Exit! – nun sag, wie hältst du’s mit der Religion?Eine KlarstellungRoswitha Scholz
Seit einiger Zeit wird im Exit!-Zusammenhang wiederholt Unmut geäußert, dass bei uns auch Theologen mitarbeiten und publizieren. Es ist die Rede von „antiklerikalen Kreisen“, denen das aufstößt. Es werden Befürchtungen laut, dass Exit! womöglich ins Religiöse abdriften und die Zeitschrift von einschlägigen Tendenzen überrollt werden könnte. Die Wert-Abspaltungs-Kritik müsse atheistisch sein – schon „der Nazi-Opa habe in der Kirche brav seine Kniebeugen gemacht“ usw. Die Gretchenfrage wird gestellt. Es handelt sich hier offenbar um archaische Ängste der Linken, die in traditionsmarxistischen Gefühlslagen wurzeln. Könnte es sein, dass sich dabei auch eine verkürzte Kritik der Aufklärung artikuliert, die sich damit schwer tut, dass die kapitalistische Gesellschaft von ihrem irrationalen Selbstzweck der Kapitalvermehrung und der damit einhergehenden Abspaltung geprägt ist? Hier gilt es einige Missverständnisse auszuräumen. Um es klarzustellen: Das Gros von uns glaubt nicht an Gott (egal welchen) und ist auch nicht in irgendeiner Weise religiös. Für uns sind philosophisch-theologische Reflexionen jedoch eine Richtung, in der die Wert-Abspaltungs-Kritik ausgearbeitet werden kann. Nicht mehr und nicht weniger. Theologie stellt dabei in einem interdisziplinären Kontext ein Feld neben anderen Feldern dar, z.B. Sozialpsychologie, Feminismus, Kritik der Naturwissenschaften, Politiktheorie usw., um das kapitalistische Patriarchat auf verschiedenen Ebenen und mit seinen unterschiedlichen Facetten zu erfassen. Vielleicht wäre eine Beschäftigung mit Theologie auch durchaus sinnvoll, um den Fetischcharakter der kapitalistischen Verhältnisse und ihre Irrationalität besser durchschauen zu können? Manche treibt stattdessen gar die Angst um, dass darüber hinaus in Exit! nun christlich missioniert werden soll! Dass Herbert Böttcher sich etwa in seinem Paulus-Artikel auf meinen Artikel: „Die Rückkehr des Jorge“ (2006 in: Exit! Nr.3, exit-online.org) bezieht, in dem ich dezidiert eine Kritik an der „Christianisierung des Zeitgeistes“ betreibe, wird übersehen, ebenso, dass Kirche nicht nur als „unternehmerische Kirche“ (vgl. Böttcher 2020 in: Exit! Nr.17) kritisiert wird, sondern eine Kritik an Kirche und Christentum wesentlich zu einer Theologie gehört, die sich an der Wert-Abspaltungs-Kritik orientiert. Dies sollte eigentlich erst gar nicht extra gesagt werden müssen. Dazu gehört auch eine grundsätzliche Kritik einer solchen Theologie an „Ethik“ überhaupt, die ihrem ganzen Wesen nach affirmativ ist und insbesondere auch in den Kirchen anzutreffen ist. Manche trauen uns jedoch offenbar fast schon zu, dass wir selbst noch mit Evangelikalen oder den Zeugen Jehovas kooperieren könnten! Dabei muss in Erinnerung gerufen werden, dass Exit! prinzipiell nicht „missioniert“. Wir sind nicht von der Heilsarmee. Agit-Prop-Attitüden und ein falscher Politizismus liegen ihr bekanntlich fern,– gerade das wird uns ja häufig zum Vorwurf gemacht – und dies gilt ebenso für die philosophisch-theologischen Ausarbeitungen in dieser Zeitschrift. Es handelt sich hierbei um theoretisch-„wissenschaftliche“ Überlegungen in einem szientistisch-skeptischen Horizont der Wert-Abspaltungs-Kritik, die sich von empirie-, praxis- und handlungsfetischistischen Intentionen grundsätzlich abgrenzen, (was ein reflektiertes gesellschaftliches Engagement keineswegs ausschließt, siehe Böttcher: Handlungsfetischismus, 2020, auf: www.exit-online.org). Theorie wird hier, wie bei Exit! insgesamt als eigenständiges Praxisfeld im gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang gesehen, die sich der (politischen) Praxis auf keinen Fall unterwerfen darf, um der Gesamtgesellschaft und (vermeintlich) oppositionellen Bewegungen den Spiegel rücksichtslos vorhalten zu können. Dies beinhaltet selbstverständlich auch Kritik an der Kirche, christlichen Traditionen und entsprechenden Missionierungs-Zudringlichkeiten, aus der Sicht der Theologen bei Exit!. Exit! insgesamt ist bekanntlich – zum Leidwesen mancher – einer (notgedrungenen) Publikumsbeschimpfung näher als eine „einfühlsame“ beifallheischende wert-abspaltungskritische Propaganda-Ausrichtung aufzunehmen. Einer Gesellschaftskritik, die vor einem theologischen Standpunkt aus betrieben wird, zu unterstellen, sie gehe mit den hegemonialen kirchlichen Strömungen konform, wäre ungefähr so wie Exit! zu unterstellen, sie ginge mit einer marxistischen Orthodoxie d’accord, ohne hier Unterschiede zu machen und die Kritik gerade an einem Traditionsmarxismus zu übersehen. Dabei sind Wert-Abspaltungs-TheoretikerInnen auch noch in links-theologischen Kontexten absolute Außenseiter. Bei Linken hat man dabei häufig den Eindruck, dass für sie gilt, was Walter Benjamin schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschrieben hat, nämlich, „die Theologie“ sei heute „bekanntlich klein und hässlich“ und dürfe sich „ohnehin nicht blicken lassen“. Wenn der historische Materialismus die Theologie in seinen Dienst nehme, könne er es ohne weiteres mit jedem aufnehmen“ (Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte, in: ders.: Abhandlungen, Gesammelte Schriften, Band I.2, Frankfurt/Main 2015). Diese Bemerkung, mit der Benjamin seine Thesen „Über den Begriff der Geschichte“ beginnt, steht im Zusammenhang seiner Kritik am Historismus sowie an einem den Fortschritt als „Gesetz“ der Geschichte scheinbar verbürgenden historischen Materialismus. Sowohl der Historismus als auch der historische Materialismus versuchen, einen ‚Gesamtsinn‘ der Geschichte zu formulieren (Historismus) bzw. Praxis in einer geschichtlichen (Fortschritts-)Teleologie zu begründen (historischer Materialismus). In beiden Varianten ist der Lauf der Geschichte ontologisch gesichert. Insofern schleppen beide das Erbe einer theologischen Ontologie mit sich. In diesem Sinn sind sie selbst theologisch unterwegs und trotz allen atheistischen Gehabes ‚Theologie‘ keineswegs losgeworden. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, um so heftiger und prinzipiell ‚Theologie‘ abzuwehren – sozusagen a priori, also ohne sich historisch und inhaltlich damit beschäftigt zu haben. Wie auch immer: Vor dem von Benjamin kritisierten historischen Materialismus ist die Theologie „klein und häßlich“ und soll „sich nicht blicken lassen“. Wenn Benjamin nun davon spricht, dass das, „was man ‚historischen Materialismus‘ nennt“, die Theologie in ihren Dienst nehmen solle, zielt er auf die Korrektur eines kruden Materialismus und einen in stalinistischer Orthodoxie erstarrten Marxismus. Dessen ontologisierte Orthodoxie kann möglicherweise eine Theologie unterbrechen, die als ‚schwache messianische Kraft‘ und als negative (weil anti-ontologische) Theologie auf die Geschichte blickt und ihren vermeintlich unbeirrbaren Gang zu unterbrechen vermag, um im Innehalten angesichts der historischen Aporien kritische Reflexion zu ermöglichen. Der Ostblock-Sozialismus ist längst verblichen, Exit! hat mit einem historischen Materialismus nichts am Hut und die Kirchen haben ihren Kredit längst verspielt, wie die vielen Kirchenaustritte beweisen. Dennoch scheint ein gleichsam theologisch ontologisierter Materialismus/Atheismus in wert-abspaltungs-kritischen Zusammenhängen noch immer nachzuwirken. Überhaupt wäre zu überlegen, was wir mit einem die Theologie miteinbeziehenden Theoretiker wie Walter Benjamin machen, der für die Wert-Abspaltungskritik, z.B. was die Kritik an einer Fortschrittsideologie angeht, vielleicht inspirierend sein könnte? Beschäftigen wir uns mit seinem Werk dann von vornherein nicht? Solche Berührungsängste kannten Adorno und das Institut für Sozialforschung nicht. Bekanntlich war Walter Dirks, ein linker katholischer Theologe, einige Jahre am Institut für Sozialforschung tätig und hat mit Adorno die „Soziologischen Exkurse“ herausgegeben. In den Einwänden gegen eine theologische Beteiligung an Exit! wird häufig deutlich, dass der Atheismus prinzipiell auf die Unschuldsliste gesetzt wird. Nicht gesehen wird, dass der Atheismus selbst regelrecht religiös in einem positivistischen Kontext behauptet wird (man schaue sich nur die Bewegung der „Brights“ an https://de.wikipedia.org/wiki/Brights, ganz davon abgesehen, dass ein Ostblockmarxismus nicht weniger Dreck am Stecken hat als ein Christentum (beim Ostblocksozialismus kann leider platterdings ohne weiteres auf Stalin und Enver Hoxha verwiesen werden). Noch einmal zum Mitschreiben: Theologie ist im interdisziplinären Exit!-Projekt nur ein Feld unter vielen, das beackert wird, das nicht für das Projekt als Ganzes steht. Hinzu kommt noch, dass wir keine Partei mit einem entsprechenden Programm sind. Zwar gibt es bei uns einen Grundkonsens der Wert-Abspaltungs-Kritik, das heißt aber nicht, dass sich alle in allem einig sind bzw. sein müssen. Bei dieser Gelegenheit muss auch wieder einmal dran erinnert werden, dass in den letzten Jahren etliche säkulare Linke sozusagen auf die schiefe Bahn geraten sind: (der Kern der „Antideutschen“, Elsässer, Bahamas & Co., sind hier nur krasse Beispiele). Vor diesem Hintergrund muss in Querfront-Zeiten darauf gepocht werden, sich mit allen jenen zusammenzutun, die noch bei Sinnen sind, um eine emanzipatorische Dimension voranzutreiben. Es gilt somit genauer hinzuschauen und nicht nur in Bezug auf kritische Theologie die Vorurteilsbrille abzulegen, um Querfrontpolitiken die Stirn zu bieten. Selbst von (ehemaligen) atheistisch gestandenen Exit!-Mitgliedern hört man, dass sie z. B. Verschwörungstheorien anheimfallen, Zeitschriften wie Rubikon unterstützen, mit Querfrontlern diskutieren u.ä. Da sind mir reflektierte Theologen schon näher, die sich ohne falsche missionarische Hintergedanken explizit auf eine „Theologie nach Ausschwitz“ in der Tradition der Frankfurter Schule beziehen (das nur zum „Nazi-Opa, der in der Kirche immer brav seine Kniebeugen gemacht hat“ – s.o.), Antisemitismus anprangern, die heutige Flüchtlingspolitik vehement kritisieren, gegen eine „falsche Unmittelbarkeit“ zu Felde ziehen und eine heuchlerische Ethik in Frage stellen, wenn barbarische Tendenzen und auch (gruppenspezifische) Selbstbezogenheiten im Verfall des kapitalistischen Patriarchats immer mehr um sich greifen. In diesem Zusammenhang ist ein Vortrag Christoph Türckes von 2018 (auch wenn Türcke zu Recht nicht ganz unumstritten ist, aber es geht hier ja nicht um die Goutierung seiner Ansichten als Ganzes) zu empfehlen, „Adornos inverse Theologie. Religion und Aufklärung in der Kritischen Theorie“ (https://vimeo.com/272387618), der zum Schluss auch auf die religiöse Dimension des Atheismus eingeht, um hier zunächst einmal etwas mehr Klarheit zu schaffen, jenseits einer platten, dem Exit!-Projekt unangemessen, um nicht zu sagen unwürdigen Auseinandersetzung, die noch nicht einmal an das Niveau von „Don Camillo und Peppone“ heranreicht. Heute stehen in der kapitalistischen Kollaps-Ära ganz andere Probleme an. Damit gilt es sich auseinandersetzen, anstatt sich auf solch lächerlichen Nebenschauplätzen zu tummeln und dabei unnötig Energien zu verschwenden. |