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Knut Hüller: Immer mühsamer hält sich die Profitrate


Knut Hüller

Immer mühsamer hält sich die Profitrate

Eine Studie über theoretische und praktische Rettungsversuche am Spätkapitalismus

Einführung und kurze Inhaltsangabe

Die Politische Ökonomie bildet als immanente theoretische Verarbeitung des Kapitalismus einen Teil dieses Systems. Befassung mit Politischer Ökonomie ist deswegen einer der möglichen Wege zum Studium dieses Systems. Dies aber nur so lange, wie ihre Funktion der Apologie (statt 'objektiven' Erkenntnis) realisiert wird, und damit, dass sie allen 'Gesetzen' und Tendenzen dieses Systems unterworfen ist. Daraus ergeben sich sowohl aktuelle Inhalte ökonomischer Theorien als auch innere Widersprüche darin sowie ein (sich in neuerer Zeit beschleunigender) Verfall dieser Theorie(en) parallel zum Verfall des realen Systems. Erkennbar ist es seit dem Beginn der Disziplin an der Existenz verschiedener ökonomischer Schulen, die die fundamentalen Widersprüche zwischen ihnen hegen und pflegen – statt sie auszuräumen oder dies wenigstens zu versuchen. Nach dem Verständnis ihrer Verfechter sind ökonomische Modelle manchmal wechselseitig austauschbar als Kritik und deren Gegenstand, manchmal aber auch Gegensätze, Spezialfälle, verschiedene Grenzfälle, gleichberechtigte Teile einer Synthese – also alles und nichts von dem zugleich. Einen möglichen Weg aus dem Wirrwarr weist die Überlegung, dass eine Synthese auch alle wechselseitig vorgehaltenen Mängel mitbringen müsste. 'Kontroverse' und 'Komplementarität' können friedlich koexistieren, solange nur um Nebensächliches gestritten wird, während ein harter Kern der wechselseitig vorgehaltenen Mängel in allen streitenden Konzepten versteckt ist, nur jeweils auf andere Weisen. Der Streit kann sich danach insbes. darauf konzentrieren, auf welcher 'Grundlage' die allen Ansätzen gemeinsamen Mängel am besten zu vertuschen sind. Diese Mängel findet man nicht, indem man sich in Details der Streitereien zwischen den Schulen versenkt, sondern indem man deren verborgene Gemeinsamkeiten sucht und diese – einschließlich ökonomischer Grundbegriffe – einer „kategorialen“ (Robert Kurz) kritischen Analyse unterzieht.

Marx war sich dessen noch bewusst; er wählte als Untertitel des Kapital „Kritik der Politischen Ökonomie“ und – noch deutlicher – als Titel einer Vorarbeit „Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie“. Da man im Kapitalismus nicht ganz aus dessen Kategorien herausspringen kann, gibt es aber keine 'reine' Kritik der Politischen Ökonomie ohne eine parallele (zumindest partielle) immanente 'Verbesserung' derselben. Angesichts des Zustands der real existierenden 'Wirtschaftswissenschaft' kommt keine ernsthafte Beschäftigung mit ihr um einige Teilreparaturen an ihren Gedankengebäuden herum, will sie nicht inkauf nehmen, früher oder später von den kontinuierlich herabfallenden Trümmerteilen erschlagen zu werden.Wichtig ist hierbei, sich der beiden Ebenen bewusst zu bleiben und sie möglichst wenig zu vermengen. Die Wertkritik versuchte dies mittels der Kategorien des 'esoterischen' und des 'exoterischen' Marx, während der Marxismus sich im Laufe der Zeit vollständig auf die zweite (immanente) Ebene zurückzog, Marx als einen unter vielen Ökonomen rezipierte, und sich von bürgerlichen Marxkritikern nur noch darin unterschied, Marx' ökonomische Schriften zu der einen 'richtigen' Lehre unter den vielen anderen 'falschen' zu erklären, Darin trifft man sich wieder mit den bürgerlichen ökonomischen Schulen, denn auch jede von diesen hat ihre spezielle(n) Lichtgestalt(en) und Offenbarung(en).

Der vorliegende Text will den Dualismus des 'esoterischen' und 'exoterischen' Herangehens an einer traditionellen Streitfrage erneuern, nämlich an der These vom tendenziellen Fall der Profitrate. Da im Mittelpunkt des Kapitalismus die Verwertung (betriebswirtschaftlich: Rendite) steht, wird dieses Thema aktuell bleiben, solange der Kapitalismus besteht. Seine Eignung als zentrales Beispiel in einer fundamentalen Analyse unterstreichen Ökonomen aller Richtungen unfreiwillig durch den aggressiven Ton, in dem Debatten um dieses Thema und um die damit verwandten des 'Zusammenbruchs' und der 'absoluten Schranke' des Systems geführt werden. Es geht daher nur anfangs um die quantitative Frage, 'ob die Profitrate fällt' und 'wie weit' bzw. 'wie schnell'; danach rücken die fragwürdige Logik und die gesellschaftlichen Folgen des permanenten Profitzwangs in den Mittelpunkt, zusammen mit den ökonomischen(!) Mechanismen, die diese Folgen 'alternativlos' herbeiführen, wenn der 'Rettung' der Profits alias Kapitalismus Priorität eingeräumt wird.

Da sich Profite aus Verkäufen von Produkten und Einkäufen von Kapitalgütern plus Arbeitskraft errechnen, kommt der Text nicht um die wichtigste Fragestellung der Ökonomen herum: die nach dem 'richtigen Preis' alias 'richtiger Tauschrelation'. Es wird gezeigt, dass schon diese Frage und damit auch alle von Ökonomen als Antworten vorgeschlagenen 'Wertgesetze' letztendlich Humbug sind, die dem apologetischen Zweck dienen, den Kapitalismus als nach irgendwelchen Regeln harmonisch funktionierend (statt bösartig krisenhaft) darzustellen, Das Wesentliche an der Preisrechnung wird identifiziert als permanente, sich mit der Arbeitsteilung und dem Fortschritt der Produktivkräfte kontinuierlich verschärfende Zwänge zur Abrechnung jeder eigenen Aktivität gegen Aktivitäten anderer in antagonistischen Käufer/Verkäufer-Beziehungen (statt in harmonischem und nutzensteigerndem Warentausch). Aus diesem permanenten Kampf aller gegen alle entspringen letztendlich die Nulltendenz des kapitalistischen 'Erfolgs'kriteriums Profitrate bzw. dazu alternative Katastrophenszenarien. Man findet diese nicht durch das Ausrechnen weiterer Zahlen neben den bereits von Ökonomen ausgerechneten unzähligen anderen, sondern in Typen möglicher Ergebnisse und den dafür erforderlichen Voraussetzungen. Auf dieser Ebene lässt sich der Trend zum Kollaps des Systems rudimentär sogar in gängigen Lehrbüchern aufspüren.

Als Gegenpol zum 'esoterischen' Ansatz wird das Herangehen der am sog. Produktionspreismodell (PPM) nach Piero Sraffa orientierten 'neoricardianischen' Schule betrachtet. Sraffa bzw. seine Methode zur Ausrechnung der 'richtigen' Preise für einen endlich perfekten Kapitalismus erscheint vielen bürgerlichen Kritikern des neoklassischen Mainstreams als "herausragend … [unter den] … Pionieren kritischen Denkens in den Wirtschaftswissenschaften" (Steve Keen). Das reale Versagen und der theoretische Kollaps vieler neoliberaler Konzepte in den 'Finanzkrisen' der letzten Zeit dürfte die Position dieses Ansatzes noch weiter stärken. Seine Wahl als Objekt konkreter Kritik entzieht dem Einwand den Boden, man schlage nur auf 'ohnehin schon widerlegte' Ansätze ein. Stattdessen wird sich ein Großteil der Kritik an diesem speziellen Modell auf die Ökonomie als Ganzes verallgemeinern lassen und so über ökonomie-immanente Kritikebenen hinausführen.

Mehr oder weniger große Teile seiner Inhalte (oder was man dafür hielt) drangen bereits in so gut wie alle Spielarten des Marxismus ein. Man kann diesen Theoriezweig daher als Aktualisierung des 'exoterischen' Marx auffassen; als Beispiel dafür dient an mehreren Stellen Michael Heinrich. Frappierend ist, dass parallel hierzu das PPM als angebliche Widerlegung des (exoterischen) Karl Marx Furore machen konnte (hier finden die Neoricardianer volle Zustimmung ihrer neoklassischen Gegner). Größere Teile des Textes (insbes. Abschnitt 5 und Anhang A4) befassen sich daher damit, wie man aus jeder zur 'Marxwiderlegung' erhobenen neoricardianischen Widerlegung des Marxismus eine unendliche Anzahl marxistischer Widerlegungen des Neoricardianismus erzeugen kann. Dies soll zugleich eine Anleitung sein, wie an ökonomische Schulenstreite heranzugehen ist: nicht Partei im Streit ergreifen, sondern den gemeinsamen harten Kern an Unsinn in den streitenden Ansätzen suchen und sichtbar machen.

Die Untersuchung gliedert sich in sechs Teile

  1. Ein kurzer einleitender Abschnitt 1 ordnet die Thematik in die Entwicklungsgeschichte des Kapitalismus und der Politischen Ökonomie ein.
  2. Die Abschnitte 2-4 befassen sich mit der fragwürdigen inneren Logik der (auch traditionellen bzw. 'exoterischen'!) ökonomischen Begrifflichkeit, die in dieser Debatte verwendet wird.
  3. Abschnitt 5 nimmt stellvertretend für andere Formen „mathematisierter Scharlatanerie“ (Claus Peter Ortlieb) darauf aufbauende marxistisch/neoricardianische Rechenkunststücke auseinander
  4. Die Abschnitte 6-10 führen zurück in Gesellschaftskritik, indem untersucht wird, wie sich denn der Profitratenfall bremsen ließe, und welche Folgen dies hätte (bzw. hat). Diese Abschnitte tragen Marx' Bemerkung Rechnung(!), dass 'das Kapital' und alle davon abgeleiteten Begriffe eben nicht primär als Quantität anzusehen seien, sondern als komplexes(!) „gesellschaftliches Verhältnis“, d.h. als eine Qualität. Der Profitratenfall erweist sich danach als ein Teil und als eine Erscheinungsform (unter anderen) der Endkrise des Kapitalismus. Er kann nur gebremst werden, indem Verwüstung an anderer Stelle angerichtet und dadurch der Kollaps von anderer Seite her beschleunigt wird.
  5. Abschnitt 11 trägt der Zirkularität ökonomischen Denkens Rechnung, indem er an den Beginn der Abhandlung zurückführt: die innere Widersprüchlichkeit ökonomischer Grundkategorien, hier am Beispiel des 'Kapitals'.
  6. Vier Anhänge untermauern die logische Kritik an ökonomischer Begrifflichkeit auf formaler Ebene. Dies gipfelt am Ende des Anhangs A4 im Nachweis, dass in sogenannter Wirtschaftsmathematik durchgehend die Aussage „plus = minus“ als wahr gilt. Gesellschaftstheoretisch verallgemeinert: in der Politischen Ökonomie sind wie im realen Kapitalismus Negatives und Positives gleichberechtigt; bürgerliches und insbes. ökonomisches Denken ist lediglich unfähig, sich dies bewusst zu machen.

Der Hauptinhalt des Texts steckt in den Abschnitten 6-11. Indem dort der Renditefall aus Fragwürdigkeiten des klassischen Kapitalbegriffs vom variablen und(!) konstanten Kapital (statt aus Zahlen der organischen Zusammensetzung c/v) entwickelt wird, gelangt man zwanglos weiter zum Finanzkapital als der modernsten Kapitalform, die mittlerweile Hauptfeld der Mehrwertaneignung und damit Hauptfaktor im Profitratenfall ist. Die Finanztitel erscheinen nicht als neuartige Warentypen „zweiter Ordnung“ (Lohoff und Trenkle), sondern als logische Weiterentwicklung der Konzepte des 'konstanten' und insbes. des 'fixen' Kapitals und von deren Fragwürdigkeiten. Es ist in diesem Zusammenhang frappant, dass weder marxistische noch bürgerliche Ökonomie bisher eine Verbindung zwischen dem Profitratenfall und zwei zugehörigen Erscheinungen herstellen konnte, über die seit der 'Finanzkrise' der Jahre 2008ff. zunehmend die „vulgäre“ (Marx) Presse schreibt: die Nullrendite für Sparguthaben (alias Kleinkapitale) und die Gelddruckexzesse der Notenbanken. Stattdessen wird dieses Feld vollständig rechten Populisten überlassen. Bei der Aufarbeitung von Löchern in deren Vorstellungen (und den sehr ähnlichen Vorstellungen incl. zugehöriger Löcher des ökonomischen Mainstreams) kommt der Text dem Begriff und dem Wesen und damit einer Theorie des Geldes näher, ein in aller Ökonomie bisher wenig beschriebenes (fast) weißes Blatt.

Verzichtet wird auf die Angabe eines im Sinne des Vertragsrechts verbindlichen Termins für den Zusammenbruch des Weltkapitalismus, obwohl bzw. weil dies oft von Leuten eingefordert wird, die 'kategoriale' Kritik nicht ernst nehmen geschweige denn verstehen wollen. Denn jeder Techniker weiß, dass eine solche Vorhersage noch nicht einmal bei (viel einfacheren) Maschinen gelingt, die sichtbar aus dem letzten Loch pfeifen (trotz der Unmöglichkeit einer präzisen solchen Vorhersage würde der Techniker allerdings zügig Maßnahmen ergreifen, zu denen es ganz sicher nicht gehört, die Alarmanlage abzuschalten).

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