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Thomas Meyer: Geschlecht zwischen performativer ›Spielmarke‹ und Biologisierung – Eine Kritik spätpostmoderner Queerness und der medizinische Diskurs um Transsexualität


Zuerst erschienen in der exit Nr. 16, Springe 2019, 182-214. Für die Veröffentlichung online wurde der Text bearbeitet und aktualisiert.

Geschlecht zwischen performativer >Spielmarke< und Biologisierung - Eine Kritik spätpostmoderner Queerness und der medizinische Diskurs um Transsexualität

Thomas Meyer

1. Ein paar kritische Anmerkungen zur (queeren) Identitätspolitik

Die Defizite des traditionellen Marxismus sind bekannt und bereits an vielen Stellen thematisiert worden: Nicht zuletzt aufgrund seiner identitäts- bzw. ableitungslogischen Denkstruktur konnte dem traditionellen Marxismus eine weitergehende Kritik des Kapitalismus und seiner sozialen Ausschlüsse nicht gelingen. So konnte der handelsübliche Marxismus weder eine Antwort auf die >ökologische Frage<1 liefern, noch konnten Sexismus, Homophobie und Rassismus usw. zu einem ernsthaften Gegenstand der Kritik gemacht werden.2 Tatsächlich hat die Arbeiterbewegung, jedenfalls in ihren Hauptströmungen, gerade wegen des positiven Bezugs zur >Arbeit< und zur >Produktivkraftentwicklung< massiv zur Durchsetzung und Modernisierung des Kapitalismus beigetragen. Mit dem positiven Bezug auf die Arbeit ging die Affirmation der modernen Naturbeherrschung einher. Der Marxismus affirmierte die bürgerliche Subjektform und damit die Herrschaft des Menschen über sich selbst.3 Die Abspaltung des Weiblichen teilt der Marxismus mit dem bürgerlichen Androzentrismus. Eine fehlende Kritik (oder bestenfalls eine eher oberflächliche) des modernen bürgerlichen Geschlechterverhältnisses ist daher folgerichtig.4 Die sozialen und politischen Bewegungen der zweiten Hälfte des vorherigen Jahrhunderts, wie die antirassistische Bewegung, sind gerade nicht aus dem traditionellen Arbeiterbewegungs-Marxismus hervorgegangen, sondern eher in Abgrenzung gegen diesen bzw. parallel zu ihm entstanden. Es war und ist durchaus berechtigt, dass Gesellschaftskritik marxistischer Provenienz an Zuspruch verlor.5

In diesem Kontext entwickelten sich soziale (und ökologische) Bewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg, welche bis heute - zum Teil in Verfallsformen - nachwirken, wie der Feminismus der zweiten Generation (der aus verschiedenen Fraktionen wie dem Radikalfeminismus und dem gynozentrischen Feminismus bestand), die antirassistische Bürgerrechtsbewegung (vgl. etwa Benard 1981, Davis 1982, King 2016) und die Bewegung der Homosexuellen (Jagose 2001). Bürgerrechtsbewegung meinte dabei die Anerkennung als Gleichberechtigte in der bürgerlichen Gesellschaft, als Gleiche vor dem Gesetz, was die Abschaffung aller diskriminierenden Gesetze impliziert. Zwar ist es korrekt festzustellen, dass sich jene Bewegungen nicht ausschließlich auf eine bürgerliche Anerkennungspolitik in diesem Sinne reduzieren lassen (da ja auch Rassismus, soziale Ungleichheit oder >geschlechtstypisches< Verhalten zum Gegenstand der Kritik wurde), jedoch ist nicht zu übersehen, dass sie im Resultat über einen bürgerlichen Anerkennungshorizont nicht wesentlich hinauskamen. Mit der sog. Postmoderne wurde der Gedanke eines Universalismus und der einer objektiven Wahrheit aufgegeben. Der vorläufige Endpunkt ist die sog. Identitätspolitik, wie sie in den letzten Jahren vielfach kritisiert wurde (vgl. Monk 2024). Anerkennungspolitiken heute, insbesondere die Identitätspolitiken, die sich auf Gruppenidentitäten versteifen, werden aber dann ein gravierendes Problem, wenn der bürgerliche Anerkennungshorizont aufgrund der inneren Schranke des Kapitals gegenstandslos wird und eine Pluralisierung der Identitäten - vor allem in Form von ethno-kulturellen oder religiösen Identitäten - womöglich auf einen »molekularen Bürgerkrieg« (Enzensberger) hinausläuft.6 So es ist zu kritisieren, wenn etwa in Teilen des Antirassismus kulturalistische oder völkische Argumentationsweisen formuliert werden (Antirassismus ist dann ein Etikettenschwindel!). Diese finden sich in einer linken Variante von »Ethnopluralismus« wieder, wenn von einer »kulturellen Aneignung« von »Dreadlocks« geredet wird und damit auf eine Reinheit und Ursprünglichkeit von Kulturen gepocht wird, wie man das auch in rechtsextremen oder fundamentalistischen Strömungen findet (vgl. Latton 2016).7 Wie reaktionär die Identitätspolitik bereits geworden ist, kann man bei Yascha Mounk (2024) lesen: Etwa eine Sortierung der Schüler/-innen nach Hautfarbe, damit sich die Schüler/-innen auf >ihre< Identität besinnen können; eine priorisierte Verteilung von Corona-Impfungen nach Hautfarbe bzw. »Rasse« und nicht nach Vulnerabilität; oder die Ankündigung eines Grundeinkommenprogramms speziell für Transsexuelle anstatt für alle wirtschaftlich oder sozial Schwachen (ebd., 20, 271ff. 26f.). Dass die wirtschaftliche oder soziale Situation partikularer Gruppen verbessert wird, der relative Unterschied zwischen den Gruppen abnimmt, schließt einen »Fahrstuhleffekt nach Unten« (Ulrich Beck) für alle insgesamt nicht aus. Das ist ein blinder Fleck der Identitätspolitik, wie auch Mounk kritisiert (ebd., 285ff.). Rechtspopulisten, die behaupten, für den >kleinen Mann< einzutreten, können sich mit Leichtigkeit gegen solche identitätspolitischen Exzesse positionieren und sich Glaubwürdigkeit erschwindeln. Zugleich muss aber kritisiert werden, wenn Kritiken der Identitätspolitik diese deshalb ablehnen, weil sie bloß partikulare Interessen bedient oder zu bedienen scheint, anstatt einen universalistischen (bürgerlichen) Standpunkt einzunehmen. Dabei wird vergessen, »dass Identitätspolitik als grundlegende Kritik an einem liberalen Gleichheitsversprechen entstanden ist, das für viele Menschen auch heute noch uneingelöst bleibt« (Purtschert 2017, 15). Es hat also historisch eine Berechtigung, wenn Schwarze oder Homosexuelle speziell ihre Leiden und ihre Diskriminierungen, (und damit ihre Partikularinteressen) als Ausgangs- und Angelpunkt nehmen, da sich sonst niemand für diese interessiert. Jene partikularen Standpunkte haben also »nichts mit einer Befindlichkeitsrhetorik zu tun, als die Identitätspolitik oft dargestellt wird, sehr viel aber mit dem Überleben von Menschen in einer Gesellschaft, die deren Leben kaum Wert beimisst« (ebd., 17). Vor allem aus der Homosexuellenbewegung heraus entstand die queere Bewegung, wobei AIDS in den 80er Jahren eine zentrale Rolle spielte.8 Diese machte die bürgerliche Zwangsheterosexualität samt binärer Zwangsvergeschlechtlichung zu ihrem Hauptkritikpunkt. So fasst Stefanie Soine das ursprüngliche Programm der queeren Theorie und Bewegung zusammen: »Queer versteht sich als eine Theorie, die die humanistisch geprägten Bezeichnungs- und Regulationsweisen der Identität freilegen und außer Kraft setzen will. Das anvisierte politische Ziel ist daher der radikale Eingriff in den symbolischen Haushalt der zwangsheterosexuellen Geschlechterordnung, um deren Künstlichkeit und deren herrschende Repräsentationen zu unterlaufen. Queer stellt somit eine Einspruchs- und Gegenpolitik zur Zwangszweigeschlechtlichkeit und Zwangsheterosexualität dar, aber auch zu essentialistischen Konstruktionen von Homosexualität, da diese die heteronormative Grundordnung absichern. Es geht folglich nicht um die Formierung, Behauptung und Verteidigung von ursprünglichen, wesenhaften und kohärenten Identitätskonzeptionen [...], sondern um die Transparenz identitätspolitischer Mythen, um die Verweigerung biologistischer Geschlechter- und Sexualitätstheorien sowie um die Kritik an der Normativität sexueller Praktiken. Politisch kritisiert Queer daher alle sozialen Bewegungen, in denen die Suche und Auspolsterung einer homogenen Identität, die zwangsläufig auf Ausschlüsse von Differenzen hinausläuft, in den Vordergrund gestellt wird und als notwendige Bedingung des gemeinsamen politischen Handelns vorausgesetzt wird [...]« (Soine 1999, 13f.).

Die heutige queere Bewegung setzt als zentrales Thema, nichtheterosexuelle Identitäten, bis hin zur Asexualität, anzuerkennen.9 Identitäten werden nicht parodiert, wie die Post-Feministin Judith Butler einst propagierte, sondern ernst genommen (wobei die Theorie Butlers nach Martha Nussbaum selbst schon eine Parodie, also vom philosophischen und praktisch-emanzipatorischen Standpunkt nie wirklich ernst zu nehmen war, vgl. Nussbaum 1999). Vom Standpunkt einer radikalen Gesellschaftskritik dagegen wäre jedwede Identität (ethnische, religiöse, sexuelle u. a.) weder positiv zu besetzen noch einfach >anzuerkennen< (etwas anderes ist die Gleichheit aller vor dem Gesetz); noch kann es darum gehen, bestimmten Menschen oder Gruppen einen privilegierten Zugang zur Erkenntnis allein auf Grund ihrer >Betroffenheit< zu behaupten. Zu einer Kritik der Identität(en) scheint die queere (und einflussreiche Anteile der antirassistischen, vgl. Mounk 2024) Community, wie sie sich heute darstellt, nicht in der Lage zu sein. Vielmehr werden in dem queeren Selbstbezeichnungs-Buchstabensalat völlig verschiedene Phänomene unvermittelt und gedankenlos aneinandergereiht. Deutlich wird diese Kritiklosigkeit rund um das Phänomen der Asexualität (Quadfasel 2014). Diese aber soll - so der queere Diskurs - als eine bisher nicht zur Kenntnis genommene >sexuelle Orientierung< anerkannt werden (die eben in einer Absenz sexuellen Begehrens liegt), anstatt zu fragen, was es bedeutet, wenn diese sich in manchen Ländern zu einem Massenphänomen entwickelt (so etwa in Japan und Südkorea, vgl. Rötzer 2016). Asexualität muss vielmehr im Kontext von postmoderner Beziehungsunfähigkeit und narzisstischer Triebverleugnung analysiert werden, womit deutlich werden würde, dass Asexualität weit problematischer ist, als sie auf den ersten Blick erscheint (vgl. Wissen 2017).

Ähnlich wird mit dem Phänomen der Transsexualität verfahren. So wäre zu kritisieren, dass es benutzt wird, um eine zwangsheterosexuelle Ordnung zu erzwingen, wie es im iranischen Mullah-Regime der Fall ist.10 (Allerdings ist die Erzwingung einer zwangsheterosexuellen Ordnung nichts Einmaliges, wenn sie auch im Iran eine besonders extreme Form annimmt.11) Weiter wäre zu problematisieren, dass im Kontext transsexuellen Identitätswechsels >Männliches< und >Weibliches< biologisiert wird. Das ist z. B. dann der Fall, wenn ein Soldat das Geschlecht >wechselt<, weil dieser meint, »kein beinharter Typ mehr sein« zu wollen (Remke 2013). Auf diese Weise wird »hegemoniale Männlichkeit« (R. Connell) an den biologischen männlichen Körper gebunden und damit wird gesellschaftlich konstituierte Männlichkeit der Kritik entzogen (so wie der Habitus des Soldaten).12 Genau dieser Punkt wurde von feministischer Seite auch kritisiert. Die wohl bekannteste feministische Kritik am >Transsexualismus< legte Janice Raymond bereits 1979 vor, die heute als >transphob< abgelehnt wird.13 Sie kritisiert, dass der Transsexualismus, also der Diskurs und die Praxis um Transsexualität samt entsprechenden Begründungen, geschlechtliche Stereotypen perpetuiert, statt sie zu einem Gegenstand der Kritik zu machen; schlussendlich würden das Unbehagen und das Leid in den Geschlechterrollen (sex-roles) individualisiert, abstrahiert vom sozialen Kontext und somit zu einem medizinischen Problem des Einzelnen gemacht: »Defining and treating transsexualism as a medical problem prevents the person experiencing so-called gender dissatisfaction from seeing it in an gender-challenging or feminist framework. Persons who think they are of the opposite sex are therefore not encouraged to see this desire as emanating from the social constraints of masculine and feminine role-defined behaviour: Thus a man who is emotional or nurturing is encouraged to think of himself as a woman instead of as a man who is trying to break out of the masculine role. A primary effect of defining transsexualism as a medical problem is to encourage persons to view other persons (especially children) who do not engage in normative sex-role behaviour as potential transsexuals. Ultimately transsexual surgery reinforces social conformity by encouraging the individual to become an agreeable participant in a role-defined society, substituting one sex role stereotype for the other. The medical solution becomes a >social transquilizer< reinforcing sexism and its foundations of sex-role conformity« (Raymond 1994, XVII, Hervorh. TM). Um das Problem noch weiter zu verdeutlichen, welches mit der medizinisch-chirurgischen Lösung im Umgang mit »gender-dissatisfaction« verbunden ist, erwähnt sie die hypothetische Möglichkeit, medizinisch die Hautfarbe zu ändern. Allerdings gäbe es keine Nachfrage für eine »transracial medical intervention precisely because most Blacks recognize that it is their society not their skin, that needs change« (ebd., XVI, Hervorh. i. O.).

In einer kritischen Auseinandersetzung mit Transsexualität müssten die Entwicklungen der letzten Jahre zur Kenntnis zu genommen werden. So sei die Anzahl der Patienten (sowohl männlicher als auch vor allem weiblicher) in Geschlechtsumwandlungskliniken in die Höhe geschnellt, zugleich steigt auch die Anzahl der Menschen, die ihre Transition bereuen. Kritiker/-innen merken daher an, dass die Diagnose >transsexuell< viel zu leichtfertig und zu früh erteilt werde, deute doch einiges darauf hin, dass häufig eine Geschlechtsdysphorie gar nicht vorliege, sondern eher »eine abgewehrte Homosexualität«, Autismus u. a., oder allgemein eine mit der Pubertät ohnehin einhergehende oder vorübergehende Geschlechtsunsicherheit. Es ist auch immer öfter von >Transgender-Kindern< die Rede. Jene, die meinen, sie seien im >falschen Körper<, werden immer jünger, was vielfach kritisiert wurde und wird, vor allem wenn an Jugendlichen sog. Pubertätsblocker gedankenlos angewendet werden (vgl. Achterberg 2024). Es ist von Kindergärten die Rede, in denen Eltern dazu angehalten sind, das von ihren Kindern »bevorzugte Geschlecht« auf dem Anmeldeformular anzuführen, usw. Warum kommt es in Zeiten fortschreitender Krise zu einem solchen »Transgender-Hype« (vgl. Firsht 2016)? Das sind Phänomene, die auf einer gesellschaftstheoretischen Ebene erklärungsbedürftig sind. Das wird aber selten getan, meist wird bereits eine Kritik an bestimmen Formen des Transgender-Aktivismus (wie die Hetzen gegen die Biologin Marie-Louise Vollbrecht und gegen die Philosophin Kathleen Stock) und an Gesetzesänderungen allzu schnell und unbesonnen als >transphob< abgelehnt, was sich in einer militanten Hetze des Online-Mobs äußern kann, bis hin zu Morddrohungen und NS-Relativierung (vgl. Amelung 2023a). Dabei bringt das in Deutschland 2024 verabschiedete »Selbstbestimmungsgesetz« in der Tat verschiedene Probleme mit sich, es ist also zu Recht umstritten (vgl. z. B. Eckhardt 2024, Serrao 2024), wobei es - gerade in Abgrenzung gegen Rechtsextreme oder Fundamentalisten - entschieden darauf ankommt, aus welcher Motivation heraus dieses Gesetz kritisiert wird; Beatrix von Storchs ist bestimmt keine feministische (vgl. Amelung 2023b). Umgekehrt wird von Teilen des Radikalfeminismus (Vertreterinnen dieses werden von der Gegenseite inquisitorisch als TERFs denunziert) jedes Anliegen der Transsexuellen für illegitim und frauenfeindlich erklärt, ein vollständiges Verbot von Transitionen gefordert, womit sie Überschneidungen mit christlichen Fundamentalisten haben. Man hat den Eindruck, als würde hier ein Konfessions-Krieg stattfinden. Till Randolf Amelung schreibt dazu: »Beide Lager nutzen diese Internet-Plattformen als Bühne und weniger für Verständigung als zum Sammeln von Truppen. Statt eines Dialogs finden vielmehr das Pflegen des Feindbildes und die Stärkung der Gruppenidentität statt. Sobald eine Frau auch nur in Ansätzen kritischer nachfragt oder auch nur in Teilen radikalfeministischen Positionen zustimmt, wird auf der queerfeministischen und transaktivistischen Seite mit Elan nach einer Möglichkeit zur böswilligen Interpretation gesucht. Die radikalfeministische Gegenseite wiederum bezichtigt inzwischen alle, die sich einen differenzierteren, respektvolleren Umgang mit Transpersonen wünschen, Personen zu sein, die Wahnvorstellungen nähren würden. Für die eine Seite sind vor allem Transfrauen >gestörte Männer in Röcken<, die Gegenseite erklärt >TERFs< zu >Viechern< oder auch >Nazis<. Gemeinsam ist beiden Lagern, dass sie die Emotionen gefährlich hochkochen lassen können« (Amelung 2023a, 7).

In postmodernen Zeiten, in denen sich traditionelle Identitäten verflüssigen und flexibilisieren, verschwindet dennoch nicht der Zwang zur Identität. In diesem Zusammenhang sprach Roswitha Scholz auch von »Flexi-Zwangsidentitäten« (Scholz 2005, 218). Dieser postmoderne flexibilisierte Identitätszwang äußert sich darin, dass immer noch neue Identitäten geschaffen werden (müssen), oder darin, dass in autoritärer Sehnsucht eine Rückkehr früherer Identitäten angestrebt wird. Im Unterschied zu vergangenen Zeiten der Zwangsfamiliarität und des keynesianischen Sozialstaates ist in der neoliberalen Postmoderne jeder Mensch dem Marktgeschehen unmittelbar als >Unternehmer seiner Arbeitskraft< ausgeliefert.14 Er hat die Freiheit, sich autonom der Heteronomie des Kapitals zu fügen, selbstverantwortlich für Flexibilität und Resilienz. Es wird zwar gern von >Individualität< gesprochen, diese ist jedoch nur eine scheinbare, denn sie steht nicht für sich, sondern ist nur Ausdruck eines repressiven Allgemeinen. Jörg Ulrich formulierte es folgendermaßen: »Individualität ist nur zugelassen, sofern sie verwertbar, mithin in Geldwerten ausdrückbar ist, und insofern ist sie eben keine Individualität mehr, sondern nur eine Erscheinungsform des Allgemeinen, welches eben in der umfassenden Ökonomisierung besteht« (Ulrich 2002, 153). Damit trägt der Zwang zur individualisierten Anpassungsleistung - und nichts anderes ist gemeint, wenn von Individualität die Rede ist - totalitäre, sektenartige Züge, »welche[r] die autoritäre Einbindung in eine Sekte nach klassischem Charakter an Effektivität weit übertrifft« (ebd.). Der gesellschaftliche Zwang zur Identität fällt nicht weg, sondern wird dynamisiert und individualisiert. Jeder hat, jeder auf seine Weise, sich den Imperativen des Marktes anzupassen und zugleich >authentisch< und >glücklich< zu wirken.

In der Postmoderne war daher zu Recht von >Bastelbiographien<, >Flexi-Identitäten< und auch von >hybriden Identitäten< die Rede. Verbunden mit einem Selbstdarstellertum und einem postmodernen Narzissmus kommt es darüber hinaus zu einer Vermassung von Kleinstidentitäten: So wird jede persönliche Marotte oder Vorliebe zur Identität aufgeblasen und das paradoxerweise gerade in queeren Kreisen, wobei deren Anspruch ursprünglich der war, Identitäten zu kritisieren, zu parodieren und zu überwinden.15 Dieser Anspruch an Kritik und Überwindung von Identitäten endete nur in deren Flexibilisierung und, wie man sagen muss, in deren Inflationierung. In Teilen der schwulen Szene wird allen Ernstes zwischen angeblich so wichtigen Dingen wie »Bottom« und »Top« unterschieden (vgl. Appleton 2015). Und die queere Zeitschrift Queerulant_in wartet in ihrem Glossar mit neuen Identitäten auf: So gebe es Menschen, die sich zwischen Asexualität und Hetero/Homo-Sexualität verorten, so genannte »Grausexuelle«; des Weiteren »Demisexuelle«, die sich nur im Rahmen einer emotionalen und/oder romantischen Beziehung zu jemandem sexuell hingezogen fühlen können.16 Für alles wird ein neuer Begriff gebraucht, da die Leute anscheinend das Bedürfnis verspüren, sich eindeutig zu etikettieren. Die kleinste Differenz wird zur Identität aufgebläht. Soine hat dies bereits 1999 kritisiert: »Ein weiterer Effekt der Umsetzung queerscher Praktiken in den subkulturellen Kontext ist, dass zunehmend der Eindruck entsteht, dass zwar Geschlecht endgültig als identitätsstiftende Kategorie ausgedient hat, das Identitätsbedürfnis als solches hingegen nicht verschwunden ist, sondern sich auf die Ebene der Sexualität verschoben hat. Hierfür gibt es meiner Ansicht nach ein deutliches Anzeichen: Der Queer Theory zufolge, und an diesem Punkt ist ihr zuzustimmen, existiert kein natürliches Korrespondenzverhältnis zwischen Körper, Geschlecht und Sexualität. Es ist demnach grundsätzlich nicht möglich zu bestimmen, wer wen auf welcher Grundlage warum und wie liebt. Will man trotzdem zu Bestimmungen kommen, müssen die Beschreibungen von Geschlechtern und sexuellen Vorlieben folglich viel genauer sein und neue feine Unterschiede scheinen zwingend, sollen die Reifizierung dualer essentieller Klassifikationen sowie die Stabilisierung der herrschenden heterosexistischen Geschlechterordnung vermieden werden. Inzwischen hat sich ein Motor partikularistischer Identitäten entwickelt, indem nun jede Variante ein spezifisches Etikett erhält, so dass sich am Ende eine erstaunliche Vielfalt von >Sexeventualitäten< [...] ergibt, die ganz im Zeichen pluralistischen Wandels von sich sagt: >Mein höchstpersönlicher Sex, das bin ich< [...]. Das ist ein paradoxer Effekt des postmodernen Queer-Diskurses: Er hat mit der Betonung und der unendlichen Zelebrierung von Differenz mittlerweile einen Prozess initiiert, in dem der Differenzbegriff mit einem selbsterzeugenden Automatismus versehen wurde, der nun unentwegt eine Differenz produziert [...] und so im Endergebnis den Identitätszwang nicht unterläuft, sondern ihn durch seine Detailgenauigkeit sogar noch verstärkt« (Soine 1999, 17, Hervorh. TM).

Eine (spät)postmoderne oder queere Identitätspolitik, die jede Kleinstidentität anerkannt haben will und Diskriminierungen oder >Unsichtbarmachung< aller Art zum Hauptthema macht, hat aber das Problem, dass das gesellschaftliche Ganze, die gebrochene Totalität der Wert-Abspaltungsgesellschaft (Scholz 2009), nicht in den Blick der Kritik gerät. Vielmehr ist mit Beate Selders festzustellen, dass »das gesellschaftliche Ganze [...] in ein Sammelsurium nebeneinanderstehender Unterdrückungen [zerfällt], die [...] immer breiter aufgefächert werden. Es gibt die absurdesten Aufzählungen von Schlechtigkeiten, die alle gleichwertig nebeneinander stehen: Sexismus, Rassismus, Klassismus, Agism (Diskriminierung aufgrund des Alters), Lookism (Diskriminierung aufgrund von Schönheitsfehlern), Hairism (Diskriminierung aufgrund von geschlechtsuntypischer Körperbehaarung) usw. [...] Das umfassende System der kapitalistischen Produktionsweise kann nur noch als Diskriminierung aufgrund der Klassenherkunft oder als Einkommensunterschied zwischen Communitymitgliedern begriffen werden. [...] Eine politische Perspektive kann nach dieser Sichtweise nur noch in einer endlosen Fortsetzung von Anti-Diskriminierungspolitik bestehen« (Selders 2003, 87f., Hervorh. TM). Damit liegt offensichtlich der queeren und postmodernen Identitätspolitik ein »Abstraktionstabu« (Scholz 2011) zugrunde. Die Konsequenz dieser Individualisierung und Selbstvermarktung besteht darin, dass ein gemeinsamer, übergreifender Standpunkt enorm erschwert wird und kollektiver sozialer Widerstand als kaum noch denkbar erscheint.

Gegen die queere Begriffslosigkeit, mitunter Theoriefeindlichkeit, die Inflationierung anzuerkennender Identitäten, die damit einhergehende Sehnsucht nach Eindeutigkeit und Autorität wurde vor einigen Jahren ein kritischer Sammelband (Beißreflexe) herausgegeben (L'Amour LaLove 2017a). Neben der queeren Szene werden allerdings auch die antirassistische Szene (vgl. dazu auch Mounk 2024), der queere Israelhass, Konzepte bzw. Verschwörungstheorien wie >Pinkwashing< oder >Homonationalismus< und überhaupt die Sprachregelungsagitation der linken Szene einer Kritik unterzogen. Die Beiträge dieses Buches stammen zum Teil von Leuten, die in den entsprechenden Szenen selbst aktiv sind oder waren. Es mutet nur etwas seltsam an, dass so eine Kritik als neu und provokativ wahrgenommen wurde, gab es ja längst Kritiken an Queer und am Queer-Feminismus, die aber anscheinend nicht mehr bekannt waren.17 Das Bedürfnis nach einer solchen Kritik bestand offenbar darin, dass längst deutlich werden konnte, dass die queere Szene zu Teilen dermaßen verwahrlost war (und ist) und nach Reflexionslosigkeit muffelte, so dass nicht nur eine Kritik an ihr längst überfällig wurde, sondern eine Kritik sich aus der Notwendigkeit bis heute ergibt, dass Rechtspopulisten und Konservative aus der Lächerlichmachung des »Gender-Gaga« (Birgit Kelle) politisches Kapital schlagen. Es ist in der Tat nicht zu übersehen, dass diverse Aspekte der >queeren Szene< und deren Praxis nicht nur tatsächlich lächerlich und absurd, sondern auch zutiefst reaktionär sind: Es sei daran erinnert, dass einige queer-feministischen Theoretiker/-innen islamistische Selbstmordattentate verharmlosen (vgl. dazu Rabuza 2017) oder das Hijab-Tragen zu einem punken und subversiven Akt ummünzen (so Yaghoobifarah 2016). Kritik an religiösen Fundamentalismen und der bürgerlichen Religionskritik, welche den Sexismus jener eher kleinredet oder subsumiert unter >ferner liefen<, war dagegen durchaus schon Thema feministischer Kritik (so in den Beiträgen zur feministischen Theorie und Praxis, Nr. 32). Diesem Thema ist der Post- und Queerfeminismus aber immer schön brav aus dem Weg gegangen. Wie moralisch verkommen müssen jene Teile der queer-linken Szene sein, die queere Menschen oder Frauen als rassistisch oder als >islamophob< (ursprünglich ein denunziatorischer Kampfbegriff der Mullahs in Teheran) denunzieren, die vor dem orthodoxen Islam oder Islamismus fliehen mussten und für ihre Rechte kämpfen (vgl. z. B. Ehrlos statt Wehrlos 2020)?! Es ist erfreulich, wenn sich feministische Stimmen zu Wort melden, den Islamismus zu kritisieren (Linkerhand 2018). Trotzdem ist ein Ernstnehmen und eine Kritik des Islamismus und seiner antisemitischen und frauen- und homofeindlichen Ideologie in sog. linken Kreisen nach wie vor eine Ausnahme. Als wenn das nicht schon schlimm genug wäre, wird auch noch Gewalt gegen Juden de-realisiert oder als >Widerstand< gerechtfertigt. Das zeigen ganz klar das Verharmlosen, Leugnen oder Abfeiern des antisemitischen Genozids vom 7.10.2023 durch Teile der Linken (die eher als Faschisten statt als Linke eingestuft werden müssen) auf den pro-Hamas-Demonstrationen, auf denen mit »Yala Yala Intifada« zur Ermordung von Juden aufgerufen wird, sowie durch die Queers for Palestine, welche sich mit jenen gemein machen, die sie im Gaza-Streifen gnadenlos vom Dach werfen würden! Antisemitismus bringt wieder einmal unterschiedliche Milieus zusammen (vgl. Beppler-Spahl 2024).

Bemerkenswert ist, mit welcher Häme und Pöbelei dem Buch Beißreflexe und seinen Autoren*innen begegnet wurde (vgl. l'Amour LaLove 2017b). Eine inhaltliche Auseinandersetzung blieb aus. Die Reaktionen beschränkten sich auf »ostentatives Beleidigtsein oder eine beredte Nichtreaktion« (vgl. Sosat 2017). Es wurde beklagt, das Buch sei übertrieben »polemisch« und die Kritik ausgerechnet »unsolidarisch« (vgl. Yaghoobifarah 2017)! Erstaunlich aber ist, dass die Publikation eines linken Szenebuches so weite Wellen schlug, dass auch Judith Butler und Sabine Hark sich genötigt sahen, sich zu äußern. Allerdings nicht auf einer theoretischen und inhaltlichen Ebene, wie es vielleicht zu erwarten und zu erhoffen gewesen wäre, sondern vielmehr auf einer Ebene der Abwehr und der Kritikverweigerung: So sei dieses Buch angeblich doch nur »Verleumdung«, und es wird allen Ernstes in Parallelität zu einem »Trumpism« gesehen (vgl. Hayner 2017, für eine Bilanz der Kritikverweigerung queer-feministischer Sekten vgl. auch: Martin 2020). Es ist also auch wenig überraschend, dass aus den Reihen des postmodernen Feminismus, sprich Postfeminismus, keine radikale Kritik, sondern, naheliegend, Affirmation oder blankes Nichtverstehen postmoderner Subjektivität kommt. Vielmehr haben die >Koryphäen< des Postfeminismus einer Hypostasierung der Differenzen, der Multiplikation der Identitäten zugearbeitet (Trumann 2016). Das Resultat macht einen/eine schaudern. Wie ernst die Lage eigentlich ist, zeigt sich auch darin, dass es sich bei der postmodernen Subjektivität, dem queeren »Geschlecht als Wille und Design« (Elvira Sanolas), eben um keinen harmlosen Maskenball handelt. Dem dekonstruktivistischen Feminismus bzw. dem Postfeminismus wurde von verschiedenen Seiten schon vor Jahrzehnten vorgeworfen, dass in seinen Reihen Gewalt nicht wirklich thematisiert wird oder werden kann (Gewalt gegen Juden und gegen Frauen aus islamischen Ländern wollen diese pseudofeministischen Sekten nicht ernsthaft thematisieren, wie in den letzten Jahren wiederholt festgestellt wurde, vgl. Amelung 2020), so schrieben Ulrike Janz und Marion Steffens 1997: »Die Nichtbefassung mit struktureller und manifester Gewalt, wie sie bei Judith Butler und anderen Theoretikerinnen des Postfeminismus zu finden ist, ist meines Erachtens ein direktes Resultat der Vorstellung von >Geschlechtsidentitäten<, die ständig neu hergestellt werden und endlos variabel sind. Diese Variabilität suggeriert auch eine nahezu beliebige Veränderbarkeit von Oben-Unten-Strukturen und die Möglichkeit, jederzeit aus Opfer- und TäterInnen-Rollen heraustreten zu können. [...] Tatsächlich frage ich mich weiter, ob es nicht Zeit für eine post-postfeministische Theoriebildung ist?« (Janz/Steffens 1997, 71f.).18

Eine solche Theoriebildung ermöglicht die Wert-Abspaltungs-Kritik. In ihrer Auseinandersetzung mit dem narzisstischen Sozialcharakter und der Krisengeschlechtlichkeit schreibt Leni Wissen: »Der Einfall von gender und queer hat nicht nur einer Ausbreitung des narzisstischen Sozialcharakters Vorschub geleistet, sondern den Feminismus - obwohl er plötzlich prominent wurde - in eine Situation gebracht, in der er einmal mehr ums Überleben kämpfen muss. Vermittelt über die Gender-Theorie wurde die postmoderne Verdrängung aller Inhalte und eines Wahrheitsanspruches in den Feminismus getragen und trieb hier ihr Unwesen. Jetzt ist es gerade die Gender-Theorie, die nicht erklären kann, warum trotz der Angleichung der binären Geschlechtercodes das hierarchische Geschlechterverhältnis nicht verschwunden ist bzw. sogar zu neuem Leben erweckt zu sein scheint. Im Nachhinein zeigt sich, dass gender und queer ein Vehikel bzw. Ausdruck für die sich ausbreitende Krisengeschlechtlichkeit unter narzisstischen Vorzeichen waren und nun das Resultat ihres Treibens nicht verstehen können, da ihr begriffliches Instrumentarium nicht über die kulturell-symbolische Ebene hinausreicht. So muss Gender- und Queer-Theorien auch die »Verwilderung des Patriarchats« (Scholz 1998) entgehen bzw. können sie die einzelnen Phänomene, die das nach wie vor bestehende hierarchische Geschlechterverhältnis deutlich machen, nicht erklären« (Wissen 2017, 47, Hervorh. i. O.).

In Zeiten des spätpostmodernen Umbruchs (seit 2008ff.), des Erstarkens des Neofaschismus usw. steht nicht szenische Betroffenheit auf der Tagesordnung, sondern, wie bereits deutlich werden sollte, eine radikale Kritik von Identität und Identitätszwang in ihren vielfältigen Erscheinungen und Aspekten. Gerade der Zwang zur Identität wird in Krisenzeiten wieder virulent und zur Bedrohung jener, die sich diesem verweigern. Eine Propagierung und Einforderung traditioneller Geschlechtsidentitäten, wie sie von Rechten und Rechtsextremen begannen wird (»Deutschland, aber normal« hieß ein AfD-Slogan), kann nur als eine Rückwärtsgewandtheit zur Verdrängung der Krise verstanden werden. Die Rückkehr zur Tradition, zu einem Ideal, das so nie existiert hat, soll die Erosion der bürgerlich-kapitalistischen Normalität bändigen, die zweifellos wahrgenommen, aber keineswegs verstanden, vielmehr projektiv externalisiert wird (falsche >grüne Ideologie<, >der Islam<, u. a.). Nicht eine Kritik der politischen Ökonomie wird versucht, eine Offenlegung der Krise, die auch in einer Krise der Reproduktion(sarbeit) sichtbar wird, sondern der soziale Abstieg der Mittelklassen und die Erosion der Familie werden einem angeblichen >Gender-Wahn< oder, in einer (strukturell) antisemitischen Stoßrichtung, einer sog. >globalistischen Elite< angelastet.

Zur Kritik einer Identität gehört auch eine Skizze ihrer Genealogie und der entsprechenden Diskurse, die um diese geführt worden sind. So sollen im Folgenden Aspekte des medizinischen bzw. sexualwissenschaftlichen Diskurses um Transsexualität nachgezeichnet werden. Daraus wird deutlich werden, dass auch dieser geschlechtlich konnotiert war, d. h. sich dem Geschlecht nach unterschiedlich ausdrückte und daher Geschlechtsidentität - und die damit möglicherweise verbundenen Identitätskonflikte - weder bloße performative »Spielmarken« (Adorno 2003, 94) noch ein medizinisches Problem sind.

2. Transsexualität und Geschlechterverhältnis

Wenn nun versucht werden soll, den sexualwissenschaftlichen Diskurs rund um Transsexualität darzustellen, beziehe ich mich dabei weitgehend auf die Untersuchung von Volker Weiß.19 Dazu soll nicht jedes medizinhistorische Detail nachgezeichnet oder en détail Weiß' Buch nacherzählt werden, sondern zu zeigen ist, dass der Diskurs um Transsexualität und andere damit gegebenenfalls verwandte Phänomene geschlechtlich konnotiert sind, sie sich also auf Männer wie Frauen unterschiedlich auswirken und eine Verbindung zur politisch-ökonomischen Sphäre aufweisen, d. h. nicht allein ein Gegenstand der Medizin bzw. Psychopathologie sein können. Dies im Blick habend, trage ich einige Aspekte von Weiß' Buch zusammen.

»Transsexualität wird«, so Weiß, »als eine legitimationsbedürftige Krankheit, eine Geschlechtsumwandlung als eine legitimationsbedürftige Behandlungsmethode angesehen, weil Transsexualität als psychische Krankheit konstruiert wird, die keine ist[,] bei der der Körper stört, nicht die Psyche gestört ist, und die deswegen nicht psychiatrisch, sondern nur somatisch zu behandeln ist: durch Anpassung des Körpergeschlechts an die Körperidentität« (Weiß 2009, 15). Als Transsexualität wird heute ein Phänomen bezeichnet, bei dem sich eine »richtige Seele im falschen Körper« befindet, wobei zuerst der medizinische Diskurs Transsexualität als »eine falsche Seele im richtigen Körper« auffasste und sie dementsprechend psychiatrisch und nicht chirurgisch behandeln wollte (ebd.).20

Allerdings waren psychotherapeutische und medikamentöse Behandlungen erfolglos, was eine der Ursachen gewesen sein mochte, dass auf endokrinologische Behandlungen und chirurgische Geschlechtsumwandlungen gesetzt wurde, um Transsexuelle von ihren Leiden zu befreien; so schrieb der Arzt und Endokrinologe Harry Benjamin (1885-1986): »I am in full agreement with those who believe in a multiplicity of determinants for cross-gender-identity, be it in the field of psychology or biology. To my clinical sense, however, a prenatal, neuro-endocrine disorder appeals most for the majority of cases. It offers to me the most likely explanation why psychotherapy cannot cure the transsexual, why the emotional distress goes to such depths as to demand surgery, and why endocrine therapy often brings such dramatic relief. This relief, however, is palliative only. None of our present therapeutic efforts are curative in a sense that the psychological sex will be brought to conform with the anatomical. Until the future will provide new psychiatric or chemical weapons (!), symptomatic treatment with more or less effective alleviation is all we can offer at present to these often tormented people« (Benjamin 1969, 135f.).

Weiß betont, dass »Transsexualität [...] ein Produkt moderner westlicher Gesellschaften« sei. Und: »Die medizinische Konstruktion der Transsexualität ist an technische Möglichkeiten gebunden, Wünsche nach Geschlechtsumwandlungen zu realisieren, aufgrund derer sich ein Netz verschiedener Machtinteressen und Wissensproduktionen entwickelt hat. In diesem Sinne ist Transsexualität auch nicht als bloße Variante des universalen Phänomens eines gegengeschlechtlichen Empfindens zu betrachten, dessen Geschichte im medizinischen Diskurs häufig als eine Teleologie des medizinischen Fortschritts geschrieben wird, die auf die heutige gemäß den Regeln der westlichen Medizin zu diagnostizierende und mittels der technischen Möglichkeiten zu behandelnde Krankheit hinausläuft. Die Behauptung der Universalität der Transsexualität ist eine Legitimationsstrategie im medizinisch-psychiatrischen Diskurs« (Weiß 2009, 24).

Auffallend ist, dass bei Begriffen wie >richtige Seele< die Menschen nach bürgerlichen Geschlechtskategorien im Sinne einer >Dualität< oder >Bipolarität der Geschlechtscharaktere< sortiert und beurteilt wurden. Anhand bürgerlicher Geschlechtsmaßstäbe beurteilt, wurde bestimmtes Verhalten, seien es Gesten, Interessen, Geschlechterrollen oder Habitus, als >pathologisch< klassifiziert. So hat beispielsweise Richard Krafft von Ebing (1840-1902) von Fällen berichtet, bei denen die Patienten als Kinder untypisches Verhalten an den Tag legten, wie Jungen, die »kein Interesse an Knabenspielen gehabt, stattdessen mit Puppen gespielt [haben], Handarbeiten und Stickereien gemacht, gern gekocht und frisiert, sie hätten die Vorliebe gehabt, sich als Mädchen zu kleiden. Sie seien still und träumerisch gewesen und hätten eine rege Phantasie gehabt.« Mädchen dagegen hätten »keinen Sinn für Puppen und Handarbeiten gehabt« und hätten »am liebsten >Soldaten und andere Knabenspiele< gespielt« (ebd., 109f.).

Von Transsexualität war im 19. Jahrhundert allerdings noch nicht die Rede, sondern allgemein von »Konträrsexuellen« oder von Menschen mit »konträrer Sexualempfindung«.21 Dieser Begriff ging auf einen Aufsatz von Carl Westphal (1833-1890) namens »Die conträre Sexualempfindung« aus dem Jahre 1870 zurück (ebd., 93f.). Ebenso gab es zu der Zeit noch nicht die heute übliche Differenzierung zwischen Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung. So war man auch lange Zeit der Meinung, dass Transsexualität als Extremform von Homosexualität zu werten sei (ebd., 104). Im 19. Jahrhundert lag der Fokus darauf, jene zu pathologisieren, die man heute als Homosexuelle bezeichnet. Zuvor als sündhaftes Laster angesehen, wurde Homosexualität zu einem medizinischen bzw. psychiatrischen Problem; die »bürgerliche Gesellschaft hatte das Verdikt der Sündhaftigkeit in das der Widernatürlichkeit der gleichgeschlechtlichen Liebe übersetzt« (ebd., 354). Darüber hinaus wurde dem gleichgeschlechtlich Begehrenden durch den medizinisch-psychiatrischen Diskurs sein Begehren eine ihm aufgenötigte Identität; so schreibt Michel Foucault: »Der Homosexuelle des 19. Jahrhunderts ist zu einer Persönlichkeit geworden, die über eine Vergangenheit und eine Kindheit verfügt, einen Charakter, eine Lebensform, und die schließlich eine Morphologie mit indiskreter Anatomie und möglicherweise rätselhafter Physiologie besitzt. Nichts von all dem, was er ist, entrinnt seiner Sexualität. [...] Sie ist ihm konsubstantiell, weniger als Gewohnheitssünde denn als Sondernatur« (Foucault 2008, 1061).22 Jedoch gab es auch einige, die diesem Begehren eine Legitimität zusprechen wollten, da jene >devianten< Subjekte auch strafrechtlich verfolgt wurden. Insofern wurde eine emanzipatorische Absicht verfolgt. Zu jenen sich Emanzipierenden gehörte Karl Heinrich Ulrichs (1825-1895), der männliche Homosexuelle als Urninge bezeichnete (und weibliche als Dioninge), das Wort >Homosexualität< tauchte erst später auf. Ulrichs wollte »naturwissenschaftlich [und naturrechtlich, TM] beweisen, dass die Urninge nicht >außerhalb der sittlichen Weltordnung< stehen« (Weiß 2009, 72). Auffällig ist, dass Ulrichs Urninge dergestalt zu verstehen versuchte, wie es später bei Transsexuellen getan wurde: So sei der Urning ein Mann mit einer weiblichen Seele und darüber hinaus »ist ein gewisses Gefühl der Unbehaglichkeit in dem eigenen Körper [augenfälligste und beweiskräftigste Thatsache], eine Unzufriedenheit des weiblichen Gemüths mit dem männlich gebauten Körper, in welchem es eingeschlossen ist« (Ulrichs 1864, zit. nach Weiß 2009, 79, Hervorh. i. O.). Somit »heterosexualisierte« Ulrichs gewissermaßen das gleichgeschlechtliche Begehren und darüber hinaus kann er laut Weiß als »diskursive Wurzel der Transsexualität« angesehen werden (ebd., 85-87).

Magnus Hirschfeld (1868-1935) gilt als einer der Pioniere der Sexualwissenschaft und der Homosexuellenbewegung.23 Für ihn waren vollkommen männliche Männer und vollkommen weibliche Frauen »Abstraktionen« und nur »konstruierte Extreme« (ebd., 121). Folglich gäbe es laut Hirschfeld zahlreiche »Zwischenstufen«. Als zu diesen Zwischenstufen zugehörend gelten auch jene Abweichungen, die nicht »unmittelbar mit dem Liebesleben zusammenhängen [...]«. Dazu zählt Hirschfeld auch den »Transvestitismus« (ebd.). Er analysierte diesen als »erotischen Verkleidungstrieb« (ebd., 166). Allerdings ist das Erotische, wie Weiß Hirschfeld folgend anmerkt, nichts Ausschließliches und Temporäres. Die Transvestiten würden den Wunsch hegen, ihre weibliche Seite zu vervollkommnen, wohl wissend, dass es nur ein Wunsch bleiben werde; doch wurden, wie Weiß anmerkt, nach 1910 erste Schritte möglich, jene Wünsche medizinisch wahr werden zu lassen (ebd.). Im Weiteren ergänzte Hirschfeld seine Analyse dahingehend, dass er feststellt, dass es auch einen Transvestitismus gebe, der gänzlich unabhängig von Erotik und Fetischismus sei, eine Art »Identitätslust«, die »eine Hervorkehrung ihres weiblichen Innenlebens« ausdrücke (ebd., 167). Manche Männer sprachen in Hirschfelds Untersuchung (die Interviews beinhaltete) »Die Transvestiten« davon, »ihre >Verkleidung< sei auch mit Gefühlen wie Ruhe, Sicherheit, Erhebung, Glück und Wohlbehagen verbunden« (ebd.). Zu dieser Zeit, genauer gesagt 1911, bekam der erste Mann, dank eines entsprechenden Gutachtens Hirschfelds, die polizeiliche Erlaubnis, Frauenkleider zu tragen, vorausgesetzt es würden die »öffentliche Ordnung« nicht gestört und »keine strafbaren Handlungen« begangen (ebd.). Dadurch konnte der Verkleidungstrieb als Identitätslust gelebt werden. Diese »Identitätslust« war aber nicht auf Männer beschränkt.

Weiß fasst zusammen: »Diese Identitätslust, der Wille, die Wunschvorstellung eines dauerhaften Lebens im anderen Geschlecht zu realisieren, war keine geschlechtsspezifische Erscheinung mehr. >Männliche Frauen< hatten sich dem sexualwissenschaftlichen Drangkonzept unterworfen und bestätigten Gutachtern eine dauerhafte männliche Identität, um ihr Ziel, einen männlichen Namen führen und männliche Kleidung tragen zu dürfen, zu erreichen. Die Konstruktion eines Dauertransvestitismus kann auch als Medizinisierung des Phänomens passing women angesehen werden, deren Geschlechtswechsel in der Regel nicht durch einen Identitätskonflikt, sondern oft durch ökonomische Gründe (!) motiviert gewesen war. Umgekehrt hat Hirschfeld sein >Trieb-Konzept< des männlichen Transvestitismus um Formen erweitert, die keinen erotischen temporären Wechsel zwischen den Geschlechtern darstellen, sondern einen permanenten Wechsel ins weibliche Geschlecht« (ebd., 168, Hervorh. i. O.).

Hinzuzufügen ist, dass auch einige Männer passing men waren, »die zum Teil angaben, sie seien zum weiblichen Geschlecht gewechselt, weil sie als Mann keine Stellung gefunden hätten, sie arbeiteten als >Aufwärterin<, >Kinderfrau<, Köchin, Pflegeschwester und Lehrerin.« Ähnlich gelagert war das Phänomen der passing women. Sie arbeiteten »als Fabrikarbeiter, weil sie als Arbeiterin keine Stelle finden konnten«. Und Hirschfeld zufolge basierte bei einigen Fällen »der Wechsel in die männliche Geschlechtsrolle auf dem >Gelüst nach Ungebundenheit im öffentlichen Verkehr<, auf dem Willen, ein >freies Herrenleben< zu führen oder >völlig unabhängig< zu sein« (ebd., 163-165, Hervorh. i. O.). Somit war für Frauen die >Identitätslust< auch ein Mittel, um aus dem patriarchalen Gefängnis auszubrechen, um quasi als >Mann< am öffentlichen Leben teilzunehmen. Wir sehen also, dass geschlechtlicher Identitätswechsel handfeste ökonomische und sozialpsychologische Gründe haben konnte. Eine biologische oder medizinische Begründung ist hier sehr zweifelhaft. Durch Interviews späterer Zeiten wird der Zweifel bestätigt: Mark Barry Sulcov stellt in seiner, wie Weiß anmerkt, kaum rezipierten Dissertation24 von 1973 fest, dass »Transsexualität [...] eine Lösung für Identitätsprobleme zur Verfügung [stelle]«. Ein Grund, warum seine Arbeit kaum rezipiert wurde, mag darin bestehen, wie Weiß schreibt, dass »[s]eine [durch] Interviews von Transsexuellen ermittelten Ergebnisse [...] nicht mit dem medizinischen Zwangskonzept der Transsexualität vereinbar waren. [...] Nur knapp ein Viertel der 65 von Sulcov interviewten Transsexuellen konstruierten ihre Biographien nach dem Modell, sie seien Opfer von Natur und/oder Erziehung. Mehr als die Hälfte gaben an, ihr Frausein bewusst gewählt zu haben, und berichteten von frühen Lebenserfahrungen, die sie von der Männlichkeit entfremdet hätten (!) und ihr Potenzial der Weiblichkeit entdecken ließen [...]« (ebd., 366f., Hervorh. TM).

Der Wunsch einer Geschlechtsumwandlung war zunächst nur Phantasie. Mit der Entwicklung der Medizin und plastischer Chirurgie hört diese Phantasie auf, rein fiktional zu sein. Die Möglichkeit, eine Geschlechtsumwandlung als Patientenwunsch formulieren zu können, wurde Stück für Stück Wirklichkeit.25 Ausgangspunkt waren die Untersuchungen von Eugen Steinach (1861-1944). Zuvor wurde die biologische Bedeutung von Hormonen erkannt. Darüber hinaus »kamen Keimdrüsen [...] seit dem Ende des 18. Jahrhunderts stärker als die geschlechtsbestimmenden Merkmale schlechthin in den Blick - schließlich auch mit Bedeutung für das Sexualverhalten. [...] Diese höhere Gewichtung der Keimdrüsen wurde mit der Auffassung der konstitutionellen Bisexualität verbunden. Zunächst habe jeder Embryo das Potenzial, sich sowohl weiblich als auch männlich zu entwickeln [...]. Erst im Laufe der Entwicklung bilde sich im Regelfall eine eindeutige weibliche oder männliche Keimdrüse aus, die die physischen und physiologischen Charakteristika bestimmte. [...] Hoden und Eierstöcke galten damit als die geschlechtsbestimmenden Merkmale schlechthin, aber auch als für >Krankheiten< verantwortlich, wie für >Psychosen<, >Neurosen< oder für die als Abweichung betrachtete >Homosexualität<. Behandlungen schlossen sich an. Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden Frauen zur Behebung >schwerwiegender Leiden<, aber auch einfach auf Grund zugeschriebener >Neurosen< und >Psychosen<[,] ein Eierstock oder beide entfernt« (Voß 2013, 20). Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden Experimente an Tieren durchgeführt, bei denen Keimdrüsengewebe transplantiert wurde, da man das sexuelle Verhalten beeinflussen wollte, jedoch zunächst erfolglos. Steinach experimentierte mit Ratten und Meerschweinchen und transplantierte 1911 die »Pubertätsdrüse« (wie er Eierstöcke und Hoden nannte) erstmals erfolgreich auf das jeweilige andere Geschlecht und stellte bei diesen Tieren eine »Umbestimmung des Geschlechtscharakters« (Weiß 2009, 169f) fest. Was bei Meerschweinchen funktionierte oder zu funktionieren schien, wurde dann auf den Menschen übertragen. Auf diese Weise meinte Steinach auch die Ursache für Homosexualität gefunden zu haben: Um diese zu »heilen«, wurde Homosexuellen die »Pubertätsdrüse« von Heterosexuellen transplantiert.26 Der Erfolg dieser Methode blieb aber aus, auch wenn einige meinten, dass sie bei manchen Patienten heilenden Erfolg gehabt habe (ebd.).

Doch die Suche nach einer biologischen Ursache >sexueller Devianz< blieb ungebrochen. Nach dem Scheitern der Theorie »der hormonellen Determinierung von Geschlecht und Sexualität [...] verschob sich [das Paradigma] vom Keimdrüsen- und hormonellen Geschlecht zum genetischen Chromosomengeschlecht« (ebd., 199f.). So sei Anfang des 20. Jahrhunderts die Existenz geschlechtsbestimmender Chromosomen bei Insekten, Säugetieren und Menschen nachgewiesen worden. Richard Goldschmidt (1878-1958) »hatte auch die >psychischen sexuellen Zwischenstufen< als >Stufen biologischer Intersexualität< behauptet. Der Zoologe verließ sich dabei auf die >herrschende Annahme< der Fachliteratur, konträre Sexualität sei angeboren und erblich« (ebd., 200f.). Auf diese Weise wollte man Transsexualität als Form von Intersexualität auffassen, in dem Sinne, dass es eine Nichtentsprechung von Chromosomengeschlecht und Phänotypus gäbe. Jedoch konnte eine solche Nichtentsprechung bei transsexuellen Patienten nicht verifiziert werden. Die medizinische Forschung nach einer biologischen Ursache von Transsexualität blieb weiterhin erfolglos. Daraus folgte aber nicht, dass sie eingestellt wurde. Natürlich meinte man auch neurologische bzw. neuroendokrinologische Ursachen gefunden zu haben. Durch >Hirnchirurgie< sollten Trans- und Homosexuelle behandelt werden, etwa »durch stereotaktische Hirnläsionen oder gezielte Bestrahlung spezifischer Hypothalamusgebiete« (ebd., 264f.). Allerdings gilt die »Hypothese der neuroendokrinen Prägung als eine Ursache von Transsexualität« bisher nicht als widerlegt (ebd., 362).27

Weiß fasst zusammen: »Eine Wissenschaftsgeschichte der vergeblichen Ursachensuche von Transsexualität ist irrelevant. Bedeutung hat dagegen die Analyse, wie biologistischen Spekulationen Plausibilität verliehen wurde und welche Karriere diese Spekulation in Diskurs und Praxis der Transsexualität machten. Als Strategie im Dienst der Legitimation von Geschlechtsumwandlungen war die notwendig unabschließbare Ursachenforschung permanente Demonstration der Überzeugung, dass eine solche Ursache existiert. Transsexualität wurde als eine angeborene oder in frühster Kindheit entstehende, unverschuldete, d.h. vom Willen nicht beeinflussbare, unumkehrbare, psychotherapeutisch unbehandelbare und eindeutige Störung der Geschlechtsidentität konstruiert. Keine der seit den 1930er Jahren bis heute aufgestellten Ätiologiehypothesen konnte bewiesen werden - und zwar notwendigerweise, weil biologische Theorien das Phänomen universalistisch konstruieren und von den psychischen und gesellschaftlichen Bedingungen absehen, unter denen sich Geschlechtsidentitäten konstruieren und konstruiert werden. [...] Biologische Theorien der Transsexualität bestätigen die symbolische Geschlechterordnung und integrieren die scheinbar aus dieser Herausgefallenen. Bei der Diagnose muss das Nicht-Männliche als eindeutig und unveränderbar weiblich (bzw. umgekehrt) bestimmt werden, um die medizinische Erfüllung transsexueller Wünsche legitimieren zu können« (ebd., 261f., Hervorh. TM).28

Da rein biologische Erklärungsmuster gescheitert sind, haben andere Sexualwissenschaftler eine lerntheoretische und frühkindlich-psychologische Erklärungsebene aufgesucht, natürlich ohne dabei diverse biologische Kofaktoren auszusparen. Diesen Zugang wählten etwa Richard Green und John W. Money (1921-2006). So seien Transsexuelle Opfer einer pathologischen Familiendynamik, die verhindere, dass jene Kinder die >richtige< Geschlechterrolle und damit Geschlechtsidentität erlernten. Transsexualität sei daher ein Resultat der Identifizierung mit dem falschen Geschlecht. So behauptete Money 1972, dass jene Eltern »ihren Söhnen oder Töchtern eine zweideutige, ambivalente Erwartung von Männlichkeit oder Weiblichkeit« entgegenbrachten (Money zit. nach Weiß 2009, 277). Dementsprechend wurden Studien mit Kindern durchgeführt, die ihren »besorgte[n] Eltern« zufolge »geschlechtsuntypische[s] Verhalten« an den Tag legten (ebd., 276). Interessant daran ist, dass das Ausmaß der Beunruhigung am geschlechtsuntypischen Verhalten höchst unterschiedlich ausfiel, je nachdem, ob es sich um einen Jungen oder ein Mädchen handelte. Hierzu schreibt Weiß auf Green rekurrierend: »Jungenhaftes Verhalten von Mädchen sei dagegen, so Green, gesellschaftlich akzeptiert und so für Eltern in der Regel kein Grund zur Beunruhigung, sie seien im Gegenteil sogar stolz auf diese Eigenschaften ihrer Tochter. Allerdings würden diese Mädchen meist nur die männliche Geschlechterrolle übernehmen - und das auch nur beschränkt auf eine Phase der Kindheit -, weil sie eben die abenteuerlichen und selbstständigen Aktivitäten der Jungen bevorzugten, entwickelten aber eine weibliche Geschlechtsidentität. [...] Ein jungenhaftes Verhalten von Mädchen sei in unserer Kultur verbreiteter und akzeptierter als ein mädchenhaftes Verhalten von Jungen. Pauly29 zeigte sich überrascht, dass viele Mädchen trotz der größeren Toleranz gegenüber einem jungenhaften Verhalten ihrer >maskulinen Präferenz< entwüchsen, dass also Frau-zu-Mann-Transsexualität seltener ist als Mann-zu-Frau-Transsexualität. [...]« (ebd., 266f., 284, Hervorh. i. O.). Weiter schreibt Weiß: »Diese Toleranz dürfte aber in vielen Fällen verhindern, dass sich eine Präferenz für die gegengeschlechtliche Rolle überhaupt zu einer konträren Identität verfestigt. So meinte Green, aufgrund des größeren Spielraums, den die weibliche Geschlechtsrolle für gegengeschlechtliches Verhalten erlaube, seien bei Frauen radikale Mittel häufiger weniger notwendig als bei Männern [...]« (ebd., Hervorh. TM).30 Somit verweist Weiß des Weiteren darauf, dass Statistiken ein »unterschiedlich deutliches Übergewicht der Mann-zu-Frau Transsexuellen fest[stellen]« (ebd., 374).31

Die Radikalfeministin Sheila Jeffreys andererseits schrieb bereits in den 1990er Jahren im Kontext eines lesbischen Feminismus: »Wollten früher Feministinnen Frauen die Möglichkeit eröffnen, auf ihr Frausein und ihre Liebe zu Frauen stolz sein zu können, sehen wir heute das Phänomen, daß Maskulinität nicht nur große Bewunderung genießt, sondern daß Frauen den Wunsch haben, ihr Frausein ein für allemal zu beenden, um an der männlichen Macht teilzuhaben. Wenn es stimmt, daß immer mehr Frauen chirurgische Verstümmelungen auf sich nehmen, nur um nicht Frauen sein zu müssen, müssen wir schließen, daß das feministische Bemühen, Frauen in ihrem Körper glücklich zu machen, gescheitert ist« (Jeffreys 1994, 161f.). Von einem deutlichen Mann-zu-Frau Übergewicht kann heute tatsächlich nicht mehr die Rede sein, im Gegenteil (vgl. Amelung 2023a, 47ff.). Die Frage, warum die (Fehl-)Diagnosen von Geschlechtsdysphorie bei Mädchen in den letzten Jahren stark angestiegen sind, ist nach Amelung bislang nicht geklärt, hängt aber wahrscheinlich stark damit zusammen, worauf Jeffreys schon verwies, »dass Mädchen im späten Jugendalter öfter von psychischen Erkrankungen betroffen sind. Besonders aber sind sehr viele Mädchen unzufrieden mit ihrem Körper; das eigene Selbstbild bildet sich im Wechselspiel zwischen Individuum und Umwelt. [...] Im Falle der enorm gestiegenen Zahl von als Mädchen Geborenen, die eine Transition zum Mann wollen, befürchten Radikalfeministinnen, dass hier eine nicht unerhebliche Zahl unter diesen jungen Menschen ist, die diesen Weg vor allem wegen Ablehnung von Weiblichkeit verinnerlichter negativer Körperbilder gehen will, verursacht durch die Gesellschaft. Diese Sorge scheint mir nicht unbegründet. Der Anstieg transitionswilliger als Mädchen Geborener beginnt kurz nach der Einführung von Instagram« (!) (ebd., 48ff.). Wie groß ist wohl der Anteil der weiblichen Pubertierenden, die kein wirkliches soziales Leben haben, sondern ihre Tage im Internet verbringen und sich durch allerhand Propaganda oder Unsinn einreden lassen, Unbehagen mit dem Körper hieße, im >falschen Körper< zu sein?

Wir sehen also, dass das Phänomen Transsexualität sich geschlechtsspezifisch unterschiedlich auswirkt und einen Konflikt darstellt, der seine Ursache in dem Zwang zur >ausschließenden Zweigeschlechtlichkeit< hat. Die >Dualität der Geschlechtscharaktere<, das >Raster der Binarität<, eine >bipolare Geschlechterordnung<, welche wesentlicher Bestandteil der Wert-Abspaltungsgesellschaft sind, und der Zwang, eine entsprechende geschlechtliche Identität auszubilden, führt dazu, dass die Menschen sich in diesem >Entweder-Oder< einzuordnen haben. An diesem ihnen aufgenötigtem Zwang, eine Identität entlang der Markierung weiblich-männlich auszubilden, können sie aber auch scheitern. Menschen, die möglicherweise von Kindheit an es nicht vermocht haben, sich entsprechend >einzuordnen<, würden, wie Raymond es bereits kritisierte, als potentielle Transsexuelle angesehen (s. o.) und würden somit pathologisiert werden. Nimmt also das Scheitern diese >Verlaufsform< an, so heißt das, dass jenen Menschen dann aufgenötigt wird, eine >Identität< anzunehmen, die >eigentlich< dem anderen Geschlecht vorbehalten ist, zu dem die entsprechende Person dann auch werden muss (habituell und physiologisch). Diejenigen, die an dem >Normalverlauf< des Sich-Einordnens scheitern, die also vom Identitätszwang gewissermaßen erdrückt werden, sind, wenn auch nicht immer, aber doch oft, besonders darauf aus, sich eindeutig dem >Männlichen< oder dem >Weiblichen< zuordnen zu können, weshalb es auch durchaus ihr eigener Wunsch ist, sich körperlich dem jeweiligen Geschlecht anzugleichen. Das zeigt, wie tief der Identitätszwang bei Betroffenen selbst ist, und daher ist der Wunsch nach Identität hier besonders stark.

Die chirurgische Geschlechtsanpassung liefert also die Möglichkeit, dieses Problem in eine medizinische Eindeutigkeit zu bannen. Mithilfe der Medizin versucht der betroffene Mensch dann das zu werden, was er/sie angeblich schon immer gewesen sei. Es kann also festgestellt werden, dass Transsexualität keinesfalls ein medizinisches Phänomen ist und ebenso keines, das für eine harmlose >Vielfalt< steht, vielmehr hat sie ihre Ursache in einem gesellschaftlich produzierten Identitätszwang, der bereits im frühen Kindesalter einsetzt. Letzteres apologisiert Money. An diesem kritisiert Raymond, dass er eine biologische Determiniertheit geschlechtlicher Identität zwar ablehne, aber doch eine soziale Determiniertheit selbiger vertrete. Money zufolge sei die geschlechtliche Identität bereits mit 18 Monaten festgelegt. Zwar gesteht er (zusammen mit Patricia Tucker) den geschlechtlichen Stereotypen eine gewisse Flexibilität zu, beharrt aber dennoch auf deren Unveränderlichkeit - ein Widerspruch, wie Raymond anmerkt. Weiterhin habe Money zufolge die Gesellschaft gar nicht das Recht, die Geschlechtsidentität eines Menschen in Frage zu stellen! Dass geschlechtliche Identitätskonflikte einen medizinischen Lösungsweg einschlagen, ist nach Raymond die logische Schlussfolgerung aus der Position Moneys: »If people not only >cannot< but >should not< change their core gender identity, and if >society has no right< to demand that they do, then transsexualism becomes an adequate and morally right solution to so-called gender identity dissatisfaction and confusion. In this perspective, if one cannot adjust the mind to the body, it becomes perfectly reasonable to adjust the body to the mind. Since core gender identity is fixed by age two, in Money's schema, then the body and not the psyche must be changed« (Raymond 1994, 67f.).

Im Transsexualitätsdiskurs wurde allerdings ab den 1970er Jahren auch die Frage diskutiert, ob »Menschen diesen Zwang zur Geschlechtsumwandlung nicht mehr entwickeln würden«, wenn traditionelle Geschlechterrollen wegfallen oder zurückgehen würden (Weiß 2009, 373). Einige zeigten sich verwundert, wie Weiß anführt, »dass sich gerade in einer Zeit, >in der Geschlechtsrollenstereotype fragwürdig gemacht wurden<, die Transsexuellen vermehrt hätten« (ebd.). Das ist in der Tat erklärungsbedürftig, sofern man nicht der Erklärung erliegen will, Transsexualität sei wesentlich doch etwas Biologisches, und dabei folgert, dass die Transsexuellen mit Hilfe der Medizin nun endlich das werden könnten, das sie >schon immer waren<. Ein naheliegender, aber eher oberflächlicher Grund für die gestiegene Anzahl Transsexueller mag in der rechtlichen Anerkennung und im Fortschritt der medizinischen Forschung liegen, der plastischen Chirurgie insbesondere. Letzterer ist zu verdanken, dass entsprechende Operationen immer besser werden. Dies und die rechtliche Anerkennung mögen daher dazu beitragen, dass mehr Menschen ihren >Geschlechtsidentitätswunsch< >realisieren< können.

Zum vielgepriesenen >Fortschritt< gehört im Übrigen auch die Tendenz oder vielmehr allgemeine Verfahrensweise, alle möglichen psychischen und verhaltensbezogenen >Devianzen< (ADHS, Depressionen u. ä. bis hin zu gewalttätigen Ausschreitungen, vgl. Chorover 1982) zu individualisieren, zu medikalisieren und schlussendlich diese auf biologische Ursachen zurückzuführen. Was die Erforschung der Transsexualität angeht, so wird an verschiedenen Stellen explizit gesagt, dass die Transsexuellen bestimmte medizinische Forschungen erst befeuerten und dass die Mediziner diesen dafür regelrecht dankbar seien (Weiß 2009, 321, 342). Es ging also nicht nur um das Leiden der Transsexuellen und dessen mögliche Linderung, sondern auch, wie Raymond schreibt, um die Akkumulation medizinischen Wissens (Raymond 1994, 152). Dass geschlechtliche Identitätskonflikte historisch eine medizinische Form annahmen und dass dies auch so bleibt, liegt also durchaus im Interesse des medizinischen (Wissenschafts)betriebes.

Nun ist aber auch zur Kenntnis zu nehmen, dass eine geschlechtsumwandelnde Operation (mit anschließender Sterilität) eben nicht mehr eine Voraussetzung für eine Änderung des Personenstandes ist.32 D. h. nach aktueller Gesetzeslage in einigen Ländern kann also ein Mann juristisch als >Frau< bzw. andersherum existieren. Damit soll der >Vielfalt< geschlechtlicher Identitäten stattgegeben werden.33 Jene Maßnahmen also, die zuvor eine binäre Geschlechtsordnung trotz geschlechtsanpassender Operationen sicherstellen sollten, werden aufgegeben.34 Die Konsequenzen rechtlicher Anerkennung können aber auch darin liegen, ein Problem von nun an überhaupt nicht mehr anzuerkennen oder eine Problematisierung grundsätzlich zu delegitimieren. Dazu schreibt die Psychotherapeutin und Sexualwissenschaftlerin Sophinette Becker: »Gegenwärtig gibt es einen starken Trend in Richtung einer vollständigen >Entpathologisierung< der Transsexualität, verbunden mit einer Postulierung >biologischer Ursachen< und der Forderung nach Gewährung aller somatischen Maßnahmen auf bloßes Verlangen [...]. Aus dieser Perspektive werden psychodynamische Überlegungen und Psychotherapie, die mehr ist als affirmative >Begleitung<, als Menschenrechtsverletzungen angesehen« (Becker 2013, 75, Hervorh. TM).

Der Identitätszwang selbst ist eine historisch prozessuale Real-Kategorie. Die rigide bipolare Geschlechterordnung früherer Zeiten mag in der Tat heute (in den westlichen Staaten) nicht mehr die Bedeutung oder die Strenge haben wie einst. Es sei z. B. daran erinnert, dass es in den USA beispielsweise gesetzliche Vorschrift war, geschlechtsspezifische Kleidungsstücke zu tragen. >Geschlechtsuntypisches< Auftreten wurde vom Staat explizit verfolgt. In Deutschland, um ein zweites Beispiel zu bemühen, konnte der Mann bis in die 1970er Jahre hinein die Arbeit seiner Frau kündigen, wenn er der Meinung war, dass sie als Lohnarbeiterin die ihr obliegende Hausarbeit vernachlässige (vgl. z. B. von Münch 1976). Die Rigidität der bipolaren Geschlechterordnung ist aber trotz einer gewissen Lockerung auf der Ebene der geschlechtlichen Codes (also vor allem auf der Erscheinungsebene) nie wirklich verschwunden. Die binäre geschlechtliche Grundstruktur, die zudem ein hierarchisches Geschlechterverhältnis impliziert, ist nach wie vor Realität und wird in autoritären Regimen, wie Russland, staatlich gefördert und erzwungen (vgl. Fischer 2023). In der geschlechtsspezifischen Sozialisation von Jungen und Mädchen etwa spielt die bipolare Geschlechterordnung immer noch eine erhebliche Rolle (vgl. Zachanassian 2018, 118f.). Nicht zuletzt hat diese Auflockerung auch mit den allgemeinen Zwängen der Flexibilisierung und Individualisierung im Kontext der Postmoderne zu tun. Die geschlechtliche Abspaltung setzt sich aber auch in der Flexibilität fort, was sich vor allem darin zeigt, dass Frauen nach wie vor für Kinder und Küche zuständig sind oder zuständig gemacht werden. Zusätzlich sind sie auch noch häufig für das ökonomische Auskommen verantwortlich. In diesem Kontext ist auch die Untersuchung der Soziologin Cornelia Koppetsch35 interessant, in der diese zeigt, dass es auch in als >progressiv< angesehenen Gesellschaftsschichten (akademische, städtische Mittelschicht) nicht zu einem Rollenwechsel kommt, wenn die Frau Hauptverdienerin ist, sondern diese im Gegenteil trotz ihrer (Haupt-)Erwerbstätigkeit weiterhin für die Reproduktionstätigkeiten zuständig ist, auch wenn die Rhetorik und das Selbstverständnis der befragten Paare etwas anderes glauben machen will (vgl. Koppetsch 2018).

Es kann also festgestellt werden, dass die Rigidität des geschlechtlichen Identitätszwanges in der Postmoderne einen Formwandel durchmachte, sie sich sozusagen modernisiert hat. Dieser Formwandel zeigt sich in einer Auflockerung und Flexibilität, die aber die Abspaltungsstruktur unter veränderten Bedingungen reproduziert. Aus einer gewissen Flexibilisierung der geschlechtlichen Codes folgt also nicht, dass der Zwang zur Zweigeschlechtlichkeit als solcher weggefallen wäre.36 Die sogenannte Vielfalt stellt sich eben als nichts anderes dar als eine pluralisierte Zwangsveranstaltung, als eine Vielfalt in der Rigidität, wie nicht zuletzt der Wahnsinn der queeren Szene aufzeigt. Roswitha Scholz prägte, passend zur Subjektformung in der Postmoderne, den Begriff der »Flexi-Zwangsidentitäten« (Scholz 2005, 218), wie bereits erwähnt.

Ein Identitätszwang besteht also in der (Spät)Postmoderne trotz aller Flexibilisierung und Modifizierung fort, der dem Einzelnen aufgenötigt wird und nicht weniger rigide ist als die Zwangssubjektivitäten der 50er Jahre. Diese neoliberalen »Flexi-Zwangsidentitäten« sind eben kein >Ponyhof<, sondern werden gerade dann überaus deutlich, wenn den Menschen permanent aufgenötigt wird, sich mit Blick auf die eigenen Verwertungspotentiale immer wieder neu zu >entwerfen< und dabei >resilient< zu bleiben. Dies gilt besonders für Frauen, da ihnen in ihrer aufgenötigten Flexibilität zugleich die primäre Verantwortung für Familie und Kinder zugeteilt wird. Die geforderte >Selbstoptimierung<, die aber nicht nur im Arbeitsleben eine Rolle spielt, sondern bis ins Intime hineinreicht (Stichwort: Life-Logging, Self-Tracking), ist ein nie abschließbarer Prozess mit zweifelhaftem Ausgang.37 Ein >Erfolg< kann durchaus zum >Kollaps des Subjektes< führen (Depressionen, Drogensucht, Amoklauf usw.).

Die Anforderungen von Individualisierung und Flexibilisierung sind dabei zugleich auch deutliche Zeichen der Krise des Kapitalismus, die sich auch auf der Ebene des Subjekts, nicht zuletzt als Krise der Zweigeschlechtlichkeit darstellt. Eine binäre Geschlechtlichkeit unter den Bedingungen der Krise auszubilden wird auch real immer schwieriger. Diese Zweigeschlechtlichkeit bleibt gebunden an eine >funktionierende< Arbeitsgesellschaft und an die Sozialisationsinstanz der traditionellen Familie, die »im Kontext allgemeiner Flexibilisierungs- und Individualisierungsprozesse immer weiter weg[brechen]« (Wissen 2017, 43). Der Zerfall der Familie, die Prekarität der Arbeit, die Verwilderung der Staatsapparate sind dabei das notwendige Resultat der inneren Schranke des Kapitals. Das Patriarchat verschwindet in der Krise nicht, es verwildert (vgl. Scholz 1998). Die >postmoderne Kostümparty< war nur eine Art und Weise, die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus zu verdrängen und einer notwendigen Gesellschaftskritik aus dem Weg zu gehen. Die gesamte Situation wird aber noch dadurch verschärft, dass sich nicht wenige eine binäre Geschlechterordnung, ein traditionelles Arbeitsleben usw. zurückwünschen und in ihrem Wahn die >Genderisten<, die >Links-Versifften< für die Zerstörung der Familie und der >natürlichen Geschlechterordnung< verantwortlich machen. Es ist also kein Zufall, dass z. B. AfD-Nazis nicht nur von einem faschistischen Staat träumen, sondern auch von einer traditionellen Geschlechterordnung (vgl. Kemper 2018).

3. Fazit: Weder Konstruktivismus noch Biologismus

Motivation und Ausgangspunkt, die historische Dimension rund um das Phänomen Transsexualität in den Blick zu nehmen, waren die Begriffslosigkeit der queeren Szene, das »analytische Elend im Queer-Milieu« (Meyer 2016) und die damit zusammenhängende Identitätspolitik. Trotz dieses Identitätswahns halten sich Teile der queeren Szene für besonders radikal. Diesem Selbstmissverständnis ist aber zu entgegnen, dass es, den Ansprüchen einer radialen Kritik der kapitalistisch-patriarchalen und heterosexistischen Gesellschaft gemäß, eben nicht genügt, nur den Imperativen einer de facto bürgerlichen Anerkennungspolitik (bzw. ihren vulgarisierten Verfallsprodukten) zu folgen oder sich mit ihr zufrieden zu geben und sich entsprechend szenisch einzurichten. >Deviante< (sowie auch nicht-deviante) Identitäten sind also nicht einfach irgendwie >anzuerkennen< und z. B. durch diverse Sprachpolitiken zu festigen38, sondern es ist ihr historisches Zustandekommen zur Kenntnis zu nehmen, und, wie es bei der Transsexualität bzw. dem Transsexualismus deutlich werden sollte, auch notwendig zu kritisieren: Es ist zu kritisieren, wenn das Unbehagen im Geschlechterzwang die Form eines individuellen medizinischen Problems annimmt und dabei von den gesellschaftlichen Umständen abstrahiert wird. In Zeiten der Krise ist ohnehin die Tendenz deutlich sichtbar, die Zumutungen der >zweiten Natur< auf die Biologie selbst zurückzuführen (vgl. Meyer 2025). Aber so wenig Geschlecht etwas rein Biologisches ist, so wenig ist es etwas rein Performatives bzw. etwas bloß Konstruiertes (etwa durch Sprechakte) oder Sozialisiertes. Kurioserweise können beide Positionen auch zusammengehen: Der queere Autor und Aktivist Heinz-Jürgen Voß versucht in Making Sex Revisited (2011) zu begründen, warum nach heutiger bzw. seiner Sicht der Biologie eine binäre Geschlechterordnung nicht mehr haltbar sein soll. Seine Ablehnung einer Zweigeschlechterordnung liegt vor allem darin begründet, dass aufgrund der binären Geschlechterordnung Intersexuelle sich bereits als Kleinkinder geschlechtsangleichenden Operationen unterziehen müssen (oder mussten), was für Betroffene schmerzhaft und traumatisierend ist. Gäbe es in Wirklichkeit keine zwei Geschlechter, sondern mehr - so die Argumentationslogik - so bliebe jenen ihr Leid erspart. Wie auch andere Poststrukturalisten/-innen, so ist auch Voß der Meinung, dass durch die Einteilung von Menschen in zwei Geschlechter bereits die Ursache einer Hierarchisierung der Geschlechter gefunden sei (vgl. Selders 2003, 65), weswegen für Voß die biologische Zweigeschlechtlichkeit auch so ein enormes Problem darstellt. Ihm zufolge ist die Biologie bloß gesellschaftlich bzw. diskursiv konstruiert. Gleichzeitig nutzt er sie aber doch, um eine binäre Geschlechterordnung zu kritisieren. Abgesehen davon, dass niemand biologische Argumente wirklich benötigt, um das Patriarchat, Homophobie usw. kritisieren zu können, sind einige seiner Schlussfolgerungen zur Biologie kaum haltbar. Es ist zwar sicher richtig, dass geschlechtsdeterminierende Faktoren auf genetischer und epigenetischer Ebene nicht eindeutig vorhanden oder bestimmbar sind, sondern sehr komplexe Prozesse darstellen, die auf verschiedenen und sehr verschlungenen Wegen in den allermeisten Fällen aber doch erlauben, einen Phänotyp Mann oder Phänotyp Frau zu realisieren. Warum das als Argument gegen die Existenz von zwei Geschlechtern dienen soll, bleibt schleierhaft. Dass es auch Menschen gibt, die sich phänotypisch zwischen beiden Geschlechtern befinden, Merkmale beider Geschlechter haben (Intersexuelle), ist wohl kaum ein Argument, dass 99% aller Menschen sich sehr wohl anatomisch eindeutig als Mann oder Frau identifizieren lassen (vgl. auch Mounk 2024, 301ff.). Da Stühle oder Tische nicht mit ihrer platonischen Idee zusammenfallen und man zweifellos auf bestimmten Tischen wunderbar sitzen kann, schlussfolgerte man mit Voß, es gäbe weder Stühle noch Tische, sondern jede Menge Dinge, auf denen man irgendwie sitzen und/oder was abstellen kann. Voß versteht anscheinend das Prinzip Begriffsbildung durch Abstraktion nicht. Hier liegt wohl mehr als ein »Abstraktionstabu« (Scholz 2011) vor (vgl. auch Meyer 2021.)!

Es ist richtig, die Biologie und die Medizin dahingehend zu kritisieren, dass sie aus der Natur jenes herauszuziehen, hineinzulegen oder hinein zu interpretieren versucht(e), das ihr ermöglicht(e), Sexismus oder Rassismus usw. zu legitimieren (sofern ein solcher Biologismus heute überhaupt noch Relevanz hat). Voß aber befragt die Biologie und Medizin in ähnlicher Weise, nur dass er eine biologische Begründung für eine queere Identitätsvielfalt finden möchte und dementsprechend aktivistisch auf die Biologie schaut und fragwürdig interpretiert.

Beide Zugänge, sowohl der Biologismus als auch der Sozial-Konstruktivismus verfehlen den historisch-konkreten gesellschaftlichen Zusammenhang und daher verhindern sie (oder schwächen wenigstens) eine Kritik geschlechtsspezifischer Gewalt, wie sie im Zuge einer »Verwilderung des Patriarchats« (Scholz 1998) an blutiger Brisanz gewinnt. Somit ist die Vermittlung einer geschlechtlichen Identität mit der gesellschaftlichen Totalität und ihrer historischen Prozessualität immer mitzudenken, gerade wenn es sich um vermeintlich individuelle Lebensentwürfe und freie Entscheidungen handelt. Sie einfach nur >anzuerkennen<, in Abgrenzung zu traditionellen Geschlechterrollen, agitiert am Wesentlichen vorbei und verfehlt daher notwendige Kritik. Das gilt vor allem für jene absurden Kleinstidentitäten und Befindlichkeiten39, von denen weiter oben schon die Rede war. Diese >Anerkennung< läuft letztendlich auf die gleichberechtigte Teilhabe am Verwertungs- bzw. Entwertungsprozess des Kapitals hinaus mitsamt einer Gleichverteilung der damit einhergehenden Zumutungen. Die (links)bürgerliche und queere Anerkennungsagitation und Identitätspolitik setzen sich eben nicht die theoretische wie praktische Negation kapitalistischer Realkategorien zum Ziele, verweigern sich also nicht umfassend den kapitalistischen Zumutungen, sie sollen im besten Falle nur gleich und gerecht verteilt werden; im schlimmsten Falle liefert die Identitätspolitik einen Beitrag zur >Tribalisierung< der Gesellschaft.


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  1. Wobei das dialektische Verhältnis des Menschen zur Natur von einigen marxistischen Philosophen breit thematisiert wurde. Dies blieb aber Ausnahme (vgl. Schmied-Kowarzik 2018). In jüngerer Zeit hat sich die Strömung des marxistischen Ökosozialismus dessen angenommen (vgl. Meyer 2022).^

  2. Foucault kam erst mit Abwendung vom traditionellen Marxismus dazu, sich der verborgenen Archäologie der Moderne, der Geschichte der Disziplinierung usw., zu widmen. Allerdings hat er mit der Verabschiedung von den marxschen Kategorien und der Aufgabe eines Wahrheitsanspruches überhaupt das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, vgl. Kurz 2007, 72f., sowie Gangl 2012, 127f. Man muss auf der anderen Seite Foucault und andere postmoderne Denker gegen viele ihrer heutigen Epigonen, d. h. gegen die viel gescholtenen >Wokisten<, allerdings insofern verteidigen, vertreten sie doch im Gegensatz zu Foucault & Co oft einen absolutistischen Wahrheitsanspruch, vgl. Pluckrose/ Lindsay 2022 & Mounk 2024.^

  3. So schrieb beispielsweise Trotzki in der Prawda vom 29./30.9.1923: »Die heutige Anordnung von Bergen und Flüssen, Feldern und Wiesen, Steppen, Wäldern und Meeresufern ist keineswegs als endgültig zu bezeichnen. Gewisse Veränderungen, und zwar keine geringen, hat der Mensch bereits ins Bild der Natur eingebracht; doch im Vergleich zu dem, was kommt, sind das lediglich Schülerexperimente (!). Wenn der Glaube nur versprochen hat, Berge zu versetzen, so ist die Technik, die nichts >auf Treu und Glauben< hinnimmt, tatsächlich imstande, Berge abzutragen und zu versetzen. [...] Das Leben, selbst das rein physiologische, wird kollektiv-experimentell werden. Die menschliche Gattung wird abermals eine radikale Revision (!) durchlaufen und - unten den eigenen Händen - zum Objekt kompliziertester Methoden der Auslese (!) und des psychophysischen Trainings werden. [...] Der Mensch wird sich das Ziel stellen, seiner eigenen Gefühle Herr zu werden, die Instinkte auf die Höhe des Bewusstseins zu heben, sie transparent zu machten, die Drähte seines Willens bis ins Unterschwellige und Untergründige hinein zu verlegen und damit eine neue Stufe zu erklimmen - einen höheren gesellschaftlich-biologischen Typus zu erschaffen, einen - wenn man so will - Über-Menschen«, in: Groys; Hagemeister; von der Heiden 2005, 417f. Siehe auch den letzten Abschnitt von Trotzkis Kopenhagener Rede von 1932 namens »Hebung der menschlichen Rasse«: »Ist er einmal mit den anarchischen Kräften der eigenen Gesellschaft fertig geworden, wird der Mensch sich selbst in Arbeit nehmen, in den Mörser (!), in die Retorte des Chemikers (!). Die Menschheit wird zum ersten Male sich selbst als Rohmaterial (!), bestenfalls als physisches und psychisches Halbfabrikat (!) betrachten. Der Sozialismus wird ein Sprung aus dem Reiche der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit auch in dem Sinne bedeuten, daß der gegenwärtige, widerspruchsvolle und unharmonische Mensch einer neuen glücklicheren (!) Rasse den Weg ebnen wird.« Zu lesen auf www.marxists.org.^

  4. Vgl. dazu den exzellenten Essay von Monika Israel: Probleme der Frauenemanzipation im nachrevolutionären Russland (1917-28), in: Kollontai 1977, 87-188, sowie Sargent 1983 und Reuschling 2010.^

  5. Spätestens mit dem »Abschied vom Proletariat« (Gorz 1988) und mit dem »Kollaps der Modernisierung« (Kurz 1994) verlor der traditionelle Marxismus, vor allem der staatssozialistischer Prägung, endgültig an Substanz und Glaubwürdigkeit. Allerdings lagen bereits lange vor dem Zusammenbruch des »Kasernensozialismus« (Robert Kurz) vernichtende Kritiken gegen diesen vor. Dem soll an dieser Stelle aber nicht weiter nachgegangen werden. Zur linken Kritik am Bolschewismus, vgl. dazu Wallat 2012.^

  6. Zur Identitätspolitik wird auch der sog. Multikulturalismus gezählt, der auf die Anerkennung, >Respektierung< und den Schutz von >Kulturen< abzielt (und erst ab den 80er Jahren an Bedeutung gewann). Der Multikulturalismus hat dabei große Ähnlichkeit zu seinen Gegnern, welche ebenfalls von >Kulturen< ausgehen, die statisch sind, sich nicht durchdringen, als »Ethno-Zoo« (Robert Kurz) besser getrennt bleiben und die für die eigene >Identität< essentiell sind. Das kann an dieser Stelle leider nicht weiter diskutiert werden. Ebenso wenig kann hier darauf eingegangen werden, wie Multikulturalismus und Ethnopluralismus historisch zustande kamen, da es hier vorwiegend um die Identitätspolitik der queeren Szene geht. Vgl. Malik 2017 & Kurz 2018.^

  7. Obgleich das Konzept der kulturellen Aneignung eine glasklar reaktionäre Stoßrichtung aufweist, gibt es dennoch berechtigte Fälle. Wenn etwa weiße Musiker die Ideen schwarzer Musiker stehlen, großen Erfolg einfahren, der den schwarzen Musikern aufgrund von Rassismus verwehrt wurde, vgl. Distelhorst 2021, vgl. dazu auch Mounk 2024, 202ff.^

  8. Als an AIDS zunächst vor allem (männliche) Homosexuelle erkrankten und starben, hat das niemanden interessiert. Ganz im Gegenteil: In gewissen politischen Kreisen wurde das Sterben von Homosexuellen an AIDS explizit begrüßt! So etwa der bayrische Kulturminister Hans Zehetmair, der in den Süddeutschen Zeitung vom 7. April 1987 Folgendes sagte: »Diese Randgruppe muss ausgedünnt werden, weil sie naturwidrig ist« (Zehetmair zit. nach Sigusch 2008, 453).^

  9. Oder beinahe allen. Jedenfalls tummeln sich in besagter Szene auch solche Kuriositäten wie »Ökosexuelle« (vgl. Mühlbauer 2016), was sich wie eine böswillige Satire rechter Kreise anhört, aber tatsächlich ernst gemeint ist.^

  10. So muss etwa ein Partner eines schwulen Paares sich zur Frau umoperieren lassen, damit das schwule Paar dadurch >heterosexuell< wird. Die Alternative wäre die Todesstrafe, vgl. Gehlen 2014.^

  11. So erwähnt Hirschauer das Urteil des BGH zum Transsexuellengesetz von 1981 und schreibt, dieses referierend: »Die Genitaloperation schien dem BGH also zum einen geboten, um der >Gefahr< einer homosexuellen Ehe vorzubeugen, die das >Wesen< der Ehe (als gegengeschlechtlicher Gemeinschaft) verletzen würde, zum anderen assoziieren die Richter mit der Genitaloperation die Gewähr einer Durchsetzung der Strafverfolgung zum §175. Mit dieser Assoziation offenbarte die aufgeklärte bundesdeutsche Rechtsprechung gegenüber den >Tatwerkzeugen< einen Zerstörungswillen, der der Blutrünstigkeit islamischer Rechtsprechung in Nichts nachsteht« (Hirschauer 1993, 305). Allerdings ist zu betonen, dass §175 StGB nie die Todesstrafe vorsah, anders als im Iran mit seiner in der Tat äußerst blutrünstigen >Rechtsprechung<.^

  12. Zur Kritik >soldatischer Männlichkeit< vgl. z.B.: Scheub 2010, Fiegl 1994, sowie Mosse 1997.^

  13. Etwa deswegen, wenn Raymond unterstellt, Mann-zu-Frau-Transsexuelle würden Frauen-Räume infiltrieren und sich aneignen.^

  14. So der Wortlaut der »Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen« aus dem Jahr 1997, zit. nach Kurz 1999, 680.^

  15. Dieser Anspruch wird aber so nicht mehr vertreten: »Kennzeichnend dafür ist die Veränderung der Rolle der geschlechtlichen Identität im Vergleich zu den Anfängen der Queer Theory. Wurde die Geschlechtsidentität im Vergleich vormals als gewaltvolles Verhältnis zwischen Gesellschaft und Individuum kritisiert, wird sie nunmehr - allerdings in neuem Gewand - affirmiert. So findet sich mit Geschlechtsidentitäten von agender über enby bis neutrois (sowie vielen weiteren mehr) ein mittlerweile auf ein respektables Ausmaß gewachsenes Angebot verschiedener Begriffe, die das Versprechen bergen, für jeden eine Identifikationsmöglichkeit abseits der Geschlechtsbinarität bereitzustellen« (Sanolas 2018, 190, Hervorh. i. O.).^

  16. Vgl. www.queerulantin.de.^

  17. So wies Roswitha Scholz darauf hin (etwa im Nachwort zur 2. Auflage von Scholz 2011), dass es bereits in den 90er Jahren Kritiken an Queer gab, so etwa in der Zeitschrift Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis sowie in der radikal lesbisch-feministischen Zeitschrift Ihrsinn.^

  18. Es verwundert ihnen zufolge auch nicht, so Janz & Steffens weiter, dass Sadismus/Masochismus in der queeren Bewegung, »der Praxis-Abteilung der postfeministischen Theorie«, Raum findet (ebd.). Vgl. auch Jeffreys 1994, insbes. 106-128: »Rückkehr zum Gender - Postmodernismus und lesbische und schwule Theorie« und 210-231: »Sadomasochismus - Der erotische Kult des Faschismus«.^

  19. Verwandt mit Weiß' Untersuchung ist die schon weiter oben bereits angedeutete, etwas ältere von Stefan Hirschauer: Die soziale Konstruktion der Transsexualität, Frankfurt 1993.^

  20. Auch die Psychoanalyse lehnt es in der Regel ab, Transsexuelle in die Behandlung zu nehmen, d. h. zum transsexuellen Identitätskonflikt mit Hilfe psychoanalytischer Methoden, statt mit chirurgischen und endokrinologischen, Zugang und Lösungswege zu finden, vgl. Becker 2013.^

  21. Das Wort >Transsexualismus< fand erst in den 1950er Jahren Eingang in die englische Sprache. Seine Erfindung 1949 wird (oft) David O. Cauldwell (1897-1959) zugeschrieben. Durchgesetzt hat sich der Begriff in den 60er Jahren (Raymond 1994, 20).^

  22. Foucault meint hier männliche Homosexuelle. Wie Sheila Jeffreys anmerkte, hat Foucault »Lesben überhaupt nicht und Frauen nur am Rand berücksichtigt« (Jeffreys 1994, 33). Zur Geschichte weiblicher Homosexualität vgl. Kokula 1981.^

  23. Hirschfeld vertrat allerdings auch eugenische Ideen, was an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden kann. Vgl. dazu Sigusch 2008, 371-387.^

  24. Mark Barry Sulcov: Transsexualism: Its Social Reality, Indiana University 1973.^

  25. Die ersten geschlechtsumwandelnden Operationen fanden dann in den frühen 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts statt.^

  26. Ein weiteres Anwendungsfeld für Steinachs Hodentransplantationen bestand darin, verstümmelte Opfer des Ersten Weltkrieges zu behandeln.^

  27. So geht die heutige medizinische Forschung davon aus, dass die Ursache von Transsexualität vor allem in einer pränatalen hormonellen Beeinflussung des Gehirns zu finden ist. Mann-zu-Frau-Transsexuelle hätten demnach ein >weibliches< Gehirn und Frau-zu-Mann-Transsexuelle ein >männliches< (vgl. Haupt 2012). Zur Kritik an der Neurobiologie im Allgemeinen siehe auch Hasler 2012 und Zunke 2012 sowie den Vortrag von Christine Zunke: Frauenhirne - wie ideologischer Unsinn zur wissenschaftlichen Tatsache wird (2016), www.youtube.com/watch?v=Bk9c8eg2AAo.^

  28. Ähnlich formuliert es auch Hirschauer: »In der Medizin wird also meist mit dem Konzept der Transsexualität geographische und historische Universalität beansprucht. Unter Abstraktion von ihrem jeweiligen sozialen Kontext werden Phänomene des Geschlechtswechsels in anderen Kulturen und Epochen mit den Konzepten der eigenen zeitgenössischen Kultur begriffen und der >Transsexualität< subsumiert« (Hirschauer 1993, 67). Hirschauers Schussfolgerung: »Der erste Transsexuelle war kein Transsexueller. Das Empfinden, in Wahrheit dem anderen Geschlecht anzugehören, und der Wunsch, den Körper operativ korrigieren zu lassen, entstehen in einem historischen Kontext, in dem auch juristische Diskurse und polizeiliche Verfolgungen von Homosexuellen, biologisches Wissen über Intersexuelle, die chirurgische Behandlung anderer sexueller Minderheiten und andere sexologische Diskurse ihre Wirkungen hatten« (ebd. 113f., Hervorh. i. O.).^

  29. Ira Basil Pauly. Amerikanischer Psychiater.^

  30. Allerdings ist zu betonen, dass die größere Toleranz gegenüber geschlechtsuntypischem Verhalten bei Mädchen, wie dargelegt, nicht aus einem frauenfreundlichen Impetus erfolgt, sondern, wie Wagner und Linkerhand es formulieren, aus einem frauenfeindlichen, gewissermaßen aus einem Impetus des Nichternstnehmens und des Abwertens: »Gerade weil der kindliche Alltag von kulturindustrieller Produktion durchzogen ist, wird es zunehmend schwieriger für Mädchen, Puppen und zartfarbene Kleidchen links liegen zu lassen und einfach Wildfang zu sein; genauso wie Jungs es kaum noch wagen können, zum Spielzeug ihrer Schwester zu greifen und sich damit als weiblich zu identifizieren und sich dem Gespött der anderen Kinder auszusetzen. Der frauenfeindliche Charakter dieses Tabus enthüllt sich darin, dass der Rollenwechsel immer noch weniger sanktioniert wird, wenn ein Mädchen sich mit Jungendingen beschäftigt, als umgekehrt: Für sie bedeutet es - in gewissem Rahmen - eine Aufwertung, mit den Jungen mithalten zu können, für ihn eine Abwertung, sich mit Mädchen abzugeben« (Wagner/Linkerhand 2013, 68).^

  31. Das Gleiche stellt auch Raymond in ihrer Untersuchung fest (Raymond 1994, XIIIf.). Es werden aber von Weiß und Raymond noch weitere mögliche Gründe aufgeführt, warum ein Übergewicht von Mann-zu-Frau-Transsexuellen festzustellen sei: »Vielleicht können Männer aber auch nur ihren Wunsch häufiger umsetzen als Frauen oder haben ihn konsequenter verfolgt, weil die Möglichkeiten der Genitaltransformation weiter entwickelt sind? Oder weil die Massenmedien hauptsächlich Mann-zu-Frau-Transsexuelle als Vorbilder angeboten haben? Oder weil die diagnostischen Hürden für einen Wechsel zum privilegierten männlichen Geschlecht höher liegen als beim umgekehrten Geschlechtswechsel?« (Weiß, 374). Raymond führt auch noch auf, dass »there are more male-to-constructed-female transsexuals because men are socialized to fetishize and objectify« (Raymond, 24f., hier: 29.).^

  32. In Deutschland seit 2011 durch einen Entscheid des Bundesverfassungsgerichtes. 2024 wurde dann das >Selbstbestimmungsgesetz<, welches das alte Transsexuellengesetz ablöst, das eine Änderung des Personenstandes ohne Gutachten, ohne medizinische Eingriffe usw. erlaubt, verabschiedet.^

  33. Daher ist heute gern von >Transgender< statt von Transsexualität die Rede.^

  34. So berichtet Weiß darüber, dass manche nur jenen Mann-zu-Frau-Transsexuellen die chirurgische und hormonelle Geschlechtsumwandlung geneigt waren zu genehmigen, die dann als Frauen durchgehen würden. Dazu schrieb etwa der Psychoanalytiker und Psychiater Robert J. Stoller (1925-1991) 1975: »Ich glaube, der konservativste - und humanste - Weg fortzufahren wird sein, >Geschlechtsumwandlungen< auf die femininsten Männer zu beschränken. Ich glaube, andere Fachmänner können meine Erfahrung bestätigen, dass all diese Patienten in der Gesellschaft lautlos (!), vollständig und dauerhaft als Frauen durchgehen.« Stoller zit. nach Weiß, 297^

  35. Die vor einigen Jahren wegen >Plagiatsvorwürfen< in Ungnade gefallen ist. Wie auch immer solche Fehler beurteilt werden, ob sie aus Nachlässigkeit, fehlender Wahrhaftigkeit oder Publikationsdruck geschahen, muss scharf kritisiert werden, wenn sie zu einer Exkommunikation führen, insbesondere dann, wenn solche Vorwürfe anscheinend erst aus einer politischen Motivation heraus aufkommen bzw. wirksam werden, wenn jemand streitbare Positionen vertritt.^

  36. Das zeigt sich offensichtlich beim oben erwähnten Kindergarten, in dem das vom Kind >bevorzugte Geschlecht< bei der Anmeldung von den Eltern angekreuzt werden soll.^

  37. Welch absurdes Ausmaß die sogenannte Selbstoptimierung annehmen kann, zeigt beispielsweise der Software-Entwickler Rob Rhinehart, der selbst das Essen ernsthaft für Zeitverschwendung hält und sich daher nahezu ausschließlich durch ein Pulvergemisch ernährt. Das ist schnell runtergespült und spart in der Tat jede Menge Zeit. Das kaufbare Pulvergemisch heißt übrigens Soylent, siehe https://en.wikipedia.org/wiki/Soylent_(meal_replacement).^

  38. So wie durch die Erfindung neuer Personalpronomen. Mittlerweile kann das Verwenden eines falschen Pronomens in Deutschland dank des umstrittenen Selbstbestimmungsgesetzes ein Straftatbestand sein! In den USA wurden Gesetze, die die Menschen dazu zwingen sollen, >richtige< Pronomen zu benutzen, als verfassungswidrig eingestuft (vgl. Blackman 2016).^

  39. So weiß Koschka Linkerhand von jenen »Schüchternen [zu berichten], die neuerdings ihre Identität als introverts formieren und gesellschaftliche Anerkennung dafür einfordern, dass sie am Buffet nicht den Mund aufkriegen« (Linkerhand 2017, 53, Hervorh. i. O.).^




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