Startseite Krise und Kritik der Warengesellschaft


erschienen in Konkret 02/2009

Robert Kurz

Das Ende einer endlosen Geschichte

(Antwort auf eine Umfrage des „Konkret“-Herausgebers Hermann L. Gremliza unter linken Autoren zu seinem Krisenkommentar im Januarheft)

Der Kapitalismus hat bekanntlich seine großen Krisen. Aber muss es ausgerechnet jetzt sein? So ganz unvorbereitet kann man nur hoffen, dass weiterhin die nächste Straßenbahn kommt, das Gas aus Russland, das Wasser aus der Leitung und am Samstag die Sportschau im Ersten. Sicher ist allerdings gar nichts mehr. Denn in dieser Welt darf es nur Dinge geben, die finanzierbar sind; egal ob Fußpflege oder Schweinebraten, Reihenhaus oder Blinddarmoperation, Hundefutter oder Soap Opera. Und finanzierbar ist nur, was der Kapitalverwertung dient oder daraus abgezweigt wird. Wenn das nicht mehr geht, steht alles still, obwohl alles da ist. Dass Siemens oder die Commerzbank dicht machen, kann sich sogar der letzte Kommunist im Wedding noch vorstellen. Was aber, wenn die ganze Produktionsweise pleite geht, weil sie die Produktiv- und Destruktivkräfte über das Fassungsvermögen ihrer „verrückten Form“ hinaus entwickelt hat? Das darf doch nicht wahr sein.

Wie es scheint, hat die radikale Linke Probleme mit ihrem Kapitalismus. Er verhält sich nicht so vulgärmarxistisch, wie er sollte. Weder die Multitude hat diese Krise inszeniert noch irgendeine Bourgeoisie. Und der Staat samt seinen politischen Gesangsvereinen sieht auch nicht besonders souverän aus. Was da hereingeschneit kommt, hat kein strammes Subjekt, schon gar kein politisches. Das ist der Skandal. Offenbar haben die Kapitalisten selber Probleme mit ihrem Kapitalismus. Wie peinlich, wenn das „automatische Subjekt“ nicht mehr so kann, wie die Herrschenden wollen. Muss jetzt Monsieur oder Madame Kapital verhaftet werden? So paradox wollen wir nicht denken. Der Bourgeoisie wird schon was einfallen. Krieg zum Beispiel, wie der letzte Kommunist im Wedding auswendig weiß. Leider ist der Krieg inzwischen entweder eine Nummer zu klein oder eine Nummer zu groß, um die Akkumulation anschieben zu können. Außerdem hatten wir die Defizitkonjunktur ja schon. Dann eben Kriegswirtschaft ohne Krieg, also Hyperinflation.

Man kann es auch Entwertung des Werts nennen, nämlich Entwertung von Arbeitskraft, Produktionsmitteln, Waren und Geld; alles auf einmal. Dazu fällt dem letzten Kommunisten im Wedding nichts mehr ein. Er kennt allein die Bourgeoisie und das Proletariat, die in einer schier endlosen Geschichte des Zyklus von Prosperität und Krise den Wert und seine Verwertung immer nur verschieden interpretiert haben. Trotzdem, da war doch mal was. In der traumtänzerischen Frühphase ihrer Revolution hatten die Bolschewiki bewusst eine Inflation herbeigeführt, um das Geld zu diskreditieren. Weil die verarmten Massen bloß Arbeit und Geld wollten, also nicht die Emanzipation vom Kapitalfetisch, ging das schnell nach hinten los. Gut gemeint ist leider das Gegenteil von Kunst. Jetzt allerdings macht das „automatische Subjekt“ die Entwertung selbst; automatisch eben, auch wenn die schon wieder verarmten Massen immer noch nichts anderes als Arbeit und Geld ersehnen. Das Ende der endlosen Geschichte ist absehbar. Und alle werden dabei sein, obwohl keiner hingehen will. Simbabwe ist das Land der Zukunft.