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erschienen in der Wochenzeitung „Freitag“
am 24.10.2008

Robert Kurz

IST DER KAPITALISMUS ZU RETTEN?

Carepakete für Banken und Konjunkturprogramme im Zwielicht

Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Diese Hölderlin-Sentenz ist in der manifest gewordenen Krise des Kapitalismus zum allgemeinen Glaubensbekenntnis geworden. Die hektische Retterei kennt kein Halten mehr. Inzwischen haben die weltweiten staatlichen Carepakete für Banken die Grenze von mehr als drei Billionen Euro überschritten. Der drohende Crash der Kreditkartensysteme und der kreditfinanzierten Übernahme von Unternehmen durch Hedge-Fonds könnte zur nächsten Rettungs-Agenda führen. Gegenwärtig wird noch so getan, als handle es sich nur um vorübergehende Bürgschaften, die großenteils gar nicht eingelöst werden müssten, während die staatlichen Beteiligungen später sogar mit Gewinn wieder losgeschlagen werden könnten. Diese Milchmädchenrechnung setzt die Rückkehr zur „Normalität“ einer Finanzblasen-Ökonomie voraus, die bereits illusorisch geworden ist und die man offiziell eigentlich abschaffen will. In Wirklichkeit werden die Bürgschaften und Beteiligungen mittelfristig voll zu Buche schlagen. Die Bankbilanzen sind auf der Basis von Eigenkapital nicht mehr dauerhaft zu sanieren, weil das der realen Kapitalverwertung weit vorausgeeilte Kreditsystem insgesamt faul geworden ist.

Das läuft nach einer gewissen Inkubationszeit auf eine allgemeine Krise der Staatsfinanzen hinaus. Während sich in den USA binnen weniger Monate die Staatsschuld bereits verdreifacht hat, meinen hierzulande Kanzlerin und Finanzminister das auf 2011 terminierte Ziel eines ausgeglichenen Haushalts nur ein wenig aufschieben zu müssen. Das ist ungefähr so, als würde der Trainer einer kurz vor Schluss mit 1:7 zurückliegenden Mannschaft sagen, man könne wahrscheinlich nicht mehr hoch gewinnen. Die auf den Staat umgeleitete Wucht des Finanzdebakels ist mit herkömmlichen Mitteln nicht zu tragen und erzwingt eine inflationäre Aufblähung der Staatsschuld, die in einem proportionalen Verhältnis zur Größenordnung der geplatzten Finanzblasen steht. Der Zusammenbruch wird durch die Verstaatlichung nur auf eine andere Ebene verschoben, um ihn zu strecken.

Gleichzeitig fand aber die Verselbständigung des Kreditsystems nicht jenseits einer an sich „gesunden“ und selbsttragenden Realwirtschaft statt, sondern hat im Gegenteil den Konjunkturfrühling seit 2005 alimentiert. Deshalb ist mit der Sozialisierung der unwiederbringlichen finanzkapitalistischen Verluste noch gar nichts gewonnen. Um eine Weltwirtschaftskrise zu vermeiden, wäre ein weiteres Rettungspaket ähnlicher Größenordnung in Gestalt staatlicher Konjunkturprogramme erforderlich. Was die Bundesregierung bislang dafür aufwenden will, ist mit ca. 30 Milliarden Euro im Verhältnis zum wahrscheinlichen Wachstumseinbruch nicht einmal der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein.

Aufschlussreich ist aber auch die Struktur der ins Auge gefassten Hilfsmaßnahmen. Gefördert werden sollen z.B. ökologische Gebäudesanierungen und der Kauf schadstoffarmer Autos über die KfZ-Steuer. Wahrscheinlich aus Gründen der Ausgewogenheit möchte umgekehrt der CDU-Wirtschaftsrat das EU-Klimapaket zwecks Entlastung der Industrie kippen. Außerdem ist laut einem Papier des Wirtschaftsministeriums denkbar, über die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau „Unternehmen aller Größen“ Investitions-Finanzierungen „bis zu 100 Prozent“ anzubieten. Auch ein Vorziehen der steuerlichen Absetzbarkeit von Krankenversicherungsbeiträgen ist vorgesehen. Offenbar sollen Hausbesitzer, der betuchtere Teil der Mittelschichts-Konsumenten und Kapitalinvestoren den konjunkturellen Absturz auffangen. Kein Sterbenswörtchen dagegen über ein Ende der Agenda 2010, ein Aufstocken der Sozialtransfers und einen an zivilisatorischen Standards orientierten gesetzlichen Mindestlohn. Gerettet werden muss auch der politisch gewollte Billiglohn-Kapitalismus samt den damit verbundenen sozialen Disziplinierungsmethoden; mit Sicherheit als Vorgeschmack weiterer Grausamkeiten im Namen der Krisenbewältigung.

Die Frage ist jetzt nur noch, ob eine soziale Gegenwehr möglich wird, die sich keinerlei Verantwortung für die herrschende Produktionsweise mehr aufnötigen lässt, sondern mit Streiks und Straßenaktionen Druck macht für eine massive Steigerung der Masseneinkommen. Wenn die Verstaatlichung der Krise sowieso zur Inflationierung führt, kann das Kriterium für eine soziale Bewegung unmöglich die Systemstabilisierung sein. Stattdessen wäre die immanente Verteidigung der Lebensbedürfnisse in eine Perspektive jenseits der Kapitalform zu transformieren. Sogar in den „Tagesthemen“ darf inzwischen gefragt werden, ob der Kapitalismus noch zu retten ist. Da wäre es doch ein wenig peinlich, wenn ausgerechnet der Linken auch nichts anderes als die perspektivlose Retterei mehr einfällt.