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erschienen im Neuen Deutschland
am 10.10.2008

Robert Kurz

KASINO-KEYNESIANISMUS

Die größte Finanzkrise seit 1929 scheint mit einem allgemeinen Gedächtnisschwund einher zu gehen. In den letzten Jahren hatte man sich an der boomenden Weltkonjunktur begeistert, ohne zu fragen, aus welchen Quellen diese sich speiste. Jetzt auf einmal haben es alle schon immer gewusst und angeblich seit Jahren gewarnt. Schuld am Desaster seien die hemmungslose neoliberale Deregulierung der Finanzmärkte sowie die Gier, Verantwortungslosigkeit und Inkompetenz der Bankmanager. Und das sei alles ein verhängnisvolles „angelsächsisches Modell“ gewesen, wie das Böse ja schon immer aus den gestern noch gefeierten USA kommt. Dementsprechend einfach ist das Rezept: Schluss mit den neoliberalen Exzessen, zurück zum „Modell Deutschland“, zur staatlichen Regulation nach der vor Jahrzehnten abservierten keynesianischen Doktrin und zum „reellen“, „seriösen“ Arbeitsplatz-Kapitalismus. Dieselben Politiker, die auch hierzulande als neoliberale Hardliner aufgetreten waren, geben sich jetzt als keynesianisches Urgestein.

Diese Stimmungsmache ist nicht nur verlogen, sondern zeugt von einer völligen Verkennung der Tatsachen. In Wirklichkeit war die neoliberale Finanzblasen-Ökonomie eine besondere Art von keynesianischem „deficit spending“. Allerdings nicht aufgrund von Staatsverschuldung, sondern aufgrund einer finanzkapitalistischen „Vermögensinflation“; und nicht auf nationaler, sondern auf globaler Ebene. Rein ökonomisch war das Resultat dasselbe: Die aufgeblähten Finanzblasen wurden in Investitionen und Arbeitsplätze verwandelt. Im Unterschied zum alten staatlichen „deficit spending“ floss das neue finanzkapitalistische aber nicht in Infrastrukturen, sondern in transnationale Wertschöpfungsketten (Asien, Osteuropa) und in einen globalen Minderheitskonsum. Dabei entstanden Dienstleistungs-Arbeitsplätze nicht im staatlichen Gesundheits- und Bildungswesen, sondern in prekarisierten Billiglohn- und Domestiken-Sektoren sowie in den Exportindustrien (Maschinenbau). Jetzt löst sich diese zweifelhafte Herrlichkeit in Rauch auf und der kapitalistisch unproduktive Charakter der Defizitkonjunktur kommt zum Vorschein.

Natürlich war der Staat auch an diesem „Kasino-Keynesianismus“ maßgeblich beteiligt, und zwar in Form einer Geldschwemme der Notenbanken. Jetzt klagt das letzte Häuflein der Neoliberalen, damit hätte vor allem der einst hochgelobte US-Notenbankchef Alan Greenspan die neoliberale Doktrin des Monetarismus (Knapphalten der Geldmenge) verraten. Vergessen wird dabei, dass dieser „Verrat“ aus der Not geboren war. Hätte es die Geldschwemme nicht gegeben, dann wäre der Krach schon vor 10 Jahren eingetreten. Umgekehrt zeigt sich daran, wie blauäugig die Hoffnung auf eine Rückkehr zur „seriösen“ Regulierung ist. Der Staat ist jetzt dabei, die gigantische Bankrottmasse der Finanzblasen-Ökonomie zu übernehmen. Darauf könnte er bis zum jüngsten Tag sitzen bleiben. Das neue staatliche „deficit spending“ kann gar nicht mehr in große Investitionen fließen, sondern mittels Anleihen und Notenpresse nur noch in die Notverwaltung dieser Bankrottmasse, die auch durch Verlagerung in staatliche Zweckgesellschaften nicht aus der Welt zu schaffen ist. Deshalb ist nicht ersichtlich, woher ein neuer konjunktureller Aufschwung „nach der Krise“ kommen soll. Damit werden nicht bloß die Grenzen des „finanzgetriebenen“ Wachstums sichtbar, sondern die Grenzen des Wachstums überhaupt – auch des vermeintlich „reellen“, das schon lange nicht mehr existiert.