Startseite Krise und Kritik der Warengesellschaft


Robert Kurz

Die verlorene Ehre der Arbeit
Produzentensozialismus als logische Unmöglichkeit


A) Vorbemerkung

Der nachfolgende Text ist die leicht gekürzte Fassung eines Papiers, das im denkwürdigen Herbst 1989 entstanden ist und als Ergänzung und Erweiterung der in zahlreichen Artikeln dieser Zeitschrift vorgetragenen Argumentation einem theoretischen Selbstverständigungsprozeß dienen sollte, der nicht erst zu diesem Zeitpunkt für die Erneuerung und Zuspitzung (statt der angesichts der Ereignisse weithin zu beobachtenden Entradikalisierung) eines sozialistischen Zieles und einer revolutionären Programmatik notwendig geworden war. Die seitherige Zirkulation dieses Textes bei den verschiedensten Personen und Gruppen hat eine so lebhafte, teils zustimmende und teils ablehnende Reaktion hervorgerufen, daß er im folgenden auch der Leserschaft der "Krisis" insgesamt zugänglich gemacht werden soll, um die weitere Diskussion zu befördern.
Nicht verschwiegen werden kann, daß die meisten bisherigen (leider hauptsächlich mündlichen oder der Form nach nicht veröffentlichungsreifen) Antikritiken weder den Verfasser noch die Redaktion sonderlich überzeugen konnten, da sie hauptsächlich bloßer Abwehr und der Mobilisierung der verschiedensten Vorurteile aus den arbeiterbewegten Denkmustern zu entspringen schienen, deren Überwindung gerade das Ziel sein müßte, um mit der heutigen Realität fertigzuwerden, ohne auf radikale Gesellschaftskritik verzichten zu müssen. Man kratze den kritischen Theoretiker, und der alte Arbeiterbewegungsmarxist kommt zum Vorschein.
Obwohl hier Zeit und Platz für eine ausführlichere Auseinandersetzung fehlen, sollen wenigstens einige kritische Argumente kurz aufgegriffen werden. Zum einen war gelegentlich zu hören, daß die hier vorgetragene Kritik der "Arbeit" durchaus nichts Neues sei, sondern auch von kritischen Strömungen der Arbeiterbewegung und insbesondere der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule schon formuliert worden sei. Nun gibt es in der Tat einige (allerdings wenige und vereinzelte) Texte, die sich gegen den Mainstream der Arbeiterbewegung kritisch mit deren Affirmation der "Arbeit" auseinandersetzen. So etwa das bekannte, witzige und auch heute noch mit Genuß zu lesende "Recht auf Faulheit" von Paul Lafargue oder z.B. einen kleinen Essay von Max Horkheimer in seiner Sammlung "Dämmerung" zur Kritik des Satzes, daß wer nicht arbeitet auch nicht essen solle. Übrigens hat sogar der positivistische Philosoph Bertrand Russel einen netten Text zum "Lob des Müßiggangs" verfaßt, und selbst bei Nietzsche kann eine grimmige Verhöhnung der "Arbeit" gefunden werden.
Aber erstens verfallen auch die wenigen arbeitskritischen Stimmen des Marxismus dem logischen Widerspruch, daß sie ihre Kritik der Arbeit dennoch vom Standpunkt der Arbeit aus vortragen müssen, da ihnen sonst das apriorische Subjekt "Arbeiterklasse" als Handlungsträger verloren ginge; ein Widerspruch übrigens, an dem auch noch die Operaisten gescheitert sind. Zweitens aber teilen sie mit den bürgerlichen Stimmen der Arbeitskritik das entscheidende Manko, daß diese Kritik nicht im geringsten vermittelt ist mit einer Kritik der gesellschaftlichen Form, in der sich die Arbeit der Moderne befindet, d.h. der Ware-Geld-Beziehung. Wie überhaupt die Marxsche Fetischismuskritik selbst in der Kritischen Theorie noch nicht anders als dunkel raunend, unkonkret und unvermittelt mit den behandelten Gegenständen thematisiert werden konnte. Das soll diesen Theoretikern der Vergangenheit nicht vorgeworfen werden, von denen immer noch vieles zu lernen ist und die zu ihrer Zeit Fortschritte erarbeitet haben. Der Vorwurf muß sich aber an diejenigen richten, die heute einen radikalen Gestus mit einer unselbständigen Nachlassverwaltung der theoretischen Vergangenheit verbinden und sich mit zäher Abwehr weigern, darüber hinauszugehen und eine den längst fortgeschrittenen Verhältnissen adäquate Theorie auszuarbeiten.
Zum andern aber zeigen einige Einwände auch, daß die scheinbare Identität von "Arbeit" und "Stoffwechselprozeß mit der Natur", wie sie ideologisch hartnäckig festgehalten wird, obwohl sie sich in der gesellschaftlichen Realität durch die "Produktivkraft Wissenschaft" längst zu entkoppeln begonnen hat, offenbar argumentativ schwer aufzubrechen ist. Wie das bürgerliche Aufklärungsbewußtsein, dem noch die scheinbar radikalsten Manifestationen der bisherigen Kapitalismuskritik angehören, vor der Kritik seiner eigenen Subjektform, d.h. der Warenform zurückzuckt, so wehrt es auch eine Kritik des Inhalts dieser Subjektivität, d.h. der "Arbeit" mit allen Anzeichen des Entsetzens ab.
Die Warenform aber ist die letzte und höchste der Formen, in denen sich der "Stoffwechselprozeß mit der Natur" noch als "Arbeit" vollzieht und in denen die Gesellschaft sich mit sich selbst nicht anders als in einer aufsteigenden Linie von Fetischismen vermitteln kann 1 .

Mit der Menschwerdung selbst, deren Ursprünge nach wie vor völlig im Dunkeln liegen, ist Subjektivität gesetzt, d.h. Entkoppelung vom Instinkt der Tiere. Aber der wahre Inhalt dieser Subjektivität im "Stoffwechselprozeß mit der Natur" ist nicht "Arbeit", sondern reflexives Denken. Nur solange die fetischistischen Entwicklungsstufen nicht überwunden sind, in denen sich die gesellschaftliche Form des Stoffwechselprozesses mit der ersten Natur als bewußtlose "zweite Natur" geltend macht, erscheint die vom reflexiven Denken bestimmte Praxis als "Arbeit".
Dieser unvollkommene, quasi vorgeschichtliche Inhalt menschlicher Subjektivität müßte in analytischer Abgrenzung von "Praxis" schlechthin bestimmt werden als a) repetitive (und insofern noch primitive) Praxis ewig wiederkehrender lebensnotwendiger Handlungsvollzüge und als b) unmittelbarer Praxisbezug im Vollzug des Stoffwechsels mit der Natur. Die historische Produktivkraftentwicklung hat aber beide Bestimmungen der als "Arbeit" zu definierenden Praxis bis an die Schwelle ihrer Aufhebung getrieben. Immer mehr werden Handlungsvollzüge für die gesellschaftliche Praxis bestimmend, die weder repetitiv noch unmittelbar auf den Stoffwechsel mit der ersten Natur bezogen sind: Wissenschaft, Konstruktion, Ausbildung, Pflege und personenbezogene Dienste usw.: eigentlich Meta-Tätigkeiten vor, hinter und über der Produktion, die nur vom Kapitalismus als "Arbeit" definiert werden (woran er aber scheitert). Der Produktionsarbeiter, der nicht durch "Handarbeit" schlechthin zu bestimmen wäre (auch Malerei oder Laborexperimente sind oder implizieren Handarbeit), sondern durch "Unmittelbarkeit" des Bezugs zu den im "produktiven" gesellschaftlichen Stoffwechselprozeß mit der Natur umzuformenden Naturstoffen und -Kräften (eben: "unmittelbarer Produzent"), - dieser Produktionsarbeiter ist in seinem Unmittelbarkeitsbezug als bloßes "Anhängsel der Maschinerie" (geronnene Wissenschaft) immer abstrakter geworden, je mehr von Wissenschaft konstituierte Mittel zwischen Natur und gesellschaftliche Reproduktion geschoben werden, bis er schließlich der Tendenz nach durch Automatisierung ganz aus dem "Stoffwechselprozeß mit der Natur" herausgenommen wird. Diesen auch dann noch mit "Arbeit" identisch zu setzen, heißt sich an Kategorien der menschlichen Vorgeschichte festkrallen.
Der Marxismus hat den Begriff des reflexiven Denkens als übergreifenden Inhalt menschlicher Subjektivität immer als "Idealismus" abgelehnt, weil er das Denken einseitig als bloß kontemplatives und damit bloß sekundäres Praxismoment begreifen konnte, d.h. weil sein Begriff der gesellschaftlichen Praxis selber noch der Vorgeschichte verhaftet blieb und diese Praxis somit für ihn als "Arbeit" erscheinen mußte. Der Kapitalismus aber hat die Wissenschaft, deren Ursprung tatsächlich ein kontemplativer war, in den Rang der ersten Praxis und damit der ersten Produktivkraft gesetzt. Der Mensch ist die erste Produktivkraft, aber eben nicht als "Arbeiter", sondern als Wissenschaftler, d.h. als Denker. Dies wird die Menschheit sogar in ihren vernageltsten marxistischen Exemplaren zur Kenntnis nehmen müssen durch die katastrophischen Krisenprozesse hindurch, in die dieser "hinter dem Rücken" der kapitalistischen Subjekte von ihnen selbst konstituierte Tatbestand eine ihrer Form nach immer noch in der "Arbeit" verharrende Welt zu stürzen sich anschickt.
Am häufigsten schließlich und immer wieder war von den verschiedensten Standpunkten aus der Vorwurf zu hören (und zwar nicht nur bezüglich des folgenden Textes, sondern als Kritik unserer Position überhaupt), daß unsere Kritik des "Werts" und der diesen konstituierenden "Arbeit" noch keine Kritik des Kapitals sei und keinen "Begriff" von diesem habe. Da dieses Problem seiner Bedeutung wegen an anderer Stelle (und vermutlich in dieser Zeitschrift) anhand der Marxschen "allgemeinen Formel des Kapitals" noch ausführlich erörtert werden soll, im Vorgriff auch dazu nur einige Bemerkungen. Die Kritik des "Mehrwerts" bei gleichzeitiger Affirmation des "Werts" ist ein alter Kalauer des Arbeiterbewegungsmarxismus; und diese arbeiterbewegte Affirmation des "Werts" entspricht voll und ganz der Affirmation der "Arbeit", was ja unsere Argumentation logisch beweist.
Wenn unsere einschlägigen Kritiker uns vorwerfen, daß wir von der Kritik des "Werts" nicht zu derjenigen des "Mehrwerts" gelangen könnten, so ist dieser Spieß sofort umzudrehen: sie selber können nämlich von ihrer bloß traditionell vermittelten "Mehrwert"-Kritik (als Kritik der guten alten "Ausbeutung") niemals logisch zu einer Kritik des "Werts" und damit zum Gedanken einer Aufhebung der "Arbeit" gelangen. Soweit sie eine Kritik des "Werts" zwar akzeptieren oder "begrüßen" (und zwar im Sinne eines impotenten diplomatischen Sprachgebrauchs), bleibt diese bei ihnen selber im Stande des bloßen Versicherns, der bloß äußerlichen und unkonkreten Behauptung, das bloß rhetorische Anhängsel einer Argumentation, die zu gar keiner logischen Ableitung der "Wertkritik" fähig ist. Umso ärgerlicher, wenn diese eigene Unfähigkeit sich auch noch gelegentlich mit dem Gestus akademischer Blasiertheit und Besserwisserei aufplustert zu onkelhafter Überlegenheit, die durch gar nichts begründet ist.
Andererseits bemerkt die in einem traditionell verkürzten "Mehrwert"-Begriff befangene Kritik gar nicht, dass bei uns immer schon von "Mehrwert" und Kapital die Rede ist, nur auf einer anderen Begriffsebene. Das Kapital ist "Wert", allerdings die zur gesellschaftlichen Reproduktionsform fortentwickelte höchste Gestalt des "Werts", deren Funktionsmechanismus der "Mehrwert" nur ist. Als Kapital ist der "Wert" ein selbstreflexives, tautologisches Verhältnis geworden, wie im folgenden Text genauer ausgeführt wird (vgl. dazu auch den Artikel "Aschermittwoch des Marxismus" in "Krisis" 8/9), ganz im Unterschied zum vorkapitalistischen "Wert" und dessen Formen, die nur die Gebrauchswerte auf niedriger Stufe der Vergesellschaftung vermittelten; vorkapitalistisch hat der "Wert" also noch kein reflexives Verhältnis zu sich selbst und kann eben deshalb noch kein gesellschaftliches Reproduktionsverhältnis konstituieren.
Dieser durchaus vom traditionellen verschiedene Kapitalbegriff impliziert wiederum eine theoretische Entkoppelung vom Arbeiterbewegungs-Marx, bei dem die verkürzte "Mehrwert"-Kritik selber in der Redeweise von der "unbezahlten Arbeit" erscheint und eine Konsequenz nahelegt, daß dieser "unbezahlte" Teil der "Arbeit" doch auch "bezahlt" oder irgendwie von den Arbeitern selber unter Kontrolle genommen werden solle. Wodurch dann der "Mehrwert" fälschlich mit dem vorkapitalistischen Mehrprodukt bzw. dessen naturaler Aneignung durch vorkapitalistische "herrschende Klassen" identifiziert wird und die Kritik des Kapitals mit derjenigen der "Ausbeutung" in der ganzen bisherigen Geschichte. Das "Kommunistische Manifest" ist noch ganz in dieser Sichtweise befangen. Die ganze Form- und Fetischismus-Kritik fällt dann unter den Tisch oder wird reduktionistisch verstanden und erscheint als bloß "philosophisches" Anhängsel, als hegelianische "Metaphysik" usw. (so liest z.B. Schumpeter die Marxsche Theorie, weil er diese einseitig vom Arbeiterbewegungs-Marx her versteht). Erst in der Entkoppelung auch des Kapitalbegriffs von der Lesart des Arbeiterbewegungs-Marx kann ein voll und ganz der Kritik der Politischen Ökonomie entsprechender Kapitalbegriff gewonnen werden, wie ihn Marx als Kritik des Kapitalfetischs entwirft, die das fetischistische, tautologische Verhältnis der gesellschaftlichen Arbeit zu sich selbst im Visier hat und nicht beim Funktionsmechanismus des "Mehrwerts" und dem völlig immanenten Begriff der "Ausbeutung" stehenbleibt. Dies als Vorgriff auf eine Argumentation, die wie gesagt noch ausführlicher folgen soll.
Noch etwas zu einer möglichen Quelle von Mißverständnissen, nämlich unserer "Methode" oder besser Vorgehensweise (denn um eine "Methode" im szientistischen Sinne handelt es sich nicht). Vom traditionell marxistischen Standpunkt aus ist unsere Argumentation auch deshalb schwer nachzuvollziehen, weil dieser einen bereits fixierten und unbeweglichen Begriff des "Kapitals im Allgemeinen" unterstellt und theoretisch handhabt, zu dem die konkret-historische Entfaltung des Kapitals seit 100 Jahren als sogenannte "Empirie" nur äußerlich akzidentiell hinzutritt. Unserer Auffassung nach jedoch ist auch die Marxsche Theorie des "Kapitals im Allgemeinen" historisch zu begreifen, d.h. mit der konkret-historischen Entfaltung des Realkapitals ist auch dessen allgemeiner Begriff konkret weiter zu entfalten.
Konkretheit wäre demzufolge immer eine solche des Begriffs selber und nicht dessen bloße Anreicherung oder Illustration mit empirischem Material, das dann in den Stand der Beliebigkeit gerät. Nur aus einer solchen Sicht- und Denkweise heraus (die, wir bekennen es nicht verschämt, sondern mit Stolz, der postmodernen Unperson Hegel verpflichtet ist) kann der leer und kasuistisch gewordene Charakter des marxologischen Jonglierens mit abstrakt verdünnten Kategorien einerseits und das empiristische Gestammel mit draufgesetzter immanenter Konzept-Heckerei andererseits (ein den akademischen Betrieb kennzeichnender Widerspruch) überwunden und unsere Auffassung vom "doppelten Marx" überhaupt verstanden werden.
Zuletzt bleibt noch übrig, die Leser um Verzeihung zu bitten, wenn der folgende Text sich mit anderen und früheren Artikeln überschneidet und gelegentliche Wiederholungen unvermeidlich sind. Vielleicht kann es als Entschädigung gelten, daß früher nur angedeutete Argumentationsstränge hier breiter und differenzierter ausgeführt werden. Eine hier und da auftauchende gewisse Schwerfälligkeit mag damit zu rechtfertigen sein, daß es sich wieder um einen Selbstverständigungs-Text handelt, der sich auf unbekanntem Terrain bewegen mußte.


B) Die Ontologie der Arbeit

Ein Sozialismus innerhalb der Ontologie der Arbeit ist nicht möglich, d.h. die Warenform der gesellschaftlichen Reproduktion kann nur zusammen mit der "Arbeit" selbst aufgehoben werden. Dies aber ist für das Sozialismusverständnis der alten Arbeiterbewegung ebenso undenkbar wie für deren bürgerliche Gegenspieler. Auch bei Marx ist diese Frage noch nicht völlig entschieden, sondern bleibt zwiespältig. Einerseits entwickelt er (gerade auch in den Frühschriften) die Notwendigkeit einer Aufhebung der "Arbeit", andererseits jedoch expliziert er über weite Strecken selber eine Ontologie dieser "Arbeit": es könnte sich danach immer nur um die jeweils verschiedenen historisch-gesellschaftlichen Formen der "Arbeit" handeln, um die historisch spezifische Bestimmung von ihrem an sich ewigen Dasein, nicht aber um ihre Aufhebung als solche.
Diesen Widerspruch gilt es aufzulösen und aus den Bedingungen einer noch mangelhaften Entfaltung des kapitalistischen Vergesellschaftungs- und Verwissenschaftlichungsprozesses zu erklären. Nicht die "Befreiung der Arbeit" kann der Inhalt des Sozialismus sein, sondern einzig und allein die "Befreiung von der Arbeit". Dabei ist zunächst zu klären, daß es sich nicht um menschliche Tätigkeitsform schlechthin oder um den "Stoffwechselprozeß mit der Natur" handelt, sondern immer schon um die "abstrakte Arbeit" der Wert- oder Warenform, die "Verausgabung menschlicher Arbeitskraft" als Selbstzweck unter den stofflichen Bedingungen, wie sie von der Konkurrenz der Marktsubjekte gesetzt werden. Diese Identität des Arbeitsbegriffs überhaupt mit der abstrakten Arbeit der Warenform, die eine Aufhebung von Ware und Geld innerhalb der Ontologie der Arbeit unmöglich macht, gilt es näher zu explizieren.

a) "Arbeit" als Realkategorie schließt bereits "Nichtarbeit" bzw. der "Arbeit" jenseitige "Sphären" oder "Bereiche" der Gesellschaft ein, die vom Arbeitsprozeß getrennt sind. "Arbeit" jedoch, die von "Freizeit", "Politik", "Kunst und Kultur" usw. als solche getrennt erscheint, ist immer schon abstrakte Arbeit. Das Kapitalverhältnis als entfaltete Wertform hat diese reale Trennung der "Arbeit" von den sonstigen Momenten des Reproduktionsprozesses erst in reiner Form herausgearbeitet. Vorher existiert sie erst embryonal in der Trennung diverser vom Arbeitsprozeß freigestellter Aneignerklassen des stofflichen Mehrprodukts von dessen "unmittelbaren Produzenten"; in den Prä-Klassengesellschaften der Naturvölker dagegen findet sich noch die unmittelbare Totalität des Reproduktionsprozesses 2 , in der es weder "Arbeit" noch "Freizeit", "Kultur" usw. als besondere Sphären gibt, und diese unmittelbare Identität des Lebensprozesses in allen seinen Momenten pflanzt sich innerhalb des Reproduktionsprozesses der unmittelbaren Produzenten in den vorkapitalistischen Formationen noch fort bis an die Schwelle der Industrialisierung und kapitalistischen Arbeitsteilung.
Klar ist, daß sich die Trennung der "Arbeit" vom übrigen Lebensprozeß nicht nach rückwärts auflösen läßt, wie es z.B. die moderne (lebensphilosophisch inspirierte) Produktivkraftkritik letztlich fordert. Die Einheit von Produktionsarbeit, Lebenspraxis und Kultur etwa, wie sie meinetwegen im Arbeitsgesang der Schiffsschlepper an der Wolga zum Ausdruck kam, dürfte kaum als erstrebenswert angesehen werden, um die Widersprüche des heutigen Grades abstrakter Vergesellschaftung aufzulösen. Jede unmittelbar scheinkonkret vorgestellte "Wiederherstellung" dieser Einheit muß kopfüber abstürzen ins Reaktionäre, in die Idealisierung tatsächlich "unvorstellbarer" Bedürfnisarmut und Lebensqual vom Standpunkt des heute erreichten zivilisatorischen Niveaus aus.
In der vorkapitalistisch "noch" vorhandenen totalen Einheit der Lebenspraxis ist die "Arbeit" bloss deswegen noch nicht abstrakt als getrennte Sphäre, weil sie als weitgehend unmittelbarer Stoffwechselprozeß mit der Natur praktisch den gesamten aktiven Lebensraum ausfüllt und die kulturellen, "politischen" etc. Momente bloße Wurmfortsätze des allumfassenden unmittelbaren Reproduktionsprozesses sind, nicht im "funktionalistischen" Sinne zwar, aber als Teil einer rohen, undifferenzierten, unvermittelten Einheit, die "organisch" zu nennen nur ein Verweis auf ihre noch starke Naturverhaftetheit sein kann. Die Konkretheit der vorkapitalistischen Arbeit besteht gerade in der Totalität der Arbeit als übergreifendes Moment der einheitlichen Lebenspraxis; wo die Arbeit noch total in diesem Sinne ist, kann ihr Begriff mangels Differenzierung noch nicht existieren, und nur als diese totale, die gesamte Lebenspraxis übergreifende und ausfüllende Arbeit kann sie noch nicht abstrakt sein im Sinne einer getrennten Sphäre der Arbeitskraft-Verausgabung.
Deswegen ist die Arbeits-Verachtung der vorkapitalistischen "herrschenden Klassen" auch ein ungeheurer Fortschritt, weil die Freistellung einer Minderheit von der totalen Arbeit des allumfassenden Lebensprozesses überhaupt erst Distanz zur Natur schaffen und eine höhere Stufe des Stoffwechselprozesses vorbereiten konnte (ein natürlich außerhalb des Bewußtsein der Beteiligten liegender Zusammenhang). Der Müßiggang der alten "Herrschenden" (die selber in ihrer Lebenspraxis noch Naturfetischen wie z.B. Blutsverwandtschaft etc. unterworfen blieben) war aufs Ganze gesehen um vieles "produktiver", als es sämtliche "ehrliche Produktionsarbeit" der Weltgeschichte zusammengenommen jemals sein konnte. Die Wissenschaft wurde in der Antike geboren, und nicht aus der "Arbeit", sondern aus dem "Müßiggang", aus der Distanz von der kruden Einheit des Lebensprozesses.
Demzufolge ist zu begreifen, daß die Emanzipation der Menschheit durch die abstrakte Arbeit hindurchmusste, daß erst die Trennung der Arbeit von der Totalität des Lebensprozesses nötig war, um dessen Einheit auf der höheren Ebene von Bedürfnisreichtum wiederherstellen zu können. Denn, so paradox es im ersten Augenblick klingen mag, erst die Trennung der "Arbeit" von jener vermeintlich "guten" und "erstrebenswerten" Einheit des totalen Lebensprozesses schuf begrenzten "Müßiggang" auch für die Masse der "unmittelbaren Produzenten": erst die abstrakte Arbeit produzierte auch "Freizeit" im Sinne von tatsächlich freier Zeit, d.h. bewußt disponibler Zeit für die Massen.
Der oft wiederholte produktivkraftkritische Verweis auf die vermeintliche "Freizeit" der vorkapitalistischen unmittelbaren Produzenten verwechselt bloßen Stillstand der Lebenspraxis oder "Leerzeit" in einem rohen, bedürfnisarmen Reproduktionsprozeß mit disponibler, "freier" Aktivzeit der Lebenspraxis selbst, die erst aus der Distanz zum unmittelbaren Stoffwechselprozeß mit der Natur erwachsen kann. Erst die abstrakte Arbeit, die den unmittelbaren Reproduktionsprozeß als getrennte Sphäre hervorbrachte, konnte diese Distanz sukzessive verallgemeinern. Der Wolgaschiffer konnte in seiner Frei- oder Leerzeit bestenfalls seinen bloeden Maloche-Singsang wiederholen, der Charaktermaske der abstrakten Arbeit aber steht in ihrer disponibel gewordenen Freizeit zunehmend ein ganzes Universum von Möglichkeiten offen, auch wenn natürlich der Zugriff auf dieses Universum durch die abstrakte Beliebigkeit der Warenwelt deformiert ist.
Es geht also darum, die Einheit des Lebensprozesses nicht als Auflösung der abstrakten Arbeit nach rückwärts "wiederherzustellen", sondern umgekehrt die abstrakte Arbeit als Leiter zu einem höheren Zustand der Lebenspraxis zu begreifen, die nun weggestoßen werden kann, weil sie nicht mehr gebraucht wird. Es gilt, die errungene Distanzfähigkeit zur Natur nicht rückgängig zu machen, sondern von der elenden Krücke der abstrakten Arbeit zu befreien. Die Aufhebung der abstrakten Arbeit ist also nicht auf der Basis der Produktionsarbeit möglich, sondern nur auf der Basis des "produktiven Müßiggangs". Erst unter diesem Gesichtspunkt erhellt sich die Marxsche Rede von der "Entwicklung der Produktivkräfte" als vom Kapitalismus bewußtlos zu schaffende Voraussetzung für eine sozialistische Revolution.
Es ist leicht zu begreifen, daß diese Logik einer Aufhebung der abstrakten Arbeit inkompatibel ist mit dem Sozialismusbegriff der alten Arbeiterbewegung. Praktisch konnte sie sich die Ausdehnung der "Freizeit" immer nur vorstellen auf der Basis der "Arbeit"; die "Arbeit" erschien als das Eigentliche, die "Freizeit" als das Sekundäre, Uneigentliche. Im Kampf um die Verkürzung des "Normalarbeitstages" wurde so zwar tatsächlich die disponible Frei-Zeit für die Massen errungen und ausgedehnt, aber mit dem Akzent auf der (abstrakten) "Normalarbeit" als niemals in Frage gestelltem Zentrum der Lebenspraxis und eigentlich sinnstiftender Angelegenheit.
Wie der Sozialismus "politisch" eine "Arbeitermacht" sein und "ökonomisch" in der "Arbeit" weiterhin (und erst recht) fundiert sein sollte, so sollte er kulturell eine "Arbeiterkultur" verallgemeinern, deren "realistische" Scheusslichkeiten und monumentalkitschigen Verherrlichungen der "Arbeitskraft-Verausgabung" fast identisch im deutschen Faschismus und im "sozialistischen Aufbau" der Sowjetunion zu besichtigen sind. "Arbeit macht frei", das war das nicht einmal heimliche Motto auch der sozialistischen Arbeiterbewegung. Die kulturelle Einheit der Lebenspraxis konnte auf dieser Basis nicht hergestellt werden, oder eben nur als verlogene Propaganda. Soweit diese Einheit als Ziel überhaupt formuliert wurde, implizierte sie eher eine geradezu reaktionäre Zurücknahme der gesellschaftlichen Distanzfähigkeit vom unmittelbaren Produktionsprozeß, es sollte also immer eine solche Einheit unter dem Primat der "Arbeit" sein.
"Die Müssiggänger schiebt beiseite", in diesem Slogan der internationalen Arbeiter-Hymne drückt sich nicht nur ein elementares Mißverständnis über den Charakter des abstrakten gesellschaftlichen "Wert"-Verhältnisse aus, das auf eine "Ausbeuter"-Subjektivität reduziert erscheint, sondern gleichzeitig auch eine krude Drohgebärde der "Normalarbeit" gegen die Perspektive des "produktiven Müssiggangs". Ohne sich dessen bewußt zu sein, bezieht die Arbeiterbewegung hier Partei für das kapitalistische abstrakte "Arbeits"-Prinzip gegen die Befreiung des disponiblen gesellschaftlichen Zeitfonds von deren Anforderungen, die sich noch auf der historisch aufsteigenden Linie befanden.
Am handgreiflichsten wird dieser Affront im Mißtrauen und in der geradezu demagogischen Hetze gegen die "Intellektuellen", vor der trotz gelegentlich gegenteiliger Beteuerungen selbst die besten Köpfe der alten Arbeiterbewegung nicht gefeit waren. In dieser latenten oder manifesten Intellektuellenfeindlichkeit, die übrigens wiederum bis in die Formulierungen hinein identisch ist mit den Positionen des Faschismus, reflektierten sich keineswegs nur die unmittelbaren Erfahrungen mit "bürgerlichen Intellektuellen" im Kontext der Kapitalfunktionen, sondern mehr noch die Abwehr gegen eine nahezu "undefinierbare" soziale Existenz außerhalb des Dunstkreises der ideologisch heimischen unmittelbaren Produktionsarbeit.
Wie ein roter Faden zieht sich durch die gesamte Geschichte der alten Arbeiterbewegung, von den Anfängen der Sozialdemokratie über die Linksradikalen nach dem Ersten Weltkrieg bis zur chinesischen "Kulturrevolution", die Zumutung an die inhaltlichen und lebenspraktischen "Ansprüche" der theoretischen Intellektuellen, Künstler usw., sich dem Zugriff der abstrakten Arbeit, der Verherrlichung des repetitiven Produktionsprozesses und dem Verständnishorizont der Charaktermasken des variablen Kapitals zu unterwerfen. Nicht die Aufhebung des Arbeiterdaseins, sondern seine zwanghafte Verallgemeinerung stand diesem Sozialismusverständnis Pate; die Trennung der "Arbeit" vom totalen Lebensprozeß als kapitalistisches Prinzip der abstrakten Arbeit blieb so bewußtlos erhalten oder die Aufhebung dieser Trennung konnte nur als rigide Diktatur der "Arbeit" und ihrer Funktionäre über jeden abweichenden und "überschiessenden" kulturellen Lebens-, Bedürfnis- und Erkenntnisanspruch begriffen werden. Gerade darin aber bewies sich die alte Arbeiterbewegung nicht als Feind, sondern als historisches Durchsetzungspotential der abstrakten Arbeit, das nun auch unter dem Namen "Sozialismus" firmieren konnte.
Einerseits konnte so nur die bürgerliche Kultur der "getrennten Sphären" fortgeschrieben und vollendet werden; der "Normalarbeiter", der in seiner "freien Zeit" von wohlmeinenden Funktionären auch noch durch Museen getrieben und an Kunstwerken vorbeigeschleift wird, erscheint so als die peinliche Karikatur des "ganzen Menschen" in den Betonköpfen des offiziellen Parteimarxismus. Andererseits degenerierte die Opposition gegen diese sozialistischen ideologischen Horrorvideos der Arbeitsgesellschaft zum leeren Boheme-Hedonismus, der sich die Manifestation eines "sozialistischen" abstrakt freien Willens (der natürlich erst recht nicht als Emanation des abstrakten "Wert"-Fetischs dechiffriert werden kann) als eine Art Penner-Dasein mit Schnapsflasche am Strand auszumalen geneigt ist. Weder als Inkarnation oder Vollstreckung der abstrakten Arbeit "im Interesse der Werktätigen" aber kann die sozialistische Aufhebung der Warenproduktion ins Leben treten noch als leeres Gegenbild eines abstrakten Hedonismus, der selber noch durch und durch von der abstrakten Arbeit geprägt ist.
Die Perspektive des "produktiven Müssiggangs" als positives Inanspruchnehmen des erreichten Bedürfnisreichtums, das Sprengen der abstrakten "Arbeits"-Hülle und damit die Vereinigung der bürgerlich getrennten "Sphären" oder "Bereiche" des totalen gesellschaftlichen Lebensprozesses ist nicht möglich innerhalb der "Arbeit", sondern erst jenseits davon. Dieses "Jenseits", das durch die heutige Entwicklung der Produktivkräfte, insbesondere der neuen Automatisierungspotentiale, auf die Tagesordnung gesetzt wird, ist trotzdem kein "Reich der Freiheit" im Sinne eines bloß spielerischen, infantilen "Jenseits" des Stoffwechselprozesses mit der Natur überhaupt; nur kann dieser Stoffwechselprozeß jetzt zunehmend weniger auf menschlicher Produktionsarbeit beruhen, die als solche und damit als abstrakte Arbeit, als getrennte Sphäre der blossen Arbeitskraft-Verausgabung vollkommen obsolet wird. Das "Reich der Freiheit" beginnt schon innerhalb des Stoffwechselprozesses mit der Natur, insofern dieser nicht mehr als "Arbeit" definiert werden kann; und es beginnt deshalb unmittelbar im Zuge der sozialistischen Revolution gegen die abstrakte Arbeit als Resultat der kapitalistischen Produktivkraftentwicklung selbst, nicht als Resultat eines selber noch "arbeitsgesellschaftlichen" Sozialismus in der nebelhaften Ferne einer unbestimmbaren Zukunft.
Zusammen mit der "Arbeit" wird notwendigerweise und logischerweise auch die "Freizeit" aufgehoben; dann aber nicht mehr als reaktionäre und repressive "Zurücknahme" der Kultur in das Kontinuum der Arbeits-Ontologie, sondern im Gegenteil als Ende der Vorgeschichte im Sinne eines endgültigen Abschieds von diesem bisherigen Kontinuum des historischen Entwicklungsprozesses.

b) "Arbeit" als Realkategorie schließt aber nicht bloß die Trennung von "Nichtarbeit" und das Auseinanderfallen des gesellschaftlichen Lebens- und Reproduktionsprozesses in getrennte "Sphären" oder "Bereiche" ein, sondern ist bereits eben dadurch wesentlich bestimmt als Selbstzweck. Gerade dieser Charakter der abstrakten Arbeit als Selbstzweck ist in der bisherigen Theoriegeschichte nur unzureichend bestimmt worden, weil der Arbeiterbewegungs-Marxismus selber noch dem historischen Aufstieg dieses Selbstzwecks angehört und dessen theoretischer Reflex bleibt. Wenn aber abstrakte Arbeit als Arbeitskraft-Verausgabung um ihrer selbst willen begriffen ist, dann kann erst die damit gesetzte gesellschaftliche Tautologie dechiffriert werden.
Abstrakte Arbeit oder Arbeitskraft-Verausgabung als Selbstzweck ist ein in sich geschlossener tautologischer Prozeß: was diese Arbeit "produziert", ist wiederum "Arbeit". Daß Arbeit wiederum Arbeit produziert, erscheint nur deswegen nicht als die Absurdität, die sie ist, weil der Formunterschied der Arbeit in ihren verschiedenen gesellschaftlichen Aggregatzuständen diesen Sachverhalt für das unkritische, alltäglich in den Verhältnissen der abstrakten Arbeit befangene Bewußtsein verdunkelt. Abstrakte Arbeit ist der Fetischismus der Arbeit als tautologischer Selbstzweck; aber die Arbeit produziert sich selbst in anderer Form: die lebendige Arbeit produziert tote Arbeit oder "Wert". Dieser "Wert" ist nichts anderes als die bewußtlose gesellschaftliche "Darstellungsform" der toten oder vergangenen Arbeit "an" den Produkten, die somit gesellschaftlich nicht sinnlich-stoffliche Gebrauchsgüter "sind", sondern tote, "gespenstische Arbeits-Gallerten" (Marx).
Die abstrakte Arbeit produziert sich tautologisch selbst wieder, aber in der gesellschaftlich-fiktionalen Form "geronnener Arbeit" als "Wert", der in seiner fertigen Gestalt als Geld erscheint, d.h. als die "Inkarnation abstrakter Arbeit" (Marx). Daß aber die "Arbeit" ein Ding namens Geld "erzeugt", dies erscheint dem im Arbeits- oder "Wert"-Fetisch befangenen Bewußtsein nicht mehr als Tautologie, weil es das Geld als das "Andere" der Arbeit nur noch in seiner kruden, objektivierten Dinglichkeit wahrnehmen kann, als das gesellschaftliche "Produkt der Arbeit", in dem allein die sinnlichen Gebrauchswerte zum Ausdruck kommen können.
Da dieser ganze Zusammenhang und damit die Wesensbestimmung der abstrakten Arbeit für die selber noch in dieser gesellschaftlichen Form durch und durch befangene alte Arbeiterbewegung ein Rätsel bleiben mußte, konnte sie aufgrund dieses Befangenbleibens in der abstrakten Arbeit als Selbstzweck natürlich auch nicht über das Geld als Oberfläche dieses Formzusammenhangs hinauskommen. Was blieb, war ein ganzes Bündel von elementaren Mißverständnissen über die "Kritik der politischen Ökonomie", die sich darin zusammenfassen lassen, daß das Produktionsverhältnis der abstrakten Arbeit oder des Kapitals durch die Brille vorkapitalistischer Klassen- und Aneignungsverhältnisse gelesen wurde.
Ihre logische Wurzel haben diese Mißverständnisse im Ablösen der Kategorie des "Mehrwerts" von der unverstandenen Kategorie der abstrakten Arbeit. Der tautologische Prozeß der abstrakten Arbeit macht nur insofern einen "Sinn", als der Selbstzweck der Arbeitskraft-Verausgabung sich nicht auf dem immer gleichen Niveau reproduziert (dann handelte es sich wirklich nur um eine - unhaltbare - Absurdität und um nichts sonst), sondern im Gegenteil als permanente "erweiterte Reproduktion" sich auf immer höherer Stufenleiter fortpflanzt. Der innere Mechanismus dieser stetig erweiterten Reproduktion ist aber gerade der "Mehrwert", d.h. die Tatsache, dass die als Selbstzweck tautologisch vernutzte lebendige Arbeitskraft "mehr Arbeit" in toter, "geronnener" Form zur "Darstellung" bringen kann, als sie selbst in dieser Form "gekostet" hat. Die Tautologie des abstrakten Arbeitsprozesses kommt so zwar auf der qualitativen Ebene als jene Absurdität zum Ausdruck, daß die "Arbeit" nichts anderes produziert als wiederum "Arbeit" in anderer, fetischisierter Form; aber auf der quantitativen Ebene findet dennoch eine Veränderung statt, insofern die lebendige Arbeit eine stets über ihre eigene Reproduktion auf gegebenem Niveau hinaus anschwellende Masse toter, gegenständlich dargestellter "Arbeit" produziert.
Historischen "Sinn" (a posteriori betrachtet) macht nun zwar nicht unmittelbar dieses rein quantitative, stetig erweiterte Anhäufen fetischisierter toter Arbeit in der abstrakten "Wert"-Form, aber doch das, was dieses Anhäufen dabei blind und bewußtlos an stofflicher Produktivkraft-Entwicklung und Verwissenschaftlichung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses "transportiert". Gerade dieser blinde Prozeß der sukzessiven, dynamischen Erweiterung sämtlicher menschlicher Möglichkeiten ist es, der noch am ehesten dem Hegelschen Ausdruck von der "List der Vernunft" entspricht. Denn in den starren und traditionellen, auf der Bedürnisarmut der Masse "unmittelbarer Produzenten" beruhenden vorkapitalistischen Produktionsweisen konnte es kein bewußtes Motiv der Produktivkraftentwicklung als solcher geben. Das fetischistische Motiv des "Mehrwerts", die Verwandlung der "Arbeit" in einen blinden gesellschaftlichen Selbstzweck war notwendig, um überhaupt jenen transitorischen Prozeß in Gang zu bringen, aus dem heraus "ungewollt" alle engen, armen, traditionellen und naturverhafteten Verhältnisse verdampfen und überwunden werden. Der erste große Emanzipationsschub über die menschliche Vorgeschichte hinaus, der in eins fällt mit dem bürgerlichen Zeitalter, konnte überhaupt nur als ein Spektrum "unbeabsichtigter Nebeneffekte" durch die Verselbständigung des selber bloß schäbigen Geldmotivs hindurch ins Leben treten. Deshalb ist der "Mehrwert" ein fortschrittliches, vorwärtstreibendes Prinzip in der fetischistischen Hülle der tautologischen abstrakten Arbeit.
Der Bezug der alten Arbeiterbewegung auf diesen Sachverhalt bleibt ein eigenartig zwiespältiger. Soweit sie selber dem Prozeß der abstrakten Arbeit angehört, mußte sie auch selber zu deren Schrittmacher werden und ein vermeintlich alternatives Konzept der "Arbeit" innerhalb des Selbstzwecks vertreten. Soweit sie aber dieser Scheinalternative über ihren eigentlichen, "geheimen" Zweck hinaus, die abstrakte Arbeit erst zu entfalten, eine transzendente sozialistisch-kommunistische Färbung innerhalb der "Arbeits"-Ontologie zu geben suchte, schlug sie stets ins offen Reaktionäre um. Die Klammer dieser Zwiespältigkeit bildet der Begriff des "Mehrwerts", wie er in der Arbeiterbewegung verstanden wurde. Nämlich nicht als fetischistisches, tautologisches Prinzip der "Arbeit", sondern als vermeintliche "Ausbeutungs"-Subjektivität des "Kapitalisten", d.h. ganz im Horizont des bürgerlichen Rechtsfetischismus. Der Kapitalist wurde nicht als selber marionettenhafter Funktionär des blinden Gesellschaftsverhältnisses begriffen, sondern als das negative Subjekt dieses Verhältnisses, dem das antithetische Subjekt der "Arbeit" als Vertreter der ewigen "Arbeits"-Ontologie entgegentritt 3.
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Damit aber mußte auch der Begriff des Privateigentums völlig verfehlt werden. Sind die vorkapitalistischen Eigentumsformen an Naturfetische (Grundeigentum und Blutsverwandtschaft) gebunden, so ist das Privateigentum der vom Naturfetisch entkoppelte Gesellschaftsfetisch des "Werts" und in dessen entfalteter Gestalt, d.h. als "Mehrwert", nur der juristische oder rechtsfetischistische Begriff des tautologischen Rückkoppelungs-Bezugs der "Arbeit" auf sich selbst. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob der institutionelle Träger dieses Verhältnisses Fritz Müller, GmbH u. Co. KG, Wohlfahrtsausschuß, sozialistischer Arbeiterstaat oder Zentralkomitee heißt. Solange das Gesellschaftsverhältnis bestimmt bleibt durch den tautologischen Selbstzweck der abstrakten Arbeit, bleibt es auch ein solches des Privateigentums und seine sämtlichen Träger befinden sich im Zustand der abstrakten Privatheit, die als ihren funktionalen Gegenpol die abstrakte Allgemeinheit des Staates (als eines der Gesellschaft "entfremdeten" Apparats) hervorbringen muß. Oder anders und "praktisch" gesagt: die Gesellschaftsmitglieder als abstrakte Private verkehren untereinander erstens über Geld (die Inkarnation der abstrakten Arbeit) und zweitens über ein durch Staatsbürokratie erscheinendes Rechtssystem, was nur die Erscheinungsformen davon sind, daß sie ihren eigenen Vergesellschaftungsprozeß nicht konkret und als Ganzes bewußt beherrschen und regulieren können.
Dieser einzig adäquate Begriff des Privateigentums muß heute deshalb auf den ersten Blick fremd und seltsam erscheinen, weil er den gängigen und eingeschliffenen Begriff dieses Verhältnisses übersteigt, wie ihn das bürgerliche Bewußtsein unter Einschluß der alten Arbeiterbewegung hervorgebracht hat. In diesem verkürzten Verständnis wird das Privateigentum erstens in einer vom realen Sachgehalt des Gesellschaftsverhältnisses losgelösten Rechtsillusion begriffen, d.h. als bloße Willensbeziehung eines voraussetzungslosen Subjekts auf Dinge (Produktionsmittel sowie "Früchte der Arbeit"); zweitens wird es in diesem Kontext reduziert auf bestimmte historische und heute großenteils schon obsolet gewordene Erscheinungsformen seiner selbst, in denen es der bürgerlichen Rechtsillusion noch mehr zu entsprechen schien (d.h. als "persönlicher Besitz" oder als persönliche Ausbeutungs-Subjektivität).
Der vermeintliche Kampf der Arbeiterbewegung gegen das Privateigentum agierte also immer nur innerhalb der Grenzen des Privateigentums selbst 4 , d.h. er bezog sich auf alternative und "höhere" Formen des Privateigentums, die nicht mehr als solches identifiziert werden konnten. Und nur soweit die Arbeiterbewegung den Vergesellschaftungsprozeß des Kapitals, d.h. des "Mehrwerts" und des Privateigentums, in diese höheren Formen hinein vorantrieb, ohne selber einen Begriff davon zu haben, war sie "fortschrittlich" innerhalb der Grenzen der abstrakten Arbeit. Dies gilt sowohl für die westliche "Versozialstaatlichung" als auch für die östliche "nachholende bürgerliche Formgebung" bis zum Ende des zweiten Weltkriegs.
Je mehr jedoch seither die Dynamik der abstrakten Arbeit sich beschleunigt hat und über sich selbst hinaustreibt, d.h. in ihr krisenhaftes Endstadium einzutreten beginnt, desto deutlicher treten die reaktionären Züge der Arbeiterbewegung und "ihres" Marxismus hervor, und wiederum sowohl im Westen als auch im Osten. Die Zielsetzung eines alternativen Konzepts der "Arbeitsgesellschaft" wird zum konservativen Bremsfaktor der Entwicklung, sobald die "Arbeit" als solche an ihre historischen Grenzen stößt. Während die konservative Lohnarbeiterklasse des Westens und ihre längst versteinerten Institutionen sich an der obsolet werdenden abstrakten Arbeitskraft-Verausgabung festkrallen und den neuen Vergesellschaftungs- und Automatisierungs-Technologien mit Mißtrauen und Ablehnung gegenüberstehen, bannt die ebenso versteinerte staatliche Administration des "geplanten Marktes" in der östlichen "Arbeitsgesellschaft" die gesellschaftlichen Produktivkräfte in eine mehr und mehr vorsintflutlich werdende Form.
Die westlichen Gewerkschaften verstecken hinter der geforderten "Sozialverträglichkeit" des weiteren Verwissenschaftlichungsprozesses die reaktionäre Zumutung, daß die neuen Automatisierungspotentiale halt machen sollen an den Grenzen der abstrakten Arbeit; die Einbannung des Fortschritts in eine bestenfalls traditionelle "Arbeitszeitverkürzung" soll wie bisher die "Freizeit" ein wenig erweitern, ohne den Primat der "Arbeit" als Zentrum des gesellschaftlichen Lebens anzutasten. Diese reaktionäre Zumutung aber muß pure Illusion bleiben. Mit der abstrakten Arbeit geht es historisch zu Ende, weil der tautologische Rückkoppelungsprozeß der gesellschaftlichen Arbeit auf sich selbst durch die von ihm freigesetzten technisch-wissenschaftlichen Potentiale unwiderruflich zum Stillstand gebracht wird. Das alte gewerkschaftlich-sozialdemokratische Reform-Muster vom "gemäßigten Fortschritt in den Grenzen der Gesetze" wird sinnlos, weil sein Gegenstand selber zu Staub zerfällt.
Auf der anderen Seite dieser "Welt der Arbeit" hat auch die unglaublich überlebte und rückständige östliche Administration einer "nachholenden bürgerlichen Formgebung" endgültig ausgedient. Auch hier beschränkte sich der "fortschrittliche" Charakter auf die Herausbildung einer modernen bürgerlichen Gesellschaft unter den Bedingungen einer bewußten Beschleunigung. Über diese Beschleunigung und die damit verbundene (vorübergehende) administrative Abschottung vom bereits höher entwickelten Westen konnte diese "Bewußtheit" aber nicht hinausgehen. Die "höheren Formen" des Privateigentums, vom Westen abgeschaut, überzogen jedoch als dünner Firnis der "Modernisierung" eine in weiten Sektoren noch archaische Reproduktion (Sowjetunion, China, teilweise Osteuropa) und konnten nur äußerlich dazu dienen, wenigstens die elementarsten Basisformen der bürgerlichen Gesellschaft herauszubilden: abstrakte Arbeit und damit Geld und Recht als allgemeine Verkehrsformen, auf der stofflichen Seite Basisindustrien und Grundelemente einer modernen Infrastruktur.
Damit aber war die äußerliche Administration der abstrakten Arbeit auch schon erschöpft. Gerade die als "Sozialismus" ausgegebenen Spezifika der höheren Formen des Privateigentums im Osten entpuppten sich nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend als Bremse der weiteren Produktivkraftentwicklung. Diese Spezifika bestanden und bestehen in der administrativen Bremsung und Verunmöglichung des Geldmotivs auf der trotzdem vorhandenen Basis der Geldwirtschaft, was nur heißt: in der bürokratischen Aushebelung der Dynamik abstrakter Arbeit auf der Basis abstrakter Arbeit. Es ist ein Versuch der Quadratur des Kreises, von Bewußtheit (Planung) auf der Basis der Bewußtlosigkeit (abstrakte Arbeit, "Wert", Warenform, Geld). Der Stolz darauf, eine bestimmte Form des Privateigentums, die fälschlich für seine Form schlechthin gehalten wird, und damit vermeintlich die "Mehrwert"-Produktion beseitigt zu haben, entpuppt sich als gewaltiges Eigentor.
Denn nicht der "Mehrwert" als solcher wurde beseitigt, sondern ausgerechnet die dynamische, über sich selbst hinaustreibende Potenz des "Mehrwerts", gerade seine "fortschrittliche" Seite also. Dies ist der Preis für die "nachholende bürgerliche Formgebung" als vorübergehende Beschleunigung, die nun in Verlangsamung umgeschlagen ist. Jene äußerliche Administration des "Mehrwerts" war gut dafür, die bürgerlichen Basiskategorien "aus dem Boden zu stampfen" ohne Rücksicht auf die Freiheit" des Geldmotivs und ohne Einbindung in die damals erdrückende Logik des Weltmarkts. Als nunmehr "gewordene" bürgerliche Gesellschaft auf niedrigem und rohem Niveau aber muß der "Realsozialismus" an denselben Formen der Administration scheitern, weil sie nunmehr die weitere "intensive" Produktivkraftentwicklung innerhalb der aus dem Boden gestampften bürgerlichen Basis-Kategorien hoffnungslos verlangsamen und ausbremsen. Stehen die Reste der westlichen Arbeiterbewegung der immer krisenhafter werdenden Dynamik der abstrakten Arbeit als reaktionärer Bremsfaktor hilflos gegenüber, so hat die zur staatlichen Administration des "Mehrwerts" geronnene östliche Arbeiterbewegung tatsächlich die strukturelle "Macht", in der "Arbeit" stagnativ zu verharren, was aber nur zu einer anderen Form der Krise führt. Der Westen erlebt die Krise der Dynamik abstrakter Arbeit, der Osten die Krise ihrer Stagnation.
Derselbe reaktionär werdende Charakter der Arbeiterbewegung und "ihres" Marxismus enthüllt sich auch im Inneren der "Arbeit" selbst, auf ihrer scheinbar "konkreten" Seite, d.h. im Verhältnis zu ihrem stofflichen, technisch-wissenschaftlichen Charakter unter den Bedingungen der Automatisierung. Soweit der bisherige Marxismus überhaupt ein explizites Verständnis von abstrakter Arbeit besaß, war diese reaktionäre Potenz darin schon immer angelegt. Wurde der Begriff der abstrakten Arbeit nicht ohnehin bloß unkritisch-definitorisch und affirmativ im Rahmen der Ontologie der Arbeit verstanden, sondern "kritisch", so stets bloß unmittelbar empirisch auf der Ebene der kapitalistischen Arbeitsteilung. "Abstrakte Arbeit" wäre demnach wesentlich nichts anderes als die "Entleerung" der Arbeit des "unmittelbaren Produzenten", d.h. die Herausnahme der "geistigen Potenzen" aus dem Produktionsprozeß selbst bis zum Reduktionismus stupider, inhaltsleerer, von jeder wissenschaftlichen Potenz des Stoffwechselprozesses mit der Natur getrennter und insofern "abstrakter" Arbeit, die Gleichgültigkeit und Frustration impliziert.
Dieser scheinbar "kritische" Begriff der abstrakten Arbeit beruht jedoch in Wirklichkeit auf einer völligen Begriffsverwirrung; er treibt sich ja geradezu bewußtlos auf der Ebene der "konkreten Arbeit" herum, die als solche Bestimmtheit "abstrakte Arbeit" auf einer ganz anderen Ebene impliziert. Diese andere Ebene aber ist diejenige der gesellschaftlichen Formbestimmung, die keineswegs identisch ist mit der stofflich-technischen Form der Arbeitsteilung. Vielmehr heißt abstrakte Arbeit als gesellschaftliche Formbestimmung eben nichts anderes als "Arbeit" in der Form des Selbstzwecks oder "Arbeit" in der Form des "Werts" als tautologische Rückkoppelung auf sich selbst, zunächst ganz unabhängig von ihrer jeweiligen stofflich-technischen Form: d.h. als gesellschaftliches Formprinzip. Dieses ist schon mit der Warenform als solcher in nuce gesetzt und damit in der bereits prähistorischen Existenz des Geldes; es kommt als dieses Formprinzip freilich erst in der Gestalt des "Mehrwerts" vollständig zu sich und zu seiner vollen Entfaltung.
Die kapitalistische Arbeitsteilung und ihre sukzessive Entwicklung auf der stofflich-technischen Ebene ist nicht Ursache und Wesen, sondern vielmehr Folge und Erscheinungsform dieses tautologischen Formprinzips der gesellschaftlichen "Arbeit". Ich möchte diese Erscheinungsform auf der stofflich-technischen Ebene als das empirische Abstraktwerden der konkreten Arbeit bezeichnen, im Unterschied zum Formprinzip der abstrakten Arbeit selbst. Dieses empirische Abstraktwerden der konkreten Arbeit ist ein solches natürlich nur für den unmittelbaren Produzenten, d.h. die verkehrte Art und Weise, wie er den blinden Verwissenschaftlichungsprozeß des Kapitals auf der Ebene "seiner" unmittelbaren "konkreten Arbeit" erlebt. Der Stoffwechselprozeß mit der Natur als Ganzes, als gesellschaftliche Totalität, bleibt natürlich konkret, nur daß diese konkrete Totalität jetzt "für" die diversen Agenten der Reproduktion in einzelne, voneinander getrennte Momente auseinanderfällt. Naturerkenntnis und Naturwissen im Labor, Arbeitsorganisation in der technischen Direktion und Produktionsarbeit an der Maschine werden auf wachsender Stufenleiter zu voneinander isolierten Momenten dieses konkreten Ganzen, wobei logischerweise den Letzten in dieser Kette der Verwissenschaftlichung, den "unmittelbaren Produzenten", auch am heftigsten die Hunde des "empirischen Abstraktwerdens der konkreten Arbeit" beißen.
Es ist nun leicht zu erkennen, dass zwangsläufig reaktionäre Konsequenzen gezogen werden müssen, wenn die Aufhebung dieses Zusammenhangs nicht vom Standpunkt der Verwissenschaftlichung selbst, sondern vom Standpunkt des "unmittelbaren Produzenten" aus bzw. mit dem Ziel einer "Versöhnung" von Verwissenschaftlichung und unmittelbarer Produktionsarbeit betrieben wird. Das scheinbar "kritische", in Wirklichkeit aber verkürzte und begriffslose Verständnis der abstrakten Arbeit als bloß empirisches Abstraktwerden der Arbeit des unmittelbaren Produzenten öffnet diesen reaktionären Konsequenzen Tür und Tor. Denn indem dabei die Warenform der Reproduktion, d.h. das Formprinzip des tautologischen, fetischistischen Selbstbezugs der "Arbeit" als "Wert" außer Betracht bleibt bzw. aus der Schußlinie der Kritik genommen wird, bleibt die Kritik in diesem Gehäuse des Fetischs befangen und beschränkt sich "soziologistisch" (die ganze "linke" Industriesoziologie lebt von dieser Verkürzung) auf die bloßen Erscheinungsformen dieses Formprinzips innerhalb der konkreten Produktionsarbeit selbst.
Dieser "begriffslose Begriff" der abstrakten Arbeit bleibt in seinem Empirismus kompatibel mit dem blind vorausgesetzten Formprinzip selbst, damit aber auch mit der "Arbeit" als getrennter Sphäre und der im Keim schon immer reaktionären Intention der Arbeiterbewegung, die Trennung der "Arbeit" vom totalen Lebensprozeß auf der Basis der "Arbeit" selbst aufheben zu wollen. Innerhalb der "konkreten Arbeit" selbst heißt dies nichts anderes, als die geistigen, wissenschaftlichen Potenzen des Stoffwechselprozesses mit der Natur in die unmittelbare Produktionsarbeit oder Arbeitskraft-Verausgabung irgendwie "zurückholen" zu wollen, ein selbstverständlich zum Scheitern verurteiltes Unterfangen. Dies umso mehr, als der Prozeß des "empirischen Abstraktwerdens der konkreten Arbeit" inzwischen längst auch die "Sphären" oder "Bereiche" der Reproduktion außerhalb des unmittelbaren Produktionsprozesses ereilt hat. Damit wird auch noch die letzte "Utopie" der marxistischen Arbeiterbewegung obsolet und lächerlich, nämlich die Idee einer "Aufhebung der Arbeitsteilung" auf der Basis der abstrakten Arbeit.
Genauer gesagt, diese Utopie wird vom Kapitalismus selber in gewisser Weise negativ verwirklicht, indem alle Agenten der Reproduktion tendenziell und sukzessive auf entleerte, gleichgültige Arbeitskraft-Verausgabung reduziert werden. Das "konkrete Ganze" der Reproduktion muß schließlich idealtypisch unter dem Diktat des tautologischen Formprinzips gänzlich außerhalb der menschlichen Subjekte existieren. Die Arbeiterbewegung hatte sich als Äußerstes die Aufhebung der kapitalistischen Arbeitsteilung quasi als Vereinigung sämtlicher Bornierungen dieser Arbeitsteilung in einer Person gedacht: der "Zukunftsmensch" als handwerklicher Facharbeiter mit Abitur und Universitätsdiplom gleichzeitig, eine Art Monstrum der Verschmelzung von Einseitigkeiten und in der Tat "utopisch" im schlechtesten Sinne 5 .

Diese hilflosen Utopien werden durch den heutigen Grad der Verwissenschaftlichung schlicht gegenstandslos und daher ebenso absurd wie lächerlich. Das "empirische Abstraktwerden der konkreten Arbeit" kann nicht innerhalb der abstrakten Arbeit selbst aufgehoben werden, d.h. nicht auf der Basis dieses tautologischen Formprinzips der "Arbeit", das als solches beseitigt und überwunden werden muß. Die "Aufhebung der Arbeitsteilung" ist nur jenseits der Arbeit möglich, ein erst heute wirklich zu begreifender Sachverhalt. Sowohl die westlichen reformistischen Konzepte einer "Humanisierung der Arbeitswelt" bei gleichzeitigen "Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen" erweisen sich vor diesem Hintergrund als ebenso pervers wie haltlos und illusionär, als auch die armselige, arbeitsfetischistische östliche Utopie einer "Selbstherrschaft der Arbeiterklasse" innerhalb der "Arbeitsgesellschaft". Über beide Varianten in allen ihren historischen Schattierungen ist die Produktivkraftentwicklung heute hinweggeschritten.
Die bewußte, planmäßige Lenkung des Stoffwechselprozesses mit der Natur impliziert die Verwandlung der "Arbeitskraft-Verausgabung" in konkret-stofflich bewußte "Tätigkeit", die sich unmittelbar als individuelle auf das konkrete Ganze der verwissenschaftlichten Reproduktion bezieht: also nicht ein "Zurückholen" der wissenschaftlichen Potenzen in den unmittelbaren Produktionsprozeß, sondern dessen Aufhebung selbst gerade vermittels dieser Potenzen. Diese verborgene, bisher blind prozessierende Logik der Verwissenschaftlichung tritt erst heute in ihr Reifestadium und wird daher auch erst heute sichtbar. Sie verlangt gebieterisch die Aufhebung der abstrakten Arbeit als Aufhebung des tautologischen Formprinzips in allen Erscheinungen seines Formwandels, d.h. die Aufhebung von "Wert", Ware und Geld, was auf der konkret-stofflichen Seite nichts anderes heißt als die Aufhebung der kapitalistischen Arbeitsteilung durch Aufhebung der Arbeits-Ontologie selbst, also durch Aufhebung des unmittelbaren Produzenten, die wiederum identisch ist mit der Aufhebung aller besonderen, getrennten wissenschaftlichen und administrativen Funktionen außerhalb dieses unmittelbaren Produzenten (die "Staatsfunktionen" eingeschlossen).

c) Schließlich ist die Realkategorie der "Arbeit" noch in einer dritten Hinsicht als abstrakte Arbeit zu begreifen, nämlich als eine destruktive Gleichgültigkeit gegenüber dem stofflichen Inhalt der in Bewegung gesetzten Agentien, die nicht bloß auf der subjektiv-psychologischen Ebene als "Arbeits-Unzufriedenheit" erscheint, sondern ebenso und mehr noch als zunehmende "Katastrophen-Objektivität", d.h. als objektiver Zerstörungsprozeß der Welt. Solange die Arbeit noch identisch ist mit der Totalität des Lebensprozesses, kann sie nur konkret sein als Teil einer bedürfnisarmen, naturverhafteten Reproduktion 6 . Erst die vom totalen Lebensprozess als besonderer "Bereich" losgelöste gesellschaftliche Arbeit, wie sie mit der industriellen Lohnarbeit ins Leben trat, konnte den in der Warenform schon immer latent lauernden Selbstzweckcharakter der Arbeit als abstrakte Arbeit, "Arbeit sans phrase" (Marx), Arbeit ohne gesellschaftliche Inhaltsbestimmung in Gang setzen.
Es entstand so eine blinde gesellschaftliche Maschine der abstrakten Arbeitskraft-Vernutzung, deren Tendenz dahin geht, Mensch und Natur, die gesamte erreichbare Welt, in ihren inhaltsleeren Bewegungsprozeß aufzusaugen, zu verdauen und als die andere, tote Form der Arbeit: als Geld wieder auszuscheißen, ohne daß von diesem Formwandel abgesehen irgendeine inhaltliche Zwecksetzung der qualitativen Bestimmtheit hinzugetreten wäre. Diese gesellschaftliche Maschine muß zwar stoffliche Qualität bewegen: Naturstoffe, Naturkräfte und lebendige menschliche Arbeit; aber diese sind nicht selber Zweck noch geht aus ihnen eine Zweckbestimmung hervor, sondern sie sind nur Mittel zum Zweck des tautologischen Rückkoppelungsprozesses, d.h. des Selbstzwecks der abstrakten Arbeit. Es findet also eine Zweck-Mittel-Verkehrung statt: die Arbeit ist nicht mehr Mittel für einen qualitativ bestimmten inhaltlichen Zweck der Naturaneignung, sondern umgekehrt ist die qualitative, stoffliche Naturaneignung bloß gleichgültiges Mittel für den Selbstzweck des Formwandlungsprozesses der abstrakten Arbeit. Für die Bewegung der gesellschaftlichen Maschine des "Werts", die sich in Geld "darstellt", ist es objektiv gleichgültig, was mit den stofflichen, qualitativen Ingredienzen ihres gewaltigen, weltweiten Verdauungsprozesses geschieht und welche Konsequenzen dieser Prozeß auf der stofflich-qualitativen Ebene hat. Die Welt wird verwandelt und umgepflügt ohne "Sinn", weil dieser "Sinn" im Verwandeln und Umpflügen als solchem liegt, das sich auf ständig erweiterter Stufenleiter in seiner toten Gestalt als Geld darstellen und in niemals endenden Zyklen vermehren ("akkumulieren") muß.
Solange die Herausbildung und Bewegung dieser gesellschaftlichen Maschine noch historisch im Aufstieg begriffen war, und die alte Arbeiterbewegung mit ihr (als Teilmoment und vorwärtstreibender Faktor dieser Maschine selbst, nicht als potentieller Maschinist), solange überwogen auch noch die emanzipatorischen, "zivilisatorischen" Leistungen dieses Prozesses, trotz aller negativen, krisenhaften und auch immer schon destruktiven und gefährlichen Momente im einzelnen. Der Prozeß der abstrakten Arbeit, indem er in wachsendem Masse die Verwissenschaftlichung der Reproduktion als blindes "Mittel" seines abstrakten Selbstzwecks einschloß, bezog nicht nur auf stets wachsender Stufenleiter frühere Luxusgüter in den Massenkonsum ein, sondern schuf darüberhinaus ein neues, nie dagewesenes Spektrum von Bedürfnissen und Möglichkeiten. In diesem Rahmen, und solange andererseits die "Arbeit" immer noch wesentlichstes Kernmoment der Reproduktion blieb, konnte die gewaltige Zerstörungspotenz, die in diesem "losgelassenen" Selbstzweck lag und lauerte, noch nicht in ihrer vollen Tragweite erkannt und begriffen werden.
Zu nah war noch die alte konkrete Totalität der Arbeit im vorkapitalistischen Lebensprozeß, zu nah noch der alte Stachel von Mangel und Armut, als daß ein Hinausgehen oder auch nur Hinausdenken ueber den Selbstzweck der "Arbeit" möglich gewesen wäre. Arbeit als solche, auch in ihrer neuen Form, schien im wesentlichen und von Ausnahmen abgesehen nur an sich Nützliches und Notwendiges zu produzieren; es schien nur darauf anzukommen, daß die Träger der lebendigen Arbeit auch einen genügend großen Anteil von deren "Früchten" erhalten oder, besten- und höchstenfalls, sich das Kommando über ihre eigene Arbeit vom (personal bzw. "soziologistisch" begriffenen) "Kapital" zurückerobern würden. Die eigentliche und eigentümliche gesellschaftliche Formbestimmung dieser Arbeit, ihr spezifisch tautologischer und in gesellschaftlicher Hinsicht inhaltsleerer Charakter, geriet als Wesensbestimmung noch "hinter" den erscheinenden Sozial-Subjekten überhaupt nicht in das Blickfeld dieser Arbeiterbewegung und ihres Marxismus.
Daran hat sich grundsätzlich bis heute nichts geändert. Auch die manifesten Erscheinungen einer neuen "ökonomischen" Krise werden noch ganz innerhalb des alten, verkürzten Begriffshorizonts gedeutet; und zusätzliche Verwirrung stiftet die Tatsache, daß diese heraufdämmernde Krise der abstrakten Arbeit und damit der Warenform als solcher zunächst die schwächsten Glieder des widersprüchlichen Weltsystems der Warenproduktion mit voller Wucht trifft, also neben der Dritten Welt ausgerechnet die "sozialistischen" Systeme in der Tradition der Oktoberrevolution. Die Desorientierung auf allen Ebenen ist so stark, weil das Erkennungsmuster für die neue Situation noch nicht herausgearbeitet ist, d.h. die Warenform als solche sich noch nicht im Visier einer Kritik befindet, die auch nur in der theoretischen Öffentlichkeit als "gesellschaftlicher Diskurs" wirken würde.
Trotzdem kann natürlich jenes neue Moment nicht übersehen werden, das heute als "ökologische Krise" firmiert und ein völlig eigenständiges Dasein neben den "alten" Krisen- und Konfliktkonstellationen zu führen scheint, tatsächlich auch so behandelt wird, als stünde es völlig quer zur "Kritik der politischen Ökonomie". Das muß auch so sein, solange diese "Kritik" nicht konsequent als eine solche der abstrakten Arbeit selber begriffen und über Marx hinaus fortentwickelt wird anhand der neuen Erscheinungen. Solange der vermeintliche "antikapitalistische Kampf" sich nur um Verteilungs- und "Macht"-Fragen innerhalb der "Wert"-Form bewegt und seine äußerste Zielsetzung noch die bürgerliche Rechtsillusion des "Eigentums"-Begriffs teilt, ist aber in der Tat der wirkliche Grund dieses Gesellschaftsverhältnisses noch nicht erreicht und die neuen (jedenfalls in ihrer Dimension und Gewichtung neuen) Erscheinungen der "ökologischen" Zerstörungspotenz der abstrakten Arbeit können nur als eine schlechthin "andere" und querliegende Fragestellung erscheinen.
Die Requisiten für ein "kritisches Denken" zu diesem Problemkomplex der bürgerlichen Gesellschaft ohne Rückgriff auf die "Kritik der politischen Ökonomie" (und in schroffem Gegensatz zu ihr) hat seit langem der "romantische" und "irrationalistische" bzw. "kulturpessimistische" Strang bürgerlicher Theorie- und Ideologiebildung entwickelt und bereitgestellt 7
. Dieses Denken hat in mehreren historischen Schüben seit den Anfängen der Industrialisierung alle negativen Erscheinungen der Warenökonomie und ihres Totalisierungsprozesses nicht auf die gesellschaftliche Kernform der abstrakten Arbeit zurückgeführt, sondern unmittelbar auf die stoffliche Seite des industriellen Arbeitsprozesses, d.h. auf die Verwissenschaftlichung des Stoffwechselprozesses mit der Natur. Der Naturwissenschaft und ihrer industriellen Anwendung als moderne Technologie wurde der ideologische Prozeß gemacht; es entstand so ein "kulturpessimistisches" Kraftfeld des bürgerlichen Denkens, das sich aus einer Vielzahl von einzelnen (und zum Teil in sich wieder gegensätzlichen) Momenten und historischen Strömungen aufbaute und zusammensetzte: von der Kritik der industriellen Produktion als "Mühlen des Teufels" bis zur Verfemung der Naturwissenschaft schlechthin als "lebensfeindlich", von der Ablehnung des wissenschaftlichen Denkens überhaupt als "blutleer" bis zur Negation der urbanen Zivilisation als "dekadente Asphaltwüste", von der romantischen bzw. spätromantischen Verklärung und Verzuckerung des Mittelalters bis zur Neo-Religiosität, vom Biologismus und Sozialdarwinismus bis zu den antisemitischen Strömungen, von Nietzsche bis zur Lebensphilosophie und zum Existentialismus.
Auch eine spezifische Kritik des Geldes war schon immer Bestandteil dieses ideologischen Kraftfeldes, freilich nicht aus einer Kritik der politischen Ökonomie und damit der Warenform bzw. der abstrakten Arbeit abgeleitet, sondern aus einer inkonsequenten und irrationalistischen Kritik des "rechenhaften", "berechnenden", "unheroischen", "jüdischen" und "lebensfeindlichen" bzw. "abstrakten" urbanen Intellekts, dem die Verselbständigung und Entsubjektivierungs-Potenz des Geldes als Verursachungsprinzip untergeschoben wurde. Die "Kritik des Geldes" konnte so als Teil einer Kritik der modernen Wissenschaft und Zivilisation überhaupt erscheinen und mit ihrer Wendung ins Kulturpessimistisch-Aussichtslose gleichzeitig inkonsequent bleiben, insofern nie das Geld als gesellschaftliche Formbestimmung grundsätzlich angegriffen werden mußte, sondern immer bloß seine "unangemessene" und hypertrophe Bedeutung in der "Moderne", die dem Geld mehr zumisst, "als des Geldes ist". Diese im Kern reaktionäre Kritik des Geldes als Kritik der "modernen Kultur" von einem rein ideologischen Naturstandpunkt aus konnte so gar nicht zu einer tatsächlichen Aufhebung des Geldes vorstoßen, die nur denkbar wäre als Moment einer Aufhebung der abstrakten Arbeit und damit der Warenform als solcher, sondern blieb kompatibel mit der gesellschaftlichen Formbestimmung in ihrem Kern und damit letztlich auch mit der erscheinenden Geldform, deren Kritik auf das ungefährliche Terrain einer ontologischen Kulturkritik umgelenkt wurde und so folgenlos bleiben konnte 8.
.
Immerhin aber war dieser Strang des bürgerlichen Denkens, der von Anfang an als feindlicher Zwillingsbruder des bürgerlichen "Fortschrittsglaubens", des "Rationalismus" und "Positivismus" etc. in derselben Hülle der Warenform aufgetreten war, schon frühzeitig dazu imstande, die destruktiven Erscheinungen der "Modernisierung" in Gestalt der beginnenden Naturzerstörung und Untergrabung der stofflichen Lebensgrundlagen wenigstens zu registrieren und zu beklagen. Sowohl der "fortschrittsorientierte" bürgerliche Positivismus als auch die Arbeiterbewegung bzw. der Marxismus waren hingegen geneigt, die Augen vor diesen Erscheinungen zu verschließen, sie als "Preis des Fortschritts" einigermaßen gleichmütig hinzunehmen und ihre kritische Benennung umstandslos dem reaktionären, irrationalistischen Charakter der kulturpessimistischen Strömungen zuzuschlagen.
Es entwickelte sich so eine ideologische und gesellschaftstheoretische Konstellation, in der sich der "Positivismus" naturwissenschaftlicher Provenienz, verbunden mit liberalen und konservativen Strömungen der Politik, zur bürgerlichen Basis-Ideologie mauserte, während Kulturpessimismus und Marxismus als gesellschaftskritische Oppositions-Ideologien konkurrierten. Lange Zeit gefiel sich die Linke darin, Marxismus und Arbeiterbewegung als die "wahre" Systemopposition von der "Pseudo-Opposition" des "bürgerlichen" Kulturpessimismus abzugrenzen, nicht zuletzt unter Verweis darauf, daß letzterer in den Faschismus mündete. Aber mit dieser Abgrenzung wurde nur verdeckt, dass Marxismus und Arbeiterbewegung selber noch dem bürgerlichen Kontinuum angehörten und sich innerhalb derselben unbegriffenen Formbestimmung der abstrakten Arbeit bewegten.
Die marxistische "Kritik des Geldes" war nicht weniger inkonsequent als die kulturpessimistische; wie diese konnte sie nur bis zur Kritik der "Art der Verwendung" und zum Postulat: "Das Geld darf nicht alles sein" gelangen, nicht aber zur Kritik der Basis-Formbestimmungen als solcher. Indem so der Marxismus selber die "Kritik der politischen Ökonomie" niemals wirklich ernst genommen und niemals konsequent zu Ende gedacht hat, blieb er eine Spielart des bürgerlichen Denkens, begrenzt auf eine Epoche, in der die "zivilisatorische Mission" der abstrakten Arbeit noch nicht ausgeschöpft war. Positivismus, Kulturpessimismus und Marxismus entpuppen sich ex post als feindliche Brüder ein und derselben Abstammung, der bürgerlichen Aufklärung nämlich, und als Denken in ein und derselben Form, der Warenform nämlich. Als Ideologien sind sie sowohl komplementaer als auch kompatibel, auch wenn es zunächst nicht den Anschein hatte, als die Wogen des "Fortschrittskampfes" innerhalb der Warenform noch hoch schlugen.
Indem heute die noch unbegriffene Krise von abstrakter Arbeit und Warenform heranreift, beginnen die alten und nur scheinbar unversöhnlichen Gegensätze zu verschwimmen und sich aufzulösen; die Komplementarität der bürgerlichen Ideologien führt zu ihrer eklektischen Konvergenz. Der Kulturpessimismus ist nicht zusammen mit dem Faschismus untergegangen, sondern gewinnt vielmehr als ontologischer Fundamentalismus, als Wissenschafts- und Zivilisationskritik erst heute seine größte Plausibilität angesichts der unübersehbaren Relevanz seiner alten Kritik an der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, die er schon immer gesellschaftstheoretisch ins Ontologische gewendet hatte als Vision von der Erhaltung einer "natürlichen Weltordnung" mit allen reaktionären Zügen dieses Denkens. Der Marxismus wird kleinlaut angesichts der neuen Krisenerscheinungen, die durch sein soziologistisch verkürztes Raster nicht mehr dechiffriert werden können, und der Positivismus versucht sich durch Zugeständnisse durchzumogeln. Die Grünen und speziell die Linken bei den Grünen bilden in diesem Kontext geradezu den Modellfall eines brettflachen Eklektizismus, in dem die bürgerlichen Grundideologien schauerlich verheiratet werden.
Der arbeiterbewegte Marxismus wird nicht "nach vorn" als konsequentere Kritik der Politischen Ökonomie überwunden, sondern vegetiert fort in seiner kleinstmöglichen Reduktionsform als "soziale Komponente" und "Gewerkschaftsbezug"; der jeder theoretischen, wissenschaftlichen Begründung entkleidete Positivismus wird integriert als pragmatistischer "neuer Realismus" und Anerkennung des "Marktes" bzw. des "Profitmotivs" als unerläßlich und unüberwindbar; der Kulturpessimismus schließlich findet Einlaß und Akzeptanz als "ökologisches Gewissen", Naturbeschwörung und bewußtlos in das Politikergestammel einfließende lebensphilosophische statements. Dieser völlig ungenießbare Brei, nochmals verdünnt und umgerührt, ist inzwischen zur "geistigen" Nahrung des gesamten akademischen, ideologischen und politischen Spektrums einer Gesellschaft geworden, die sich kurz vor ihrem ökonomischen und ökologischen Kollaps in intellektueller Agonie befindet. "Anything goes": Grün und Rot geht zusammen, aber auch Rot und Schwarz und Schwarz und Grün, von Braun gar nicht zu reden; "Wertkonservative" erscheinen als "links" und Linke als rechts, der Arbeiter keineswegs zu Unrecht als Bürger und der ehemalige Bourgeois genauso stimmig als managender Arbeiter. Aber mit der bloßen Anerkennung der Tatsache, daß sich die Erscheinungen grundsätzlich verändert haben, ist eben noch gar nichts begriffen und erst recht nichts bewältigt. Es reicht eben nicht, sich durch bloße Mimikry den veränderten Verhältnissen irgendwie anpassen zu wollen und dabei die radikale Kritik gleich mit über Bord gehen zu lassen. Die akademische Linke ist ebenso am Ende wie die politikasternden Bewegungsmarxisten. Das Nicht-mehr-Durchblicken wird als "befreiende Phantasie" verkauft und die Ratlosigkeit als undogmatische Bescheidenheit. Die eklektische Promiskuität der Gesellschaftstheorie ist identisch mit ihrer totalen Demoralisierung.
Angesichts dieses Zusammenbruchs der Ideen, der dem Zusammenbruch der bürgerlichen Realkategorien vorangeht, kann eine positive Neubestimmung des Sozialismus mit dem unbescheidenen Anspruch einer neuen revolutionären Kompetenz gegenüber der Krise der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer blinden, katastrophenträchtigen "Modernisierungs"-Maschine nur von einer neuen Konsequenz in der Kritik der politischen Ökonomie ausgehen. Die neue Basis der Kritik muß die Kritik der abstrakten Arbeit in allen ihren Aspekten und das Postulat ihrer tatsächlichen Aufhebung bilden. Im Zentrum steht dabei die Frage der Aufhebung des tautologischen Rückkoppelungsprozesses der gesellschaftlichen Arbeit, d.h. die Aufhebung des Formwandlungsprozesses der abstrakten Arbeit als Aufhebung von "Wert", Ware und Geld. Also nicht die absurde "Planung des Marktes" wie im "Realsozialismus", sondern die Aufhebung des Marktes als verdoppeltes Dasein der abstrakten Arbeit im Geld. Diese Aufhebung der fetischistischen Tautologie gesellschaftlicher Reproduktion impliziert gleichzeitig die Aufhebung der "getrennten Sphären" oder Funktionsbereiche der bürgerlichen Gesellschaft, insbesondere der "Arbeit" als einer von "Freizeit", "disponibler Zeit" und "Kultur" getrennten abstrakten Funktions-Sphäre, und damit die Konstituierung einer realen Einheit des gesellschaftlichen Lebensprozesses in seiner vom Funktionalismus befreiten Totalität.
Ebenso ist damit die Aufhebung des blinden Abtrennens der "Vernutzungs-Einheiten gesellschaftlicher Arbeitszeit" von der sinnlichen, stofflichen Qualität der bewegten Naturstoffe und Naturkräfte impliziert; jede quantitative Entscheidung über den Einsatz von Produktionskräften muß gleichzeitig eine qualitative Gebrauchswert-Entscheidung sein, d.h. die abstrakte "betriebswirtschaftliche" Kalkulation ist restlos zu beseitigen. Diese totale Aufhebung der abstrakten Arbeit ist erstens nur möglich als Aufhebung der "Arbeit" überhaupt, die nicht verwechselt werden darf mit menschlicher Reproduktionstätigkeit bzw. dem Stoffwechselprozeß mit der Natur; sie ist zweitens nur möglich als direkte Aufhebung des "unmittelbaren Produzenten" aller bisherigen Geschichte, d.h. der so verstandene Sozialismus ist eine logische Unmöglichkeit innerhalb einer Ontologie der Arbeit oder als Konsequenz eines "Arbeiter- und Bauern-Standpunkts". Diese radikale Neubestimmung des Sozialismus als konsequentes Ernstnehmen und Zuendedenken der "Kritik der politischen Ökonomie" ist kein Utopismus im schlechten Sinne, sondern gebieterische Notwendigkeit angesichts der herangereiften umfassenden Krisenpotenz des warenproduzierenden Weltsystems. Die "Krise der Arbeit" und die "ökologische Krise" fallen nicht als beliebige Erscheinungen auseinander, sondern sind Teilmomente ein- und desselben Krisenprozesses der "Wert"- oder Warenform. Kein "neuer Arbeitsbegriff" auf dem unangetasteten und unbegriffenen Boden dieser gesellschaftlichen Formbestimmung hilft mehr noch die schwächliche Mobilisierung einer "neuen Ethik" als letzter Aufguß Kants, sondern nur noch die reale Aufhebung der abstrakten Arbeit auf allen Ebenen, bei Strafe des Untergangs. Von dieser Grundlage aus gilt es die allgemeinen Bestimmungen dieser Aufhebung näher zu beleuchten und genauer herauszuarbeiten.


C) Die Kategorie des "Austauschs"

Vielleicht an keinem anderen Punkt macht sich der bürgerliche Charakter noch des scheinbar radikalsten Arbeiterbewegungs-Marxismus so unverhüllt kenntlich wie hinsichtlich der Frage des "Austauschs" in der vermeintlich angestrebten nicht-bürgerlichen sozialistischen Gesellschaft. Es ist dies einer der wenigen Punkte, wo sich die expliziten Aussagen der Marxschen Theorie völlig unzweideutig als absolut inkompatibel mit dem gesamten Marxismus erweisen. Sind die von Marx in seinen vielen Schriften und Entwürfen bezogenen Positionen hinsichtlich einer "Ontologie der Arbeit" durchaus zweideutig, zwiespältig und in sich widersprüchlich zu nennen 9 , so trifft dies für seine Bestimmung des "Austauschs" in einer sozialistischen Gesellschaft, vor allem in der "Kritik des Gothaer Programms", durchaus nicht zu. Diese Bestimmung lautet schlicht, daß in einer sozialistischen Gesellschaft kein "Austausch" mehr existieren kann.
Selbst die übliche Ausflucht der Marxisten, die alle einschlägig unangenehmen Marxschen Aussagen stets rasch unters Sofa kehren, indem sie diese nur als gültig für die "spätere" und "höhere" Phase des schlechthin jenseitigen und imaginaer zukünftigen "Kommunismus" behaupten, mithin als völlig irrelevant für jede sinnvolle theoretische Auseinandersetzung, geht hier peinlich daneben: denn Marx spricht ausdrücklich von der "niedrigen" Phase des unmittelbar nachrevolutionaer gedachten "Sozialismus", in der schon jeglicher "Austausch" gegenstandslos und also abgeschafft werden muß. Es nützt natürlich wenig, noch die scheinbar orthodoxesten Marxismen hier bei einem selbst im philologischen Sinne eindeutigen "Revisionismus" zu ertappen, denn das bloß philologische Einklagen des Buchstabens von heiligen Schriften hat sich glücklicherweise derart blamiert, daß auf dieser Ebene niemand mehr argumentieren kann, der ernstgenommen werden will.
Diese Aussage der Marxschen Theorie ist also einzig und allein von ihrem Sachgehalt her ins Feld zu führen, wo sie allerdings auch so schwer genug wiegt. Denn Marx muß zwangsläufig dieses apodiktische Argument gegen den "Austausch" bringen, wenn er seine eigene "Kritik der politischen Ökonomie" überhaupt ernst nimmt; damit ist gleichzeitig der Umkehrschluß erlaubt, daß das Festhalten des Marxismus an der "Austausch"-Kategorie bzw. seine völlige Unklarheit in dieser Frage ein absolutes Unverständnis dieser doch stets beschworenen "Kritik der politischen Ökonomie" geradezu beweist. An den gezogenen Konsequenzen für einen Begriff des Sozialismus kann nämlich bewiesen werden, ob diese theoretische Kritik der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt verstanden worden ist.
Warum ist die Marxsche apodiktische Negation des "Austauschs" in einer sozialistischen Reproduktion derart zwangsläufig als Resultat seiner gesamten Kritik der kapitalistischen Produktionsweise? Das Zentrum dieser Kritik besteht in der Kritik der abstrakten Arbeit als tautologischem Rückkoppelungs-Prozeß der gesellschaftlichen Arbeit auf sich selbst, als Produktion "toter Arbeit" oder "Wert" durch die lebendige Arbeit. Diese tautologische Rückkoppelung ist aber überhaupt nur möglich durch jenen Formwandlungsprozeß der Arbeit, in dem diese sich als ihr eigenes "Anderes" im Geld "darstellen" kann. Mit anderen Worten: die Reproduktion der so verfaßten Gesellschaft ist nicht als unmittelbare Einheit von Produktions- und Konsumtionsprozeß möglich, sondern muß sich verdoppeln als "Produktion" einerseits und "Austausch" oder "Markt" andererseits.
Der tautologische Formwandel lebendiger in tote Arbeit kann sich nicht in der "Darstellung" der vergangenen Arbeit "an" der Gebrauchswertgestalt der produzierten Güter erschöpfen, weil in dieser Gestalt der Formwandel noch "unrein" bleibt. Das gewandelte Dasein der vergangenen Arbeit als "Wert" muß sich erst von der stofflichen Gebrauchswertgestalt absondern, die gesellschaftliche Abstraktion der "toten Arbeit" muß "handgreiflich real" werden, "Realabstraktion" auch im unmittelbar dinglichen Sinne. Dies geschieht im Geld, d.h. der eigens und nur zu diesem Zweck historisch bewußtlos umgepolten Gebrauchswertgestalt der "ausgesonderten Ware", die zur "allgemeinen Ware" wird und daher zur unmittelbaren Darstellungsform der Abstraktion toter gesellschaftlicher Arbeit.
Der Formwandlungsprozeß der gesellschaftlichen Tautologie der "Arbeit" vollzieht sich also derart, daß sich im Produktionsprozeß die lebendige Arbeit verpuppt in der Gebrauchswertgestalt der produzierten Güter, die nun gleichermaßen konkrete Nutzgüter und tote abstrakte Arbeit "sind"; der Formwandlungsprozeß ist erst vollendet, wenn sich im "Austausch" des Marktes die gesellschaftliche Formabstraktion der toten Arbeit von den Nutzgütern als Geld abgespalten und die tote Arbeit in reiner Form zur "Darstellung" gebracht hat. Der "Austausch" ist also nichts anderes als der "Realisierungsprozeß" der abstrakten Arbeit, und der Markt, auf dem sich der "Austausch" vollzieht, nichts anderes als die "Realisierungssphäre" der subjektlosen gesellschaftlichen Tautologie, d.h. des Selbstzwecks der Verwandlung lebendiger in tote oder der gesellschaftlichen Arbeit in sich selbst als andere Form ihrer selbst. Diese Spaltung der gesellschaftlichen Reproduktion in "eigentliche Produktion" und "Austausch" ist im übrigen gleichzeitig die Keimzelle der Aufspaltung dieser Gesellschaft in getrennte "Bereiche" oder "Sphären" überhaupt.
Es läßt sich nun leicht einsehen, daß Marx gar nichts anderes übrigblieb, als jene Sphäre des "Austauschs" apodiktisch für eine sozialistische Reproduktion von Anfang an zu negieren, weil deren Liquidierung nur die logische Konsequenz einer Liquidierung der abstrakten Arbeit ist, ohne die wiederum keine Aufhebung der "politischen Ökonomie" oder des "Kapitals" denkbar sein kann. Er hätte also sehenden Auges eine Basisbestimmung des Kapitals als "sozialistische" Kategorie ausgeben müssen, wenn er ausgerechnet den "Realisierungsprozeß" des gesellschaftlichen "Arbeits"-Fetischs als sozialistische Funktionskategorie behandelt hätte. Genau dies tat folgerichtig der Marxismus, indem er die Frage stellte, wie denn der "Austausch" im Sozialismus wohl aussehen werde. Er übernahm so bewußtlos eine warenlogische Prämisse in seinen Sozialismus-Begriff, an der allein schon jede theoretische und praktische Bestimmung einer gesellschaftlichen Planung "ex ante" elendiglich scheitern mußte. Die blind affirmative Voraussetzung eines "Austauschs" im Sozialismus ist aber nur die logische Konsequenz der ebenso blind vorausgesetzten abstrakten Arbeit.
Die Entschuldigung, die dafür ins Feld geführt werden kann, besteht natürlich in der "zu geringen Entfaltung der Produktivkräfte". Es muß aber gefragt werden, was das überhaupt heißt, wenn diese inflationär gebrauchte Floskel nicht apologetischer Gedankenlosigkeit dienen soll. Vor allem muß ein klarer Trennungsstrich gezogen werden zu jener bisher vorherrschenden Apologetik des vor unseren Augen zusammenbrechenden "Realsozialismus", für die obige Floskel immer nur zur Rechtfertigung eines "schwierigen Sozialismus" bis zur totalen Begriffslosigkeit herhalten mußte: ganz so, als sei ein Begriff des Sozialismus ohne dessen Bedingungen möglich, als sei die "Realexistenz" von abstrakter Arbeit und also "Austausch" eben das "Schwierige" am Sozialismus und nicht dessen logische Unmöglichkeit.
Inwiefern also ist die Produktivkraftentwicklung "zu gering"? Sie ist es, solange überhaupt menschliche Arbeitskraft-Verausgabung die Produktion wesentlich bestimmt, d.h. solange die menschliche Arbeitskraft selber und als solche die wesentlichste Produktivkraft bleibt. Solange kann auch die abstrakte Arbeit nicht überwunden werden, und solange kann es keinen Sozialismus geben. Erst wenn die Produktivkraft Wissenschaft die menschliche Arbeitskraft-Verausgabung in der Produktion selber zu übersteigen beginnt als andere und höhere Form menschlicher Reproduktionstätigkeit, wird die abstrakte Arbeit krisenhaft obsolet und muß abgelöst werden durch "produktiven Müßiggang", eine heute in den entwickeltsten westlichen Ländern heraufdämmernde Epoche. Auch die Produktivkraft Wissenschaft ist menschliche Produktivkraft, jedoch auf einer anderen und höheren Ebene.
"Produktiver Müßiggang" heißt dann unter anderem, daß Naturwissenschaft und technologische Konstruktion jenseits der repetitiven Arbeitskraft-Verausgabung diese in immer schnellerem Tempo überflüssig machen, d.h. daß der Überblick über die in Bewegung gesetzten Ingredienzen der Produktion, deren Dirigieren und deren Weiterentwicklung die Arbeitskraft-Verausgabung überflügeln und an ihre Stelle treten. Damit aber ist auch der fetischistische, tautologische Formwandlungsprozeß der "Arbeit" in das tote andere ihrer selbst als "Wert" und "Geld" zerstört und gegenstandslos geworden, denn nur die repetitive Arbeitskraft-Verausgabung als sich regelmäßig erneuernde "Darstellung" großer Arbeitsmassen kann überhaupt als "Arbeit" fungieren, nicht aber der "produktive Müßiggang" der Wissenschaft, der noch vor der eigentlichen Produktion erlischt und sich nicht milliardenfach repetitiv abspult bzw. "darstellt" an den toten Produkten.
Hinsichtlich des "Austauschs" nun zeigt sich derselbe Prozeß auf der Erscheinungsebene als die reale "Getrenntheit" bzw. schließlich die reale stoffliche Vernetzung der gesellschaftlichen Reproduktion. Die "zu geringe" Produktivkraft, die auf der Seite der Produktion als deren hauptsächliche Bestimmung durch menschliche Arbeitskraft-Verausgabung erscheint, muß hinsichtlich der Gesamt-Reproduktion bzw. der gesellschaftlichen Beziehungen und Verkehrsformen als relative Getrenntheit der Produzenten und damit als Notwendigkeit eines "Austauschs" erscheinen. Es ist aber wichtig, zu begreifen, daß diese "Getrenntheit" eben nur Erscheinung ist, nicht selbst Wesen und Voraussetzung. Wesen und Voraussetzung ist die Produktion als Arbeitskraft-Verausgabung und damit als tautologischer Selbstzweck, der in der Getrenntheit der Produzenten erscheint und sich als "Markt" oder Sphäre des "Austauschs" setzt, um die gesellschaftliche Tautologie der "Arbeit" zu "realisieren". Getrenntheit der Produzenten und demzufolge "Austausch" sind die Erscheinungsform der abstrakten Arbeit oder tautologischen Arbeitskraft-Verausgabung.
Es muß hier allerdings auch eine kleine Korrektur an der Marxschen Ausdrucksweise vorgenommen werden; denn Marx spricht ziemlich durchgehend davon, daß es sich hierbei um "voneinander unabhängige Privatarbeiten" handle. Das ist aber so nicht richtig. "Voneinander unabhängig" sind die "Arbeiten" nur wirklich, wenn es sich gerade noch nicht um "Privatarbeiten" handelt, d.h. also um jene noch wesentlich naturverhafteten blutsverwandtschaftlichen Reproduktionsformen (von den Naturvölkern bis zum "ganzen Haus"), die so gut wie autark wirtschaften und für die ein "Austausch" nur zufällig, gelegentlich oder marginal als "Überschußtausch" in Frage kommt 10 .


Bei höherer Entwicklung der Warenproduktion, in der sich schon Elemente der abstrakten Arbeit herausgebildet haben, der "Austausch" demgemäß eine gewisse Regelmäßigkeit und Stetigkeit erreicht, bleiben die Produzenten zwar nach wie vor real getrennt, sie sind aber zunehmend weniger "unabhängig" voneinander. Man könnte sogar sagen: Je mehr die Arbeiten zu "Privatarbeiten" werden, desto weniger sind sie "unabhängig voneinander" im konkret stofflichen Sinne. Der Grund dafür besteht in der Produktivkraftentwicklung, die über den unmittelbaren Naturbezug hinaustreibt und eine Arbeitsteilung höherer Ordnung über die rohe unmittelbare Arbeitsteilung innerhalb dieses unmittelbaren Naturbezugs hinaus hervorbringt. Dadurch wird aber eine konkret stoffliche Abhängigkeit voneinander getrennter Produzenten gesetzt, die sie tendenziell in Produzenten abstrakter Arbeit verwandelt und die fetischistische Verdoppelung der Arbeit als "Wert" bzw. Geld in der abgespaltenen Sphäre des "Austauschs" erzwingt.
Der konkret stoffliche Zusammenhang der geteilten Arbeiten als Totalität gesellschaftlicher Reproduktion existiert so zwar "an sich", aber nicht "für" die Produzenten, d.h. "außerhalb" von ihnen als ihnen gegenübertretende Objektivität und Quasi-Naturhaftigkeit ihres eigenen Gesellschaftsprozesses ("zweite Natur"). Je mehr nun die Arbeitsteilung in dieser Form fortschreitet, desto mehr wird die Arbeit zur abgespaltenen Sphäre der abstrakten Arbeit und desto manifester erscheint sie als Ausdehnung der Realisierungssphäre des "Austauschs"; desto höher entwickelt sich auch die gesellschaftliche Kultur, aber gleichfalls als abgespaltene "Sphäre", da ja "Gesellschaftlichkeit" überhaupt nun nicht mehr in organischer Einheit mit dem Arbeits- und Lebensprozeß erscheinen kann. Die Arbeiten werden immer mehr zu getrennten Privatarbeiten, aber gerade dadurch werden sie immer abhängiger voneinander.
Man könnte also den Herausbildungs- und Ausdehnungsprozeß der Warenproduktion, d.h. der abstrakten Arbeit, gleichzeitig als gesellschaftlichen Vernetzungsprozeß der Produktion und Reproduktion bezeichnen, in dem so etwas wie "Gesellschaftlichkeit" überhaupt erst hergestellt wird. Es ist dabei eine eigentuemlich widersprüchliche Logik dieses warenförmigen Vernetzungsprozesses zu beobachten. Solange nämlich die Warenform tatsächlich in erster Linie eine höhere Form von Gesellschaftlichkeit und gesellschaftlicher Kultur an sich selber in den Nischen vorkapitalistischer Reproduktionsformen repräsentiert (mit ihrer höchsten Blüte in der relativ kurzzeitigen urbanen Kultur der Antike), ist sie gleichzeitig auch noch unentfaltet und entspricht noch nicht völlig dem Begriff der abstrakten Arbeit. In dem Masse aber, wie die Warenform selber zur gesellschaftlichen Reproduktionsform wird und die tautologische Logik der abstrakten Arbeit voll entfaltet, und dies kann erst mit der Warenform der Arbeitskraft selber oder dem Prinzip des "Mehrwerts" geschehen, macht sie sich auch sukzessive gleichzeitig selber obsolet, d.h. es wird deutlich, daß sie nicht an sich selber höhere Form von Gesellschaftlichkeit ist, sondern bloßes "Vermittlungsmoment" zu deren Vorbereitung und eigentlichen Herausbildung. Mit anderen Worten: die Warenform ist bloß blindes transitorisches Durchgangs- oder Übergangsstadium im Vergesellschaftungsprozeß der menschlichen Reproduktion.
Dieser Sachverhalt wird gerade verdunkelt durch das schon antediluvianische Dasein von "Austausch", Ware und Geld: ein "gebremstes", unentwickeltes, jahrtausendelanges Verpuppungsstadium, das erst mit dem Kapitalverhältnis der "Moderne" aufgebrochen ist in der beispiellosen Entfaltung der Dynamik abstrakter Arbeit. Erst jetzt wird die Warenform zur transitorischen Form in der Gestalt des "Mehrwert"-Prinzips; und in dieser transitorischen Bewegung, in der erst die Warenform zur totalen gesellschaftlichen Reproduktionsform wird, enthüllt sie sich als reiner Widerspruch in sich, als Krisenform im Übergang zu wirklicher Gesellschaftlichkeit. Der Kapitalismus als Ganzes kann insofern als historischer Krisenprozeß begriffen werden, aber nicht als Ende der Geschichte, sondern als die Geburtswehen der eigentlichen menschlichen Gesellschaft; der Beginn der wirklichen menschlichen Geschichte liegt so noch in der Zukunft.
Dieser Begriff des Kapitals als Krise an sich kann aber wiederum in doppelter Weise verstanden werden, die im binnengeschichtlichen Krisenzyklus des Kapitals zum Ausdruck kommt. In der aufsteigenden Phase des Kapitals oder der ersten Phase des gesellschaftlichen Transits tritt die Krise noch vorwiegend als Durchsetzungskrise des Kapitalverhältnisses in Erscheinung bzw. sie erscheint als Krise der untergehenden vorkapitalistischen Reproduktionsformen, als Verdampfungsprozeß aller starren, ständischen und blutsverwandtschaftlichen Verhältnisse 11 , deren Krise noch den immanenten Widerspruch des Kapitals selber überwoelbt und dominiert. Diese Dominanz der Durchsetzungskrise schließt noch die beiden Weltkriege mit ein, und in dieser Phase kann auch die Krise noch nicht in ihrem "ökonomischen" Kern als Krise der Form selber erscheinen, daher auch noch keinen reinen Krisenbegriff hervorbringen. Die Krise des Kapitals an ihm selber, in der erst der transitorische Charakter der Warenform völlig deutlich werden kann, deutete sich erstmals in der Gründerzeit- und dann auf höherer Stufenleiter in der Weltwirtschaftskrise an; erst heute aber beginnt diese Krise in reiner Form mit voller Wucht ins Dasein zu treten und macht die Abschaffung der Warenform zur direkten Überlebensfrage.
In diesem Kontext ist auch das Festkleben des Marxismus an der Kategorie des "Austauschs" zu sehen. Viele Momente der Durchsetzungskrisen der abstrakten Arbeit wurden verwechselt mit der Krise des Kapitals selber; es ist dies nur eine andere Formulierung dafür, daß der Arbeiterbewegungs-Marxismus sich noch ganz innerhalb von abstrakter Arbeit und damit Privateigentum bewegt, ohne dies zu wissen. In diesen Durchsetzungskrisen oder in der aufsteigenden Phase des "Mehrwert"-Prinzips der abstrakten Arbeit ist die Vernetzung der konkret-stofflichen gesellschaftlichen Reproduktion noch nicht so weit fortgeschritten, daß die Hülle der abstrakten Arbeit gesprengt werden könnte; auf der Erscheinungsebene drückt sich dies darin aus, daß die relative Getrenntheit der verschiedenen gesellschaftlichen Reproduktions-Einheiten voneinander auf der konkret-stofflichen Ebene selber noch nicht überwunden ist, wodurch die Notwendigkeit des "Austauschs" eine quasi ontologische Plausibilität behält.
Relative Getrenntheit der Produzenten, stofflich-technische Notwendigkeiten und die Formbestimmung der abstrakten Arbeit können noch nicht analytisch auseinandergehalten werden, auch wenn Marx hier den entscheidenden theoretischen Schritt schon getan hat; aber für eine konkretes gesellschaftliches Programm der Aufhebung reicht dieser Schritt noch nicht aus und der Arbeiterbewegungs-Marxismus muß unfähig bleiben, diese Konkretisierung auch nur auf der theoretischen Ebene zu leisten. Am auffälligsten klafft die "Trennungs"-Lücke wohl im Verhältnis von "Stadt und Land", weil hier eine andere Beziehung als diejenige eines "Austauschs" nicht gedacht werden kann; aber auch innerhalb der Industrien, etwa zwischen Textilproduktion und Montanindustrie usw., ist noch keine direkte und umfassende "Vernetzung" hergestellt.
Dies heißt nur, daß die abstrakte Arbeit ihre "Aufgabe" (eine solche Formulierung ist natürlich nur ex posteriori möglich, weil es ja keinen "Aufgabensteller" gibt), die Produktivkräfte und damit die zunehmende konkret-stoffliche Vernetzung zu entwickeln, noch nicht hinreichend erfüllt hat. Erst von einer Höhe der Produktivkraftentwicklung an, in die wir heute einzutreten beginnen, ist die "Vernetzung" der konkret-stofflichen Reproduktion in einem solchen Grade gediehen, daß sie mit der Hülle der abstrakten Arbeit und damit des "Austauschs" als deren Erscheinungsform unverträglich wird. Erst jetzt fallen die "hinter dem Rücken" der Produzenten herausgebildete Vernetzung der wirklichen stofflichen Reproduktion einerseits und die Formbestimmung dieser Reproduktion durch die fetischistische Tautologie der als "Austausch" erscheinenden "Arbeit" andererseits unwiderruflich auseinander; die "Getrenntheit" der Produzenten hat jetzt endgültig keine stofflich-technische Grundlage mehr, sondern hat sich ganz in die reine abstrakte Formbestimmung zurückgezogen, die dadurch obsolet und unhaltbar wird.
Die "Aufhebung der Trennung von Stadt und Land", von der Arbeiterbewegung noch als transzendente Utopie einer zukünftigen sozialistischen Gesellschaft verstanden, ist vom Kapitalismus selbst durch die Industrialisierung und Verwissenschaftlichung der Landwirtschaft vollstreckt worden, ebenso wie die Verschmelzung der immer tiefer ineinandergreifenden Industrien zu einem einzigen gigantischen Reproduktionsaggregat, das durch Mikroelektronik, flexible Automatisierung und totale informationelle Vernetzung vollendet wird. In der Formbestimmung der abstrakten Arbeit oder des "Austauschs" heißt dies, daß die toten Dinge total vergesellschaftet sind, während die lebendigen Produzenten, deren produktive und reproduktive Tätigkeiten doch allseitig und umfassend ineinandergreifen, als Gesellschaftswesen zu ebenso total voneinander getrennten Monaden des Geldes geworden sind. Dieser Zustand aber ist unerträglich und unhaltbar: die totale Getrenntheit, die nur noch in der reinen gesellschaftlichen Form ohne jeden Inhalt liegt, bei gleichzeitiger totaler stofflicher Vernetzung des wirklichen Inhalts, verlangt gebieterisch ihre "Umstülpung", d.h. die Vergesellschaftung der Menschen selbst statt der Sachen. Auf dem historischen Höhepunkt der abstrakten Arbeit fällt diese in sich zusammen, ihr endgültiger Sieg über die vorkapitalistischen Reste ist gleichzeitig ihre endgültige Niederlage, d.h. ihre absolute Krise und damit diejenige des absurd gewordenen "Austauschs" 12
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Es wäre freilich verfehlt, die Logik des "Austauschs" getrennter Einheiten der gesellschaftlichen Reproduktion schon dadurch für erledigt zu halten, daß mit der konkreten, allseitigen Vernetzung des sachlichen Inhalts die stoffliche und sozusagen "technische" Grundlage dieser gesellschaftlichen Beziehungsform sich auflöst. Obwohl der nunmehr reine, inhaltsleere Formzusammenhang von abstrakter Arbeit und "Austausch" vollkommen obsolet wird und als schmerzhafter, zunehmend unerträglicher Krisenprozeß auf allen Ebenen in Erscheinung tritt, stößt die bewußte Überwindung und Aufhebung dieser Formbestimmungen zunächst auf schier unüberwindliche Hindernisse im Subjekt selbst. Zwar rühren die Hindernisse wenigstens zum Teil aus der ungleichzeitigen Entwicklung im Weltmaßstab: daß die abstrakte Arbeit ihren absoluten Krisenhorizont erreicht hat, ist gerade auch daran abzulesen, daß die historischen Nachzügler des Südens und Ostens endgültig in den Bereich dieser Reproduktionsform und deren Subjektbestimmung einrücken (Verrechtlichung, Demokratisierung) und damit jeden weiteren Entwicklungsraum für immer begrenzen.
Was gegenwärtig als der endgültige Sieg von westlicher Freiheit, Demokratie und "Marktwirtschaft" erscheint, als das "Ende der Geschichte", ist in Wirklichkeit schon Teil ihrer endgültigen Krise, in der gerade jene Basis-Bestimmungen ins Wanken geraten, die sämtliche Teile der Weltgesellschaft als warenproduzierendes Weltsystem trotz ihres unterschiedlichen Entwicklungsgrades zusammenschliessen. Aber nicht bloß die Unterschiedlichkeit der Entwicklungsstufen verstellt die Optik und läßt es so erscheinen, als wäre der Zusammenbruch des "Realsozialismus" nicht der Anfang vom Ende der abstrakten Arbeit und damit der Warenform überhaupt, sondern bloß das Einmünden eines Irrtums in die Wahrheit oder die "Heimkehr" eines Irrläufers in die ontologische Ewigkeit der bürgerlichen Gesellschaft. Vielmehr ist es das Innerste der bürgerlichen Subjektivität gerade in den entwickeltsten Ländern des Kapitals selbst, das entsetzt vor der Perspektive seiner Aufhebung zurückweicht.
Die warenförmige Subjektivität des "Austauschs" ist für das bürgerlich konstituierte Bewußtsein (die Arbeiterbewegung eingeschlossen) identisch mit Subjektivität schlechthin. Das ist insofern auch völlig richtig, als das warenförmige gesellschaftliche Subjekt das bisher erste und einzige der Weltgeschichte ist; es gibt keinen Vergleichsmaßstab. Die "ersten Philosophen", das wissenschaftliche Denken überhaupt entstanden zusammen mit der Warenform (Thomson, Sohn-Rethel u.a.) und den ersten embryonalen Formen der abstrakten Arbeit, ebenso wie das "Ich-Sagen" im Sinne einer nicht bloß personalen, sondern gesellschaftlichen Subjektivität, die ein "Interesse" geltend macht. Alle Zustände und Beziehungen, die jenseits dieser Form liegen und diese überhaupt als distinkte erkennbar machen, befinden sich auf jenem alten Ufer der Naturverhaftetheit, der kruden Naturbeziehung und der Naturfetische, von dem aus die Menschheit gerade in die "offenen" Gewässer der gesellschaftlichen Subjektivität mittels der Warenform aufgebrochen ist. Und alle vorwärtstreibenden gesellschaftlich-historischen Konflikte der Moderne haben sich innerhalb dieser Form abgespielt. Das geheime Ziel der alten Arbeiterbewegung war es und konnte es nur sein, über die kollektive Aktion und Organisierung für die Massen der unmittelbaren Produzenten selbst aus dem ungesellschaftlichen, unindividuellen Zustand bloßen Zubehörs feudaler und frühbürgerlicher Reproduktionseinheiten aufzusteigen zur Individualität eigenständiger Gesellschaftswesen, d.h. zur Befreiung des Warencharakters der Arbeitskraft.
Die darin eingeschlossene Subjektbestimmung aber erschöpft sich gerade im Begriff der Individualität nicht in der stofflich-technischen Notwendigkeit des "Austauschs" real getrennter Sektoren, etwa von "Stadt und Land". Vielmehr begreift sich das so konstituierte Individuum notwendigerweise seiner "Natur" (d.h. seiner zweiten gesellschaftlichen Natur) nach als ein dem Ganzen dieser Gesellschaft gegenüberstehendes Wesen, das sich mit diesem Ganzen bei Strafe des Ich-Verlustes einzig und allein durch "Austausch" vermitteln kann. Die Modalitäten dieses Verhältnisses mögen sehr verschiedenartig sein oder in den phantastischsten Verkleidungen gedacht werden; sie bleiben doch sekundär und abhängig von dieser duerren, leeren Formbestimmung: "Ich tausche aus, also bin ich". Der einzelne Arbeiter begreift sich als Träger von Arbeitskraft-Verausgabung, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, daß er sich damit immer schon in der Formbestimmung der abstrakten Arbeit befindet; und er begreift so seinen individuellen Anteil an der gesellschaftlichen Gesamtarbeit logisch notwendig als seinen individuellen "Austausch" mit "der Gesellschaft", den es "gerecht" und "seinen Interessen" (als abstrakter Arbeiter) gemäß zu regeln gilt.
So formuliert entspricht die hier skizzierte Denkweise oder Ideologie allerdings schon einem relativ höheren Entwicklungsstand der abstrakten Arbeit und damit des gesellschaftlichen Vernetzungsprozesses. Der Vergleich mit der ursprünglichen bürgerlichen Basisideologie, die zur Ideologie der frühen Arbeiterbewegung und bis ins 20. Jahrhundert hinein ihrer anarchistischen (Proudhon), genossenschaftlichen usw. Strömungen wurde, macht dies deutlich. Die elementarste und noch roheste bürgerliche Subjektbestimmung (bzw. der entsprechende Begriff von Individualität) bezieht sich noch nicht auf den "Austausch" des Einzelnen mit "der Gesellschaft", sondern auf den "Austausch" des einzelnen Produzenten oder "Arbeiters" (bzw. ihrer Familien) mit anderen solchen Produzenten. Daß jeder ein gesellschaftliches Individuum dadurch sei, daß er ein bestimmtes Quantum abstrakt gesellschaftlicher Arbeit "repräsentiert", ist hier noch nicht von den konkret-stofflichen Formen der Arbeitsteilung getrennt und der "Austausch" kann dementsprechend direkt als derjenige zwischen "ehrlichen Arbeitern" ideologisch gedacht werden, quasi noch als der "Austausch" zwischen Bäcker, Schmied, Schuster, Bauer usw. 13 . Auf den ersten Stufen kapitalistischer Arbeitsteilung hat die Arbeiterbewegung diese bürgerliche Basisbestimmung von Individualität und Subjektivität bloß mechanisch "kollektiviert", als Ideologie des "Austauschs ehrlicher Arbeiten" zwischen Bäcker-, Schmied- und Schuster- oder Bauern-Kollektiven (Genossenschaften) usw. Die Kritik des Kapitals bleibt hier meistens auch explizit bei der Negation unbegriffener Sekundärformen und Metamorphosen des Geldes stehen, vor allem des zinstragenden ("arbeitslosen") Geldkapitals, so schon exemplarisch bei Proudhon.
Der Begriff vom "Austausch" des einzelnen "Arbeits"-Individuums, egal ob Mann oder Frau, "geschickt" oder unqualifiziert, Christ oder Moslem, Einheimischer oder Ausländer usw., mit "der Gesellschaft" hingegen signalisiert durch seinen höheren Abstraktionsgrad schon ein höheres Entwicklungsstadium der abstrakten Arbeit. Indem der reine Begriff des bürgerlichen Gegensatzpaares von "Individuum" und "Gesellschaft" faktisch und ideologisch herausgearbeitet ist, erweist sich die moderne (für uns bereits wieder "alte") Arbeiterbewegung auch als sein eifrigster und hartnäckigster Protagonist. Gerade auf den höheren Entwicklungsstufen der abstrakten Arbeit und damit des gesellschaftlichen Vernetzungsprozesses verliert die "Austausch"-Kategorie allmählich nicht zuletzt auf dem Boden der Arbeiterbewegung die letzten konkret-stofflichen Fetzen und steht in reiner und dürrer Nacktheit als abstrakte bürgerliche Subjektbestimmung da.
Der "Sozialismus" als "arbeitsgesellschaftliche" Utopie, als reine Totalität der Arbeitskraft-Verausgabung, annähernd vielleicht realisiert in Nordkorea oder, auf höherer technischer Stufe, in der DDR, impliziert auch die reinste und abstrakteste Form des "Austauschs" als reine bürgerliche Funktionskategorie, als gleichsam idealtypische Beziehungsform der Realabstraktionen "Individuum" (Arbeitskraft) und "Gesellschaft" (Staat). Das Herunterholen des bürgerlich-aufklärerischen Idealhimmels auf die Erde muß sich freilich als veritable Hoelle entpuppen, die reine bürgerliche Subjektbestimmung als gespenstisch bürokratische, geradezu idiotische Entsubjektivierung der Individuen, sobald diese überhaupt auch nur annähernd herausgebildet sind. Es gehört zu den bissigsten Ironien der Weltgeschichte, daß die organische Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft im Westen gar nicht imstande war, eine derart schauerliche Karikatur hervorzubringen, weil die "Entzauberung" des bürgerlichen "Austausch"-Subjekts hier nicht nur schon viel früher einsetzte und dieses schon eine viel längere Ausnüchterung hinter sich hat, sondern dieser Prozeß gleichzeitig identisch war mit der Hervorbringung jener Produktivkräfte, von denen die abstrakte Arbeit gesprengt werden muß.
Nur der rückständigste Teil der bürgerlichen Gesellschaften, in denen eine "nachholende bürgerliche Formgebung" objektiv unausweichlich war, konnte auf die Illusion eines "geplanten Austauschs" verfallen, d.h. auf den notwendig äußerlich bleibenden und zum Scheitern verurteilten Versuch, die idealtypischen Kategorien der bürgerlichen Gesellschaft in ihrer reinsten, abstraktesten Form unmittelbar "verwirklichen" zu wollen und ausgerechnet dieses monströse Unterfangen als "Sozialismus" zu begreifen. Gemessen am realen, d.h. stofflichen Vernetzungsgrad der Reproduktion erweisen sich die äußerlichen Schein-Realisierungen der reinen bürgerlichen Idealkategorien einer totalen "Arbeitsgesellschaft", d.h. eines totalen Staates und eines "geplanten Austauschs", als Potemkinsche Dörfer oder, wie man will, als Hollywood-Kulissen aus Pappe, und zwar in sagenhaften Dimensionen. Die vermeintlich totale Arbeitsgesellschaft produziert Schrott oder gar nichts, der vermeintlich totale Staat befindet sich weit unterhalb des Zugriffsniveaus eines beliebigen westlichen Landratsamtes und ist nicht einmal in der Lage, Steuern einzutreiben; der vermeintlich "geplante Austausch" schließlich erweist sich als bloßer Rauchvorhang vor dem größten Schwarzmarkt der Weltgeschichte, oder andererseits als eine Art Pfründensystem, vergleichbar allenfalls der gesellschaftlichen Stellung des Kirchenapparats im Mittelalter. Völker durch Bewaffnete eine Zeitlang botmäßig halten, das allerdings konnte auch schon Dschingis Khan.
Was der "Realsozialismus" hervorgebracht hat, ist die Karikatur einer "reinen" bürgerlichen Gesellschaft, wie sie kein menschliches Hirn sich bösartiger hätte ausdenken können. Es ist eine solche Karikatur, weil es sich bei den vom Westen abweichenden Modifikationen in der Formbestimmung tatsächlich bis zu einem gewissen Grad um den Versuch einer "Verwirklichung von Idealen" handelt, d.h. um "verwirklichte" bürgerliche Ideologie, um institutionell real gewordenes "falsches Bewußtsein" als Paradoxon einer nachholenden bürgerlichen Formgebung, in dem sich die Bewußtlosigkeit bewußt vollziehen soll. Die wirklich organisch gewachsene "reine" bürgerliche Gesellschaft, wie wir sie auf ihrem höchsten Entwicklungsstand heute im Westen vorfinden, läßt ihre "arbeitsgesellschaftliche" Ideologie des "Austauschs ehrlicher Arbeit" dort, wo sie hingehört: im Ideenhimmel, und setzt real auf den blinden Selbstlauf der abstrakten Arbeit, dessen Dynamik zusammen mit der Produktivkraftentwicklung die abstrakte Individualität und bürgerliche Subjektivität viel reiner und stärker entfesselt hat als die bloß äußerlich an rückständige Gesellschaften angeklebte "Verwirklichung" der bürgerlichen Ideale vom "Austausch ehrlicher Arbeit" des Einzelnen mit der "Gesellschaft".
So weit ist diese Entfesselung hier gediehen, daß sich die westliche "Entsubjektivierung des Subjekts" nicht mehr in einer dorfpolizistenhaften Bürokratie und der Verwandlung der Gesellschaft in ein einziges großes Pfadfinderlager ausdrücken muß, wie etwa in der DDR, sondern die zweifellos vorhandene riesige Bürokratie auch des Westens sich bereits als bloße Vollstreckungsinstanz der blinden, dinglichen Bewegung des "automatischen Subjekts" der abstrakten Arbeit entpuppt hat. Die "Reinheit" der Realabstraktion muß sich dagegen im "Realsozialismus" gerade deswegen bloß als obsolete und jämmerlich desolate Inkarnation der bürgerlichen Ideale karikaturenhaft darstellen, weil darunter in Wirklichkeit noch nicht das realabstrakte bürgerliche Individualsubjekt völlig ausgebrütet worden ist, was wiederum einer rückständigen stofflich-technischen Produktivkraftentwicklung in der bürgerlichen Formhülle entspricht. In diesen Ländern gibt es tatsächlich noch "Arbeiter und Bauern", die mit "Hammer und Sichel" zugange sind. Die eigentümliche Widerspruchsentwicklung einer "nachholenden bürgerlichen Formgebung" erzeugt also gleichsam ein historisches Zerrbild als reale Gesellschaftsformation aus der Spannung von realer, stofflicher Rückständigkeit und mangelhaft entwickelter bürgerlicher Individualität einerseits und dem bürokratischen Voluntarismus institutionell "realisierter" bürgerlicher "Arbeits"- und "Austausch"-Ideale andererseits.
Die inkarnierte Ideologie der modernsten bürgerlichen Gesellschaft tritt dann notwendig als äußerlicher Apparat den noch (relativ) rohen, mangelhaft herausgebildeten realen "Arbeits"- und "Austausch"-Subjekten der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber. Der "Klassenkampf", die Proto- und Durchsetzungsgestalt der bürgerlichen "Arbeitsgesellschaft", ist in den Staats- und Parteiapparaten des "Realsozialismus" nicht minder vorsintflutlich versteinert und konserviert wie in den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie des Westens. Der "rationelle Kern" dieser Entwicklung liegt natürlich im Voranpeitschen der noch mangelhaft entfalteten abstrakten Arbeit, in der Durchsetzung der "reinen" bürgerlichen Gesellschaft, im Osten eben ihrer "nachholenden" mit besonders paradoxen Ausformungen der gesellschaftlichen Antinomien. Was bleibt, ist die Errungenschaft von stofflichen Basisindustrien und den Grundzügen einer modernen Infrastruktur. Aber der Zeithorizont dieses "rationellen Kerns" ist inzwischen längst überschritten. Mit vollem Recht verlangen die Massen des Ostens den Übergang zu einer "normalen" bürgerlichen Gesellschaft, die ihre ideologischen Ideale in den Ideenhimmel zurückexpediert statt sie in Fünfzigerjahre-Anzügen wichtigtuerisch und reglementierend bis zum Schwachsinn auf dem Erdboden herumlaufen zu lassen; die den antiquierten "Klassenkampf" endlich ins Museum schickt und die mühselig herausgebildeten Elemente abstrakter bürgerlicher Individualität und Subjektivität "freiläßt"; mit einem Wort: die den "Austausch" endlich operationalisierbar macht und so der Vollendung der abstrakten Arbeit in ihrer "Realisierungssphäre" freien Lauf läßt, statt dem logischen und praktischen Blödsinn einer "Planung" dieses "Austauschs" mit immer absurderen Konsequenzen hinterherzuhecheln.
Das Pech dieser oppositionellen (bzw. inzwischen sogar zur "Regierungsverantwortung" gelangten) Strömungen und Parteien bzw. "fortschrittlichen" und "demokratischen" Massenbewegungen ist nur, daß sie im Weltmaßstab gerade rechtzeitig zur Globalkrise der abstrakten Arbeit kommen. Was sie wollen und was für sie auch tatsächlich noch ein "Fortschritt" wäre, ist seinerseits in den westlichen, weit davongeeilten bürgerlichen Gesellschaften schon wieder obsolet geworden. Aus der Stagnationskrise der abstrakten Arbeit im Osten taumeln sie in die westliche Dynamik dieser Krise; das ideologische Marschgepaeck von vorgestern haben sie nur abgeworfen, um sich dasjenige von gestern aufzuhuckeln. Mit anderen Worten: die Stagnationskrise der abstrakten Arbeit des Ostens ist Vorbote und selbst schon Teilmoment der Krise der abstrakten Arbeit überhaupt, d.h. der Krise des warenproduzierenden Weltsystems, dessen nachtrabender (wenn auch sich in dieser oder jener Hinsicht vorübergehend abgrenzender) Teil der "Realsozialismus" immer und von Anfang an gewesen ist.
Nicht die simple Heimkehr des "geplanten Austauschs" in den operationalisierten, bürgerlich normalisierten "Austausch" als "freigelassene" Realisierungssphäre der abstrakten Arbeit steht auf der Tagesordnung, sondern die allseitige Krise des "Austauschs" ueberhaupt als Erscheinungsform der Krise und des Ausbrennens der abstrakten Arbeit in den Zentren des Weltmarkts. Die Dissidenten und Reformer des Ostblocks gleichen im Rahmen der Weltgesellschaft aufständischen Provinzbauern, die noch nicht mitbekommen haben, daß in der Hauptstadt der von ihnen erträumte Machtwechsel schon vor hundert Jahren stattgefunden hat und dessen Protagonisten, ihre vermeintlichen Heldengestalten von heute, längst selber wieder eingesargt und mumifiziert sind. Sie möchten sich als bürgerliche Subjekte gerade in dem Augenblick freischwimmen, in dem das bürgerliche Subjekt endgültig zum Absaufen verurteilt ist.
Freilich, die Kriterien dessen, was "danach" kommt, können nicht aus der Vergangenheit des patinierten "Klassenkampfes" genommen werden, einer versunkenen Heroenzeit der bürgerlichen Gesellschaft. Wie ein wirklich nachbürgerlicher (postmoderner, postfordistischer, postindustrieller, postmarxistischer usw.) Sozialismus nicht mehr auf der "Arbeit" fußen kann, so erst recht nicht auf dem "Austausch". Die Kriterien für das "Denken des Undenkbaren", für das nicht-bürgerliche Subjekt, das sich nicht mehr als "austauschendes Individuum" begreifen kann, sind nur aus dem Dasein der modernsten Produktivkräfte und Automatisierungspotentiale abzuleiten, wie sie sich "hinter dem Rücken" der hartnäckigen "Arbeits"- und "Austausch"-Subjekte herausgebildet haben als neue gesellschaftliche Potenz, die bis jetzt nur auf der Sachen-Ebene existiert. Diese neuen Produktivkräfte machen es zunehmend und endgültig unmöglich, daß der Einzelne seine "Arbeitskraft" als seine individuelle "Verausgabungs"-Potenz begreifen und seine "Arbeit" als eine entsprechende individuelle "Verausgabungs"-Leistung betrachten kann, die "vergegenständlicht" irgendwie als das Pfund seines Wucherns mit den anderen Produzenten oder mit "der Gesellschaft" erscheint. Denn zunehmend steht er ja nicht mehr "hinter", sondern "vor" und "über" dem wirklichen Produktionsprozeß, der immer schon "vernetzt" und vergesellschaftet ist, bevor er auch nur einen Finger rührt.
Zunehmend repräsentiert dieser Produktionsprozeß nicht mehr selber "Arbeitskraft-Verausgabung", sondern im Sinne des Stoffwechselprozesses mit der Natur rationellen stofflichen "Mittel-Einsatz". Und zunehmend erfordert dieser Produktionsprozeß nicht mehr in erster Linie Produktion und Produktivkraftentwicklung als solche und um ihrer selbst willen, sondern rationelle Kalkulation der stofflichen Folgen und Funktionszusammenhänge. Der Einzelne repräsentiert nicht mehr ein gesellschaftliches abstraktes "Arbeits"-Quantum, dessen Gesellschaftlichkeit sich erst a posteriori im "Austausch" als solche "realisiert", sondern er steht schon a priori in einem stofflichen gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhang, der auch "ex ante" als dieser stoffliche Zusammenhang "geplant" werden, d.h. als rationeller Mittel- und Folgen-Prozess kalkuliert werden muß.
Nicht mehr der individuelle Arbeitseinsatz und dessen Gesamtmasse ist wichtig, sondern das Planen und Dirigieren des stofflichen Funktionszusammenhangs unmittelbar gesellschaftlich gewordener Reproduktion. Es ist bedeutungslos, ob der Einzelne zwei oder fünf oder acht Stunden "arbeitet", wichtig ist nur noch, ob die in Bewegung gesetzten Ingredienzen "Sinn" machen hinsichtlich des stofflichen Inhalts und der stofflichen Folgeprozesse. Niemand ist mehr Träger von "Arbeitskraft", die bzw. deren (individuell nachvollziehbar "vergegenständlichte") "Leistung" in einen "Austausch" eingehen könnte, sondern jeder ist Teil eines gesamtgesellschaftlichen Reproduktions-Aggregats, dessen stofflicher Bewegungsprozeß gemeinschaftlich dirigiert und kontrolliert werden muß. Auf dieser Basis heißt "Planung" natürlich etwas ganz anderes als "geplanter Austausch" von "ehrlicher Arbeit", was erst auf dieser Höhe der Produktivkraftentwicklung als logischer Nonsens erkannt werden kann.

 

Fußnoten

1
> Auf den früheren, vorkapitalistischen Formationsstufen der fetischistischen Gesellschaften erscheint die "Arbeit" als Praxisinhalt freilich noch nicht getrennt vom übrigen Lebensprozeß der unmittelbaren Produzenten; insofern ist die Warenform als letzte und höchste Form des Fetischismus auch gleichzeitig die letzte und höchste Form der "Arbeit", die erst in dieser Form als solche, als getrennter Funktionsraum hervortritt, um dann auf diesem ihrem Höhepunkt schließlich krisenhaft zu erlöschen im Prozeß der Verwissenschaftlichung (vgl. dazu ausführlicher im folgenden Text).

2
> Was einen anachronistisch denkenden Beobachter dazu verführen könnte, die in dieser unmittelbaren Einheit des totalen Lebensprozesses von ihm isolierten Momente von "Kultur" oder "Politik" usw. als "Funktionen" des Arbeitsprozesses dieser Naturgesellschaften zu begreifen (z.B. die Höhlenmalereien als "funktional" für die Jagd). Damit aber wird unzuläßig bereits der "Standpunkt" des warenlogischen Denkens und Lebens auf diese Verhältnisse projiziert, die noch gar keinen "Funktionalismus" kennen. Hier zeigt sich schon die Schwierigkeit, aus dem eigenen warenlogischen Denken auszubrechen.

3
> Hier liegt auch das tiefste marxistische Mißverständnis über den Charakter des Kapitals als "gesellschaftliches Verhältnis". Jeder halbwegs reflektierte Marxist wird verständnisinnig nicken, wenn er hört, daß das Kapital kein "Ding" (Maschinen usw.) sei, sondern ein "gesellschaftliches Verhältnis". Jedoch begreift er dieses "Verhältnis" als ein solches von vorausgesetzten und ihrerseits scheinbar voraussetzungslosen sozialen Subjekten namens "Kapital" und "Arbeit". Damit aber ist der Begriff des Kapitalverhältnisses auf den Kopf gestellt. Das "gesellschaftliche Verhältnis" ist in Wirklichkeit der fetischistische, tautologische Bezug der als Selbstzweck gesetzten abstrakten Arbeit auf sich selbst, und dieses blinde Verhältnis als "automatisches Subjekt" (Marx) erzeugt überhaupt erst als seine "Charaktermasken" jene sozialen Funktionäre und Rollenträger, die als Antipoden innerhalb dieses Gehäuses agieren.

4
> Die Begriffslosigkeit wird evident, wenn auch kritische Theoretiker und westliche Marxisten stirnrunzelnd darüber rätseln, ob es nun im "Realsozialismus" Privateigentum und Warencharakter der Arbeitskraft "gibt" und diese Frage meistens verneint wird, ohne daß die reale Existenz von Warenform und Geld, Geldlohn der Arbeitskraft, Staatsapparat und Rechtssystem inclusive Arbeitsrecht bei dieser Einschätzung im mindesten als störend empfunden zu werden scheint. Nichts könnte drastischer dokumentieren, daß auch der "kritische" Marxismus völlig bewußtlos innerhalb der bürgerlichen, fetischistischen Basiskategorien argumentiert, von den "offiziellen" Parteimarxisten ganz zu schweigen.

5
> Vgl. etwa die einschlägigen Phantasien in Stalins "Ökonomischen Problemen des Sozialismus" oder in der chinesischen Kulturrevolution, die auch in den verschiedensten Fraktionen der westlichen neuen Linken noch ihre Blüten trieben, und zwar mit besonderer Betonung der volkstümlerischen Akzente: der "Intellektuelle" oder "akademische Fachmensch" als "Freund des Volkes" bzw. dessen "Diener", der über seine eigenen Unsitten der akademischen Bornierung hinaus zu allem Überfluß auch noch diejenigen der "Arbeiter und Bauern" anbeten und habituell nachäffen sollte.

6
> Die Produktivkraftkritik aus dem lebensphilosophischen Kontext bis hin zu modernen "fundamentalistischen" Strömungen (innerhalb wie außerhalb der Grünen) reflektiert diesen Zusammenhang, indem sie mehr oder weniger offen eine Rückkehr zur Bedürfnisarmut als Preis für eine Reproduktion ohne die Zerstörungspotenzen der abstrakten Arbeit propagiert, ohne einen Ausweg in die entgegengesetzte Richtung, über die abstrakte Arbeit hinaus, auch nur zu ahnen.

7
> Es sollen hier keinesfalls die hervorragenden und in vieler Hinsicht auch wegweisenden und vorwärtstreibenden intellektuellen bzw. künstlerischen Leistungen der "Romantik" genannten geistigen Zeitströmung Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts etwa in Bausch und Bogen als bloß "irrationalistisch" disqualifiziert und mit jenem flachen Kulturpessimismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der nicht zuletzt im Faschismus mündete, einfach unmittelbar gleichgesetzt werden. Das Denken des bürgerlichen Zeitalters als Ganzes (den Marxismus eingeschlossen) pendelt zwischen den unbegriffenen Polen von "Rationalismus" und "Irrationalismus", in deren Wechselseitigkeit die Warenform als Denkform und gesellschaftlicher Filter der "Erkenntnis" zum Ausdruck kommt. Das Denken innerhalb der Warenform muß zwangsläufig einen irrationalen Schatten werfen und kann die destruktive Potenz der abstrakten Arbeit gar nicht anders als der Tendenz nach "kulturpessimistisch" wahrnehmen.

8
> Es würde sich lohnen, diese im 19. Jahrhundert entstandenen und im 20. Jahrhundert zu voller Blüte gelangten Ideologien in ihren diversen Strömungen und in ihrer verschlungenen Wirkungsgeschichte im einzelnen von dem hier eingenommenen kritischen Standpunkt aus zu verfolgen; für den Zweck einer Aufarbeitung des Sozialismus-Problems bzw. der Erarbeitung einer positiven neuen Sozialismus-Konzeption über die politische Ökonomie hinaus genügt der Nachweis einer völligen Untauglichkeit der kulturpessimistischen, lebensphilosophischen usw. "Kritik des Geldes" und ihres reaktionären und inkonsequenten Charakters, der nicht wirklich über die im Geld erscheinende abstrakte Formbestimmung der gesellschaftlichen Reproduktion hinausgeht, sondern trotz aller schwülstigen Verdammung des "Mammon" völlig immanent bleibt.

9
> Eine Tatsache, die nur auf den doppelten Charakter der Marxschen Theorie insgesamt verweist: nämlich einerseits "Kritik der politischen Ökonomie" und andererseits Legitimationstheorie der "Arbeiterbewegung" zu sein; dieser "doppelte Marx" kann und muß heute auf seinen gültigen Kern reduziert und davon ausgehend weiterentwickelt werden. Denn die Aufgabe der "Arbeiterbewegung" ist erfüllt und gegenstandslos geworden als "Zuendeführen" der bürgerlichen Gesellschaft bis an die Grenzen der abstrakten Arbeit; die "Kritik der politischen Ökonomie" hingegen ist erst noch einzulösen als der "Arbeiterbewegung" gegenüber transzendente Aufgabe, und diese Transzendenz kann erst von der heutigen Höhe des Vergesellschaftungsprozesses aus erkannt werden.

10
> Es existiert hier noch keine abstrakte Arbeit, sondern der totale Reproduktionsprozeß unter Einschluß der kulturellen Momente ist noch insgesamt Arbeitsprozeß und dementsprechend konkret als dieses Ganze; trotzdem muss natuerlich im Tausch, sofern er an den "Raendern" dieser konkreten Reproduktion gelegentlich vorkommt, die Abstraktion der "Arbeit" sozusagen nachträglich vorgenommen werden, was auch in der Existenz des Geldes (angefangen von dessen sakraler Funktion, d.h. noch als "Realabstraktion" eingebunden in den totalen Lebensprozeß) zum Ausdruck kommt. Die Arbeit selber kann noch gar nicht abstrakt sein, demzufolge ist auch der "Austausch" nicht notwendig, sondern zufällig, marginal und "nachträglich" im unmittelbaren Sinne; der Produzent produziert also noch nicht "auf den Austausch hin" als "Realisierung" der abstrakten Arbeit. Dieser historische und prähistorische empirische Sachverhalt könnte dazu verführen, den "Austausch" als das empirisch Primäre auch als Wesenskategorie der Warenform zu bestimmen. Es handelt sich aber bloß um das unentfaltete Embryonalstadium, anhand dessen die Wesensbestimmung noch gar nicht geleistet werden kann. Seinem Begriff nach ist der "Austausch" die nachgeordnete Erscheinungsform der abstrakten Arbeit, was erst von einer gewissen Reife dieses Verhältnisses an erkannt werden kann; daß es im quasi pränatalen Stadium dieses Verhältnisses empirisch zunächst umgekehrt erscheinen mag, tut dieser Logik keinen Abbruch.

11
> Dieser Tatbestand konstituiert bis heute eine spezifisch reaktionäre Form von Gesellschafts- und Kapitalismuskritik, die ihre positiven Kriterien allemal an vergangener und vergehender "Konkretheit" des Lebens gegenüber der gesellschaftlichen Abstraktion der Arbeit, d.h. des "Werts" und seiner diversen Emanationen festmacht. Keineswegs beschränkt sich diese reaktionäre Kritik auf "rechte", konservative und kulturpessimistische Strömungen, im Gegenteil ist sie konstitutiv für das Bewußtsein gerade auch der Arbeiterbewegung bzw. ihrer Ideologien unter Einschluß des Marxismus in seinen vielen Varianten bis hin zur Kritischen Theorie usw. "Fortschritt" und "Krise" sind in der Tat identisch, solange die Form des Fortschritts nicht völlig entschlüsselt und als Transit erkannt ist.

12
> Ich weiß nicht, womit diese Absurdität metaphorisch vergleichbar wäre; vielleicht mit der Situation von Leuten, die in derselben Wohnung leben, aber nur per Satellit miteinander kommunizieren. Aber auch dieser Vergleich hinkt natürlich, weil er eine Absurdität auf der konkret-stofflichen Ebene selbst zum Maßstab nimmt. Die Warenform unter den Bedingungen der "postindustriellen" Vergesellschaftung ist eigentlich noch viel absurder.

13
> Es ist nur folgerichtig, daß auf dieser Stufe des "Austauschs ehrlicher Arbeiten", die noch wesentlich von handwerklicher Arbeitsteilung geprägt ist, der "geschickte" männliche Austausch-Arbeiter und Familienchef allein als Subjekt und Individuum vorkommt, sein diverser Familienanhang, Klientel usw. inclusive Ehefrau dagegen weiterhin als "Zubehör", d.h. als Nicht-Individuum und Nicht-Subjekt.