Krise und Kritik der Warengesellschaft |
erschienen in der Wochenzeitung "Freitag" Robert KurzSPARWUT UND ZINSDILEMMADie Geldpolitik reagiert nur noch hilflos auf die StagflationDas Spiel ist noch nicht aus. In der Nachspielzeit der globalen Defizitkonjunktur hofft Arbeitsminister Scholz weiter auf die Vollbeschäftigung, die mit den glorreichen Hartz-Reformen auf den Weg gebracht worden sei. In Wirklichkeit waren es Finanzblasen und Verschuldungsorgien, die das Wachstum der letzten Jahre gefüttert hatten. Jetzt kommt die Quittung in Gestalt der weltweiten Inflation. Schon 50 Länder weisen zweistellige Raten auf; betroffen sind 42 Prozent der Weltbevölkerung. Schweden, Norwegen, Indien und Mexiko hatten jüngst mit Zinserhöhungen der Notenbanken reagiert. Im Euro-Raum lag die Inflation im Juni bei 4 Prozent, doppelt so hoch wie die Zielmarke der Geldpolitik. Die Europäische Zentralbank hat daraufhin den Leitzins um 25 Basispunkte von 4 auf 4,25 Prozent heraufgesetzt. Damit liegt der Realzins wieder knapp über der Inflationsrate, in den USA nach den exzessiven Zinssenkungen im Gefolge der Finanzkrise noch weit darunter. Die Zinspolitik steckt beiderseits des Atlantiks und des Pazifiks im Dilemma. Das Öffnen der Geldschleusen in den USA, das den inflationären Prozess weltweit in Gang gebracht hat, sollte die dennoch weiter schwelende Finanzkrise auffangen, obwohl dadurch nur die Bilanzen der Banken notdürftig saniert wurden. Umgekehrt wird die Zinserhöhung, zu der sich die US-Notenbank noch nicht durchringen konnte, das Kreditwachstum bremsen und das Durchschlagen der Finanzkrise auf die Konjunktur forcieren. Um aber die Inflation wirklich einzudämmen, müssten die Notenbanken den Leitzins viel stärker anheben; und das würde die Realwirtschaft endgültig in den Absturz treiben. Die Geldpolitik reagiert nur noch hilflos auf die Stagflation. Seit sich das Zinsgefälle zwischen den USA und Europa umgekehrt hat, steigt der Euro unaufhaltsam und würgt zusammen mit dem Ölpreis allmählich die Exportwirtschaft ab, während die US-Defizite im Außenhandel mit Asien unfinanzierbar zu werden drohen. Gleichzeitig brechen die Widersprüche im Euro-Raum auf. Italien, Spanien und Frankreich laufen Sturm gegen den halbherzigen Zinsschritt der EZB, weil ihre Konjunktur schon weit tiefer eingebrochen ist als in Deutschland. Auch die Gewerkschaften schelten die EZB wegen der konjunkturdämpfenden Zinsmaßnahme, aber gleichzeitig fürchten sie sich vor dem Inflationsdruck in den kommenden Lohnrunden, der sie zu einer harten Gangart nötigen könnte. Der Staat fällt erst recht aus als Konjunkturlokomotive. Zwar sprudelten die Steuereinnahmen in den Jahren der Defizitkonjunktur, aber die Sparwut ließ nicht einmal im Bildungswesen Investitionsneigung aufkommen. Nur die Verluste der Banken wurden in Milliardenhöhe sozialisiert, um den Kollaps der Finanzmärkte zu vermeiden. Finanzminister Steinbrück hält am Ziel eines ausgeglichenen Haushalts fest und streicht seinen Kollegen die Budgets zusammen. Die Staatsfinanzen sollen ausgerechnet im Abschwung grundsolide werden. Obwohl der Neoliberalismus Bankrott anmeldet, lässt der Keynesianismus nicht mehr grüssen, weil das staatliche „deficit spending“ auch wieder die Inflation treiben würde. Das Spiel ist bald aus, so William White, Chefvolkswirt der Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), über die Finanzblasenkonjunktur der Weltwirtschaft, die ein „Exzess“ gewesen sei. Leider gab es nur durch diesen „Exzess“ Wachstum mit prekären Beschäftigungseffekten in Asien oder im deutschen Maschinenbau, während trotzdem schon die Massenarmut auf dem Vormarsch war. Wenn der faule Zauber vorbei ist, geht auch die Illusionspolitik zu Ende. Die Wahl zwischen Inflation und Rezession ist keine mehr, weil die Weltwirtschaft wahrscheinlich beides bekommt. So geht Kapitalismus, wenn es nicht mehr geht. Aber das alles, sagt das Institut der Deutschen Wirtschaft, ist bloß Psychologie. Die Notenbank muss langfristige Inflationserwartungen eindämmen, damit nicht in „Zweitrundeneffekten“ die Lohn-Preis-Spirale losgetreten werde. Wenn die Konsumenten endlich das Geld ausgeben, das sie nicht mehr haben, ist aber alles wieder in Butter. |