Krise und Kritik der Warengesellschaft |
erschienen in der Wochenzeitung
„Freitag“ Robert KurzDEPRESSION UND POLITIKDie staatliche Fortsetzung des Neoliberalismus mit anderen MittelnNoch gefallen sich die Regierungen in der Pose des erfolgreichen Krisenmanagements. Die Kernschmelze des globalen Finanzsystems gilt als aufgefangen durch „unorthodoxe“ staatliche Garantien. Vermeintlich fehlt nur noch ein „zielgenaues“ Programm, um durch nahezu kostenneutrale Maßnahmen einen tiefen Absturz der Konjunktur zu vermeiden. Offiziell geht man immer noch von einer milden Rezession aus, definiert durch ein Null- oder Minuswachstum über lediglich zwei bis drei Quartale. In Wirklichkeit hat der Staat noch gar nichts aufgefangen, sondern lediglich Versprechungen abgegeben. Die Erwartung, dass auf diese Weise eine „Vertrauensbildung“ einsetzen könne, die alle Garantien schon bald überflüssig macht, ist unglaubwürdig. Die Bürgschaften werden nach Fälligkeitsdatum abgerufen. Aber auch die sogenannte Realwirtschaft bildet längst einen Bestandteil des Finanzkapitals. Die aktuelle Opel-Krise kann keineswegs als Einzelfall abgetan werden, der allein durch die Schieflage des Mutterkonzerns General Motors bedingt wäre. Tatsächlich wurden die Bilanzen aller Autokonzerne durch die hauseigenen Banken geschönt. Jetzt wird nicht nur das Leasing-Geschäft der Autobanken prekär, sondern auch deren Beteiligung an der Finanzblasen-Ökonomie. Das gilt für die Industriekonzerne insgesamt. Schon in den 80er Jahren wurde Siemens ironisch als „Bank mit angeschlossener Elektroabteilung“ bezeichnet. Obwohl der Kreditcrash im Bankensystem noch gar nicht real finanziert ist, erfasst die Finanzkrise nun auch schubweise die Industriekonzerne. Allein um die Bilanzen zu sanieren, muss der Staat an die Grenzen seiner eigenen Kreditfähigkeit gehen. Damit ist aber nichts gewonnen für den Absatz eines einzigen neuen Autos, Kraftwerks oder Computers. Die vergangene Defizitkonjunktur hatte gerade von den inzwischen seriell platzenden Kreditblasen gelebt. Wenn der Internationale Währungsfonds deshalb den größten globalen Wachstumseinbruch seit 1945 prognostiziert, läuft das auf eine Depression hinaus, die das milde Rezessions-Paradigma sprengt und ein Denken in Quartalen zur Lächerlichkeit verdammt. Es reicht dann nicht mehr, dass der finanzkapitalistische Sanierungs-Keynesianismus Kreditgeld in das schwarze Loch der Zahlungsunfähigkeit von Bank- und Industriekonzernen schüttet. Das Herbstgutachten der „Wirtschaftsweisen“ tut so, als wäre die Sanierung des Finanzsystems bereits vollbracht. Andererseits wird die Regierung in ungewohnt heftiger Weise kritisiert wegen ihres unzureichenden Konjunkturprogramms. Staatliche Investitionen und Beihilfen für private Investitionen sollen ohne Rücksicht auf Defizite mobilisiert werden. Angesichts der verdrängten realen Sachlage wäre das nur durch offene Inflationspolitik möglich. Aber nicht nur deshalb ist die Hoffnung auf eine Rückkehr zum sozialpolitischen Keynesianismus der 70er Jahre illusionär. Keineswegs zufällig wollen die „Sachverständigen“ gleichzeitig die neoliberale Arbeitsmarktpolitik verschärfen. Der Kündigungsschutz soll weiter abgebaut und der ohnehin klägliche Ansatz zum Mindestlohn liquidiert, das Arbeitslosengeld I verkürzt und die Verlängerung für ältere Beschäftigte zurückgenommen werden. Das alleinige Setzen auf Kapitalbeihilfen geht konform mit der Forderung von Unternehmerverbänden, die Klimaziele der EU zu kappen. Statt einer Erhöhung der Masseneinkommen soll die weitere Deregulierung und staatliche Finanzierung von Kapitalinvestitionen die Binnenkonjunktur anheizen. Damit sind die Weichen gestellt für eine staatliche Verlängerung des Neoliberalismus auf Biegen und Brechen. Wenn schon eine abenteuerliche Finanzpolitik unausweichlich wird, dann eben nur im Namen einer Stabilisierung auf Kosten der ohnehin angeschwollenen „arbeitenden Armut“. Die politische Klasse ist dabei allerdings mit Legitimationsproblemen konfrontiert, denn der katastrophale Wachstumseinbruch kommt ausgerechnet im Superwahljahr 2009. Unter den Bedingungen einer Depression sind keine klassischen Klientel-Zugeständnisse mehr möglich. Deshalb ist absehbar, dass die „Volksparteien“ umso mehr in eine imaginäre „Mitte“ flüchten, von der man sich erhofft, dass sie die rigide antisoziale Krisenverwaltung um des eigenen Überlebens willen mit zusammengebissenen Zähnen politisch trägt. Das Hessen-Debakel zeigt, dass sich dabei die SPD endgültig zerlegt. Ob das „Gewissen“ der Abweichler bezahlt wurde, ist unerheblich. Sie waren bereits der Reflex auf eine Verlagerung der politischen Großwetterlage, in der sich die Systemretter um jeden Preis zu einer parteiübergreifenden „rechten“ Notstandskoalition formieren, die das Paradox eines „neoliberalen Finanzkeynesianismus“ bis zum bitteren Ende durchexerziert. |