Krise und Kritik der Warengesellschaft |
erschienen im Neuen Deutschland Robert KurzIN DER KREDITKLEMMEDie Krise könnte sich beinahe schon in Wohlgefallen auflösen, wenn die bösen Banken nicht wären. Finanzminister Steinbrück jedenfalls spielt den Empörten, weil die Institute ihrer volkswirtschaftlichen Pflicht nicht nachkommen würden. Sie vergeben Kredite an die Unternehmen entweder nur zu erschwerten Konditionen oder gar nicht, obwohl sie sich selber bei der Notenbank auf historisch niedrigem Zinsniveau refinanzieren können. Was Steinbrück geflissentlich verschweigt: Nach offizieller Lesart soll es nicht zuletzt eine leichtfertige Kreditvergabe der Banken ohne ausreichende Eigenkapitalbasis gewesen sein, die zur Finanzkrise geführt habe. Schärfere Anforderungen an ihre Eigenkapitalausstattung zwingen aber die Banken dazu, die Vergabe von Darlehen einzuschränken bzw. zu verteuern. Da nützen extrem niedrige Leitzinsen gar nichts. Weil es bei den Unternehmen durchwegs ebenfalls am Eigenkapital mangelt und ihnen nun die berühmte Kreditklemme droht, haben die vor kurzem in ihren Absichtserklärungen noch kraftmeierischen staatlichen Regulierer schon wieder kalte Füße bekommen. Härtere Eigenkapitalregeln für die Banken, so beteuerten die Finanzminister der G20 soeben in London, sollen „wahrscheinlich“ erst 2012 kommen, wenn überhaupt. Diese kleinlaute Verschiebung der viel beschworenen Finanzmarktreformen wird freilich die Banken nicht freigebiger machen. Denn unabhängig von staatlichen Auflagen müssen sie sich ab Herbst auf Kreditausfälle in einer bislang unbekannten Größenordnung einstellen. Die größte Pleitewelle der Nachkriegsgeschichte rollt an. Durch den Sparkurs der Konzerne, von denen etliche selber ins Wanken geraten, brechen erst mit Zeitverzögerung die Aufträge im gesamten Spektrum der Zulieferindustrien ein. Das werden sehr viele nicht überleben. Und dasselbe gilt für das Transportgewerbe. Wenn aber eine Masse bereits laufender Unternehmenskredite demnächst abgeschrieben werden muss, warum sollen die Banken dann an potentielle Todeskandidaten mit vollen Händen neue Kredite zu billigen Konditionen vergeben? Das ist entgegen aller optimistischen Stimmungsmache die wirkliche Lage nicht nur in der BRD, sondern weltweit. Die globale Kreditvergabe durch das Bankensystem ist seit 2007 von 3 Billionen Dollar auf 1,1 Billionen Dollar gefallen. Im gleichen Zeitraum stieg die Emission von Unternehmensanleihen ebenso rasant an; im laufenden Jahr wurde für diesen Sektor erstmals in der Geschichte der Kapitalmärkte bereits bis Juli das Rekordvolumen von über 1 Billion Dollar erreicht. Diese Verschiebung des Finanzierungsbedarfs von Bankkrediten zu Anleihen können aber nur relativ große Unternehmen wagen. Auf dem Anleihemarkt treten sie mit den ebenfalls drastisch ausgeweiteten Staatsanleihen in Konkurrenz, was die Kosten der Emissionen erhöht. Dass überhaupt Fonds und Privatanleger bereit sind, solche Anleihepapiere zu kaufen, ist auf die immer noch große Masse liquider Mittel zurückzuführen, die nicht brach liegen dürfen. Wenn aber die globale Pleitewelle rollt, wird natürlich auch der Markt für Unternehmensanleihen einbrechen, weil das Risiko des Totalverlusts steil ansteigt. Sobald sich der Finanzierungsbedarf von immer mehr Unternehmen aller Größenordnungen gar nicht mehr auf Investitionen und die laufende Produktion bezieht, sondern nur noch auf die Umschuldung von bereits prekär gewordenen Zahlungsverpflichtungen, werden sie in keiner Form mehr Geld aus dem Finanzsystem bekommen. Die Kreditklemme ist so ein sich selbst verstärkender Mechanismus. Es wäre ja auch wundersam, wenn die Krise schon ihren Abschied nehmen würde, bevor sie sich überhaupt realisiert hat. |