Startseite Krise und Kritik der Warengesellschaft


Robert Kurz

INTERVIEW MIT DER BRASILIANISCHEN INTERNET-ZEITSCHRIFT „IHU On-Line

In welchem Sinne sind Marxens Theorien zum Verständnis des jetzigen Krisenmoments im globalen Finanzsystem wichtig?

Die bürgerliche Ökonomie sowohl der Klassik als auch der Neoklassik geht kontrafaktisch von einer reinen Güterwirtschaft und von naturalen Tauschbeziehungen der Marktsubjekte aus. Sie abstrahiert vom Geld und spricht vom „Geldschleier“ über den „eigentlichen“ ökonomischen Transaktionen. Das Geld erscheint dabei als bloßes Zeichen ohne eigenen Gehalt, als juristisches Konstrukt aufgrund einer gesellschaftlichen Vereinbarung oder aufgrund staatlicher Verordnung. Damit die Ökonomie funktioniert, komme es nur darauf an, die Geldmenge der Gütermenge anzupassen (Quantitätstheorie). Für Marx dagegen ist das Geld kein sekundärer „Schleier“, sondern die Voraussetzung und das zentrale Selbstzweck-Medium der kapitalistischen Verwertung. Es ist die allgemeine Erscheinungsform des in den Waren inkorporierten Werts bzw. Mehrwerts, der sich in die Geldform zurückverwandeln muss, die schon seinen Ausgangspunkt bildet. Deshalb kann das Geld kein bloßes Zeichen sein, sondern muss selbst den Charakter einer Ware haben, und zwar den einer „Königin“ unter den Waren. Es ist die ausgesonderte „allgemeine Ware“oder das „allgemeine Äquivalent“, dessen „Gebrauchswert“ nicht in seiner konkreten Nützlichkeit besteht, sondern in seiner Eigenschaft, den abstrakten Wert bzw. Mehrwert der gesamten Welt der Waren darzustellen. Für die alltäglichen Transaktionen können zwar Geldzeichen an die Stelle der eigentlichen Geldware treten, aber in letzter Instanz und vor allem in den Krisen muss der reale Wertgehalt des Geldes als „Königsware“ eingelöst werden. Für Marx kann sich das Geld daher nicht völlig von den Edelmetallen als Geldware emanzipieren; und zwar nicht wegen des naturalen Metallcharakters, sondern aufgrund des darin in „verdichteter“ Form dargestellten gesellschaftlichen Werts.

Der Kredit entspringt einer Aufspaltung des Kapitals in Produktionskapital bzw. Warenkapital einerseits und Geldkapital oder zinstragendes Kapital andererseits. Die Verdopplung der Ware in „gemeinen Warenpöpel“ und Geld als „Königsware“ wiederholt sich auf der Ebene des Kapitals. In der bürgerlichen Ökonomie gibt es keinen systematischen Zusammenhang zwischen Geldtheorie und Kredittheorie. Die Vorstellung vom Geld als „Schleier“ und bloßem Zeichen steht im Widerspruch zu einer Vorstellung vom zinstragenden Geldkapital als einer Art Warenproduktion sui generis. Grob gesagt wird dabei so getan, als wäre die „Finanzindustrie“ eine ebenso reale Warenproduktion wie etwa die Autoindustrie. Der Zins scheint eine selbständige Art des Mehrwerts zu sein. Marx dagegen zeigt den illusionären Charakter dieser Vorstellung. Er weist nach, dass es sich beim Kredit oder zinstragenden Kapital nur um eine abgeleitete Form ohne eigene Wertbildung handelt. Der Zins ist der Preis für die kapitalistische Funktion des Kredits, der vom gesellschaftlichen Mehrwert aus realer Warenproduktion abgezogen werden muss. In der bürgerlichen Statistik werden die „Produkte“ des Geldkapitals dagegen zum Sozialprodukt addiert und damit die wahren Wertverhältnisse verfälscht.

Im 20. Jahrhundert haben sich das Geld und das gesamte Währungssystem scheinbar vom Gold als realer Geldware endgültig emanzipiert, zuletzt durch die Aufkündigung der Goldkonvertibilität des Dollar 1973. In der darauf folgenden Epoche hat sich dementsprechend auch das Geldkapital immer weiter von der realen Warenproduktion entkoppelt. Die Aufblähung des Kredits erzeugte nicht nur gewaltige Schuldenberge, die immer neu „umgeschuldet“ werden mussten, sondern nahm die Form einer verselbständigten Zirkulation von Finanztiteln (Aktien, Immobilien, Derivate) an, in der „fiktive Werte“ von astronomischen Größenordnungen entstanden. Für ein positivistisches Denken handelte es sich einfach um „Tatsachen“, die sich selbst zu begründen schienen. Auch linke Theoretiker ließen die Marxsche Geld- und Kredittheorie explizit oder implizit fallen, weil sie scheinbar empirisch widerlegt war.

Diese Epoche von 35 Jahren seit dem Ende der Goldkonvertibilität des Dollar, ein historisch kurzer Zeitraum, ist aber 2008 zu Ende gegangen. Jetzt zeigt sich der wahre Charakter dieser Entwicklung. In einem säkularen Prozess ist das Kapital aufgrund wachsender Vorauskosten der verwissenschaftlichten Produktion zunehmend vom Kredit als Vorgriff auf zukünftigen realen Mehrwert abhängig geworden. Die in den letzten Jahrzehnten immer exzessiver aufgeblähten Finanzblasen haben den Zusammenhang von „fiktivem Kapital“ und realer Mehrwertproduktion endgültig zerrissen; der Vorgriff auf zukünftigen Mehrwert kann nie mehr eingelöst werden. Dieser Widerspruch ist reif geworden und entlädt sich als globale Finanzkrise. Damit wird nicht nur die Illusion eines „finanzgetriebenen“ Wachstums zerstört, sondern auch die Illusion vom Geld als einem bloßen Zeichen. Das Gold hat schon im bisherigen Verlauf gegenüber allen Währungen eine dramatische Aufwertung erfahren. Eine Remonetarisierung des Goldes ist aber nicht möglich, weil sich die historisch erreichten Potenzen der Produktion überhaupt nicht mehr als „abstrakter Reichtum“ (Marx) in der Form des Mehrwerts darstellen lassen. Die Entwertung des Geldes entspricht der Entwertung der Warenmasse. Mit anderen Worten: Die materiellen Ressourcen und wissenschaftlich-technischen Aggregate, die menschlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse lassen sich nicht mehr in die Grundformen des Kapitals pressen. Oder, wie Marx es in den „Grundrissen“ formuliert hat, „die auf dem Tauschwert beruhende Produktionsweise bricht zusammen“; die „Entwertung des Werts“ als historische Grenze der Kapitalverwertung wird manifest.

In dieser Situation tritt der Staat als „lender of last ressort“ auf den Plan. Für die bürgerliche Theorie ist der Staat nicht die andere, politische Seite des Kapitalverhältnisses, sondern eine „außerökonomische Instanz“. Auch in der Linken hat die Staatsillusion eine lange Tradition. Marx ist nicht mehr dazu gekommen, seine Staatstheorie auszuformulieren. Aber schon in den Frühschriften hat er die staatlich-politische Illusion als „falsches Gemeinwesen“ kritisiert. In seiner Kredittheorie im 3. Band des „Kapital“ wird der Staatskredit als besondere Form des „fiktiven Kapitals“ bestimmt, die von der realen Kapitalverwertung abhängig bleibt. Eigentlich hat sich die Staatsillusion schon längst blamiert, die nach der großen Krisenepoche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Konjunktur hatte. Im Westen scheiterten die keynesianische staatliche Regulation und das von der Expansion des Staatskredits induzierte Wachstum Anfang der 80er Jahre an der ausufernden Inflation. Im Osten wurde der sowjetische Staatskapitalismus „nachholender Modernisierung“ Ende der 80er Jahre zahlungsunfähig und brach zusammen. Das waren bereits Erscheinungsformen der historischen „Entwertung des Werts“. In der neoliberalen Wende wurde die vermeintlich „außerökonomische“ Intervention des Staates für das Dilemma verantwortlich gemacht und durch einen Marktradikalismus ersetzt. Diese Wende hat aber die innere Schranke der Verwertung nicht überwunden, sondern durch eine Politik der Deregulierung und der Geldschwemme der Notenbanken nur die Schleusen geöffnet für eine beispiellose Expansion des privaten Kredits und der Finanzblasen-Ökonomie.

Nachdem nun auch diese Illusion geplatzt ist und der Markt grandios versagt hat, soll plötzlich wieder der Staat die Rettung bringen. Aber das Problem ist nicht mehr mit einer neuen Geldschwemme der staatlichen Notenbanken durch eine reguläre Senkung der Leitzinsen zu bewältigen. Denn diese Art der Geldschwemme setzt immer noch die Fiktion einer „Deckung“ durch reale Verwertungsprozesse voraus, die bereits illusorisch geworden ist. Die Geschäftsbanken können bei den Notenbanken nur noch „Sicherheiten“ hinterlegen, die keine mehr sind, weil sie großenteils aus faul gewordenen Ansprüchen bestehen. Damit ist die Möglichkeit versperrt, in der bisherigen Weise neue Finanzblasen aufzublähen. Der Zusammenbruch der Hypothekenkredite war nur der Katalysator für einen weit darüber hinausgehenden Entwertungsprozess des gesamten Finanzkapitals. Deshalb wird jetzt die Krise auf die Ebene der „letzten Instanz“ gehoben, nämlich der Staatsfinanzen selbst. Aber der Staat ist nicht der Demiurg, der von den Gesetzen der Kapitalverwertung unabhängig wäre. Bereits im abgelaufenen Fiskaljahr hat sich die US-Staatsschuld noch vor dem dramatischen Einbruch verdreifacht; und wenn die weltweit gegebenen Staatsgarantien abgerufen werden, kann das Resultat nur eine große Krise der Staatsfinanzen sein. Der Staat kann die Entwertung nicht stoppen, sondern nur verwalten; entweder in Form der Deflation, wenn er seine Verschuldung begrenzt halten will, oder in Form der Inflation, wenn er ohne jede „Deckung“ die Notenpresse anwirft. Vielleicht laufen in der historisch neuen Situation sogar deflationäre und inflationäre Prozesse parallel ab.

Was bedeutet im Kontext der aktuellen Krise die Marxsche Theorie der abstrakten Arbeit als Substanz des Kapitals?

Die bürgerliche Neoklassik hat die klassische Theorie des „Arbeitswerts“ fallen gelassen. Der Wert wurde auf den Preis reduziert und nicht mehr als gemeinsame Substanz der Waren, sondern als bloße Funktion in der Beziehung der Waren aufeinander verstanden. Dieser Reduktion entsprach in der bürgerlichen Philosophie der Übergang vom „Substanzbegriff“ zum „Funktionsbegriff“. Das Substanzproblem sollte eliminiert und in eine leere Funktionsbeziehung verwandelt werden. Die „Mathematisierung“ der neoklassischen „Modelle“ beruht auf dieser Verwandlung des Werts in eine rein funktionale Relation. Damit wurde die Theorie des Werts der Theorie des Geldes als einem bloßen „Zeichen“ angepasst. Diese funktionale „Zirkulationstheorie“ des Werts fand im deutschsprachigen Raum in gewisser Weise auch Eingang in eine sogenannte „neue Marx-Lektüre“, in der die Marxsche kritische Theorie des „Arbeitswerts“ als „naturalistisch“ bzw. „substantialistisch“ abgelehnt und der Warencharakter des Geldes negiert wird.

Wie in der bürgerlichen Ökonomie wird so eine absolute innere Schranke der Verwertung grundsätzlich ausgeschlossen. Die Beschränkung auf eine funktionale Relation macht den Wert zeitlos und scheinbar ewig regenerationsfähig. Marx hat dagegen gezeigt, dass die kapitalistische Entwicklung einen elementaren Selbstwiderspruch enthält. Einerseits bildet abstrakte menschliche Energie die reale Substanz des Kapitals; andererseits erzwingt die Konkurrenz eine fortschreitende Produktivkraftentwicklung, die menschliche Arbeitskraft überflüssig macht und die Substanz des Werts aushöhlt. Dieser säkulare Entwertungsprozess der Waren konnte bis zur 2. industriellen Revolution des Fordismus durch den von Marx analysierten Mechanismus des „relativen Mehrwerts“ kompensiert werden, indem sich durch dieselbe Produktivkraftentwicklung der Wert der Ware Arbeitskraft im gesellschaftlichen Maßstab vermindert und der relative Anteil des Mehrwerts an der gesamten Wertmasse steigt. Dieser gesteigerte relative Anteil des Mehrwerts steht jedoch in Beziehung zur Anzahl der produktiv anwendbaren Arbeitskräfte. Marx hat seine Krisentheorie nicht vollständig ausformulieren können; sie enthält aber implizit die Konsequenz, dass die Produktivkraftentwicklung einen Punkt erreicht, an dem die Anzahl der produktiv anwendbaren Arbeitskräfte so stark vermindert wird, dass die absolute Mehrwertmasse fällt. Dann nützt auch die Steigerung des relativen Mehrwerts pro Arbeitskraft nichts mehr. Dieser Punkt wird mit der 3. industriellen Revolution der Mikroelektronik erreicht. Der historische Kompensationsmechanismus des relativen Mehrwerts erlischt, die absolute reale Mehrwertmasse fällt und die „Entwertung des Werts“ führt zur „Entsubstantialisierung des Kapitals“.

Das ist der Grund, warum in der vergangenen Epoche eine weitere Verwertung nur durch substanzlose Finanzblasen simuliert werden konnte. Wenn diese platzen, wird aber nicht ein neuer „Nullpunkt“ erreicht, von dem aus die reale Verwertung wieder in Gang kommen könnte. Vielmehr wird der Kapitalismus auf seine realen Verwertungsbedingungen reduziert, deren Produktivitätsstandard irreversibel ist. Diese substantielle Krisentheorie einer absoluten inneren Schranke des Kapitals ist gerade in der Linken oft als „technologisch“ kritisiert worden. Aber es geht hier nicht um die technische Seite, sondern um die Rückwirkung der Technologie auf die Verwertungsbedingungen. Marx hat keine „zeitlose“ funktionale Theorie des Werts formuliert, sondern die Theorie einer historisch-dynamischen Entwicklung des Kapitals als Bewegung der realen Substanz, die durch die fortschreitende Anwendung wissenschaftlich-technischer Potentiale vermittelt ist und nicht endlos verlängert werden kann.

Dazu sind noch zwei Bemerkungen nötig. Erstens handelt es sich bei den Marxschen Kategorien um Realkategorien einer gesamtgesellschaftlichen Logik, die den empirischen Erscheinungen zu Grunde liegt, aber nicht unmittelbar empirisch dargestellt werden kann. Denn empirisch bewegt sich das Kapital nicht nur in komplexen und widersprüchlichen Vermittlungsformen, sondern die wirkliche Aggregierung der gesellschaftlichen Wertsubstanz stellt sich immer erst im nachhinein dar. Die bürgerliche Statistik erfasst nie die reale Wert- bzw. Mehrwertmasse, sondern immer nur die oberflächlichen Waren- und Geldströme, die ein verzerrtes Bild liefern. Deshalb werden die Crashs auch nicht vorausgesehen, sondern stellen sich eruptiv dar, wenn die basale Logik in die Empirie durchbricht, wie es jetzt offenbar der Fall ist. Die chaotischen Verlaufsformen und die wilden Sprünge etwa der Wechselkurse oder der Aktien-Indizes müssen aber auf das nicht-empirische Wesen des Kapitals und dessen substantielle Entwicklung zurückgeführt werden. Dazu ist eine kategorial immanente oder affirmative Theorie nicht in der Lage, die nur den unberechenbaren Phänomenen hinterher hechelt. Zweitens ist die Schranke der Verwertung rein objektiv. Was durch die Verlaufsformen hindurch „zusammenbricht“, ist die Fähigkeit des Kapitals zur gesellschaftlichen Reproduktion. Was jedoch nicht von selbst zusammenbricht, sind die vom Kapital konstituierten Bewusstseinsformen oder „objektiven Gedankenformen“ (Marx). In dem Maße, wie die historische Grenze des Kapitalismus erreicht wird, entsteht deshalb eine ungeheure Spannung zwischen der mangelnden Möglichkeit einer weiteren realen Verwertung und einem allgemeinen Bewusstsein, das die kapitalistischen Existenzbedingungen verinnerlicht hat und nichts anderes will oder sich nichts anderes vorstellen kann, als in diesen Formen zu leben. Die schwierige Aufgabe besteht darin, dieses Spannungsverhältnis aufzulösen im Prozess eines Widerstands gegen die Krisenverwaltung, wenn der Kapitalismus nicht in einer Weltkatastrophe enden soll. Darauf ist eine Linke nicht vorbereitet, die sich der kapitalistischen Entwicklung immer mehr angepasst hat.

Welche Konsequenzen hat die Finanzkrise für die globale Beschäftigung?

Für das Verständnis dieser Entwicklung ist die Marxsche Differenzierung von „produktiver“ und „unproduktiver“ Arbeit wichtig. Alle Tätigkeiten im Rahmen des kapitalistischen Formzusammenhangs sind abstrakte Arbeit, die sich in Geld darstellt. Aber nicht jede abstrakte Arbeit ist kapitalistisch produktiv und trägt zur realen gesellschaftlichen Mehrwertmasse bei. Bestimmte Funktionen des Kapitalverhältnisses sind an sich unproduktiv und „tote Kosten“. Aber auch industrielle Produktionstätigkeit kann im kapitalistischen Sinne unproduktiv werden, wenn sie über das Fassungsvermögen der realen Mehrwertproduktion hinausgeht („Überkapazitäten“). Alle Resultate abstrakter Arbeit nehmen die Form der Ware als „Zirkulationsgegenständlichkeit“ an. Wenn sie einen Preis erzielen, ziehen sie einen Teil der gesellschaftlichen Mehrwertmasse auf sich, egal ob ihre Produktion etwas dazu beigetragen hat oder nicht. Dieser gesamtgesellschaftliche Charakter der Wert- und Mehrwertproduktion ist bei Marx nicht ganz klar, weswegen das berühmte Problem der Wert-Preis-Transformation entstand. Dieses Problem löst sich jedoch auf, wenn die gesellschaftliche Mehrwertmasse nicht auf einer Summe „individueller“ Warenwerte beruht, sondern eine betriebswirtschaftlich nicht fassbare gesamtgesellschaftliches Substanzmasse darstellt, deren Quantität sich erst durch die Konkurrenz auf der Zirkulationsebene erweist. Damit ist das Substanzproblem nicht gegenstandslos, es hat jedoch nichts mit einer Wertsubstanz der einzelnen Ware zu tun.

Was bedeutet das für die Epoche der Finanzblasen-Ökonomie? Der Fall der realen gesellschaftlichen Mehrwertmasse wurde scheinbar überspielt durch den „fiktiven Mehrwert“ des aufgeblähten Kreditsystems. Auf diese Weise wurde eine unproduktive Beschäftigung erzeugt, die weit über das Fassungsvermögen der realen Mehrwertproduktion hinausging. Erstens blähte sich zusammen mit der „Finanzindustrie“ die Beschäftigung in diesem Sektor überproportional auf, die keinerlei Wert produziert, sondern nur Finanztransaktionen vermittelt. Zweitens entstand ein ebenso überproportionaler Sektor von kapitalistisch unproduktiven persönlichen Dienstleistungen, von Werbeindustrie, Informations- und Medienindsutrie, Sport- und Kulturindustrie. Gerade in diesen Sektoren machte sich die Substanzlosigkeit einerseits als astronomische Überbezahlung einer schmalen Star-Elite und andererseits als Prekarisierung in Form von „Freelancern“, Scheinselbständigen und Elendsunternehmern geltend. Drittens forcierte die globale Defizitkonjunktur die Beschäftigung einer „Arbeiteraristokratie“ in den Exportindustrien (Autoproduktion, Maschinenbau), die ebenso unproduktiv war, weil sie ihren Ausgangspunkt nicht in Gewinnen und Löhnen aus realer Mehrwertproduktion hatte, sondern aus den Finanzblasen gespeist wurde.

In demselben Maße, wie das Platzen der Finanzblasen den Kapitalismus auf seine realen Verwertungsbedingungen reduziert, muss auch ein Großteil der unproduktiven Beschäftigung wegbrechen. Die reale Mehrwertmasse ist viel zu klein, um die „Zirkulationsgegenständlichkeit“ dieser aufgeblähten Sektoren als „Wertgegenständlichkeit“ darstellen zu können. Die zu erwartende globale Depression wird nicht nur einen Großteil der finanzkapitalistischen „Herren des Universums“ wegfegen, sondern auch der davon abhängigen prekären Dienstleistungsklitschen, der „Freelancer“, des Billiglohns und der Zeitarbeit ebenso wie der Beschäftigung in den Exportindustrien. Das System der abstrakten Arbeit führt sich selbst ad absurdum und der globale Minderheitskapitalismus erlebt sein Waterloo, auch wenn davon niemand etwas wissen will, obwohl es alle ahnen.

Worin besteht das Gewicht des Kapitalismus in der heutigen Gesellschaft, die sich durch virtuelle Verhältnisse, immaterielle Arbeit und Autonomie auszeichnet?

Die postmoderne Linke ist das Waisenkind dieser Entwicklung. Sie hat den sozialen Kampf auf eine virtuelle und symbolische Ebene reduziert. Der „Postoperaismus“ von Antonio Negri bringt diese Ideologie auf den Punkt. Der objektive Fetischismus des Kapitals wird negiert und einschließlich der Krise in subjektive Willensverhältnisse aufgelöst. An die Stelle der radikalen Kritik von abstrakter Arbeit und Wertform tritt die Illusion einer „autonomen Selbstverwertung“ (Autovalorisazzione) von Freelancern einer „immateriellen Arbeit“. Das ist ein Nonsense-Begriff, denn jede abstrakte Arbeit, auch wenn sie sich nicht in materiellen Produkten niederschlägt, ist „Verausgabung von Nerv, Muskel, Hirn“. Nur trägt die kapitalistisch unproduktive „Wissensarbeit“ eben nichts zur realen gesellschaftlichen Mehrwertmasse bei. Die „Autonomie“ dieser spezifischen Form abstrakter Arbeit ist illusorisch, weil sie vom Weltmarkt abhängig bleibt. Es ist die Illusion einer neuen Mittelschicht, die keine Grundlage mehr hat. Wenn der Kapitalismus auf seine realen Verwertungsbedingungen zurückgeführt wird, erlischt auch die „Selbstverwertung“ der abstrakten Arbeit in den Sektoren des „Wissens“ und der medialen Kommunikation. Die Blamage der Finanzblasen-Ökonomie ist auch die Blamage der postmodernen Linken und ihres ideologischen „Anti-Substantialismus“, der jede Lebensäußerung als „Verwertung“ deklarieren möchte. Diese Illusion ist nicht ökonomisch begründet, sondern „existentialistisch“ als Rekurs auf Heidegger. Wenn die Finanzblasen-Ökonomie platzt, droht die postmoderne „Verheideggerung“ der Linken in nationalistische und antisemitische Stimmungen umzuschlagen.