Krise und Kritik der Warengesellschaft |
erschienen in der Wochenzeitung
„Freitag“ Robert KurzTEUERE GESCHENKEDie politische Krisenverwaltung im SuperwahljahrEs gibt kein Butterbrot umsonst! Mit dieser Parole wollte der Neoliberalismus den Menschen soziale Daumenschrauben anlegen, um die Lebensbedürfnisse auf Biegen und Brechen der Verwertungslogik des Kapitals unterzuordnen. Das war bereits ein Notstandsprogramm, denn die Produktivkräfte sind längst über die kapitalistischen Grenzen hinausgewachsen. In der neoliberalen Ära wurden einerseits intakte Ressourcen mangels Verwertungsfähigkeit stillgelegt. Andererseits setzte die Politik der Deregulierung eine Finanzblasen-Ökonomie frei, die über lange Zeit den Schein substanzloser Akkumulation erzeugte. Die davon genährte Defizitkonjunktur führte zu einer einseitigen Exportorientierung, während die Gesellschaft sich in Massenarmut und Teilhabe am nur noch fiktiven „abstrakten Reichtum“ aufspaltete. Jetzt bringt der Zusammenbruch der Finanzblasen-Ökonomie an den Tag, dass die Verwertung in letzter Instanz von realer Nachfrage abhängt. Der schwarze Peter der Simulation von Kaufkraft wird von den Finanzmärkten an die Staatsfinanzen übergeben. Das Kunststück, ohne massenhafte neue Verwurstung menschlicher Arbeitskraft für reale Mehrwertproduktion dennoch eine ausreichende Nachfrage zu erzeugen, wird aber auch dem Staat nicht gelingen. Die bisherigen Konjunkturprogramme sind nicht nur zu schwach, sondern in ihrer Wirkung zu verzögert, um den aktuellen historischen Einbruch auffangen können. Es ist das Pech der politischen Klasse in der BRD, dass das drastische Abschmelzen der weltweiten Nachfrage ausgerechnet in ein Superwahljahr fällt. Ohne sündhaft teure Wahlgeschenke droht den staatstragenden Parteien ein Debakel. Trotzdem fehlt der Wille, den Armen ein Butterbrot umsonst zu geben. Die politisch gewollte Prekarisierung der Lebensverhältnisse für wachsende Bevölkerungsteile soll als soziales Druckmittel in der Krise erhalten bleiben. Stattdessen verständigte man sich auf die berüchtigte Abwrackprämie, um dem heiligen Herz der deutschen Autoindustrie einen Schrittmacher zu verpassen. Dieses Wahlgeschenk für die vom Absturz bedrohten Mittelschichten hat aber seine Tücken. Es kann den Einbruch der Exportnachfrage nicht kompensieren. Auf dem Binnenmarkt entsteht ein Sog zu Kleinwagen, der vor allem durch Importe aus Asien und Südeuropa bedient wird. Die deutschen Premium-Hersteller bleiben auf ihren protzigen Nobelkarossen sitzen. Als weitere Nebenwirkung bricht der Gebrauchtwagenmarkt umso schneller zusammen. Gleichzeitig entbrennt zwischen den Anbietern eine Schlacht um Zusatzrabatte auf Kosten der Gewinne. Außerdem weckt die staatliche Prämie Begehrlichkeiten aller anderen Konsumgüterindustrien, die nicht einsehen, warum nur der Absatz von Autos subventioniert werden soll, obwohl sie doch genauso von der mangelnden Nachfrage betroffen sind. Ganz nebenbei enthüllt die Abwrackprämie den Selbstzweck-Charakter des Kapitals: Mutwillig werden Autos verschrottet, die noch fünf Jahre fahren könnten, bloß damit unter hohem Energieaufwand die Produktion weitergeht. Aber das ökologische Problem spielt für die Krisenverwalter keine Rolle mehr; sie verschieben es in eine Zukunft jenseits ihres politischen Daseins. Alle wissen natürlich, dass die staatliche Simulation von Kaufkraft für den Binnenmarkt zur Inflation führt. Der „seriöse“ Kreditrahmen ist längst erschöpft. Ohnehin bildet die Sorge um die Staatsfinanzen nur die Kehrseite der Lust an repressiver Sozialverwaltung. Der Zusammenhang von Lohnarbeit, Einkommen und Konsum ist zerrissen, ohne dass neue reale Verwertungspotentiale in Sicht wären. Alle materiellen Ressourcen sind reichlich vorhanden, aber sie gehen nicht mehr durch das Nadelöhr des Zwangs, aus einem Euro zwei zu machen. Das darf nicht laut gesagt werden. So könnte der Finanzminister doch noch kurzfristig alle Bedenken fahren lassen, um das Wahlvolk bei der Stange zu halten. Wenn die Abwrackprämie verpufft, werden als Tropfen auf den heißen Stein weitere teure Geschenke fällig, die nur noch direkt aus der Notenpresse zu finanzieren sind. Vor einigen Monaten waren schon einmal Konsumgutscheine im Gegenwert von 500 Euro für alle Bürger im Gespräch. Diese Ideen tragen unbewusst dem Notstand Rechnung, dass die Produktivkräfte nicht mehr in die kapitalistische Form eingebannt werden können. Aber eine wahltaktisch motivierte „Geschenkökonomie“ trägt nicht weit. Unter den herrschenden Produktionsverhältnisse bleiben solche Programme perspektivlos, wenn die kapitalistische Maschine nicht rechtzeitig wieder anspringt. Dann könnte gleich die Produktion von Falschgeld erlaubt werden. Deshalb wird es nach den Wahlen schnell wieder heißen, dass nur der Tod umsonst ist, und nicht einmal der. Sobald für einige Jahre kein politisches Legitimationsbedürfnis mehr besteht, darf die Krisenverwaltung wieder ihr hässlichstes Gesicht zeigen. Dann könnte es für die Mehrheit ein böses Erwachen geben. |