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Carsten Weber

Festung MWW

Die „Rettung des männlichen Subjekts gegen sich selbst“ als ideologische Krisenzuflucht regredierender linker Mittelschichtssprösslinge

Gesellschaftskritik fällt nicht vom Himmel und artikuliert sich nicht von selbst. Sie ist das intellektuell voraussetzungsreiche Produkt von Individuen, die in leidvoller und konfliktreicher Auseinandersetzung mit der Gesellschaft ein kritisches Bewusstsein entwickeln und schließlich von den Gegenständen selbst zur Formulierung ihrer Kritik getrieben werden. Dabei gibt es keinerlei Garantie, dass diese anstrengende und undankbare Position durchgehalten wird. Hans Magnus Enzensberger, der selbst ein frappantes Exempel abgibt, fand vor fast 50 Jahren Worte von äußerster Prägnanz dafür: „Das Gesetz der zunehmenden Reflexion ist unerbittlich. Wer sich ihm zu entziehen versucht, endet im Ausverkauf der Bewußtseins-Industrie.“ (Enzensberger 172)

Ein aktuelles Beispiel dieses Verfalls bietet ein Aufsatz von Martin Dornis in der ersten Ausgabe der Leipziger Zeitschrift outside the box vom Dezember 2009 unter dem Titel „Die negative Dialektik des männlichen Subjekts“. Dieses haarsträubende Machwerk, dessen konzeptuelle und begriffliche Konfusion, inhaltliche Insuffizienz, immanente Widersprüchlichkeit, an Fanatismus grenzende Aufklärungsgläubigkeit und völlige Unausgewiesenheit seiner Kernaussagen, die mit einem pseudo-genialischen Gestus einhergeht, eine ernsthafte kritische Besprechung enorm erschweren, ist ein klägliches Dokument der Entfremdung seines Verfassers von einem gesellschaftskritischen Paradigma, das seine intellektuelle Entwicklung sowie seine Tätigkeit als EXIT!-Autor und -Redakteur über Jahre geprägt hatte und dem er nun mit eiferndem Geschepper öffentlich „abschwört“: nämlich der Wertabspaltungskritik und der notwendig mit ihr verknüpften Kritik der bürgerlichen Aufklärungsideologie.

Dornis beginnt seinen Aufsatz bereits mit einer fundamentalen Falschaussage. Er behauptet: „Dieser Text arbeitet in der folgenden Argumentation im Rahmen einer materialistischen Kritik der Geschlechterverhältnisse die negative Dialektik des männlichen Subjekts heraus.“ (S.20) Genau das tut er nämlich nicht. Der ganze Text ermangelt vollkommen jeglichen materialistischen Ansatzes und der dafür notwendigen Recherche; statt dessen wimmelt es darin von Glaubenssätzen und schlecht idealistischen Konstruktionen, auf die näher einzugehen ich im Folgenden zu meinem Leidwesen gezwungen bin. Zunächst dies: „Das Subjekt unterwirft die innere und äußere Natur und begründet damit zugleich sowohl die Möglichkeit von Freiheit wie auch die modernen versachlichten Formen von Herrschaft und Unterwerfung, also ökonomische Vermittlung über den Wert und politische über den allgemeinen Willen. In der Form des Subjekts unterwirft das Individuum seine Triebe der Selbstbeherrschung und begründet sich als identisches Wesen, individuiert sich überhaupt erstmalig, setzt sich als ein sich in der Zeit durchhaltendes, einheitliches und einzigartiges Wesen.“ (S.20; Hervorhebung durch Dornis) Diese Sätze sind regressive Ideologie, schlagen jeder ernsthaften Gesellschaftskritik, insbesondere aber der Historisierung gesellschaftlicher Formationen und kapitalistischer Vernunft ins Gesicht und strafen die vom Autor behaupteten kritischen Intentionen Lügen. Dornis tut allen Ernstes so, als seien die Menschen, die vor der blutigen Heraufkunft der kapitalistischen Subjektform gelebt haben, ganz naturverhaftete, triebfixierte Herdentiere bar jeder Individualität gewesen, ganz so, wie es die affirmativen Ideologen der kapitalistischen Gesellschaftsformation in den extremsten Ausprägungen ihrer Fortschrittsmetaphysik behauptet haben. Er ignoriert völlig, dass Individuen und soziale Verbände in der Vormoderne durch das fetischistische Vermittlungsmedium der Religion aufeinander bezogen waren und dass die Stände die Individuen als feudalistische Charaktermasken konstituierten. (vgl. Weber, Zwischen Hammer und Amboss) Der Kapitalismus wiederum hat die vormodernen Fetischkonstitutionen nicht überwunden, sondern er hat sich historisch als eine neue fetischistische Gesellschaftsformation aus der älteren heraus entwickelt, ohne dass dies das Ergebnis bewussten Handelns der daran beteiligten Individuen gewesen wäre.

Die Behauptung wiederum, das Subjekt begründe durch die Unterwerfung der inneren und äußeren Natur sowohl die Möglichkeit von Freiheit als auch die modernen versachlichten Formen von Herrschaft und Unterwerfung, mag zunächst als der Versuch erscheinen, die vom Autor behauptete Dialektik des männlichen Subjekts darzulegen. Allerdings handelt es sich dabei keinesfalls, wie von ihm avisiert, um eine negative Dialektik, die den Bruch mit diesem Subjekt beinhalten müsste, sondern bestenfalls um eine positive Dialektik, die den Wesensgehalt des männlich-westlich-weißen Subjekts retten will, und zwar, wie er meint, „gegen die in ihm angelegte Tendenz zur Barbarisierung, zu seiner Auflösung in die Zwangsidentität“ (S.23). Damit meint er aber keinesfalls die abscheuliche gegenwärtige Realität, sondern ausschließlich die aus der Vergangenheit in die Zukunft projizierte Drohung einer erneuten Übergipfelung des Grauens in einem illiberalen, autoritären, mit sich selbst identischen deutschen Volksstaat. Für diese wiederum ideologische Konstruktion benötigt Dornis eine krasse Geschichtsklitterung, die die Verlaufsgeschichte eines halben Jahrtausends kapitalistischer Moderne willkürlich in drei Phasen aufteilt: nämlich eine „schlimme“ Vorgeschichte, die durch Hexenverfolgung und gewaltsame ursprüngliche Akkumulation geprägt war, eine „gute“ Epoche von Aufklärung und bürgerlichem Liberalismus mit positiven Aufhebungsmöglichkeiten und schließlich eine wiederum „böse“ Verfallsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, in der angeblich der „Wealth of nations ... und das pursuit of happiness ... sowie die vernünftige Einrichtung der Welt“ fallen gelassen worden seien. (S.22f.)

Diesen angeblich „guten“ Potenzen des männlich-westlich-weißen Subjekts in seiner liberalen Phase, die Dornis im 18. Jahrhundert ansiedelt, spricht er mithin die Begründung der Möglichkeit von Glück zu (S.21) und nimmt dabei den lediglich schlagworthaft gebrauchten Begriff des pursuit of happiness völlig aus seinem Zusammenhang heraus. Die Präambel der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, aus der Dornis ihn regelrecht entwendet, spricht vom Recht jedes Individuums, dem eigenen Glück nachzujagenund zwar unter der a priori vorausgesetzten Maßgabe der Konkurrenz, die als kennzeichnendes Paradigma des Kapitalismus bereits den Autoren der Unabhängigkeitserklärung geläufig war. Indem Dornis dies verschweigt, ideologisiert er den Begriff des Glücks bis zur Unkenntlichkeit und entwertet ihn als Desiderat, denn: „Ohne die Konkurrenz kann man am Sozialverhalten der Menschen im Kapitalismus so gut wie nichts verstehen. Dabei ist Konkurrenz zunächst gar keine subjektiv-persönliche ‚Einstellung’ oder ein unschöner ‚Verhaltensstil’, den man durch guten Willen abbauen könnte, sondern sozusagen das allerobjektivste und zwingendste gesellschaftliche Faktum, das es im Kapitalismus gibt. [...] Die Individuen sind, soweit sie im Rahmen ökonomischer Konkurrenzbeziehungen aufeinanderstoßen, gezwungen, den jeweils anderen an seiner Tauschwertrealisierung, am Gelingen seines Tauschakts zu hindern, ihn auszustechen und zu schädigen, so daß er auf der Strecke bleibt. [...] Unter kapitalistischen Konkurrenzbedingungen ist die größere Leistungsfähigkeit eines anderen Menschen zunächst keineswegs etwas, über das ich mich freuen könnte, weil sie mir im Rahmen von kooperativer Tätigkeit auch zugute kommt, sondern primär etwas, das bei mir selbst Versagensangst und die Angst, überflüssig zu sein, hervorruft. [...] Die Wahrnehmung der größeren Leistungsfähigkeit der anderen muß bei mir den Impuls auslösen, diese Leistungsfähigkeit zur Verbesserung meiner eigenen Marktchancen auszuschalten.“1 (Ottomeyer 80f.) Freilich macht es einen entscheidenden Unterschied aus, ob ein Individuum sich diesem fetischistischen Handlungsimperativ hingibt, oder ob es ihn kritisch reflektiert und ihm in täglicher, mühsamer Dissidenz zu widerstehen versucht.

Bleibt ein Individuum im durch das universelle Konkurrenzprinzip geprägten pursuit of happiness erfolglos, ist es selbst schuld; diese Überzeugung bildet wohl den Inbegriff der US-amerikanischen Mentalität.2 Dies dürfte auch die mit konstitutionellem Pathos verschmelzende überschnappende Wut der ultrakonservativen Tea-Party-Bewegung gegen Obamas Gesundheitsreform erklären, die dieses Projekt als gleichzeitig kommunistisch und hitlerfaschistisch verdammt. Für den mitteleuropäischen Raum ist insbesondere die extreme Pflichtversessenheit Immanuel Kants und der Calvinisten der stärkste Beweis für die Haltlosigkeit sowohl eines „bürgerlichen Glücksversprechens“ als auch der Behauptung einer qualitativen Differenz zwischen den Subjektformen des 18. und des 19. Jahrhunderts, wie sie Martin Dornis aufstellt. Kant zufolge kann das Glück „durch den Handelnden gar nicht erreicht werden, denn dieser bedürfe dazu der Allwissenheit, um alle weitläufigen Folgen und Rückwirkungen seiner Handlungen übersehen zu können. Dieser Zweck könnte nur durch Natur selbst erreicht werden.“ (Historisches Wörterbuch der Philosophie: Glück, Glückseligkeit. HWPh Bd. 3, S. 703) Im übrigen ist es albern, die „Tiefe von vorgestern“ (Adorno, Minima Moralia 212) gegen die gestrige „Widerrufung von 1789“ (a.a.O.) „retten“ zu wollen. Das wäre wohl der absurdeste denkbare Revolutionsbegriff, die Perücken des 18. Jahrhunderts zum Fanal des 21. zu erklären.

Das „bürgerliche Glücksversprechen“ ist auch für Dornis nur Schein, aber diesen Schein verteidigt er hartnäckig als „Chance“, die noch zu verwirklichen sei. Den fetischistischen, also wahnhaften Schein von Glück, den der Kapitalismus seinen Subjekten bietet, adelt Dornis zur Möglichkeit der Befreiung; darum entscheidet er sich für den Wahn und gegen die Wahrheit. Diese verquere Denkfigur tritt bei ihm sowohl bezüglich des „bürgerlichen Glücksversprechens“ als auch der „romantischen Liebe“ auf: „Sie gründet auf der Möglichkeit von Individualität des Einzelnen, macht es damit denkbar, diesen einen Menschen und keinen anderen zu lieben, hemmungslos und aller Realität zum Trotze dem Schein zu verfallen, es gäbe für die eine oder den einen nur ihn bzw. nur sie.“ (S.20) Bösartig wird diese Apologie des Scheins allerdings, wenn Dornis mit ihr sogar das Grauen der Hexenverfolgung als Existenzbedingung der „Chancen einer Emanzipation von der Natur, einer Überwindung des Todes, ... auf Individualität und Freiheit“ verteidigt und die radikale Kritik dieses Wahnsinns als Forcierung der Barbarei diffamiert. (S.21) Auf diese Atrozität komme ich gleich noch einmal zurück.

Die dreiphasige Aufteilung, die Dornis über die Verlaufsgeschichte der kapitalistischen Moderne stülpt, ist nichts als Lug und Trug. Die kapitalistische Dynamik einschließlich ihrer Basisideologien bildet ein historisches Kontinuum, das sich nicht kinderfibelartig in einen „guten“ und zwei „schlechte“ Teile auftrennen lässt. Die liberale Phase war es ja gerade, in der gewaltsam die abstrakte Arbeit gegen Aufstände durchgesetzt wurde (vgl. Kurz, Schwarzbuch 101ff.), und die Aufklärungsphilosophie dieser Epoche war es gerade, die den basisideologischen Grund für Sexismus, Rassismus und Antisemitismus gelegt hat (vgl. Kurz, Blutige Vernunft 62ff.), und nicht erst eine spätere „Verfallsgeschichte“. Dornis braucht aber diese gewaltsame Geschichtsfälschung, um sein ideologisches, affirmatives Konstrukt gegen sein ehemaliges besseres Wissen durchzuhalten, und verfällt dadurch, wie alle Konvertiten, in ein besonders finsteres und niederträchtiges Urteilsraster. Wie zynisch Dornis’ Apologie der westlich-liberalen Gesellschaftsformation, die sich wie ein roter Faden durch seinen ganzen Text zieht, in der Tat ist, spricht er auf Seite 22 offen aus: „In das liberale Zeitalter fällt der Höhepunkt des Subjekts der kapitalistischen Gesellschaft. Hier kommt seine Dialektik vollständig entwickelt zum Vorschein. Vor dem Hintergrund der Folter- und Gewaltgeschichte mit der das männliche Subjekt zur Welt kam, erscheint die kapitalistische Gesellschaft sich selbst im 18./19. Jahrhundert siegesgewiss als aufgeklärt. Sie kann das Blutbad, auf dem sie gründet, getrost vergessen.“ (Hervorhebung von mir) Das ist nicht sarkastisch-verdammend gemeint, sondern zustimmend. Dornis bedauert, dass es zu diesem Blutbad gekommen ist, aber die im Zuge dessen herbeigeführte historisch-gesellschaftliche Transformation, die nach Marx „jenem scheußlichen heidnischen Götzen gleich[t], der den Nektar nur aus den Schädeln Erschlagener trinken wollte“ (MEW Bd.9, S.226), feiert er. Wo gehobelt wird, da fallen eben Späne; die Hauptsache ist, dass das Opfer sich lohnt, und Martin Heidegger lässt aufmunternd grüßen: „Die Verdüsterung der Welt erreicht nie das Licht des Seyns.“ (zitiert nach: Adorno, Negative Dialektik 73) Dieser blanke Zynismus des Erfolgs wie auch das hierbei gleichfalls zu Tage tretende, ordinäre demokratisch-staatstragende Räsonnement, das im übrigen auch dem Titel der dieses schändliche Elaborat publizierenden Zeitschrift gellenden Hohn spricht, liegen ebenso seiner Betrachtung der Massenmorde an Frauen im geschichtlichen Verlauf der Hexenverfolgung zugrunde. Dornis versteigt sich auf Seite 21 zu der Aussage: „Das gesamte moderne Verständnis von Mensch und Natur wäre ohne die Hexenverfolgung undenkbar – die Scheiterhaufen der Hexenverfolgung waren das Zündfeuer für die Fackel der Aufklärung. Das spätere bürgerliche Subjekt schmiedete in dieser Zeit seine Freiheit und Autonomie.“ (Hervorhebung Dornis) Auch hierin findet sich, wie Dornis’ nachfolgende Kontemplationen erweisen, kein Gran Sarkasmus oder gar Zorn. Eigentlich toll, wie viel Opfermut die Frauen damals für die Freiheit des modernen Mannes aufgebracht haben. Vielleicht sollte Horst Köhler ihnen noch postum das Bundesverdienstkreuz verleihen...

In diesem Zusammenhang muss wohl gesehen werden, mit welch verblüffender Vermittlungs- und Begründungslosigkeit Dornis einerseits die Wert-Abspaltungstheorie von Roswitha Scholz abtut, die er als EXIT!-Autor noch vehement verfocht3, andererseits aber mit der gleichen Vermittlungs- und Begründungslosigkeit und in höchst konfuser Weise wertabspaltungskritisch inspirierte Gedankensplitter in seinen Text streut. Hieran zeigt sich, wie inkonsistent und widersprüchlich der ganze Aufsatz ist, und in welche Verwirrung sein Verfasser gerät. Zunächst regrediert er, ohne seinen Gedankengang im mindesten nachvollziehbar zu machen, auf ein ausgesprochen oberflächliches Niveau in der Betrachtung des kapitalistischen Geschlechterverhältnisses und gibt dabei jeden relevanten und kritisch-analytisch tauglichen Begriffsapparat für einen überaus schlampigen und laxen Jargon auf, wie ihn Adorno als „das mit dem vertrauten Strom der Rede Schwimmen“ (Minima Moralia 112) gekennzeichnet hat. Dornis behauptet: „Moderne Frauenunterwerfung ist weder ein Diskursprodukt, dem durch Rekurs auf Vielheit zu begegnen wäre, noch ein Haupt- oder wahlweise: Nebenwiderspruch, der irgendwie mit politisch-ökonomischer oder rassistischer Diskriminierung zusammen zu denken wäre.“ (S.20; Hervorhebung von mir) Und im Fazit schreibt er: „Eine materialistische Kritik des Geschlechterverhältnisses muss sich strikt gegen Theorien einer Verquickung von kapitalistischer Gesellschaft und Patriarchat wenden.“ (S.25) Dagegen lobt er, in völligem Widerspruch dazu, Charles Fourier als „radikaler als Marx“, denn: „Fourier geht über Marx hinaus, insofern er die Frauenunterdrückung als Grundlage kapitalistischer Herrschaft und Ausbeutung erkennt und damit die Notwendigkeit formuliert, sie zu beseitigen, um zu wirklicher Emanzipation zu gelangen.“ (S.22; Hervorhebung Dornis) Und als erste These seines Fazits formuliert er: „Die grundlegenden Kategorien der kapitalistischen Gesellschaft sind ohne die Unterwerfung von Frauen weder denk- noch praktizierbar.“ (S.24)

Wie es scheint, stört Dornis sich daran, dass die Abspaltungskritik die Wertabspaltungsvergesellschaftung als kapitalistisches Geschlechterverhältnis begreift, dem sein moralisierendes Geraune von Frauenunterdrückung bzw. -unterwerfung nicht angemessen ist. Die Abschaffung eines gesellschaftlichen Verhältnisses kann eben nicht als heroische Befreiung gefangener Prinzessinnen imaginiert werden. Überdies braucht er für seine Regression zum Aufklärungsideologen die begründungslose – weil nicht begründungsfähige – Abkehr von seinen früheren Erkenntnissen, da die Abspaltungstheorie, indem sie das Abspaltungsverhältnis auf derselben Abstraktionsebene wie abstrakte Arbeit und Wertform ansiedelt, es selber also als wesentlich erkennt, der theoretische Einsatz für die radikale Kritik der bürgerlichen Aufklärungsphilosophie war, die Dornis unbedingt retten will. Die Abspaltung ist gleichursprüngliche Voraussetzung des Werts, und deshalb ist sie unvereinbar mit der Propaganda eines „Emanzipationsgehalts“ des MWW und seiner „Vernunft“. Der von ihm lauthals beschworenen Frauenemanzipation will Dornis ausgerechnet die Vernunft des männlich-westlich-weißen Subjekts als ihre eigene einzige Möglichkeit unterschieben, wodurch er sie gleichzeitig begrifflich dementiert. Das beweist die vermittlungslos von ihm deklamierte „Überwindung“ des männlichen bürgerlichen Subjekts, die perspektivisch sogar mit seiner Rettung identisch sein soll (S.23) und dergestalt nur noch als „MWW nach dem MWW“, also gewissermaßen als dessen Verewigung erscheint.

So erweist sich Dornis’ angebliche „negative Dialektik des männlichen Subjekts“ als aufklärungsideologische Rabulistik, ja geradezu als eine „theoretische“ und aufklärungsideologische Paranoia, indem die Massaker der Vergangenheit im Namen des westlichen Liberalismus gegen das dräuende illiberal-deutsche Grauen der Zukunft verteidigt werden, welches ausgerechnet aus einer zu radikalen Kritik des MWW folgen soll. Denn dies ist die ideologische Krücke seiner Abwehrhaltung gegen die ehemals von ihm selbst vehement verfochtene Wert-Abspaltungskritik: um diese exorzieren zu können, muss er ihre exponiertesten TrägerInnen dämonisieren. Der diffamierende, von Dornis nicht begründete, inhaltlich haltlose Vorwurf, Robert Kurz vollziehe mit seiner Subjektkritik „explizit den Weg des Subjekts in die Nazibarbarei nach“4 (S.23), ist eklatanter Ausdruck argumentativer Hilflosigkeit, die auf der inhaltlich-theoretischen Insuffizienz seiner Geschichts- und Aufklärungsideologie beruht, sowie jener fanatischen Gläubigkeit an die emanzipatorischen Potenzen der MWW-Vernunft, die eine theoretische Auseinandersetzung mit der Aufklärungskritik durch phrasenhafte Denunziation ersetzt, welche sich im übrigen auch gegen die Abspaltungstheorie und ihre Exponentin Roswitha Scholz richtet, da auf ihr ja die fundamentale Kritik des männlich-westlich-weißen Subjekts beruht. Sie ist mit dem Vorwurf der NS-Apologie eigentlich gemeint.

Radikale Gesellschaftskritik braucht die Kraft radikaler Negation der gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse sowie der sie tragenden Subjektform. Dornis jedoch diffamiert die radikale Negation als gleichermaßen totalitär wie die gesellschaftliche Totalität selbst, fällt ihr so gewissermaßen in den Arm und ergeht sich in gemäßigter Affirmation der herrschenden Verhältnisse. Das entspricht freilich einer Mittelschichts-Interessenideologie in der Krise, deren Grundimpuls darin besteht, die „Barbarei“ nicht als Grundlage der kapitalistischen Gesellschaft und ihrer Aufklärungsideologie selber zu enthüllen, sondern sie in die Peripherie bzw. in die Zusammenbruchsregionen des Weltmarkts zu veräußerlichen, um dann die „Rettung“ der kapitalistischen „Zivilisation“ zu propagieren, was sich als das Verlangen enthüllt, unbehelligt von den „Barbaren“ und am besten mit Hilfe der westlichen Militärmaschine, unter Beibehaltung der Mittelschichts-Interessen und unter dem Schirm der Reste des Sozialstaats in den Zentren die jeweils eigenen bürgerlichen (Theorie-)Ambitionen weiterverfolgen zu können. In den Zentren wiederum grenzt sich die Interessenideologie der Mittelschichten gegen „die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen“ ab, um noch einen Rest Distinktionsgewinn in der Krise zu erhaschen und im zunehmenden Verteilungskampf unter dem Vorzeichen repressiver Verwaltung künstlichen Mangels die pole position zu erobern.

Insofern ist die antideutsche Aufklärungsideologie ein Komplement zur – äußerlich von ihr bekämpften – kleinbürgerlichen Alternativ-Idyllenmalerei unter dem Label einer krass verkürzten „Wertkritik“, die unter dem ideologischen Vorzeichen eines schlecht abstrakten Aneignungs-Begriffs tausend Keimformen des Kommunismus im kapitalistischen Hier und Jetzt entdecken will, wobei sie mit bedauerndem Achselzucken einschränkt: „Geld macht es möglich...Geld macht nicht glücklich! Doch wo es regiert, ist ohne Geld nichts zu machen. Man muss es haben“. (Peter Pott; zitiert nach: Kurz, Seelenverkäufer) Auf beide linken Mittelschichtsideologien, sowohl die antideutsche Aufklärungsideologie als auch die Aneignungsideologie verkürzter „Wertkritik“, trifft zu, was Robert Kurz gegen letztere gerichtet hat: „Die gesellschaftliche Vernichtungskonkurrenz soll nicht durch soziale Konfrontation mit der Krisenverwaltung ... konterkariert, sondern bloß aus den eigenen Gartenlauben herausgehalten werden. [...] Indirekt ist deshalb auch ein sozialer Ausgrenzungs-Impuls wirksam, der alles abstößt, was nicht in dieser Zurechtlegung von neo-kleinbürgerlichen Pseudo-Emanzipationspotenzen aufgeht. Für die Masse der neuen Unterschichten, die von vornherein mit diesem habituellen Konstrukt inkompatibel ist (ohne dass es deswegen die besseren Menschen wären; auch diesem „anderen“ Alltagsverstand gegenüber ist Ideologiekritik angebracht), steht vor der imaginierten alternativideologischen Spießer-Idylle der abstürzenden Mittelschichts-Existenzen das Ladenschild: ‚Wir müssen leider draußen bleiben’.“ (Kurz, Seelenverkäufer)

Diese Interessenideologie, die sich in den Mittelschichten in ihr eigenes Recht setzt, macht als zugespitzte Ausdrucksform des kapitalistischen Konkurrenzprinzips vor den Subjekten der Mittelschichten freilich keineswegs Halt. Ist das habituelle Dazugehören bereits das Paradigma der Abgrenzung gegen die Unterschichten, so bildet es innerhalb der Mittelschichten die „Währung“, in der das jeweilige individuelle Akzeptiertsein der Mittelschichtssubjekte in ihren Milieus gemessen wird. Speziell in linken Kreisen, etwa dem antideutschen Leipziger Bürgerkinder-Milieu, geht es um den Nachweis des Stallgeruchs und der jeweils genehmen Ideologie. Hier musste der in Leipzig beheimatete Martin Dornis vor Jahren, als er der Aufklärungsideologie zwischenzeitlich den Rücken gekehrt und sich der Wertabspaltungskritik zugewandt hatte, die Erfahrung machen, dass seine Clique ihn dafür mit Nichtachtung strafte. Ich habe eingangs die Position radikaler Gesellschaftskritik als anstrengend und undankbar bezeichnet; und zwar deshalb, weil sie in der fetischistischen Gesellschaft die Drohung der Vereinsamung gewärtigen muss. Der common sense ist stets zum Konformismus bereit und betrachtet den nonkonformen Kritiker sowohl mit feindseligem Misstrauen als auch mit hämischem Konkurrenzblick: einmal isoliert, ist dieser kein wirkmächtiger Konkurrent mehr. Die inhumanen Folgen stellen Horkheimer und Adorno mit großem Scharfblick dar: „Das Verhalten des Einzelnen zum Racket, sei es Geschäft, Beruf oder Partei, sei es vor oder nach der Zulassung, die Gestik des Führers vor der Masse, des Liebhabers vor der Umworbenen nimmt eigentümlich masochistische Züge an. Die Haltung, zu der jeder gezwungen ist, um seine moralische Eignung für diese Gesellschaft immer aufs neue unter Beweis zu stellen, gemahnt an jene Knaben, die bei der Aufnahme in den Stamm unter den Schlägen des Priesters stereotyp lächelnd sich im Kreis bewegen. Das Existieren im Spätkapitalismus ist ein dauernder Initiationsritus. Jeder muß zeigen, daß er sich ohne Rest mit der Macht identifiziert, von der er geschlagen wird. [...] Jeder kann sein wie die allmächtige Gesellschaft, jeder kann glücklich werden, wenn er sich nur mit Haut und Haaren ausliefert, den Glücksanspruch zediert. In seiner Schwäche erkennt die Gesellschaft ihre Stärke wieder und gibt ihm davon ab. Seine Widerstandslosigkeit qualifiziert ihn als zuverlässigen Kantonisten.“ (Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung 162)

So ist nun Martin Dornis reumütig blökend in die heimatliche Herde zurückgekehrt. Er ist nicht der erste und wird vermutlich nicht der letzte bleiben. Vor Jahren, als er seinen Aufsatz „Von der Harmoniesucht zum Vernichtungswahn“ für EXIT! Heft 3 gerade abgeschlossen, hatte bereits einen anderen ehemaligen Leipziger Wertkritiker die Reue gepackt; dieser distanzierte sich damals mit derart bekenntnishafter Inbrunst von der Wertabspaltungskritik, dass mir schreckenerregende historische Analogien sich aufdrängten. Martin Dornis schüttelte über dieses Gebaren befremdet den Kopf. Vielleicht hilft es ja, wenn er ihn noch einmal, allerdings kräftiger, schüttelt.

Anmerkungen:

Literaturverzeichnis: