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erscheint im November 2008
in der Folha de Sao Paulo

Robert Kurz

DAS CHARISMA DER KRISE

Warum die Obamania zum Scheitern verurteilt ist

Es gibt eine alte Debatte über die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte. Die Strukturtheoretiker verweisen auf die objektiven gesellschaftlichen Prozesse, deren Ausdruck die großen Gestalten nur sein können. Die Handlungstheoretiker sagen dagegen: Am Anfang war die Tat. Glaube und Wille sollen Berge versetzen können. Beides ist nur relativ richtig. Gesellschaftliche Entwicklungen machen sich nicht von selbst; sie bedürfen des eingreifenden Handelns. Andererseits bezieht sich das Handeln auf vorgegebene strukturelle Bedingungen, solange die Gesellschaft einer blinden Dynamik unterliegt, wie es im Kapitalismus zweifellos der Fall ist. Gerade in den großen Krisen sind deshalb charismatische Persönlichkeiten gefragt, die eine bewegende Stimmung des Aufbruchs erzeugen können. Das religiöse Moment dieses Mechanismus ist unverkennbar. Die Hoffnungen, Wünsche und Ängste binden sich an einen politischen Messias, wenn ein Epochenbruch die Gesellschaft erschüttert. Die Frage ist aber, ob das Charisma tragfähig für etwas Neues ist oder ob es nur der Katastrophe des Alten eine Verlaufsform gibt.

Der „schwarze Kennedy“ Barack Obama steht nicht für eine Überwindung des globalen Kapitalismus, sondern für dessen Erneuerung. Sein Charisma entstand nicht im Kontext einer sozialen Bewegung mit emanzipatorischen Zielen, sondern als Maske im Rahmen des herrschenden Medien- und Politikbetriebs. Wenn Obama zum weltweiten Sympathieträger geworden ist und die Menschen in den USA zu Tränen rührt, so deswegen, weil er den Glauben an die Rückkehr zu einem substantiellen und staatlich geregelten Wachstum repräsentiert, das gute Arbeitsplätze schafft und die Umwelt rettet. Es ist gleichzeitig der Glaube an eine Überwindung der alten Feindbilder, an einen globalen Ausgleich der Macht und an eine Teilhabe der farbigen Mehrzahl der Menschheit. Die soziale Schwerkraft dieser Hoffnungen bildet die globale Mittelschicht, die angesichts der Krise alles ändern möchte, damit alles grundsätzlich so bleiben kann, wie es ist. Aber dieser Glaube wird keine Berge versetzen. Der Epochenbruch von 1989 führte zur Transformation des alten Staatskapitalismus in den globalisierten Finanzkapitalismus. Der Epochenbruch von 2008 markiert dagegen die Krise und innere Schranke dieses Weltsystems selbst. Obama wird zum mächtigsten Mann einer Welt, die sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf ihren eigenen Grundlagen nicht mehr transformieren kann.

Die Kraft zur Gestaltung der Verhältnisse ist für den 44. Präsidenten der USA schon allein durch einen ruinierten Staatshaushalt begrenzt. Das ist aber nicht bloß die Konsequenz einer verfehlten Politik der Bush-Administration, wie viele glauben möchten, sondern Resultat einer tiefen Strukturkrise des Weltkapitals. Obama kann nicht das Ruder herumreißen, sondern nur die unbeherrschbare Dynamik dieser Krise verwalten. Die vorhersehbare globale Depression wird die prekären Arbeitsplätze des „finanzgetriebenen“ Wachstums zerstören statt neue zu schaffen. Getroffen werden davon gerade die afroamerikanischen Aufsteiger in den USA und die neue Mittelschicht in Asien. Und wenn das Klima ein wenig geschont wird, so nicht aufgrund endlich greifender politischer Vereinbarungen, sondern weil die Defizitkonjunktur erlischt; ähnlich wie übrigens der Zusammenbruch der staatskapitalistischen Industrien im Ostblock während der 90er Jahre die globale Emission von Treibhausgasen vorübergehend vermindert hatte.

Auch der Ausgleich der politischen Gegensätze droht ins Leere zu laufen. Das Ende der Weltordnungskriege in Afghanistan und im Irak kündigt sich nicht durch Friedensabkommen an, sondern durch den absehbaren Zusammenbruch der militärischen Finanzierungsfähigkeit. Der Rückzug der US-Militärmaschine könnte deshalb in einen chaotischen Verlauf münden. Ebenso wird eine politische Verständigung mit den Öl- und Gasstaaten wie Russland oder Venezuela gegenstandslos, wenn die dortigen Regimes kollabieren, weil mit der Depression der Energiepreise ihre Geschäftsgrundlage wegbricht. Erst recht würde eine neue Balance der Macht im Verhältnis zu China voraussetzen, dass die einseitige Exportwalze über den Pazifik weiter läuft. Tatsächlich zerfällt aber die wechselseitige Abhängigkeit, sobald die aller Voraussicht nach unvermeidliche Inflationierung des Dollars die astronomischen Währungsreserven der asiatischen Exportländer entwertet. Eine gutwillige Verschiebung der politischen Machtverhältnisse muss überhaupt in demselben Maße als illusionär erscheinen, wie die Staatsfinanzen und Währungen einer wachsenden Anzahl von Ländern unhaltbar werden. Schon jetzt gelten nach Island auch Ungarn, die Ukraine und wieder einmal Argentinien als Kandidaten für den Staatsbankrott. Weitere Länder werden folgen.

Obama hat den Job eines globalen Feuerwehrhauptmanns übernommen, der die Brände gar nicht so schnell zählen kann, wie sie entstehen, während gleichzeitig das Löschwasser versiegt. Glaube und Liebe, Wille und Hoffnung sind schöne Dinge, wenn sie eine „Bedingung der Möglichkeit“ vorfinden. Das finanzkapitalistische Weltsystem bietet dafür keine Grundlage. Die globale Begeisterung der „Obamania“ droht in eine große Enttäuschung umzukippen. Dafür ist aber nicht eine Persönlichkeit verantwortlich zu machen, deren Charisma auf falschen Voraussetzungen beruht. Die Krise des Weltsystems ist keine soap opera, deren happy end medial inszeniert werden könnte. Wie die USA die letzte Weltmacht des Kapitals sind, so ist vielleicht Obama der letzte politische Messias. Die Menschheit müsste neu lernen, was in einer anderen historischen Konstellation die „Internationale“ propagiert hatte: „Es rettet uns kein höheres Wesen, kein Kaiser und Tribun; uns aus dem Elend zu erlösen, das müssen wir schon selber tun“. Das verschollene Pathos dieser Aussage ist ein anderes als das Pathos der „Obamania“.