Krise und Kritik der Warengesellschaft |
erschienen im Neuen Deutschland Robert KurzOSTEUROPA ALS NEUER BRANDHERDMit jedem neuen Schub der globalen Finanz- und Konjunkturkrise verlagern sich die Schauplätze. Das Lauffeuer springt in verwirrender Weise von den Banken auf verschiedene Industriebranchen und von den Zentren auf verschiedene periphere Weltregionen über, um von dort umso heftiger auf die Ausgangspunkte zurückzuschlagen. Wie nach den Finanzmärkten plötzlich die Autoindustrie und deren Zulieferer erfasst wurden, so nach den USA und Westeuropa ebenso unerwartet Island oder Irland. Der Grund für diesen eigenartigen Krisenverlauf ist eine strukturelle und globale Verkettung, die es in diesem Ausmaß noch nie zuvor gegeben hat. Die überall tief gestaffelte Verschränkung der Finanzblasen-Ökonomie mit der sogenannten Realwirtschaft ist gleichzeitig in transnationale Verbundsysteme mit ganz unterschiedlichen Reichweiten und Laufzeiten eingebunden. Der Krisenfunke durchrast diesen komplexen Gesamtzusammenhang mit wachsender Geschwindigkeit und zündet immer neue Brandherde. Jetzt ist Osteuropa an der Reihe. Noch vor kurzer Zeit galt der dortige Transformationsprozess vom Staatskapitalismus zur Weltmarktintegration als Erfolgsmodell. Aber die hohen Wachstumsraten von 7 oder 8 Prozent waren nur dem extrem niedrigen Ausgangsniveau nach dem vorherigen Zusammenbruch und einer daraus folgenden Deindustrialisierung geschuldet. Außerdem ging dieses Wachstum mit einer besonders brutalen sozialen Spaltung einher. Vor allem aber bestand der optimistisch so genannte „Aufbau“ nur aus Pappfassaden. Es fand überhaupt keine Transformation zu einer eigenständigen Teilnahme am Weltmarkt statt, sondern nur zu einer total abhängigen Verschuldungswirtschaft. Während sich eine dünne Reindustrialisierung auf verlängerte Billiglohn-Werkbänke westlicher Konzerne beschränkte, rissen sich westliche Banken das Finanzsystem unter den Nagel, das in ganz Osteuropa fast nur aus deren Töchtern besteht. Auf diese Weise blähte sich in Form massiver Zuflüsse von Geldkapital eine spezielle Kreditblase auf. Das betrifft nicht zuletzt die noch nicht in den Währungsraum integrierten Beitrittsländer oder Kandidaten. Dort verschuldeten sich die Staaten, die Unternehmen und die Privathaushalte immer höher in Fremdwährungen, vor allem in Euro und Schweizer Franken. Mit diesen Krediten wurde munter konsumiert, importiert und in unproduktive Bereiche investiert. Jetzt versiegt der Geldstrom, die lokalen Währungen werden abgewertet und die Zinsen der Euro- und Frankenkredite explodieren. Reihenweise drohen Staatsbankrotte, von Litauen bis zur Ukraine. Der bevorstehende Crash der osteuropäischen Schuldner hat natürlich gravierende Folgen für die selber schon angeschlagenen Gläubiger. Auf einer Masse faul werdender Ostkredite sitzen deutsche Geldhäuser, etwa die Commerzbank, und mehr noch die französische Société Générale. Am dicksten aber kommt es für österreichische Banken wie Raiffeisen International. Allein die Österreicher haben in den alten Habsburger Einflusszonen Kredite von 230 Milliarden Euro ausstehen; das sind sage und schreibe 75 Prozent des alpenländischen Bruttoinlandsprodukts. Während in den kommenden Monaten neue nationale und internationale Rettungspakete für die Oststaaten und ihre Gläubiger fällig werden, brechen die bislang von Jahr zu Jahr gestiegenen Exporte in diesen Raum weg. Und schon zeichnet sich der nächste weltregionale Crash ab, nämlich in Asien. Der mit wilden Zickzacksprüngen über den Globus fegende ökonomische Feuersturm hat seinen Höhepunkt noch lange nicht erreicht. |