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Herbert Böttcher: Mit dem Terror der Hamas entlädt sich Antisemitismus weltweit


Mit dem Terror der Hamas entlädt sich Antisemitismus weltweit

Der barbarische Angriff der Hamas am Samstag, dem 07.10.23, war der schwerste Angriff auf Israel seit der Gründung des Staates. „Der Terrorkrieg der Hamas gegen Israel und vor allem die Brutalität gegen die Zivilbevölkerung übertrifft alles Vorstellbare. Unschuldige Menschen, ob jung oder alt, werden dahingeschlachtet, kaltblütig erschossen, entführt und gedemütigt. Tausende Raketen werden auf Israel geschossen und die Terroristen machen nicht vor Leichenschändungen halt… An einem Samstag, an dem so viele Juden ermordet wurden wie an keinem Tag seit der Schoa“, schreibt der Zentralrat der Juden. Bis heute befinden sich zahlreiche Geiseln, die in den Gazastreifen verschleppt wurden, in der Gewalt der Hamas. Israel wird mit ihnen erpresst und die verschleppten israelischen Menschen werden genauso wie die Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilde gegen militärische Gegenwehr Israels dem Tod ausgesetzt.

Trotz dieses barbarischen Terrors schreckten Palästinenserorganisationen und ihre AnhängerInnen in ihrem antisemitischen Wahn nicht davor zurück, den Angriff der Hamas als einen Befreiungskampf zu feiern, in dem die Befreiung Palästinas an die Vernichtung Israels geknüpft ist. Teile der Linken schließen sich dem weitgehend an. In der ‚jungen Welt‘ wird der Terrorangriff der Hamas eine „Hoffnung für Palästina“ genannt, ist die Rede vom Staatsterror Israels. Und wo Linke so weit nicht gehen wollen, verweisen sie auf die unschuldigen Opfer unter den Palästinensern, ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden, dass die Hamas in ihrem antisemitischen Vernichtungswahn die Bevölkerung im Gaza-Streifen zum Instrument ihres Terrors macht. Der angesichts des Terrors der Hamas öffentlich artikulierte Israel-Antisemitismus in der Linken könnte in Verbindung mit dem strukturellen Querdenker- und Verschwörungs-Antisemitismus zu einem ekelhaften und gefährlichen Gebräu werden, wenn dieser zum Durchlauferhitzer für offenen antisemitischen Wahn wird.

Latenter und manifester Antisemitismus entlädt sich über unterschiedlichen Gruppierungen hinweg weltweit. Das bleibt nicht auf Pro-Palästina-Communities und Teile der Linken beschränkt, sondern reicht bis in die Mitte von Gesellschaften. Selbst Solidaritätsbekundungen mit Israel kommen oft nicht ohne versteckte oder explizite Hinweise darauf aus, Israel eine Mitschuld am Terror der Hamas zuzuweisen. Zivilgesellschaftliche Organisationen und Hilfsorganisationen – von amnesty international, medico international bis zu pax christi – können sich kaum oder gar nicht dazu durchringen, die Hamas als das zu benennen, was sie ist: eine antisemitische Terrororganisation, die sich die Vernichtung Israels auf die Fahnen geschrieben hat und versucht, dieses Ziel in ihrem barbarischen Terror umzusetzen. Verurteilungen und Distanzierungen bleiben oft allgemein und so abstrakt. Sie distanzieren sich von ‚der‘ Gewalt, ohne die Gewalt der Hamas als Vernichtungsterror zu benennen und nicht ohne auf Israels Verantwortung für die Eskalation zu verweisen. Ohne Unterschiede deutlich zu machen, wird in abstrakter Ausgewogenheit auf beide Seiten und ihre Menschenrechtsverletzungen hingewiesen. Dass darin das antisemitische Stereotyp ‚Die Juden sind selber schuld‘ wirksam ist, kommt nicht in den Sinn oder wird billigend in Kauf genommen – verbunden mit einer ‚Scheinheiligkeit‘, die sich wiederum auf eine abstrakte Ebene flüchtet und behauptet, auf der Seite aller Opfer zu stehen und den unteilbaren Menschenrechten verpflichtet zu sein. Solche ‚Scheinheiligkeit‘ kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass über Jahrzehnte hin die Vernichtungsdrohung gegen Israel ebenso ignoriert wurde wie die Strategien, in denen sie verfolgt wurde.

Israel setzt sich gegen den Terror militärisch zur Wehr. Seitdem ist zu beobachten, wie diese Selbstverteidigung als unverhältnismäßige Rache an der Zivilbevölkerung in Gaza delegitimiert wird. Dieses Skript findet sich in Medien, in linken Texten wie in denen von Hilfsorganisationen und vor allem in der antisemitischen Hetze von Pro-Palästina-Bewegungen. Solche besorgten Gewalt-auf-beiden-Seiten Menschen und Organisationen, die auch angesichts des Terrors der Hamas betonen, was Israel alles den Palästinensern angetan hat, fokussieren ihre Kritik oft auch auf die Militärmacht Israels, die scheinbar willkürlich in Gaza bombardiert. In solchen Mustern wird mehr oder weniger direkt das Selbstverteidigungsrecht Israels in Frage gestellt und damit letztlich seine Existenzberechtigung.

Robert Kurz hat sich in dem 2009 erschienen Text „Die Kindermörder von Gaza“ mit dem Antisemitismus auseinandergesetzt, der sich gegen Israel als Staat im Kontext des Nah-Ost-Konflikts entlädt. Angesichts des Terrors der Hamas und der Reaktionen darauf, weisen wir auf diesen Text hin. Er macht auf Problemzusammenhänge aufmerksam, die von entsetzlicher Aktualität und für die Beurteilung von zentraler Bedeutung sind, u.a.:

- die falsche Unmittelbarkeit in Wahrnehmung und Praxis, die sich von der Reflexion des weltweiten gesellschaftlichen Zusammenhangs von den Krisenzusammenhängen der kapitalistischen Vergesellschaftung verabschiedet hat und einem blinden Pragmatismus huldigt, der sich nicht nur von theoretischer Reflexion verabschiedet, sondern zugleich mit zum Teil aggressiver Theoriefeindlichkeit aufgeladen hat. Die mit ihm einhergehende falsche Unmittelbarkeit treibt dazu, Konflikte und Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten zu verorten, ohne unterschiedliche Kontexte zu berücksichtigen. In der aktuellen Auseinandersetzung verbindet sich solcher Pragmatismus mit einem blinden Moralismus, der in moralischer Asymmetrie Israels Selbstverteidigung in den Fokus der Kritik nimmt. All das ist nicht ohne Rückgriff auf jenen unbewussten kollektiven Judenhass zu erklären, von dem Robert Kurz in seinem Text spricht.

- den Doppelcharakter des Staates Israel, der als Projekt der Rettung von Juden „eine Reaktion der Juden auf den weltweiten und insbesondere den europäischen Antisemitismus“ (Robert Kurz) war und der zugleich als kapitalistischer Staat den Verwerfungen ausgesetzt ist, den der Krisenprozess mit sich bringt. Darin ist Israel eben nicht allen anderen Staaten gleich.

- die Identifizierung Israels mit dem Weltkapital verbunden mit der Vorstellung der Juden als Herren des Geldes, mit dem die Welt regiert wird;

- die Ignoranz gegenüber den Vernichtungsdrohungen von Hamas und Hisbollah und ihrer unter Protektion des Iran verfolgten Vernichtungsstrategien.

In seinem Doppelcharakter als Rettungsprojekt gegen die Vernichtung der Juden und zugleich als kapitalistischer Staat, der den Krisen- und Zerfallsprozessen der kapitalistischen Vergesellschaftung ausgesetzt ist, ist Israel nicht ein Staat wie alle anderen auch. Er kann die gesellschaftlichen Krisen nicht in antisemitischen Wahn verarbeiten wie er in den anderen Staaten mit den Krisen mehr und mehr als Krisenbearbeitung virulent wird. Zugleich ist Israel dem sich in den kapitalistischen Zerfallsgesellschaften ausbreitenden antisemitischen Wahn ausgesetzt, der mit dem Amok von Selbst- und Weltvernichtung einhergeht. Kapitalistischer Zerfall und mit ihm verbundene Tendenzen zur Barbarisierung gehen auch an Israel nicht spurlos vorbei. Sie sind aber nicht ‚jüdisch‘, sondern Teil jener Barbarisierungsprozesse, die sich im kapitalistischen Verfall ausagieren und deren Opfer auch Israel als Rettungsprojekt für Juden zu werden droht.

Die Kindermörder von Gaza (2009) als pdf-Download




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