Krise und Kritik der Warengesellschaft |
Transformationskampf statt Klassenkampf!In der manifesten Systemkrise, wenn alles in Bewegung gerät, sollte die rasch erodierende Linke ruhig etwas Neues wagen – solange es noch möglich ist und es sie noch gibt.Tomasz KoniczWas brauchen wir nach dem diesjährigen Horrorsommer? Wenn es nach der Linkspartei geht, einen „heißen Herbst“ der Sozialproteste. Von den unzähligen Möglichkeiten, auf die manifeste Systemkrise, auf Klimakollaps, Inflation, Verelendung, soziale Erosion, Faschisierung, Krieg und Rezession zu reagieren, wählten die stockkonservativen Entscheider im Karl-Liebknecht-Haus die anachronistischste und opportunistischste Variante, die letztendlich sozialer Demagogie gleichkommt, da es angesichts der sich entfaltenden Krise kein Zurück zum „rheinischen Kapitalismus“ und der sogenannten sozialen Marktwirtschaft gibt. Die Krisenideologie eines „grünen Kapitalismus“, wie sie die Grünen erfolgreich popularisiert haben, will die Linkspartei – auf Koalitionsoptionen schielend – mit einer sozialen Komponente anreichern. Sozialproteste in der eskalierenden Systemkrise, bei denen die nur zu berechtigte Existenzangst der Menschen parteipolitisch instrumentalisiert wird, um die Systemfrage zu einer bloßen Umverteilungsfrage zu verzerren – diese Demagogie ist nicht nur ein karikaturhaftes Paradebeispiel für falsche Unmittelbarkeit, sondern auch Ausfluss einer verkürzten Kapitalismuskritik, die sich an den Erscheinungen festbeißt und deren Ursache ignoriert beziehungsweise personalisiert. Es ist ein reaktionäres Festhalten am kollabierenden Alten, das Räume für eine Querfront aus alten Linken und neuen Rechten eröffnet, wie sie in der ostdeutschen Provinz schon Realität ist, zum Beispiel in Brandenburg an der Havel, wo am 17. September Linkspartei, „Aufstehen“, Friedensbewegung, Querdenker, AfD und Nazis gemeinsam für Frieden und russisches Erdgas demonstrierten. Die Linkspartei „konkurriert“ nun in Sachen sozialer Demagogie mit der AfD. Buchstäblich auf denselben Demos. Doch das muss nicht sein – selbst in Deutschland mit seiner furchtbaren nationalsozialistischen Tradition. Wie wäre es mit einer neuen Praxis, anstatt die ollen, braun anlaufenden Kamellen der vergangenen Dekaden ein letztes Mal unter die Leute zu bringen? Es ist inzwischen offensichtlich, dass das kapitalistische Weltsystem sich in Agonie befindet und an seinen inneren Widersprüchen und den ökologischen Verwüstungen, die es anrichtet, zu zerbrechen droht – selbst die in der deutschen Linken hat sich dies inzwischen herumgesprochen. Die letzte Aufgabe der Linken besteht darin, das Unbehagen am Kapitalismus zu radikalisieren, also an dessen Wurzel zu gehen, um klar zu machen, dass eine Überwindung des Kapitals als umfassendes Produktions- und Reproduktionsverhältnis im Rahmen einer Systemtransformation überlebensnotwendig ist. Die Überwindung des Kapitals ist der letzte kapitalistische Sachzwang. Entweder wird das Kapital und damit im Marx’schen Sinne die Vorgeschichte der Menschheit von einer emanzipatorischen Bewegung bewusst in Geschichte überführt, oder es zerstört die ökologischen und sozialen Grundlagen des Zivilisationsprozesses. So einfach ist das. Und das kann man aufzeigen mit Verweis auf die Absurdität uferlosen Wirtschaftswachstums in einer endlichen Welt. Das ist aber ein Karrierekiller für all die linken Opportunisten, die noch was werden wollen bei der kommenden Krisenverwaltung im Politik- und Medienbetrieb. Deswegen ist die Frage der offensiven Verbreitung dieses radikalen Krisenbewusstseins bei linken Praxisbemühungen entscheidend, da sie auch die Trennlinie zum Opportunismus bildet. Vor allem aber ist ein klares Verständnis des Krisencharakters die Grundvoraussetzung einer emanzipatorischen Transformationsbewegung, eben weil es kein „revolutionäres Subjekt“ gibt und weil kein Weltgeist im Verborgenen der „List der Geschichte“ zum Durchbruch verhilft. Nicht um einer radikalen Attitüde das Wort zu reden, sondern weil die Systemtransformation unausweichlich auf alle – und diese Generalisierung ist in diesem Fall geboten – zukommt, muss sie offensiv thematisiert werden. Die von der verkürzten Kapitalismuskritik ignorierte Selbstbewegung des Kapitals, der durch die inneren Widersprüche des Kapitalverhältnisses angetriebene Fetischismus, tritt deutlich hervor vor dem Hintergrund des drohenden sozioökologischen Kollaps, an dem sich ja auch alle Lenin‘sche Interessenlogik blamiert. Die Menschheit ist der destruktiven Dynamik des Kapitals, die sie unbewusst, marktvermittelt hervorbringt, auch in dessen Agonie ohnmächtig ausgeliefert. Die Hoffnung, an der aller Evidenz zum Trotz, festzuhalten ist, besteht darin, dass im Verlauf des ergebnisoffenen Transformationsprozess dieser Fetischismus überwunden und von einer emanzipatorischen Bewegung in die bewusste Gestaltung der gesellschaftlichen Reproduktion überführt werden kann. Was aber zwangsläufig ansteht, ist ein Kampf um den Verlauf der für das Überleben notwendigen Systemtransformation. Denn die Krisendynamik wird von den eskalierenden Kämpfen der konkreten Subjekte exekutiert, wie etwa während der Eurokrise oder aktuell Krieg um die Ukraine. Alle konkreten Kämpfe – von Sozialprotesten, über Klimastreiks, bis Antifa-Demonstrationen oder Bürgerrechtsbewegungen – müssten bewusst als Kämpfe um eine postkapitalistische Zukunft geführt und offensiv als solche propagiert werden. Es gilt, diejenigen Kräfte und Konstellationen zu identifizieren, die einen emanzipatorischen Transformationsverlauf begünstigen. Dies wäre der sehr reale gemeinsame Nenner konkreter sozialer Bewegungen. Bewegungskonkurrenz – etwa zwischen Sozial- und Klimabewegung – würde so verhindert. Die Kämpfe gegen spätkapitalistische Krisentendenzen wie Pauperisierung, Entdemokratisierung und Faschisierung müssen als Teilmomente des Transformationskampfes geführt werden. Ein radikales Krisenbewusstsein kann sich anfangs auch in Parolen und Forderungen artikulieren: Sozialproteste und Umverteilungsforderungen können beispielsweise darauf abzielen, dass die Reichen für die anstehende Transformation zahlen – solange Geld noch Wert hat. Was noch abzugreifen geht, das sollte man dem Staat abzwingen. Allerdings müsste in diesem Zusammenhang betont werden, dass auch dies schlussendlich anachronistisch ist und der monströse Selbstzweck des Kapitals als solcher Gegenstand der theoretischen wie praktischen Kritik sein müsste. Denn letztendlich muss auch im konkreten sozialen Kampf schon der Ausbruch aus dem kapitalistischen Gedankengefängnis gewagt werden, anstatt beispielsweise am erodierenden Sozialstaat festzuhalten. Entscheidend ist es, den kapitalistischen Zwangszusammenhang als solchen zu benennen und die Erfüllung von Bedürfnisse nach Essen, Wohnung, einer intakten Umwelt usw. einzufordern, auch wenn sie nicht finanzierbar sein sollte, auch wenn es heißt, es wäre unmöglich Tonnen nicht verkauftes Brot irgendwie anders zu verwenden, als es in den Müll zu entsorgen. Deswegen sind auch bürgerliche Derivate der Klassenkampflogik, wie die ökologisch motivierte Konsumkritik und das entsprechende Verzichtsdenken kontraproduktiv. Es geht nicht darum, den Warenkonsum, der nur ein Moment des Verwertungsprozesses ist, einzuschränken, sondern darum, die menschliche Bedürfnisbefriedigung aus dem Korsett der Waren- und Abspaltungsform zu befreien. Die Krise wird mit der Warenform auch den Konsum zerstören, wie es für viele am Rande des Hungertodes vegetierende Menschen in den Zusammenbruchsgebieten der Peripherie schon der Fall ist. Hinzukommt das ökonomische Wegschreddern des Gesundheitssystems. Ein Pflegenotstand würde sich zum Massentod ausweiten, als hätte es den medizinischen Fortschritt der letzten Jahrhunderte nie gegeben. Die Care-Arbeit aufzuwerten, wäre da genauso hilflos, wie eine Lohnerhöhung bei Hyperinflation. Die Frage ist, ob eine bewusste Bedürfnisbefriedigung jenseits der kapitalistischen Verwertungslogik im Rahmen eines gesamtgesellschaftlichen Verständigungsprozesses noch beim anstehenden Transformationskampf erkämpft werden kann. Progressive Praxis ist somit nur noch als Teilmoment des Kampfes um einen emanzipatorischen Transformationsverlauf möglich – alles andere führt in Krisenideologie und letztlich in die Barbarei. Die Front des Transformationskampfs verläuft zunächst auch zwischen den erodierenden politischen Lagern, zwischen links und rechts. Die Rechte (samt der Querfront), die durch ein reaktionäres Festhalten am kollabierenden Bestehenden den Extremismus der Mitte forciert, treibt den ins Anomische taumelnden Faschismus als offen terroristische Krisenform kapitalistischer Herrschaft voran, die Restlinke könnte immer noch als eine emanzipatorische Kraft dem entgegenwirken, sollte sich in ihr ein radikales Krisenbewusstsein durchsetzen, das Grundlage eines bewusst geführten Transformationsprozesses würde. Insofern schient gerade der Antifaschismus – ähnlich der letzten Systemkrise der Dreißiger – als das erste zentrale Kampffeld des Transformationskampfes abzeichnen. Im Gegensatz zum Klassenkampf, wo die Arbeiterschaft als „variables Kapital“ Teil des Verwertungsprozesses bleibt, kann der Transformationskampf im Krisenverlauf schnell von einer eliminatorischen Logik erfasst werden, da mit dem Verwertungsprozess die gemeinsame ökonomische Basis der in Auflösung übergehenden Klassen kollabiert. Der Feind wird nicht mehr ökonomisch „benötigt“, er ist nur noch überflüssiger Konkurrent. Die Bereitschaft der EU, etwa das Mittelmeer zu einem Massengrab für Krisenflüchtlinge umzufunktionieren, bietet einen Ausblick auf das barbarische Potenzial des Krisenprozesses. Letztlich geht es um die Frage, ob die subjektlose Herrschaft des Kapitals im Verlauf der anstehenden Transformation überwunden werden kann, oder ob es der extremen Rechten, die in ihren Netzwerken im tiefen Staat schon mit den Hufen scharrt, es ein letztes Mal gelingt, das dem Kapitalverhältnis innewohnende barbarische Potenzial manifest zu machen. Auch deswegen sind beispielsweise Protestbewegungen gegen Entdemokratisierung, Polizeistaat und autoritäre Bestrebungen als Teilmomente des Transformationskampfs essentiell, da dies helfen kann, den Transformationsprozess möglichst lange in zivilisierten Bahnen ablaufen zu lassen, bevor die militärische Logik greift. Es stellt sich schlicht die Frage, welche spätkapitalistische Gesellschaft in den Transformationsprozess eintreten soll: ein oligarchischer, hochgerüsteter Polizeistaat, oder eine relativ offene bürgerliche Demokratie. Dabei sollte nicht vergessen werden zu welchen Verbrechen die bürgerliche Demokratie in ihrem Normallauf fähig ist. Bullenmorde, Terror gegen Flüchtlinge, Schikane und Entmenschlichung von Armen usw. können auch durch und durch demokratisch legitimiert ablaufen. Bürgerliche Demokratie meint nichts anderes als gleichberechtigt am Verwertungsprozess des Kapitals teilnehmen zu können. Aus der Krise heraus können sich die demokratischen Staatsformen in autoritäre Regime verwandeln. Allerdings geschieht das auch nicht automatisch. Hier geht es aber darum festzustellen, dass es für soziale Kämpfe noch einen Unterschied macht, ob man durch Äußerung von Kritik gleich aufgehängt oder in einen Gulag gesteckt wird oder nicht, ob ein korrupter Sozialdemokrat oder ein Faschist regiert... |