Krise und Kritik der Warengesellschaft |
erscheint im Internetmagazin "Telepolis" Robert KurzINTERVIEW MIT DER INTERNET-ZEITSCHRIFT „TELEPOLIS“Herr Kurz, Sie wurden bereits 2002 nach dem Zusammenbruch des Marktes der new economy für Telepolis interviewt. Was hat sich seitdem verändert? Damals platzte die spezielle Finanzblase des astronomisch überbewerteten Dotcom-Sektors. Der damit verbundene Börsenplatz des „Neuen Markts“ wurde liquidiert, und das führte zu einem allgemeinen Aktiencrash. Weil sich aufgrund dieses Aderlasses das Recycling von Finanzblasen-Geld in die sogenannte Realwirtschaft (Investitionen, Bau, Konsum) entsprechend verminderte, gab es eine kurze Rezessions- bzw. Stagnationsphase der Weltkonjunktur. Aufgefangen wurde diese Teilkrise durch einen Zinssenkungs-Wettlauf der Notenbanken, vor allem durch die Dollarschwemme unter der Ägide von Alan Greenspan. Auf diese Weise entstand eine neue, noch viel größere Finanzblase, nämlich die berühmte Immobilienblase in den USA und in Teilen Europas sowie Asiens. Weil die Preise für Immobilien aller Art extrem stiegen, konnten die Häuser und Wohnungen mit Hypothekenkrediten beliehen werden, die in weit größerem Umfang als die vorherigen Finanzblasen Konsum und Investitionen befeuerten. Davon wurde eine globale Defizitkonjunktur genährt, die den pazifischen Defizitkreislauf einseitiger asiatischer Exporte (als Teil transnationaler Konzernstrategien) in die USA stark erweiterte und auf der das chinesische und das indische „Wachstumswunder“ wesentlich beruht. Seit 2005 wurde davon auch die europäische Exportkonjunktur mitgenommen, nicht zuletzt der deutsche Maschinenbau. Die Aktien-Indizes stiegen weltweit fast wieder auf die alten Höchststände. Für ein positivistisches Denken, das immer nur zusammenhanglose „Tatsachen“ hochrechnet, schien sich schon eine neue Ära der Prosperität zu eröffnen bis weit ins 21. Jahrhundert hinein. Jetzt ist im Unterschied zu 2002 nicht bloß eine spezielle Blase geplatzt. Die Hypothekenkrise hat sich auf das gesamte Banken- und Kreditsystem ausgeweitet und die weitere Umschuldung des in Jahrzehnten aufgehäuften globalen Schuldengebirges grundsätzlich in Frage gestellt. Das ist viel dramatischer als der damalige Zusammenbruch des New-Economy-Segments. Deshalb werden auch die Rückwirkungen auf die Weltkonjunktur entsprechend drastischer ausfallen und der Absturz der Aktienkurse wird sich nicht mehr so leicht in eine neue lange Aufwärtsbewegung umkehren lassen. Vielfach wird der Vorwurf erhoben, einzelne böse Manager mit ihrer Habgier und sonstigen Charakterfehlern hätten die weltweite Krise am Finanzmarkt verschuldet. Andere meinen, die Krise hätte strukturelle Ursachen, die mit der steigenden Schwierigkeit der Verwertung des Kapitals zusammenhängen. Können Sie Ihre Ansicht über die gegenwärtige Finanzkrise erklären? Die Suche nach subjektiv Schuldigen ist die bevorzugte Art und Weise kapitalistischer Vernunft, auf objektive Krisen zu reagieren, weil das Selbstzweck-System der „Verwertung des Werts“ und die davon bestimmten Daseinsbedingungen die historische Grundlage dieser Vernunft bilden und für sie als „naturgegeben“ erscheinen. Die Widersprüche werden auf die individuelle „Ethik“ abgeschoben. Daran knüpfen sich ideologische Traditionen, etwa der Antiamerikanismus und der Antisemitismus. Die Krise wird dabei auf angebliche negative Eigenschaften von „Kulturen“ oder Kollektivsubjekten zurückgeführt. Aber auch diejenigen, die von „strukturellen Ursachen“ reden, sind davon oft nicht unberührt. Denn mit „Struktur“ oder „System“ ist in der Regel nicht der Kapitalismus als solcher gemeint, sondern nur ein bestimmtes „Modell“, eine bestimmte Moderations- oder Regulationsweise des blind vorausgesetzten kapitalistischen Formzusammenhangs. Deshalb wird gegenwärtig etwa ein „angelsächsisches Modell“ für die Krise verantwortlich gemacht. Aber es geht hier nicht um ein „Modell“, das auf denselben Grundlagen durch ein anderes ersetzt werden könnte, sondern um die Verwertungslogik selbst, egal unter welcher Regulationsweise oder „Wirtschaftspolitik“. Laut Marx ist die „Substanz“ von Wert und Verwertung (Mehrwert) die Verausgabung abstrakter menschlicher Energie in dieser gesellschaftlichen Form. Arbeitskraft kann aber nur auf der jeweiligen Höhe des von der Konkurrenz gesetzten Produktivitätsstandards angewendet werden. Darin liegt ein systemischer Selbstwiderspruch, der auf wachsender historischer Stufenleiter in Erscheinung tritt. Je höher die Produktivkraft durch Verwissenschaftlichung, desto geringer die Wertsubstanz der einzelnen Ware und desto größer die Vorauskosten der Produktion. Die Bewegung dieses Widerspruchs führt dazu, dass die Märkte unaufhörlich wachsen müssen und die Verwertung immer stärker vom Kredit als Vorgriff auf zukünftigen Mehrwert abhängig wird. In der 3. industriellen Revolution der Mikroelektronik kulminiert dieser Widerspruch. Wachstum geht nur noch durch wachsende Verschuldung auf allen Ebenen, also durch einen immer größeren Vorgriff auf zukünftigen Mehrwert, der real nicht mehr eingelöst werden kann, weil die Produktivitätssteigerung die Wertsubstanz aushöhlt. Bereits in den 80er Jahren begann sich der „Finanzüberbau“ von der realen Mehrwertproduktion zu entkoppeln. Globale Massenarbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung, Prekarisierung einerseits und die Expansion von „fiktivem Kapital“ andererseits bildeten die Kehrseite derselben Medaille. Seit den 90er Jahren begann der Prozess eines Recyclings von Finanzblasen-Kapital in die Realökonomie. Produktion und Konsum wurden immer weniger von realen Profiten und Löhnen getragen, sondern zunehmend von Einkommen aus fiktiven Wertsteigerungen auf der Zirkulationsebene (Kaufen und Verkaufen von Finanztiteln). Das erzeugte die optische Täuschung von konjunkturellen Aufschwüngen, die jedes Mal mit der Aufblähung von Finanzblasen einher gingen. Die gesellschaftliche Spaltung in scheinbar grenzenlos wachsenden „abstrakten Reichtum“ und prekarisierte Massenarmut fand vor diesem Hintergrund statt. Die dichte Kette von Finanzkrisen seit Ende der 80er Jahre war ein Hinweis auf den kapitalistisch unproduktiven Charakter dieser Entwicklung. Mit der jetzigen neuen Qualität der Finanzkrise wird auch in dieser Hinsicht ein Kulminationspunkt erreicht. Die sich vollziehende „Kernschmelze“ des Kreditsystems erschwert das Aufblähen von neuen Finanzblasen oder macht sie ganz unmöglich. Die neue Geldschwemme der Notenbanken füttert nicht mehr indirekt die Konjunktur, sondern verwaltet nur noch die Konkursmasse der Finanzblasen-Ökonomie. Das Platzen der Immobilienblase war eine Krise, die bereits lange Zeit von einigen Wirtschaftswissenschaftlern vorausgesehen wurde. Nachdem die Politik über Jahre Bedenken gegen spekulative Geschäfte ignoriert hat, gibt sie sich nun überrascht. Ist das Naivität oder steckt hier Strategie dahinter? Jene jetzt herumgereichten Ökonomen der „Kassandra-Fraktion“ haben zwar auf die Krisenpotenz der Immobilienblase aufmerksam gemacht, aber darin nur eine oberflächliche „Fehlentwicklung“ oder einen „Auswuchs“ gesehen, ohne den inneren Zusammenhang mit der schwindenden Basis der realen Verwertung und der Defizitkonjunktur zu erkennen. Deshalb gehen sie auch davon aus, dass das Platzen dieser Blase nur zu einer vorübergehenden Delle in der Weltkonjunktur führen wird und es danach munter auf ein Neues gehen kann. Die politische Klasse war in den letzten Jahrzehnten weltweit und parteiübergreifend mit fliegenden Fahnen zum Neoliberalismus und dessen Deregulierungs-Postulat übergegangen, gerade weil dadurch die schon damals sichtbar werdenden Schranken der Kapitalverwertung scheinbar überlistet werden konnten. Die aktuelle Kehrtwende mit ihren bizarren Zügen einer wundersamen Wandlung von Hardcore-Neoliberalen zu Staatskapitalisten ist eher als Akt der Verzweiflung zu werten. Wie schon die neoliberale Wende eine blinde Flucht nach vorn war, so ist es diese Umkehrung erst recht. Das hat weder mit Naivität noch mit einer großen Strategie zu tun, sondern mit der strukturellen Ausweglosigkeit der kapitalistischen Institutionen, die dennoch für die ökonomischen und politischen Eliten als einzig mögliche Form von Gesellschaftlichkeit erscheinen. Peer Steinbrück hat einen sogenannten 8-Punkte-Plan zur Beseitigung des Bank-Unheils vorgelegt. Was halten Sie von seinen Vorschlägen? Dieser optimistisch so genannte Plan ist ein hilfloses Quatschprogramm und sowieso schon nach wenigen Tagen Makulatur. Er enthielt nur ebenso banale wie wohlfeile Forderungen nach „mehr Transparenz“ der Bankgeschäfte, völlig unbestimmte Überlegungen zur Re-Regulierung und das populistische Anwamsen an den Volkszorn gegen „zu hohe Managergehälter“ als bloßes Ablenkungsmanöver. Was bei Steinbrück nur verschämt angedeutet wird, scheint jetzt aber beim G-7-Gipfel an Klarheit zu gewinnen: nämlich die allgemeine Staatsgarantie, die weitgehende Verstaatlichung der Banken und der Übergang zur „kreativen Buchführung“ (Änderung der Bilanzierungsregeln). Das ist dieselbe Masche wie bei den „kreativen“ Änderungen der Arbeitslosenstatistik und der Inflationserhebung. Damit wird aber nichts bewältigt, sondern das Problem nur auf die Staatsebene gehoben. Die Masse der faulen Kredite lässt sich aber nicht so leicht kaschieren wie die Sozialstatistik. Nachdem der Staat beim Existenzminimum für Hartz-IV-Empfänger knausert, hat er nun zum Erhalt von Banken auf einmal Milliardensummen übrig. Woher kommt das? Er hat diese Summen gar nicht übrig. Nur ist er eben nicht bereit, für die Existenz von „überflüssigen“ Menschen zu nach kapitalistischen Kriterien abenteuerlichen Finanzierungsmethoden zu greifen, für den Erhalt des Finanzsystems dagegen schon. Die nicht vorhandenen Summen (Billionen, nicht Milliarden) müssen, das ist die eine Möglichkeit, auf den globalen Finanzmärkten durch zusätzliche Anleihen beschafft werden, was aber unter den neuen Bedingungen schwierig werden dürfte. Der Staat müsste hohe Zinsen zahlen, was das allgemeine Zinsniveau nach oben treibt und die Zinssenkungspolitik der Notenbanken konterkariert, oder er müsste die Steuern drastisch erhöhen. Beides würde der ohnehin abstürzenden Konjunktur vollends den Garaus machen. Die andere Möglichkeit besteht darin, dass die Notenbanken dem Staat einfach aus dem Nichts geschöpftes Geld ohne als Sicherheit hinterlegten Gegenwert direkt überweisen; womöglich auch den strauchelnden Konzernen, um die Weltwirtschaftskrise hinauszuzögern. Das hieße also, die institutionellen Schranken der Geldschöpfung zu liquidieren und direkt zur Notenpresse zu greifen wie in der Kriegswirtschaft des 1. Weltkriegs. Das bedeutet nichts anderes, als dasselbe Mittel, das jetzt als Ursache der Finanzkrise beklagt wird, umso hemmungsloser und in einer neuen Dimension anzuwenden. Das Resultat wäre die galoppierende Inflationierung, die sich jetzt schon leise andeutet. Wenn ein Kaffee sagen wir 30 Euro kostet, führt sich ein so induziertes Wachstum ad absurdum, während gleichzeitig sämtliche Spargelder wertlos werden. Die momentan als „vertrauensbildende Maßnahme“ verkaufte Staatsgarantie könnte schnell ins Gegenteil umschlagen, wenn die Modalitäten der Finanzierungsfrage konkret werden. Ironischerweise wendet sich so der bisherige Finanzierbarkeitsterror der antisozialen Krisenverwaltung gegen das kapitalistische System selbst. Trügt der Eindruck, als würden nun, nachdem jahrelang die Gewinne, die durch Spekulation zu holen waren, in private Taschen geflossen sind, die Verluste sozialisiert und vielleicht sogar mit den staatlichen Hilfspaketen den Verursachern der Krise und Gewinnabgreifern (Paulsen) erneut Unsummen von Geld in den Rachen geworfen? Im Kapitalismus werden schon immer die Gewinne privatisiert und in der Krise die Verluste sozialisiert, das gehört zum System und ist nichts Neues. Und schon immer war die Spekulation nicht die Ursache der Krise, sondern die Folge mangelnder realer Verwertungsmöglichkeiten, die sich schließlich in der Krise niederschlagen. Das populäre Ressentiment gegen die „Finanzhaie“ hat nichts mit emanzipatorischer Kritik zu tun, sondern entspringt dem falschen Urvertrauen in einen „gesunden“ Kapitalismus, der gerade die Krisen hervorbringt. „Ehrbar“ ist in dieser Gesellschaft das Gewinnabgreifen schlechthin; jeder grundanständige Mittelständler ist ein Gewinnabgreifer, ganz zu schweigen von den Betreibern der Billiglohn-Klitschen. Dieses Gewinnabgreifen ist noch nicht einmal ein subjektives Willensverhältnis, sondern eine objektive Systemnotwendigkeit; die Manager stellen nur deren Funktionäre dar. Wenn das allgemeine Volksvorurteil angesichts der Finanzkrise bloß die Banker als windige Gewinnabgreifer denunziert, muss es selber als Mentalität von willigen Arbeitstieren denunziert werden, die sich nach „normalen“, „seriösen“ Gewinnabgreifern sehnen. Im übrigen lebte ja das scheinbar „reguläre“, „realökonomische“ Gewinnabgreifen der defizitären Export- und Dienstleistungskonjunktur in den letzten Jahren gerade vom „deficit spending“ der Finanzblasen-Ökonomie. Die Liebhaber des „anständigen“ Kapitalismus sollten eigentlich dankbar sein, dass ihnen die Spekulation auf diese Weise noch eine Galgenfrist beschert hat, denn sonst wäre die „Mutter aller Krisen“ schon viel früher gekommen. Allerdings hat diese Krise eine Dimension angenommen, die das Sozialisieren der Verluste selber prekär macht. Wenn der Staat das Kommando übernimmt, werden die Banker faktisch seine Angestellten, und die Unsummen werden nicht Ackermann u.Co. in den Rachen, sondern in das schwarze Loch der globalen Konkursverwaltung geworfen. Gibt es Ihrer Meinung nach überhaupt einen Politiker welt- und bundesweit, der richtige Maßnahmen erwägt? Soll ich jetzt „Obama“ sagen? Der wird wahrscheinlich den Schlamassel in den USA ausbaden müssen und hat Chancen auf eine „schwarze“ Sündenbock-Karriere, weil sich seine reichlich inhaltsarme und bloß medienwirksame „Change“-Kampagne als völlig hohl entpuppen muss. Da hilft kein Charisma mehr. Die sogenannte Politik ist einfach die Form der Menschen- und Systemverwaltung als andere Seite des Kapitalverhältnisses. Wer in die Politik geht, hat den Löffel der „Gestaltung“ schon an die systemischen Kriterien, an die fetischistische Matrix der Verwertung des Werts abgegeben. Deshalb kommt auch die politische Linke immer wieder im Kapitalismus „an“. Die Politik kann nur die klaffenden Widersprüche verwalten und Löcher nur stopfen, um neue aufzureißen. Pech, dass unter den gegebenen Umständen das politische Ohr am Puls der Demoskopie keine Chance erlauscht, sondern eher die dumpfe Drohung von völkischen Aufwallungen eines Massenbewusstseins, das nach Opfern sucht, wenn den betulichen Normalos die kapitalistischen Daseinsbedingungen unterm Hintern weggezogen werden. Man behauptet heutzutage, seinerzeit hätte die Koalition aus SPD und Grünen erst die Grundsteine dafür gelegt, dass die Finanzkrise bis auf Deutschland durchschlägt. Ist da etwas dran? Wenn damals ein Finanzminister Oskar Lafontaine seine Politik hätte erfolgreich durchsetzen können, würde es in Deutschland besser aussehen? Es gibt eine bruchlose Kontinuität der neoliberalen Wende von der Kohl-Administration über Rot-Grün unter Schröder bis zur jetzigen großen Merkel-Koalition. Zwischentöne sind da nur Krampf; kosmetische Modifikationen aufgrund der unterschiedlichen ideologischen Färbungen waren unwesentlich. Selbstverständlich hat Rot-Grün die Weichen mitgestellt für die Entwicklung, die zur heutigen Krise führen musste, etwa durch Steuerbegünstigungen für das „grosse Fressen“ der Übernahme-Schlachten. Das war nur die Kehrseite von Hartz IV. Rot-Grün folgte damit aber nicht nur dem neoliberalen Mainstream, sondern auch der objektiven Dynamik des kapitalistischen Krisenprozesses. Nach dem Ende der fordistischen Prosperität und dem Scheitern der keynesianischen Regulation an der inflationären Entwicklung Anfang der 80er Jahre konnte weiteres Wachstum nur noch durch die Expansion des „fiktiven Kapitals“ simuliert werden, die von der neoliberalen Deregulierung exekutiert wurde. Rot-Grün war eine kapitalistische Regierung, was sonst? Als solche konnte sie nur den bodenlos gewordenen Verwertungsbedingungen im Rahmen der Globalisierung Rechnung tragen. Lafontaine und seine Gefolgsleute sind keine Kapitalismuskritiker, sondern Nostalgiker des nationalen Keynesianismus, der längst nicht mehr tragfähig ist. Als Regierungspolitik wäre das schon damals gescheitert. Die Beschwörung des „Modells Deutschland“, das sich vom Weltkapital abkoppeln könnte, ist nicht nur eine Illusion, sondern im Kern nationalistisch und reaktionär. Solche Töne sind jetzt auch von Merkel und Steinbrück zu hören, die so tun, als wäre das Übel aus den USA über die unschuldigen und soliden Deutschen gekommen, die in Wirklichkeit von Anfang an kräftig mitgemischt haben bis zu den selber „gierigen“ Jedermann-Kleinspekulanten, die sich jetzt mehr denn je als die Geprellten gerieren. Das Lafontaine-Programm ist nur demoskopisch und „stimmungsmäßig“ wirksam, solange es nicht als Regierungspolitik praktisch werden muss. Wo sich die Linkspartei an Landesregierungen beteiligt (Berlin), trägt sie die sozialen Restriktionen als „Sachzwänge“ mit. Deshalb gibt es dort wie einst bei den Grünen eine Realo-Fraktion, die Lafontaine als Bauernfänger eindämmen möchte, um regierungsfähig zu werden. Das ist bei einer weiteren Verschärfung der Krise gar nicht so unwahrscheinlich. Auf der Welle des urplötzlich hereingebrochenen „pragmatischen“ Staatskapitalismus könnten linke Realos reiten, die schnell hoffähig werden, wenn sie als Schülermitverwaltung der Krise die Legitimation liefern. ATTAC wird in der Öffentlichkeit als Forum für die schärfste Kritik am neoliberalen Finanzkapitalismus wahrgenommen. Was halten Sie davon analytisch und praktisch? Die Kritik von Attac ist nicht scharf, sondern stumpf und war schon immer ähnlich wie die Lafontaine-Ideen auf keynesianische Nostalgie geeicht. Eine isolierte Kritik des Neoliberalismus taugt nichts, weil sie nicht den inneren Zusammenhang der neoliberalen Wende mit den Grenzen der realen Kapitalverwertung analysiert, sondern diese Doktrin bloß zur „falschen“ Wirtschaftspolitik erklärt, die durch eine Art Putsch durchgesetzt worden sei. Wenn jetzt die kapitalistischen Eliten den Neoliberalismus genauso hektisch über Bord werfen wie einst den Keynesianismus, zeigt sich daran nur, dass der Kapitalismus nicht identisch ist mit einer bestimmten Regulationsweise. Erst recht taugt eine isolierte Kritik des Finanzkapitalismus nichts, weil sie das Verhältnis von Realökonomie und Finanzüberbau auf den Kopf stellt und die Spekulation für eine Krise verantwortlich macht, die ihren Ursprung eben in der Verwertungslogik selbst hat. Auch Attac wollte nie etwas anderes als einen „guten“ Arbeitsplatz-Kapitalismus. Es ist längst kritisiert worden, dass diese Art „Kapitalismuskritik“ reaktionär ist und bewusst oder unbewusst, gewollt oder ungewollt einen „strukturellen Antisemitismus“ enthält, weil sie nicht die Grundlagen des Kapitalismus angreift, sondern bloß das Volksvorurteil vom „raffenden Kapital“ bedient, das für alle sozialen Übel verantwortlich gemacht wird und schon seit 200 Jahren mit den Juden in Verbindung gebracht wird. Die Verteidigung von Attac gegen diesen Vorwurf war immer bestenfalls halbherzig und zweideutig. Deshalb gab und gibt es im Dunstkreis von Attac auch Sympathien mit dem Judenfresser Ahmadinedschad, der zur „antiimperialistischen“ Lichtgestalt stilisiert wurde und soeben öffentlich eine „jüdische Weltverschwörung“ zur Ursache der Finanzkrise erklärt hat. Aktuell scheint sich Attac bloß bestätigt zu fühlen, statt zu realisieren, welche Geister durch die isolierte Kritik der Spekulation geweckt werden. Wenn Attac jetzt mit der großen Finanzkrise, dem Ende des Neoliberalismus und dem Übergang zur Re-Regulierung und Verstaatlichung von Banken seine Blütenträume reifen sieht und mit Arbeitsminister Scholz auf eine Rückkehr des keynesianischen Sozialstaats hofft, kann sich diese Option nur in kürzester Zeit blamieren. In Wirklichkeit wird der Kapitalismus auf seine realen Verwertungsbedingungen reduziert. Als Folge ist eine globale Depression absehbar, nicht die Rückkehr zum „reellen“ Wachstum nach den „Verirrungen“. Der neue Staatskapitalismus wird ein hässliches Gesicht zeigen und die repressive Krisenverwaltung dramatisch verschärfen. Vielleicht erscheint selbst Hartz IV im Rückblick noch als relativ gemütlich. Was dann? Muss Attac schließlich die Rückkehr der Finanzblasen-Ökonomie fordern, weil es unfähig ist, die kapitalistischen Daseinsbedingungen als solche in Frage zu stellen? Oder löst man sich in einen massenideologischen Strudel auf, der die schlimmsten Befürchtungen bestätigt? Oder hilft nur noch Beten, nachdem wir immerhin Papst geworden sind? Was folgt auf diese vernichtende Krise? Von einer „vernichtenden“ Krise zu sprechen, steht in einem eigenartigen Mißverhältnis zu der Frage, was „danach“ kommt. Das linke Urvertrauen in die Regenerationsfähigkeit des Kapitalismus entspricht nur noch den Kommentaren in der Wirtschaftspresse, die auch schon vom „Kapitalismus danach“ sprechen, während sich das wahre Ausmaß der Krise erst zu enthüllen beginnt. Natürlich wird es z.B. technische Reaktionen der Börsen nach oben geben, vielleicht genährt von kurzfristigen Hoffnungen auf ein Greifen der staatlichen Maßnahmenpakete. Aber die Dynamik des Krisenprozesses ist nicht mehr auf ein früheres Niveau zurückzudrehen, wenn nicht neue reale Verwertungspotentiale entstehen, die nirgends in Sicht sind. Jede temporäre Stabilisierung kann nur den nächsten, umso heftigeren Krisenschub vorbereiten. Erforderlich wäre eine autonome soziale Gegenbewegung jenseits des nationalen Rahmens, die sich die Lebensinteressen nicht von den Krisenverwaltern ausreden lässt, und die jede soziale, geschlechtliche, ethnische oder „rassische“ Ausgrenzung radikal negiert. Die ist aber ebensowenig in Sicht wie neue Verwertungspotentiale. Also kann man nur sagen, dass sich die gesellschaftliche Desintegration auch in den kapitalistischen Zentren einschließlich der „unschuldigen“ BRD in einem bisher nicht vorstellbaren Maße fortsetzen wird. |