Startseite
Aktuelles
zurück
Druckversion
Glossar
Deep Link

[Archiv]


Einladung zum EXIT!-Seminar 2017

13.–15.10.2017 in Mainz

Postmoderne im Niedergang

Es kam, wie es kommen musste: Angesichts der fundamentalen Krise und ihrer vielfältigen Erscheinungen – Finanzkrise, Eurokrise, Krieg, Flüchtlinge, Krise des Geschlechterverhältnisses, einem Abbau des Sozialstaats in Richtung Hartz IV u.v.m. – werden postmoderne und poststrukturalistische Annahmen und Denk-Schemata, die lange Mainstream im linken Diskurs waren, zunehmend infrage gestellt. So schreibt Maurizio Ferraris: „Die historische Erfahrung der populistischen Medien (gemeint ist hier die Medienmanipulation eines Berlusconi, R.S.), der Kriege nach dem 11. September und der jüngsten ökonomischen Krise hat zu einem zentnerschweren Widerruf dessen geführt, was aus meiner Sicht die beiden Dogmen der Postmoderne sind: dass die gesamte Realität gesellschaftlich konstruiert ist und unbegrenzt manipulierbar sei und dass die Wahrheit ein unnützer Begriff sei… Die realen Leben und die realen Toten, die nicht auf Interpretationen reduziert werden können, haben ihre Rechte geltend gemacht.“

Mittlerweile haben wir nun einen veritablen Rechtsruck erlebt, der bereits in den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte angelegt war. Weltweit glaubt man/frau sich krisenverwalterisch-sozialdarwinistisch in nationale, lokale und partikulare (Ideologie-)Regionen flüchten zu können , wenn sich die Wohlstandsversprechen des Neoliberalismus in Luft auflösen. Dies zeigt einerseits eine hilflose Reaktion, wenn der Neoliberalismus und die Globalisierung an legitimatorische Grenzen gestoßen sind, andererseits flüchtet man/frau sich in angeblich neue neoliberale Wege à la Macron, die ebenfalls in einer neoliberal-sozialdarwinistischen Business-as-usual-Diktion einen angeblich „Dritten Weg“ beschreiten wollen, bei dem schon vorhersehbar ist, dass er scheitert. Denn die Globalisierung lässt sich nicht so einfach rückgängig machen, genauso wenig wie sie progressiv-hoffnungsfroh auf andere Weise weitergeführt werden kann. Sowohl bei Rechten, als auch neuen neoliberalen „Lösungen“, die sich beide nicht zuletzt in Querfrontstrategien durchdringen können, handelt es sich um Rohrkrepierer, was den Ausgang aus der fundamentalen Krise anbelangt, weil sie das Problem der gesellschaftlichen Form nicht stellen. Auch wenn die „AfD“ Stimmen eingebüßt hat, so oder so, braucht man/frau nicht zu glauben, dass die Gefahr autoritärer Krisenbewältigungsversuche und die Illusionen falscher Unmittelbarkeit gebannt sind.

Die Postmoderne befindet sich so im Niedergang, was allerdings nicht heißt, dass sie sich in diesem nicht noch einmal zu behaupten versucht. Im diesjährigen Seminar wollen wir zumindest einige ideologische Verarbeitungen dieses Niedergangs unter die Lupe nehmen, der ihr zwar schon früher oft bescheinigt wurde, heute jedoch tatsächlich Gestalt anzunehmen scheint. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks kommt es nun zu einem zweiten Schub des „Kollaps der Modernisierung“ (Robert Kurz); das Ende des kapitalistischen Patriarchats mit barbarischen Ausdrucksformen rückt in Sichtweite.

Freitag, 13. Oktober

18 Uhr
Abendessen
19.00 – 21.30 Uhr
Roswitha Scholz: Man(n) trägt wieder Bart.
Gender, Queer und Rechtsruck

Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks in den 1990er Jahren feierte der Neoliberalismus Triumphe. Auch im Feminismus kam es dabei zu Veränderungen. Die Frauenforschung mutierte zur Genderforschung. Judith Butlers prominentes Buch „Das Unbehagen der Geschlechter“ war dabei eine Art Klammer zwischen Gender- und Queer-Orientierung. Männlichkeit und Weiblichkeit wurden nun als diskursiv hervorgebracht gedacht und sollten in der Travestieshow radikal unglaubwürdig gemacht werden. War bis zu den 1990ern von Patriarchat und Zwangsheterosexualität die Rede, so ging es nun in einer kraftlos neutralisierenden Sprache eben um Gender und „Heteronormativität“. In den Medien war viel von der Verwirrung der Geschlechter die Rede. Dem Neoliberalismus mit seinen Flexi-Anforderungen an die Individuen kam dies zu pass. Manche Linke dachten nun jedoch schon das Ende von Patriarchat und Heterosexualität sei gekommen.

Schon früher, insbesondere aber seit dem Finanzcrash 2007/8 wird nun mehr als deutlich, dass ein oberflächliches Gendern und Queeren von Sprache, den Medien, von Politik, Ökonomie usw. nicht ausreicht das dominierende Hetero-Patriarchat zu unterminieren, wenn die Verhältnisse immer prekärer werden. Es kam zu einem massiven Rechtsruck (AfD, Pegida, Querfrontbewegungen), der u.a. im Versuch der Restaurierung traditioneller Geschlechtsmuster bis hin zur Gewalt gegen Schwule, Lesben und Transpersonen zeigt. Man(n) trägt sozusagen wieder Bart. Überdeutlich wird nun auch, dass objektive, materielle Strukturen und die psychische Disposition der Subjekte nicht außer Acht gelassen werden können und eine härtere Gangart gegenüber den kapitalistisch-hetero-patriarchalen Zuständen einzuschlagen ist. Dabei ist allerdings zu reflektieren, dass (u. a. querfrontartige) Verwerfungen auch in feministischen und LGBT-Bewegungen sichtbar werden, wie etwa auch die Diskussion um den Band „Beißreflexe“ zeigt. Man/frau sollte sich auf keinen Fall davon täuschen lassen, dass die AfD in aktuellen Wahlumfragen wieder Stimmen verloren hat.

Samstag, 14. Oktober

10.00 – 12.30 Uhr
Fabian Hennig: Konjunktur des Materialismus, Elend der Kritik.
Zu den affirmativen Tendenzen neuer materialistischer Ontologien

Spätestens seit der Jahrtausendwende hat Materialismus Konjunktur. Einsatz des New Materialism sind diskurstheoretische Vereinseitigungen, wie sie Judith Butler bezüglich der Auflösung des biologischen Geschlechts in seine kulturelle Konstruktion vorgehalten werden. Neuer Materialismus ist dagegen um einen Naturbegriff bemüht, der sich der unsympathischen Alternative zwischen Diskurstheorie und Essentialismus verweigert.

Der Vortrag schlägt Schneisen in den Neologismendschungel und zeigt so, dass neuer Materialismus mit der Dualität von Subjekt und Objekt weit weniger dialektisch verfährt. Der ideologische Charakter poststrukturalistischer Subjektkritik kommt durch die materialistische Wende zur vollen Entfaltung. Die neuen Ontologien verdoppeln eine Welt, in der sich die Handlungsfähigkeit von Menschen tendenziell der von Dingen angleicht. Posthumanismus, der eine ominöse materielle Dynamik als utopisch affirmiert, ist das Gegenteil von Kritik – er stellt die Möglichkeit einer Gesellschaft ohne Herrschaft zur Disposition.

Wenn er auch zu kritischen Debatten um das Verhältnis von Natur und Gesellschaft nicht viel Neues beizutragen weiß, zeigt sich in ihm immerhin ein Wandel in der ideologischen Begründung von Herrschaft an: Geschlechterhierarchie legitimiert sich gegenwärtig nicht mehr ausschließlich über stabile Geschlechtscharaktere, sondern gleichsam über die Aufforderung, die je eigene materielle Zwangslage als Chance zu begreifen, der unabhängig von Sexualität oder biologischem Geschlecht mit frischem Optimismus ins Auge zu blicken sei.

15.00 – 17.30 Uhr
Daniel Späth: Fetischkritik oder Entfremdungstheorie?
Erkenntniskritische Reflexionen zum „doppelten Marx“ und zur ideologischen Konjunktur der späten Postmoderne

Spätestens seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts prägte der Siegeszug poststrukturalistischer Vorstellungen das Selbstverständnis ganzer Generationen im akademischen Betrieb wie auch innerhalb der linken Gesellschaftskritik, sodass die diskurstheoretische Oberflächlichkeit zum common sense der westlichen Mittelschichten avancierte. Doch spätestens mit der Finanzkrise von 2008 dürstet das bürgerliche Zerfallssubjekt nach neuer Tiefe – eine Tiefe, die freilich nicht weniger oberflächlich ist als jene konsumorientierte Inszenierung des frühpostmodernen Krisensubjekts.

Und so kontrastiert die spätpostmoderne Ideologie heute der queeren Verkleidung und Verstellung die Tiefe ihrer „Authentizität“ und dem Habitus einer spielerischen Ironisierung die „wahre Gesinnung“ moralinsaurer Selbststilisierung. Eine neue aggressive Innerlichkeit ist in vollem Gange, deren konkretistische Ausstaffierung allerdings nicht weniger auf die gähnende Leere bürgerlicher Zerfallssubjektivität verweist als die frühpostmoderne Warenästhetik.
Diese durch die fortschreitende Entwertung des Weltkapitals selbst vorangetriebene Modifikation ideologischer Krisenbewältigung treibt nun auch eine neue Renaissance entfremdungstheoretischer Versatzstücke hervor. Denn die neu entdeckte Innerlichkeit kapriziert sich unmittelbar auf ein gesellschaftliches Außen, das der Verwirklichung ihrer „Authentizität“ und moralischen „Gesinnung“ im Wege stehe; wodurch Vergesellschaftung allerdings auf eine abstrakte und äußerliche Gegebenheit reduziert wird.

Dabei ist der erkenntnistheoretische Status der Entfremdungstheorie keineswegs ein unbeschriebenes Blatt. Schon das Marxsche Werk operiert mit einer Entfremdungskritik, an deren (Un)Tauglichkeit zur Überwindung des Kapitalismus sich eine innermarxistische Debatte anlehnte: Die zwischen dem „orthodoxen Marxismus“ des „Historischen Materialismus“ und dem „humanistischen Marxismus“ der Entfremdungstheorie sich entzündende Debatte versuchte entsprechend, ihre Ablehnung oder aber Weiterentwicklung der entfremdungstheoretischen Denkfigur in einer marx-immanenten Exegese zu begründen. Beide innermarxistischen Flügel unterschieden sich dabei in ihrer Interpretation des Marxschen Werkes grundsätzlich von der wert-abspaltungs-kritischen Auffassung eines „doppelten Marx“ und ihrer Ausarbeitung seiner fetischkritischen Theorieansätze.

Insofern wird der erste Teil des Vortrags diese innermarxistische Kontroverse um die Marxsche Entfremdungstheorie nachzeichnen und dabei die jeweiligen identitätslogischen Verkürzungen aufzuzeigen versuchen. Das Herausarbeiten der Marxschen Fetischkritik als Analyse des „prozessierenden Widerspruchs“ (Marx) ermöglicht eine Reflexion auf das Ineinander von objektivierter Fetischkonstitution und Ideologiebildung, wofür die in der späten Postmoderne an Bedeutung gewinnende Entfremdungstheorie paradigmatisch stehen kann. Vor allem die auch in linken Kreisen prominent gewordenen Entfremdungstheorien von Hartmut Rosa und Rahel Jaeggi sollen in diesem zweiten Teil des Vortrags einer Kritik unterzogen werden.

Sonntag, 15. Oktober

10.00 – 12.30 Uhr
Herbert Böttcher: „Es rettet euch kein höheres Wesen...“ – aber irgendwie doch Religion?
Zur philosophischen Flucht in paulinischen Messianismus

Mitten in den Krisenprozessen kapitalistischer Vergesellschaftung hat Religiöses mit diversen Glücks-, Entlastungs- und Zufluchtssangeboten Konjunktur. In die fiebrige Suche nach Heilsangeboten mischt sich eine Hinwendung zum Heiligen Paulus, der im philosophischen Denken einen neuen Platz bekommen hat. Im Mittelpunkt des Referats steht die Auseinandersetzung mit Badious und Agambens Rückgriff auf Paulus.

Badious Interesse konzentriert sich auf Paulus als Revolutionär. Durch das Ereignis seiner Bekehrung zum Christusereignis wird er zum Kritiker des jüdischen Gesetzes und des griechischen Denkens und so zum Begründer einer neuen universalen Wahrheit. Sie wird zur Grundlage für die Konstitution eines militanten Subjekts. Aus der Ohnmacht, die das Subjekt im Kapitalismus erleidet, wird es gleichsam aus dem Nichts wieder handlungsfähig, wenn es einem inhaltlich leeren Ereignis und seiner Wahrheit aufgrund einer existentiellen Entscheidung die Treue hält.

Giorgio Agamben will den Bann eines Ausnahmezustands, der zum Normalzustand wird, brechen. Mit Paulus Hilfe konstruiert er einen den Bann lösenden messianischen Rest und eine rettenden „Zeit, die bleibt“. Sie werden zur Grundlage eines messianischen Lebens im Modus des „Als ob nicht“, im Klartext: eines Lebens im Kapitalismus, als ob es ihn nicht gebe. Während Badiou eine Identität von Wahrheit und Subjekt begründen will, will Agamben auf eine Nicht-Identität hinaus, die sich jeder inhaltlichen Bestimmung entzieht.

Beide Autoren verbindet der Verzicht auf eine Analyse des Kapitalismus als „konkrete Totalität“ ebenso wie der unmittelbare Rückgriff auf vormoderne Traditionen, der jede historische Kontextualisierung und damit die Frage nach Herrschaftsverhältnissen ausblendet. Dies führt neben theologischen Fehlurteilen zu einer umstandslosen Instrumentalisierung des Paulus für das eigene Denken. Die philosophische Hinwendung zu einer religiösen Gestalt geht einher mit einer postmodernen Religionsfreudigkeit, die dezisionistisch-autoritäre und reflexionsfeindliche Züge trägt. Sie ist einem exsitentialistischen philosophischen und theologischem Denken verwandt, das Gewissheit über existentielle Erfahrungen und das Wagnis der Entscheidung sucht. Es erweist sich als ebenso reflexionsfeindlich und fundamentalistisch wie die spirituellen Produkte, die auf den Esoterik-Märkten und auch in den Kirchen angeboten werden. 

Zum Tagungsort

Anreise

Mit der Bahn:
Mit dem Pkw:

Teilnahmekosten pro Person mit Übernachtung und Verpflegung
Freitag bis Sonntag:

Ermäßigung

Anmeldung:

Roswitha Scholz für die EXIT!-Redaktion




zurück
Druckversion
Glossar
Deep Link