Robert Kurz
EIN HELD DER
POSTMODERNEN WELT
oder
Das
Guttenberg-Universum
Kleiner
Nachschlag zu einer exemplarischen
Affäre
Der Freiherr
Karl Theodor zu
Guttenberg ist durch ein zeitgemäßes Verhalten
aufgefallen. Die Überraschung
darf umso mehr eine angenehme genannt werden, als ihm von übel
wollender Seite
nachgesagt worden war, er leide an anachronistischen und krankhaften
Geisteszuständen wie intellektueller Redlichkeit,
unabhängigem Denken oder
zuverlässiger Sorgfalt. Von etlichen Kulturkonservativen soll
ihm sogar
Originalität unterstellt worden sein. Alle diese Verleumdungen
haben sich als
haltlos erwiesen. Als joggender und surfender Medienkompetenzler unter
Vierzig
ist der Adelsspross Fleisch vom Fleische der Generation Facebook. Copy
and
Paste gilt ihm nicht als Schamlosigkeit (was ist das?), sondern als
Cleverness;
nichts Postmodernes ist ihm fremd. Warum soll man noch irgendetwas
selber
denken, wenn man ohnehin immer schon patentierter Queer- und
Selberdenker ist?
So konnte es diesem Sympathieträger des Zeitgeistes auf
beispielhafte Weise
gelingen, die Ideen, die er nicht hatte, auch nicht mit eigenen Worten
auszudrücken. Das kann ihm keiner mehr nehmen.
Alle, die das
postmoderne Theorem
vom „Tod des Autors“ von wem auch immer
abgeschrieben haben, wussten mit
Grandezza ihren Namen darüber zu setzen. Diese feine Ironie
hat auch der
Freiherr sofort verstanden. In Zeiten der Individualisierung
verschwinden der
Autor und die Autorin nicht etwa, um einem anonymen Kollektiv der
geistigen
Fabrikproduktion Platz zu machen. Bloß die Namen wechseln wie
die Türschilder
im Plattenbau. Was stirbt, ist der Ursprungsmythos, dass da
tatsächlich mal
jemand etwas gedacht und erfunden, recherchiert, entwickelt und
ausformuliert
hätte, das man zitieren müsste. Texte sind einfach da
wie das Weltall. Oder wie
die Äpfel am Baum, die man nur zu pflücken braucht.
Besser und weniger
naturalistisch gesagt: Die Welt ist sowieso ein einziger
großer Text in Form
eines virtuellen Selbstbedienungs-Supermarkts, in den man sich
einloggen darf,
wenn man zufällig Lust auf Reputation hat.
Jeder Gedanke
ist doch schon mal da
gewesen und im postmodernen Nirwana abgespeichert. Man muss sich nur
den
technischen Zugriff verschaffen. Deshalb wird das
gewohnheitsmäßige
Reduplizieren auch nicht in den entlegenen Textregionen der Neuen
Zürcher oder
der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stehen bleiben, sondern die
zentralen
Schatzkammern des Abendlands, des Orients und überhaupt
sämtlicher
intelligiblen Welten hacken. Der Freiherr gehört zu den
Vorläufern eines weit
höher stehenden Second-hand-Denkens, als er es selber an den
Tag legen konnte.
Nehmen wir als einfaches Beispiel den Lehrsatz des sogenannten
Pythagoras.
Dieser Ursprungsmythos wird geknackt, wenn der bislang noch verkannte
23-Jährige
Emil Backe den Satz in einer Hausarbeit für die
Universität Köln aufstellt und
seinen Namen darüber setzt. Natürlich kann auch der
Lehrsatz des Backe keinen
langen Originalitätsbestand haben, aber darauf kommt es ja gar
nicht an. Der
postmoderne Zeithorizont wird sowieso immer kürzer. Das gilt
auch dann, wenn
der inzwischen schon 25-Jährige Backe den
„Faust“ präsentiert, den er in
mühevoller Kleinarbeit heruntergeladen hat. Für eine
Viertelstunde wird das in
der Community als sein bislang reifstes Werk besprochen, und mehr kann
man sich
wirklich nicht wünschen.
Womöglich
behauptet nun irgendein
Ewiggestriger, auf diese Weise käme nichts Neues mehr zustande
und irgendwann müsste
den menschlichen Kopierautomaten der Stoff ausgehen. Wer so denkt,
kennt das
Remix-Verfahren nicht. Es geht ja keineswegs bloß um die
repetitive und
serielle Aneignung einzelner Werke, sondern mehr noch um die
Kombination von
möglichst verschiedenen Textbausteinen. Darin besteht die
eigentliche
Kreativität der Originalfälschung. Und auch
dafür gibt die Dissertation des
Freiherrn ein Beispiel, obwohl sie in diesem Sinne noch nicht ganz
klassisch
genannt werden kann. Denkbar wäre etwa ein Remix aus
Shakespeares „Wie es euch
gefällt“, Aufsätzen von Kurt Gödel
und der Autobiographie von Oliver Kahn; neu
konfiguriert als Alterswerk von Emil Backe, das er mit 29 Jahren
bloggt. Die
Vielfalt der Remix-Möglichkeiten ist nahezu unbegrenzt. So
wird endlich jeder
ein Promi und über das Kopierwerk hinaus zum Gegenstand seiner
eigenen elektronischen
Yellow Press, indem er jeden Tag huldvoll interessante Mitteilungen
über die
Zusammensetzung seines Abendessens twittert.
Im Grunde
könnte der kopierte
Geisteszustand vollständig automatisiert werden. Warum soll
man noch selber
downloaden und remixen, wenn es der Rechner auf Zuruf schon viel besser
kann?
Der Unterschied ist ein quantitativer, kein qualitativer. Es geht ja
nur um die
Geschwindigkeit, mit der die ars combinatoria zu vollziehen ist. Im
Denkstübchen ist nirgendwo einer zuhause, weder bei den
intelligenten Robots
noch bei ihren Herrchen. Wer braucht heute noch ein Ich, wo doch alle
schon
längst individualisiert sind? Eine einzige eigene
Basisqualifikation freilich
bleibt unverzichtbar: Das kopieren lassende Subjekt sollte weiterhin
seinen
Namen schreiben können. Drei Kreuze einzugeben, wäre
nicht individuell genug.
Soviel Alphabetisierung muss sein, sogar im postmodernen Copy-Shop. Der
Freiherr zum Beispiel konnte ganz eindeutig seinen Namen buchstabieren,
sonst
stünde der nicht auf dem Titelblatt der Dissertation. Damit
hätte er auch in
die Wirtschaft gehen können. Oder in die Kernphysik. Dass er
die Jurisprudenz
vorgezogen hat, deutet allerdings auf eine gewisse Engführung
hin. Die Zukunft
wird den individuellen Universalkopierer bringen, vor dem die
Universalgenies
der Renaissance erblassen müssten.
Ganz
überflüssig also die künstliche
Aufregung von abgelebten Kultursenioren, die in alledem eine Dekadenz
des
entqualifizierten Geistesbetriebs erkennen wollen. Da sind die
dynamischen
Avantgardisten an der Basis anderer Meinung: „Wir sollten mit
solchen Urteilen
und tiefer Empörung…vorsichtig sein, denn das
Kopieren, Abschreiben,
Mit-falschen-Federn-Schmücken im kleinen Stil ist unser aller
täglich
Geschäft“. Wer sich das aus dem Weltall der Texte
herunterkopiert hat? Niemand
anders als die Leiterin des Ressorts „Namen &
Karriere“ im „Handelsblatt“,
die ebenfalls berufsbedingt ihren Namen schreiben kann. Sie
weiß, wo der Bartel
den Most holt; und deshalb schmückt sie sich nicht mit
fremden, sondern mit
falschen Federn. Echte gibt es ja keine mehr. So verhält es
sich eben mit dem
Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, wie es
Emil Backe
einmal in seiner nachahmlichen Art ausgedrückt hat, als er
gerade einen besonders
guten Kopiertag im etwas größeren Stil erwischt
hatte.
Dass der
Freiherr trotz seiner
enormen und aufopferungsvoll gepflegten Kopierfähigkeiten
nicht mehr den Job
des Verteidigungsministers ausüben kann, der ihm auf den Leib
geschneidert war
wie jede andere wissenschaftlich anspruchsvolle Tätigkeit
auch, macht ihn zum
Helden und zum Märtyrer der postmodernen ideellen
Gesamtbefindlichkeit. Da die
dekonstruktivistische Linke an der Spitze des digitalen Fortschritts
marschiert, sollte sie im oberfränkischen Kleinadel die
verwandte Copy-Seele
erkennen. Umso befremdlicher mutet es an, wenn einige Vertreter der
Freien-Software- und Freien-Kultur-Bewegung auf Distanz zu gehen
versuchen. So
hätten sie es nicht gemeint. Verwunderlich nur, dass es
solchen Einspruch nie
gab, wenn im alternativen Blätterwäldchen ihres
eigenen Milieus das „lustvolle
Abschreiben“ zum emanzipatorischen Akt erklärt
wurde. Wenigstens der
„Gegenstandpunkt“ weiß es zu
würdigen, dass der Freiherr sich erfreulich wenig
proprietär verhalten hat. Aus einem Marxschen Text kann diese
Stellungnahme
nicht abkopiert worden sein. Aber vielleicht ist endlich auch bei den
ältesten
neuen Linken die Vielfalt eingekehrt.
Überhaupt
kann die linkspostmoderne
Szene am adeligen gelernten Windbeutel studieren, worin das Geheimnis
jenes
Zustands besteht, den sie immer ersehnt, aber nie erreicht hat:
nämlich populär
zu sein und vom Volk geliebt zu werden. Der Freiherr galt bei den
Menschen im
Lande als pfundig; nicht weil, sondern obwohl er sich als begrifflich
denkendes
Wesen präsentierte. Die Helden des Alltagsverstands haben
jedoch ein feines
Gespür dafür, wenn sich hinter einer abartigen Schale
ein guter Kern verbirgt.
So hat die vermeintliche Enttarnung nur einen letzten Makel
abgewaschen, indem
bewiesen wurde, was immer schon zu ahnen war: Er ist ja gar kein
Intellektueller! Er hat das ganze abgehobene Zeug bloß
kopiert, ohne sich viel
dabei zu denken. Seitdem wird er gerade deswegen doppelt und dreifach
geliebt,
egal was er sonst noch publizieren mag; und seien es die
„Grundrisse“ oder
„Finnegans wake“. Der postmoderne Stammtisch darf
sich sagen: Trotzdem ist er
einer von uns. Dass er seinen Namen schreiben kann, ist für
sich genommen noch
nicht ehrenrührig. Das können wir als normale
Menschen schließlich auch, wenn
wir uns ein wenig anstrengen. Die Post-Linke sollte den Freiherrn nicht
nur aus
sachlichen, sondern auch aus propagandistischen Gründen zu
ihrem Ehrenmitglied
ernennen; vielleicht fällt dann ein wenig von seinem Charisma
auf sie ab.