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Krise und Kritik der Warengesellschaft |
erschienen im Neuen Deutschland Robert KurzKEIN ZWEITER NEW DEALSein Versprechen ist der große Wandel. Seine Aura scheint darauf zu verweisen, dass das weiße, angelsächsisch-protestantische Subjekt nicht mehr allein die Macht behaupten kann. Die militärische Interventionspolitik soll gemildert, der christliche Fundamentalismus eingedämmt und der globale Ausgleich gesucht werden. Wirtschaftspolitisch gilt es das Ende des neoliberalen Marktradikalismus zu ratifizieren. Viele möchten sich an Roosevelts New Deal erinnern und an die Nachkriegsordnung von Bretton Woods mit ihren straff regulierten Finanzmärkten und fixen Wechselkursen. Selten hat ein neuer Präsident der USA so viel Begeisterung mobilisiert wie Barack Obama. Und selten war die Möglichkeit miserabler, auch nur eine einzige der geweckten Hoffnungen zu erfüllen. Die weltweite Obamania repräsentiert kein kritisches Bewusstsein, sondern die Illusion eines heilen Wachstumskapitalismus für alle. Das durch nichts gedeckte Programm einer „sozialen Weltmarktwirtschaft“, wie es auch Angela Merkel in ihrer Handtasche herumträgt, suggeriert eine zukunftsoptimistische Aufbruchstimmung, die nur von den nostalgischen Sehnsüchten der Mittelschicht zehrt. Dass sich das Gesicht des Kapitalismus ausgerechnet unter dem Eindruck des Finanzzusammenbruchs und der abstürzenden Konjunktur vermenschlichen soll, ist ein eher peinlicher Gedanke. Die Weltwirtschaftskrise hat kein Happy End. Der 44. US-Präsident erbt einen Staatshaushalt, der schon vor seinem Amtsantritt durch die verbrannten Billionen Dollars der Kriegsfinanzierung und der Sanierungskosten für das abschmierende Bankensystem ruiniert ist. Der noch lange nicht beendete Crash der Finanzblasen-Ökonomie kann nicht zu einem „normalen“ und „seriösen“ Wachstum zurückführen, weil dafür keinerlei selbsttragendes Potential in Sicht ist. Statt eines zweiten New Deal steht eine finanzkapitalistische Notstandsverwaltung auf der Agenda, die gerade erst begonnen hat und sich aller Wahrscheinlichkeit nach in den kommenden Monaten auf das Kreditkartensystem, die Hedge-Fonds sowie die Auto- und Flugzeugindustrie ausweiten wird. Sozial ist nicht das Ende des Billiglohns, sondern eine Elendsverwaltung neuer Qualität zu erwarten, wenn der konjunkturelle Abwärtssog die aufgeblähten Dienstleistungssektoren erfasst, die Bestandteil des „finanzgetriebenen“ Scheinwachstums waren. Ein zweites Bretton Woods wird es erst recht nicht geben. Die staatliche „Streckung“ der Krise ist nur noch mittels einer Inflationspolitik der US-Notenbank möglich, die weitere Billionen Dollars der asiatischen Währungsreserven entwertet und das Weltwährungssystem in die Auflösung zu treiben droht. Gegen die Lähmung der ökonomischen Nervenbahnen hilft kein medial produziertes Charisma. Obama wird den Kapitalismus ungefähr in derselben Weise zur friedlichen Sozialverträglichkeit wandeln, wie einst Gorbatschow den Sozialismus „demokratisch erneuert“ hat. Sein Job ist die größte Abwicklung der modernen Geschichte, die im Unterschied zu derjenigen des Ostblocks nicht auf die Integration in einen übergeordneten kapitalistischen Systemzusammenhang hinausläuft, sondern auf die schubweise Desintegration des Weltmarkts. Zu befürchten ist leider, dass der erste schwarze US-Präsident nicht als Lichtgestalt in die Annalen eingehen wird, sondern als tragische Figur, die gerade in der Eigenschaft des afroamerikanischen Aufsteigers vom kollektiven Unbewussten dazu auserkoren wurde, die Krise des Weltkapitals und der letzten Weltmacht auszubaden. |