Krise und Kritik der Warengesellschaft |
Der folgende Text ist in der Redaktion am 13.09.2008 zugegangen. Zwei Tage später ist es mit den darin konstatierten Optimismus-Anfällen schon wieder vorbei. Die im Text gestellte Diagnose scheint sich schneller zu erfüllen als vorauszusehen war. Christian MielenzOptimismus-AnfälleDer US-Staat soll nun retten, was nicht nicht mehr zu retten istDie US-Wirtschaft und mit ihr die Weltkonjunktur fallen zunehmend wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Keine Woche, in der nicht ein weiteres Kreditinstitut in finanzielle Nöte gerät oder schlechte Wirtschaftsdaten gemeldet werden. Allein in den USA ist die Arbeitslosenquote mittlerweile wieder auf dem Stand von 2003 (6,1%, 84000 Stellen im August abgebaut), die Hausverkäufe gehen weiter zurück (-3,2% für Juli gegenüber dem Vormonat), die Einzelhandelsumsätze sind im August weiter gefallen (-0,3% gegenüber dem Vormonat), die Zahl der noch nicht zurückgezahlten Konsumentenkredite wächst und wächst (+4,5 Mrd. US-Dollar allein im Juli), die Inflation nimmt weiter zu (Verbraucherpreise im August +0,8% gegenüber dem Vormonat) und das Handelsdefizit der USA hat einen neuen Rekordstand erreicht (62,2 Mrd. US-$). Hinzu kommen die Bankenpleiten der letzten Monate: Nicht erst seitdem das berühmte traditionelle Investmenthaus Bear Stearns im März dieses Jahres vor einem Kollaps bewahrt und daher aufgekauft werden musste, straucheln und fallen weitere Banken. Am letzten Wochenende mussten die beiden größten Hypothekenfinanzierer Freddie Mac und Fannie Mae wegen Konkursgefahr faktisch verstaatlicht werden. Die erste Sichtung der Bilanzen beider Institute durch den Staat zeigten sogar Bilanzmanipulationen auf. Erstaunlich ist, dass ein solcher massiver Staatseingriff gerade in einem Hochland des Neoliberalismus durchgeführt wurde, von einer konservativ-marktgläubigen Regierung; und das auch noch so schnell. Das zeigt nur, wie gravierend die Krise an den Finanzmärkten bereits durchgeschlagen haben muss. Mehrheitlich vertreten die Ökonomen mittlerweile die Meinung, dass die Alternative zur Quasi-Verstaatlichung beider Hypothekenbanken wohl nur die Insolvenz beider Institute und damit (wieder einmal) eine Kernschmelze des Finanzsystems wäre. Am 6. September musste dann die elfte Bank in diesem Jahr Insolvenz anmelden (Silver State Bank). Das neueste berühmte Opfer der Finanzkrise ist das Kreditinstitut Lehman Brothers. Innerhalb einer Woche verschlechterten sich Aktienkurs, Finanzlage des und Vertrauen in das Unternehmen so dramatisch, dass Lehman Brothers sich mittlerweile auf einem Silbertablett zum Verkauf anbietet. Damit hat diese Bank bislang wenig Erfolg gehabt. Reihenweise sind Interessenten, unter Anderem die südkoreanische KDB, von den Übernahme-Verhandlungen mit Lehman Brothers abgesprungen – wohl auch deshalb, weil erstens niemand sich die Finger mit der Übernahme eines hochverschuldeten und mit faulen Krediten überhäuften Unternehmens verbrennen will und zweitens die Interessenten womöglich durch die Finanzkrise in eigene Schwierigkeiten geraten sind. Die nächsten Opfer der Finanzkrise stehen auch schon bereit: Dem Finanzunternehmen Washington Mutual droht nun auch die Pleite, ebenso wie der viertgrößten Bankgesellschaft in den USA, Wachovia. Weitere Pleitekandidaten sind die Investmentbank Merril Lynch und das Kreditkarteninstitut AIG. Und auch in der Realwirtschaft geht es abwärts: Das PC-Unternehmen Dell plant infolge eines „massiven Gewinneinbruchs“ (ftd) den Verkauf aller hauseigener Fabriken. Der Autohersteller General Motors gar ist ebenfalls von einer Insolvenz bedroht und fleht die US-Regierung um finanzielle Unterstützung für den gesamten amerikanischen Automarkt an. Und auch in Europa und dem Rest der Welt sieht es nicht besser aus: In England und Spanien brechen die Immobilienmärkte ebenfalls ein, Australien steht kurz vor einem Immobilien-Crash (Zahl der Baugenehmigungen im Juli -2,3% gegenüber dem Vormonat). In mehreren europäischen Ländern geht die Industrieproduktion zurück, darunter Italien, Ungarn und Österreich. Insgesamt ist die Industrieproduktion in der EU im Juli 2008 gegenüber dem Vormonat saisonbereinigt um 0,3% gefallen. Außerhalb Europas stottert nun auch der chinesische Wachstumsmotor (das Wachstum der Industrieproduktion in China hat sich im August verlangsamt). Die Liste ließe sich weiterführen, weist jedoch im Wesentlichen darauf hin, dass es weltweit keine Region gibt, weder China noch Europa, die von der Finanzkrise in den USA unbehelligt bleibt und bleiben wird. Gründe für einen massiven Krach an den Finanzmärkten gäbe es also genug. Tatsächlich haben sich die Weltbörsen von den Schreckensnachrichten der letzten Wochen erstaunlich (auch aus Sicht vieler Ökonomen und Anleger) unbeeindruckt gezeigt. Zwar fallen die Aktienkurse der Pleitekandidaten. Der Aktienkurs von Lehman Brothers ist innerhalb eines Tages um fast 45% eingebrochen und ist mittlerweile fast nur noch einen Dollar wert. Aber trotz neuer Horrornachrichten aus dem Bankensektor, kombiniert mit schlechten Nachrichten aus der Realökonomie, legten die amerikanischen Börsen-Indizes zu. Auf die Verstaatlichung der beiden FM's am letzten Wochenende reagierten die Weltbörsen mit einem Kursfeuerwerk. Und auch die Nachricht von der nächsten Pleite einer berühmten Investmentbank – Lehman Brothers – schockierte die Börsen nicht, sondern verhalf den Indizes sogar ins Plus. Der Euro hingegen ist im Laufe der letzten Woche gefallen und sank unter 1,40 $, ebenso fiel der Ölpreis (WTI unter 100$). Unterm Strich verhalten sich die Weltbörsen derzeit genau entgegengesetzt zu den Negativnachrichten aus der Realökonomie. Denn obwohl eine Verstaatlichung von Hypothekeninstituten in den USA ein Zeichen für die Dramatik der Krise der US-Wirtschaft darstellt, hegt so manch einer offenbar Hoffnung, dass mit der faktischen Verstaatlichung von Freddie Mac und Fannie Mae nicht nur das Schlimmste überstanden sei, sondern dass der US-Staat gewissermaßen als 'lender of last resort' die Immobilienblase wieder neu entfachen kann. Wenn der Staat für die Ausfälle am Immobilienmarkt reagiert, so die Hoffnung, dann könnten wieder seelenruhig die Subprime-Kredite verhökert werden und ein 'turn-around' in Gang kommen, der der Finanzkrise ein Ende setzt. Ebenso hofft man bei Lehman Brothers darauf, dass im Falle eines Konkurses dieses Investmentunternehmens der Staat einspringen wird. Gemäß der Parole 'too big to fail' können sich die Unternehmen daher auf den Staat stützen, der sie vor einer Pleite bewahren wird. Diese Hoffnung ist allerdings trügerisch. Die Risikoübernahme von faulen Krediten und insolvenzbedrohten Unternehmen durch den Staat verschärft die Finanzkrise nur noch weiter, da die gestützten Unternehmen nun noch höhere Risiken eingehen und somit die Gefahr weiterer Bankenpleiten erhöhen. Die Übernahme der Schulden und faulen Kredite der jeweiligen Unternehmen dürfte für den US-Staat zum Fiasko werden, da sein Schuldenstand damit steigt. Bereits das von der Bush-Regierung geschnürte Konjunkturpaket im Frühjahr 2008 kostete 150 Mrd. US-Dollar. Der Präsidentschaftskandidat Barack Obama will im Falle eines Wahlsieges ebenfalls der Konjunktur wieder auf die Beine helfen, was womöglich zusätzliche 50 Mrd. US-$ kosten wird. Und die Rettung von Freddy Mac und Fannie Mae könnte bis zu 200 Mrd. US-$ kosten. Aber die staatlichen Institionen haben nicht unbegrenzt Geld zur Verfügung, sondern verschulden sich selbst über die Finanzmärkte (Staatsanleihen, Schatzbriefe etc.). Sollten die US-Schulden mit den Verstaatlichungen und Risikoübernahmen weiter ansteigen, ist es dem Staat früher oder später noch nicht einmal mehr möglich, seine eigenen Gläubiger aus seinen Einnahmen (Steuergelder etc.) zu bezahlen. Dem US-Staat droht also selbst der Bankrott, da er sich mit der Schulden- und Kreditbürgschaft übernimmt; auch zusätzlich noch durch den Verlust der Kreditwürdigkeit. Der staatliche Einlagensicherungsfonds FDIC, der eigentlich den Banken in Krisenzeiten Sicherheit geben soll, wird bereits von der Finanzkrise in Mitleidenschaft gezogen und muss sich womöglich selbst Geld beim US-Finanzministerium leihen, weil die Sparguthaben der FDIC durch die Finanzkrise mittlerweile so weit aufgezehrt wurden, dass das Institut mit einem Liquiditätsengpass zu kämpfen hat. Die Masse der faulen Kredite wird also von einem Schuldner auf den nächsten umgeschichtet. Desto mehr wächst die Gefahr, dass selbst noch den ehemals vertrauenswürdigen Schuldnern der Kollaps droht. Laurence Kotlikoff, ein Finanzwissenschaftler der Universität Boston, sagt schon jetzt über die USA: „Der Staat ist im Grunde bankrott. [...] Bemerkenswert ist eigentlich nur, dass überhaupt noch ein ausländischer Anleger bereit ist, amerikanische Staatsanleihen zu halten.“ Die Enttäuschung über den 'lender of last resort' Staat ist vorprogrammiert. Quellen:Eurostat http://www.ftd.de/unternehmen/finanzdienstleister/:Chronik-Die-Opfer-der-Finanzkrise/411935.html http://www.nzz.ch/finanzen/nachrichten/angespannte_stimmung_im_us-finanzsektor_1.830645.html http://www.fr-online.de/in_und_ausland/wirtschaft/aktuell/1590236_Weitere-US-Bank-pleite.html |