehmen. Der Staatskapitalismus ist tot, der Volkskapitalismus ist tot, und dem klassischen Privatkapitalismus ist auch schon schlecht. Irgendwie scheinen den Konzeptfabriken für Kapitalismusbewältigung die „Modelle“ auszugehen. Vielleicht sollte man sie auf Schadenersatz für enttäuschte Illusionen verklagen. |