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Thomas Meyer: Kinderfrei statt CO2 - Gebärstreik als Maßnahme für den Klimaschutz?


Zuerst erschienen in Graswurzelrevolution Nr. 448 (April/2020)

Kinderfrei statt CO2 – Gebärstreik als Maßnahme für den Klimaschutz?

Thomas Meyer

 

Im Zuge der Klimaschutzdebatte wurde u.a. an Fridays for Future von manchen moniert, dass sie kaum mehr als eine konformistische Rebellion sei (so jedenfalls Stepelfeldt 2019, vgl. ebenso Hofmann 2020). Dies wird vor allem damit begründet, dass die Kritik den Einzelnen und sein Konsumverhalten in den Fokus nehme. Eine Kritik der kapitalistischen Produktionsweise bliebe ausgespart.

Die Konsequenzen, die man auf Seiten der Politik zu ziehen bereit ist, sind mehr als dürftig, ja lächerlich. Ein paar Steuer- und Preis-Stellschrauben, einige Modernisierungen, wie das famose Elektroauto. Auch hier wird nur grundsätzlich betriebswirtschaftlich gedacht, d.h. von der Perspektive des Einzelkapitals und nicht von der Perspektive des gesamten stofflichen Umsatzes und aller damit einhergehenden Konsequenzen – diese werden wie üblich ignoriert oder externalisiert. Dem Ernst der Lage wird nicht einmal ansatzweise Rechnung getragen.

Unterbleibt eine Kritik der kapitalistischen Lebens- und Produktionsweise, dann muss die Problematik notwendigerweise eine der bloßen Technik und individuellen Einstellung sein. Der Kapitalismus und seine verrückte Gebrauchswertproduktion wird nicht als historisches Produktionsverhältnis erkannt, sondern er wird mehr oder weniger naturalisiert. Daraus folgt, dass dem Klimawandel nur dann beizukommen sei, wenn die Menschen ihr Konsumverhalten ändern, öko-vegan-grün leben, Verzicht üben, keine Flugreisen mehr buchen usw.. Der Kapitalismus möge dann grün werden und alles werde gut.

Dass der Kapitalismus soziale Katastrophen produziert ist freilich alles anderes als neu. Schon immer war es die Neigung der aufgeklärten bürgerlichen Gesellschaft, sich gegen die Herausgefallenen und Elenden zu wenden, anstatt gegen die gesellschaftliche Dynamik, die dieses Elend überhaupt erst hervorbringt. Das Elend wurde in der Regel naturalisiert oder biologisiert. Es sind eben die Erbanlagen, die zum Alkoholismus führen. Oder eben auch übertriebene soziale Ansprüche, wie sie Ideologen wie Hayek stets ein besonderer Dorn im Auge waren (vgl. Kurz 1999, 642ff.).

Stößt der Kapitalismus also bestimmte Menschengruppen oder Menschenmassen ab, in dem Sinne, dass der Arbeitsmarkt sie nicht absorbieren kann, sie also ihre Arbeitskraft nicht verkaufen können, dann wird das Problem nicht in der Unterwerfung der Menschen unter Arbeitsmärkte gesehen oder in der Zerstörung ihrer Subsistenz bzw. Vertreibung von dieser, – nein – es sind die Menschen selbst, die die Frechheit begannen haben überhaupt zu existieren und dann noch wagen, sich zu beschweren. Eine Armenfürsorge (so dürftig diese auch sei) wäre also unverantwortlich, da sie das Los der Armen überhaupt noch verschlimmere. Die Armen würden sich noch weiter vermehren und alles würde schlimmer werden. Es gibt Menschen, die halt in der Lotterie des Lebens die Niete gezogen haben. Dies war im Wesentlichen die menschenfeindliche Argumentation des reaktionären Pfaffen Robert Malthus mit seinem »Bevölkerungsgesetz« (vgl. Malthus 1977 sowie zur Kritik des »Bevölkerungsgesetzes« Mielenz 2008 und Kurz 1999, 138ff.).

Im 20. Jahrhundert wurde der Malthusianismus wieder aufgegriffen: Haupthindernis für die nachholende Entwicklung von Dritte-Welt-Ländern sei das Bevölkerungswachstum. So war man bestrebt das Bevölkerungswachstum in der Dritten Welt zu reduzieren. Dazu wurde Entwicklungshilfe an entsprechende Maßnahmen gekoppelt. Diese Maßnahmen bestanden u.a. darin, an Frauen der Dritten Welt neue Verhütungsmethoden zu testen, die in den Industrieländern nicht zugelassen wurden (vgl. dazu z.B. die Aufsätze in: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis Nr.14). In den 1970er Jahren, als die ökologische Zerstörung Thema wurde, wurde das malthuisianische Gedankengut mit der Ökologie verknüpft. Die »Bevölkerungsbombe« gefährde den Planeten und die »Grenzen des Wachstums« wären bald erreicht.

Es sollte einen also immer aufhorchen lassen, wenn eine Kritik an der kapitalistischen Produktions- und Lebensweise, die auf immer höherem Ressourcenverbrauch basiert (selbst für den letzten Idioten an der sog. »Geplanten Obsoleszenz« erkennbar) und auf der Gleichgültigkeit gegen Mensch und Natur, genau dadurch umgangen wird, indem die bloße Anzahl oder Vermehrungsrate von Menschen (natürlich meist die in den Entwicklungsländern – was zweifellos auch eine rassistische Komponente hat) zum eigentlichen Skandalon gemacht wird.

In diese Richtung argumentiert auch das Buch Kinderfrei statt Kinderlos von Verena Brunschweiger, das 2019 Furore gemacht hat. Zu erwähnen ist, dass ein antinatalistischer Diskurs im englischsprachigen Raum viel weiter verbreitet ist als in Deutschland, insofern handelt es sich bei Brunschweigers Position keineswegs um eine ›Exotenmeinung‹.

Sie selbst versteht sich als Feministin und kritisiert zu Recht die Ideologie der Mutterschaft, nach der eine Frau nur dann ein erfülltes Leben hätte, wenn sie Kinder in die Welt setze, was angeblich ihrer Natur entspräche (eine Position, die sie u.a. an Birgit Kelle kritisiert). Sie kritisiert damit die Diskriminierung von kinderlosen bzw. kinderfreien Frauen. Brunschweiger konstatiert, dass in den westlichen Gesellschaften ein antifeministischer backlash stattfinde, nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer pronatalistischen Offensive von Faschisten, wie der AfD.

Thema des Buches sind auch die Zumutungen, die Kinderfreie erdulden müssen, wenn sie Eltern und ihren lärmenden Kindern ausgesetzt seien, die, Brunschweiger zufolge, sich erdreisteten zu meinen, sich in der Öffentlichkeit anscheinend alles erlauben zu können. So begrüßt sie kinderfreie Cafés. Sie kritisiert des Weiteren fehlende Verhütungsmöglichkeiten von Frauen in Dritte-Welt Ländern, die keineswegs Lust hätten ihr Leben lang zu gebären. Sie kritisiert auch das entgegengesetzte Phänomen, Kinder auch dann in die Welt setzen zu müssen, obwohl Mann/Frau dazu nicht richtig in Lage sei, d.h. sie kritisiert die Reproduktionstechnologien, die den Mutterschaftskult fortsetzen und selbst frauenverachtend seien, da häufig die Nebenwirkungen verschwiegen oder verharmlost, und Frauen durch die Technologien der künstlichen Befruchtung mehr oder weniger auf Vieh reduziert würden (sie beruft sich dabei auf die Feministin Janice Raymond: Die Fortpflanzungsmafia, vgl. auch Meyer 2018).

In ihrem Buch beschreibt sie die Konsequenzen für ein Paar, das Kinder in die Welt setzt. Das romantische Liebesideal, gerade in Kombination mit Kindern, sei letztendlich nichts anderes als barer Unsinn. Kinderfreie seien glücklicher als Eltern, so diverse Studien. Kinderfreie im Unterschied zu Kinderhabenden hätten demnach eher die Möglichkeit ihr Leben zu genießen, beruflich voran zu kommen und sich für Klimaschutz zu engagieren (!). Ein Paar, aber noch mehr die entsprechende Mutter, werde durch die Sorgetätigkeit aufgezehrt, so dass sich immer alles nur im die Kinder drehe und alle anderen Sozialkontakte, oder Aktivitäten, die mit Familie und Kinder nichts zu tun hätten, würden aus dem Leben verschwinden. Das Resultat seien »mombies« und »daddioten«. Letztere seien Väter, die sich schon etwas drauf einbildeten, als Mann einen Kinderwagen schieben zu können und dafür Anerkennung einforderten. Von Gleichberechtigung bzw. Gleichaufteilung der Erziehung und Hausarbeit auf beide Elternteile sei kaum etwas zu spüren. Auf phänomenologischer Ebene hat sie durchaus recht, nur macht sie sich an keiner Stelle Gedanken (abgesehen davon, dass die Väter den Großteil aller Erziehungs-, Pflegearbeit und Hausarbeit nicht den Müttern überlassen sollten), wie die Reproduktionstätigkeiten gesellschaftlich organisiert werden könnten, ohne dass diese nicht nur zu einer einzigen Zumutung und Tortur für die Betroffenen werden. Eine Kritik der Arbeit und des abgespaltenen Bereichs fehlen. Ihre Ausführung wirken wie eine Naturalisierung des abgespaltenen Bereichs (zur geschlechtlichen Abspaltung vgl. Scholz 2011 und 2017). Weil dieser eine Zumutung sei, sei nur die Option einer feministischen Position entsprechend, auf Kinder zu verzichten. Frauen mit Kindern seien zudem viel mehr von Mann anhängig als Frauen ohne Kinder. Dies habe mit dem Gender-Pay-Gap zu tun. Für Mütter bedeute das Mutterdasein einen Karriereknick und lohngearbeitet werde meist nur in Teilzeit.

Das Perfide an dem Buch ist aber vielmehr die Verknüpfung eines kinderfreien Lebensstils mit dem Klimaschutz: »Es ist eine Zumutung, von kinderfreien Frauen ständig Erklärungen für ihre Entscheidung zu fordern. Es bedarf einer neuen sozialen Norm, die umgekehrt von Eltern eine Erklärung dafür erwartet, warum sie glauben würden, gerade sie hätten das Recht, unser aller Leben auf diesem Planeten noch weiter zu gefährden (!)« (Brunschweiger 2019, 50, Hervorh. i. O.) So solle zwecks CO2-Einsparung auf Kinder verzichtet werden. Sie beruft sich dabei auf diverse Studien (vgl. Schrader 2019). Sie unterstellt, dass die bloße Anzahl der Menschen das Problem sei und schließlich zum Ruin dieses Planeten führe. Hier wird deutlich, dass die Lebens- und Produktionsweise des Kapitalismus naturalisiert wird. Je mehr Menschen um so mehr Flüge und Müllberge sozusagen. Reduziere man also die Geburtenrate, so dass die Anzahl der Menschen insgesamt schrumpfe, könne sich der Planet wieder erholen. Auf Kinder zu verzichten sei auch deswegen eine richtige Entscheidung, »[d]enn die allerwenigsten Kinder lösen später als Erwachsene das Plastikproblem im Ozean oder beenden die ungerechten Verteilungsverhältnisse auf unserem Planeten. Die allermeisten werden ein mittelfristiges Dasein als Konsument_innen fristen und Ressourcen verbrauchen, die auch jemanden nutzen könnten, der schon da ist, oder die, natürlich noch viel besser, am besten gar nicht erst verbraucht würden« (ebd. 130). Solche Worte drücken nichts anderes als eine bedingungslose Kapitulation aus. Dass das moderne Konsumspektakel kritisiert und überwunden werden könnte, schließt sie offensichtlich aus. Kinder werden notwendigerweise so borniert wie ihre Eltern. Besser wäre es also, sie wären erst gar nicht geboren worden. Wir lernen also: Je weniger Menschen, umso weniger Ressourcenverbrauch, umso weniger Idioten. Der Antinatalismus diente also nicht nur dazu eine Frau vor dem patriarchalen Familienknast zu bewahren, sondern auch den Planeten zu retten. Je mehr Menschen es gibt, umso mehr Elend, umso mehr Ressourcen werden verbraucht, um so schlechter geht es der Erde. Folgerichtig beruft sie sich auch auf den antinatalistischen Philosophen David Benatar, der argumentierte, moralisch sei es geboten »so wenig Leid wie möglich zu verursachen«. Daher gibt es nach Benatar »eine moralische Verpflichtung […], sich nicht zu reproduzieren« (ebd., 37 und 36, Hervorh. i. O.). Weniger Menschen, weniger Leid. Ein Mensch der nicht geboren wurde, leidet nicht. So einfach ist das. Wieder einmal ein grandioser Beitrag zum Humanismus, wie man ihn schon an anderer Stelle zur Euthanasie-Debatte erleben konnte (Peter Singer). Aber es kommt noch besser: Brunschweiger beruft sich auch auf solche menschenfeindlichen Vereinigungen wie das VHMT, das »Voluntary Human Extinction Movement (!!!), deren Überzeugung es ist, dass der Rest der Biosphäre eine Chance auf Erholung bekomme, wenn der Mensch erst aus ihr verschwunden ist« (ebd., 117). In einem Interview mit dem Westfalen-Blatt (13.3.2019) sagte Brunschweiger, dass ihr zwar eine solche Position »zu krass« sei. Aber, so Brunschweiger weiter, sie »verstehe, dass es Menschen gibt, die das gut fänden. Es wäre für die restliche Biosphäre natürlich nicht schlecht, wenn die sich mal ein bisschen erholen könnte vom Menschen und die Tiere und Pflanzen ein bisschen in Harmonie leben könnten. Aber wenn wir in Deutschland 38 Millionen statt 80 Millionen wären, dann würde es passen, dass eine Erde reicht. Aber momentan bräuchten wir drei Erden«. Auf der anderen Seite deutet sie an, dass die Zerstörung der Umwelt doch nicht nur von der bloßen Anzahl der Menschen abhängt, so erwähnt sie, dass ein britisches »Kind 30 Mal mehr die Umwelt verschmutzt und die Ressourcen vergeudet als ein Kind aus der Sub-Sahara« (ebd., 112). Diesen Gedanken verfolgt sie nicht weiter, zumal sie wohl implizit voraussetzt, dass mehr Wohlstand auch mehr Angleichung an die westlichen kapitalistischen Staaten bedeutet, mit der entsprechenden Ressourcenverschleuderung.

Zusammengefasst könnte man formulieren, dass wer nicht über den Kapitalismus sprechen will, also über den »Widerspruch zwischen Stoff und Form« (Ortlieb 2019), auch zur Ökologie schweigen sollte. Kommt aber die destruktive Verwertungsdynamik des Kapitalismus, d.h. die Verwertung des Werts, die Produktion um der Produktion willen usw., nicht zur Sprache, so läuft jede Klimaschutzmaßnahme im Wesentlichen auf ein olivgrünes ›Weiter so‹ hinaus oder steigert sich in menschenfeindliche Agitation: ›Der Mensch‹ sei schlussendlich das Problem und nicht eine irre Produktions- und Lebensweise.

Literatur

Brunschweiger, Verena: Kinderfrei statt kinderlos – Ein Manifest, Marburg 2019.

Kurz, Robert: Schwarzbuch Kapitalismus – Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft, Frankfurt 1999.

Hofmann, Christian: Zum »Ende der Klimakrise« (Buchrezension), in: Z – Zeitschrift marxistische Erneuerung, Nr. 121, März 2020, 202–206.

Malthus, Robert: Das Bevölkerungsgesetz, München 1977, zuerst 1798.

Meyer, Thomas: Zwischen Ektogenese und Mutterglück – Zur Reproduktion der menschlichen Gattung im krisenhaften warenproduzierenden Patriarchat, 2018, online: https://exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=35&posnr=583&backtext1=text1.php.

Mielenz, Christian: Wie die Karnickel – Biologisierung und Naturalisierung kapitalistischer Phänomene am Beispiel der These einer »Überbevölkerung«, in: exit! – Krise und Kritik der Warengesellschaft, Nr.5, Bad Honnef 2008, 105–126.

Ortlieb, Claus Peter: Ein Widerspruch zwischen Stoff und Form – Zur Bedeutung der Produktion des relativen Mehrwerts für die finale Krisendynamik, in: ders.: Zur Kritik des Modernen Fetischismus – Die Grenzen bürgerlichen Denkens, Stuttgart 2019, zuerst 2008, 263–293.

Schrader, Christopher: Die Kinder und der Klimaschutz, spektrum.de vom 13.3.2019, online: https://www.spektrum.de/news/die-kinder-und-der-klimaschutz/1629194.

Scholz, Roswitha: Das Geschlecht des Kapitalismus – Feministische Theorie und die postmoderne Metamorphose des Kapitals, 2. erw. Aufl., Bad Honnef 2011, zuerst 2000.

Scholz, Roswitha: Wert-Abspaltung, Geschlecht und Krise des Kapitalismus – Interview von Clara Navarro Ruiz mit Roswitha Scholz, 2017, online: https://exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=32&posnr=572&backtext1=text1.php.

Stapelfeldt, Gerhard: Klimawandel. Heiße Sommer, Trockenheit – Fridays for Future und Die Grünen als Volkspartei, 2019, online: https://www.kritiknetz.de/images/stories/texte/Stapelfeldt_Klimawandel.pdf.

Verein Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis für Frauen: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, Nr.14 (Frauen zwischen Auslese und Ausmerze), Köln 1985.




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