Krise und Kritik der Warengesellschaft |
erschienen im Neuen Deutschland Robert KurzENTZAUBERUNG DER WACHSTUMS-STARSAsien und Osteuropa galten in den letzten Jahren mit teilweise zweistelligen Wachstumsraten als „die“ Boomregionen der Weltwirtschaft. Wenn auch die Bedingungen im einzelnen unterschiedlich sind, lassen sich doch einige Gemeinsamkeiten der vermeintlichen Wunderländer feststellen. Das Turbo-Wachstum ist eine optische Täuschung, weil die Ausgangsbasis sehr niedrig war; in Asien aufgrund einer strukturellen Unterentwicklung mit relativ hohen Anteilen der Landwirtschaft am Sozialprodukt, in Osteuropa aufgrund der brutalen Deindustrialisierung nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus. Schon in der Vergangenheit waren hohe Wachstumsraten mit niedriger Ausgangsbasis immer wieder eingebrochen, etwa in Lateinamerika. Sowohl für Asien als auch für Osteuropa kommt hinzu, dass die schnellen Steigerungsraten nicht mehr auf einer kohärenten nationalökonomischen Entwicklung beruhten, sondern auf der problematischen Einbindung in globale Wertschöpfungsketten westlicher Konzerne. Die Folge war in beiden Fällen ein Auseinanderklaffen von Billiglohn-Exportstrukturen im Rahmen der Globalisierung einerseits und fortschreitendem Abbau der alten Binnenökonomie mit großen Armutspotentialen andererseits. Jetzt erlebt die bereits für Jahrzehnte blauäugig hochgerechnete Wachstumseuphorie ihre ersten Dämpfer. Die globale Defizitkonjunktur wurde von einer Dollarschwemme befeuert, losgetreten von der US-Notenbank. Damit wird das Weltwährungssystem inflationiert, teils durch direkte Anbindung an den Dollar wie in Asien, teils durch die indirekten Wirkungen über den Import von Öl oder von Produktionskomponenten. Während sich die Inflation in der EU der 4-Prozent-Marke nähert und diese in den USA bereits überschritten hat, werden die Wachstums-Stars in Asien und Osteuropa mit noch größerer Wucht getroffen. In China, Indien, Indonesien und Thailand ist die Inflation bereits auf rund 10 Prozent geklettert, in Vietnam auf stolze 25 Prozent. Die baltischen „Tiger“ liegen bei über 10 Prozent, Lettland schon bei 18 Prozent Inflation, und Rumänien hat soeben 8 Prozent überschritten. Überall führten die unerträglich steigenden Lebenshaltungskosten bereits zu Unruhen. In Vietnam gab es mehr als 300 Streikbewegungen, in Rumänien streikten die Beschäftigten des von Renault übernommenen Autoherstellers Dacia und des deutschen Zulieferers Leoni, in Lettland drohen die Seeleute mit Streik. Teilweise wurden 30 Prozent Lohnerhöhung durchgesetzt. Damit verfällt die Billiglohn-Option für westliche Investoren rapide. Im Baltikum ist das Wachstum im ersten Quartal 2008 praktisch zum Stillstand gekommen. Für Vietnam zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab. Diese Länder sind zu Sturmvögeln der Krise geworden, noch bevor die globale Defizitkonjunktur durch den bevorstehenden Einbruch des US-Konsums ihr Ende gefunden hat. Während das Strohfeuer in Osteuropa zu erlöschen beginnt, fällt auch der Handelsüberschuss Asiens nach Angaben von US-Bankern „wie ein Stein“. Ohne China gerechnet ist er im ersten Quartal 2008 bereits um 30 Milliarden Dollar zurückgegangen. In Finanzkreisen geht das Gespenst einer neuen Asien-Krise um, weil die Inflation Währungs-Aufwertungen und Zinserhöhungen zu erzwingen droht. Bis jetzt werden die Lähmungserscheinungen in den kleineren Ländern Asiens und Osteuropas nur am Rande wahrgenommen, weil sich das Schwungrad des pazifischen Defizit-Kreislaufs zwischen China und den USA noch dreht. Aber das kann sich schon bald dramatisch ändern. |