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erschienen im Neuen Deutschland
am 23.05.2008

Robert Kurz

MIT ROSA BRILLE SIEHT MAN BESSER

Vor kurzem war es noch die Mutter aller Finanzkrisen - und auf einmal löst sich alles in Wohlgefallen auf. In seinen jüngsten Interviews sagt Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank, die von den US-Hypothekenkrediten ausgegangene Feuersbrunst nähere sich ihrem Ende. Die Auswirkungen auf die Realwirtschaft seien erträglich, Anzeichen für eine Weltwirtschaftskrise gebe es keine. Die Investmentbanker, soweit sie nicht gefeuert wurden, raten ihrer Kundschaft auch schon wieder zum Einstieg in nette Derivate; schließlich müssen sie von irgendetwas leben und ihren Porsche abbezahlen. Mit rosa Brille hat man die besten Aussichten, alles war halb so wild. Dank der Geldschwemme der Notenbanken und der aggressiven US-Zinssenkungen ist genügend Liquidität im Markt, um das erschlaffte Kreditsystem erneut aufzublasen. Das geht allerdings schon über ein Jahr so. Im Monatstakt gab es Entwarnungen, und dann kam jedes Mal die nächste Schockwelle.

Tatsächlich liegen die Schätzungen des Abschreibungsbedarfs allein infolge des Zusammenbruchs des US-Hypothekenmarkts bei einer Billion Dollar. Davon sind bis jetzt erst 344 Milliarden Dollar ausgewiesen. Ein Großteil der Verluste ist noch gar nicht in den Bilanzen erschienen, weil die Banken und Finanzdienstleister die Abschreibungen verstecken und verschleppen. Ausgewiesen wurde nur der Wertverlust bei kurzfristigen Positionen, die akut unhaltbar geworden sind. Langfristige mit Hypotheken verbundene Anleihen dagegen stehen weiter zu ihrem Nominalwert in der Bilanz (vermutlich auch bei der Deutschen Bank), obwohl sie niemand kaufen will. Die Hoffnung, dass die Bewertung dieser Papiere wieder steigt, wenn sich die Finanzmärkte „normalisieren“, ist jedoch ziemlich blauäugig. Die Voraussetzung wäre, dass sich der US-Immobilienmarkt rasch erholt, wofür es gar keine Anzeichen gibt. Überdies steht die Krise des US-Kreditkartensystems noch aus. Viele notleidende Immobilienbesitzer haben auf diesem Weg erst einmal umgeschuldet. Damit wurde jedoch das weitere Durchschlagen der Kreditkrise nur hinausgeschoben.

Vor allem aber hat sich die unvermeidliche Rückwirkung auf die US-Konjunktur, die zu mehr als 70 Prozent vom Konsum getragen wird, noch längst nicht in vollem Ausmaß realisiert. Seit 2002 war das „Konsumwunder“ hauptsächlich von Krediten mittels der Immobilienblase gefüttert worden. Es ist überhaupt nicht ersichtlich, woher nach dem Platzen dieser Blase bei einer bereits von Monat zu Monat steigenden Arbeitslosigkeit die Kaufkraft kommen soll, um den konjunkturellen Einbruch aufzufangen. Spargelder können nicht einspringen, denn sie existieren in keinem nennenswerten Umfang. Die bis Mitte Juli in Kraft tretenden Steuernachlässe mit einem Volumen von 100 Milliarden Dollar, die von der US-Regierung 130 Millionen Haushalten gegeben werden, sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Gegenwärtig stehen sowohl die Rezessions- als auch die Inflationserwartungen in den USA auf dem höchsten Stand seit 30 Jahren. Angesichts dieser Sachlage wird sich das Dilemma der Notenbank in den kommenden Monaten erst zeigen, denn sie kann die Zinsen nicht gleichzeitig senken und erhöhen. Trotz massiver Hilfe mit Liquiditätsspritzen und Steuergeldern sind weltweit weder die Bilanzen saniert noch ist der Rückschlag auf die Realwirtschaft in die Finanzmärkte „eingepreist“. Dem neuen Rosa-Brillen-Optimismus dürfte kein langes Leben beschieden sein; der nächste Pessimismus-Anfall von Josef Ackermann ist vorprogrammiert.