Krise und Kritik der Warengesellschaft |
erschienen im Neuen Deutschland Robert KurzWETTLAUF NACH UNTENDie Stärke einer Währung bezeichnet immer einen relativen Zustand. Wenn der Kurs einer Währung im Verhältnis zur anderen ansteigt, bedeutet das lehrbuchmäßig, dass die Wirtschaftskraft der jeweiligen Nationalökonomie im Vergleich zur anderen größer wird. Aber unter den Bedingungen eines hoch integrierten Weltkapitalismus stimmt das schon lange nicht mehr. Das grundlegend veränderte Bezugssystem ist in den Lehrbüchern noch nicht angekommen. Tatsächlich haben die Schwankungen der Wechselkurse kaum noch etwas mit den binnenökonomischen Kaufkraftparitäten verschiedener Länder zu tun. Vielmehr drückt der Wechselkurs inzwischen unter der Ägide der weltweiten Finanzblasen-Ökonomie den Zufluss oder Abfluss von Geldkapital aus, das zwischen den verschiedenen Währungsräumen frei flottiert. Von weltwirtschaftlicher Bedeutung ist das natürlich vor allem für das Verhältnis der zentralen Währungen. Die vergangenen Jahre waren in dieser Hinsicht durch den Absturz des Dollars vor allem gegenüber dem Euro gekennzeichnet. Diese Entwicklung beschleunigte sich unter dem Eindruck der globalen Finanzkrise, die bekanntlich vom Hypothekensystem der USA ausging. Es wurde deshalb erwartet, dass der unvermeidliche Rückschlag auf die reale Konjunktur die USA besonders hart treffen würde. Die Euro-Zone dagegen, so die Fama, könne sich vom Einbruch in den USA emanzipieren, weil die asiatischen und osteuropäischen Schwellenländer ohne weiteres in der Lage wären, die Rolle der Lokomotive für die Weltkonjunktur zu übernehmen. Dieser Berufsoptimismus war mehr als blauäugig. Plötzlich schien die Globalisierung und die damit verbundene Abhängigkeit der einseitigen Exportströme vom verschuldeten „Konsumwunder“ der USA in Vergessenheit zu geraten und man unterstellte relativ autonome Wirtschaftsräume in Asien und Europa. Wie nicht anders zu erwarten, blamierte sich dieser hoffnungsvolle Glaube nach kurzer Zeit. Der von den USA ausgehende Abschwung hat bereits die gesamte EU und Japan erfasst und zeichnet sich auch für die asiatischen und osteuropäischen Schwellenländer ab. Binnen weniger Wochen schnellte der Dollarkurs gegenüber dem Euro und dem Yen nach oben. Die Erwartungen haben sich ebenso schnell ins Gegenteil verkehrt. Jetzt heißt es auf einmal, der konjunkturelle Einbruch werde vor allem in Europa und Asien stattfinden, während die USA das Schlimmste bereits hinter sich hätten, bevor es überhaupt eingetreten ist. Die neue Lokomotive, so der Chor der Entwarnungspropheten, wird ganz die alte sein; und alsbald soll es dank der berappelten US-Ökonomie wieder allgemein aufwärts gehen. Allerdings kann niemand angeben, wo die Kaufkraft für die zu 70 Prozent vom Konsum abhängige Konjunktur in den USA herkommen soll. Nach der Verstaatlichung der großen US-Hypothekenbanken droht das Defizit des US-Staatshaushalts surreale Ausmaße anzunehmen. Der Zufluss aus den Devisenreserven der Schwellenländer kann nicht mehr den Konsum füttern, sondern höchstens die staatlichen Anleihen zur Finanzierung der Abschreibungen im US-Bankenwesen. Die Schwankungen der Wechselkurse finden in dieser Situation vor dem Hintergrund einer absoluten Schwäche des Weltkapitals statt, dem die Zufuhr aus den Finanzblasen abhanden kommt. Es ist sozusagen ein Wettlauf nach unten, in dem die Währungsparitäten bloß markieren, wer aktuell am meisten von Abschwung betroffen zu sein scheint. Für die reale Weltkonjunktur gibt es nur noch Geisterlokomotiven in der Phantasie der Ökonomenzunft. |