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Robert Kurz: Die Krise des Tauschwerts (1986)


Vorbemerkung zur „Krise des Tauschwerts“ von Robert Kurz

Ein zentraler und grundlegender Text der Wertkritik ist der hier explizit neu hochgeladene, vor mittlerweile 32 Jahren von Robert Kurz verfasste, „Krise des Tauschwerts“. Dieser Text war der Ausgangspunkt weiterer krisentheoretischer Texte bzw. Bücher, in denen Gedanken dieses Textes fortentwickelt bzw. weiter entfaltet wurden, nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer Kritik der androzentrischen Wertkritik, wie sie von Roswitha Scholz mit ihrem Text „Der Wert ist der Mann“ und etlichen weiteren, formuliert wurde.1 Zu bemerken ist, dass dieser grundlegende Text der Krisentheorie, von Trenkle und Lohoff in ihrem Buch „Die große Entwertung“2 an keiner Stelle und der „Kollaps der Modernisierung“3 von Robert Kurz nur in einer Fußnote nebenbei erwähnt wird. Es ist eine Unredlichkeit zu suggerieren, die Krisentheorie sei mehr oder weniger auf dem eigenen Mist gewachsen (wobei die beiden Autoren dazu auch Postone und Konicz zitieren).

Die Motivation, diesen Text hier noch einmal zu präsentieren, speist sich aber auch aus dem Umstand, dass sehr wichtige Gedanken von Kurz in diesem Text schon damals explizit formuliert worden sind, so dass so manche Kritiken traditionslinker Provenienz, keineswegs als „Missverständnis“ verharmlost werden können, sondern als schwerwiegende intellektuelle Fehlleistungen.

Kurz schrieb explizit, dass die Entwertung des Werts ein Prozess ist, der sich über Jahrzehnte hinziehen wird:

„Es wäre nun noch dem vermutlich unvermeidlichen Einwand zu begegnen, die hier skizzierte Theorie der ‚Entwertung des Werts‘ sei deswegen falsch, illusorisch und möglicherweise ‚utopisch‘, weil sie die absolute Vollautomation der gesamten Produktion, die ‚menschenleere Geisterfabrik‘ etc. als gesellschaftlichen Durchschnitt voraussetze. Ein solcher Einwand wäre deshalb naiv, weil er nicht mit der Akkumulationslogik des Kapitals rechnet, wie sie durch die Produktion des relativen Mehrwerts bedingt wird, sondern in starren Definitionen hängenbleibt. Der Zusammenbruch des Wertverhältnisses beginnt eben nicht erst, wenn der letzte Arbeiter aus der unmittelbaren Produktion eliminiert ist; er beginnt vielmehr genau an dem historischen Punkt, in dem das allgemeine Verhältnis von Eliminierung und Re-Absorption lebendiger unmittelbarer Produktionsarbeit umzukippen beginnt, d.h. bereits in dem Moment (und sukzessive fortschreitend in dem Maße), wo (und wie) mehr lebendige unmittelbare Produktionsarbeit eliminiert als reabsorbiert wird. Vermutlich liegt dieser ‚Punkt‘, soweit man von einem solchen sprechen kann, heute bereits in der Vergangenheit, etwa in der Zeit Anfang bis Mitte der siebziger Jahre: nicht zufällig liegt in diesem Zeitraum sowohl der Zusammenbruch des Währungssystems von Bretton Woods als auch der Beginn der ‚technologischen‘ Massenarbeitslosigkeit. Auch darf man sich selbstverständlich den Zusammenbruch des Wertverhältnisses nicht als einen plötzlichen und einmaligen Akt vorstellen (obwohl plötzliche Einbrüche und Zusammenbrüche, z.B. Bankenkrachs, Massenpleiten etc. durchaus Bestandteile dieses Zusammenbruchs sein werden), sondern als einen historischen Prozeß, eine ganze Epoche von vielleicht mehreren Jahrzehnten, in denen die kapitalistische Weltökonomie aus dem Strudel von Krise und Entwertungsprozessen, anschwellender Massenarbeitslosigkeit und daraus früher oder später unvermeidlich folgenden schweren Klassenkämpfen nicht mehr herauskommen kann.“ (Hervorheb. i. O.)

Auch betonte Kurz in diesem Text, dass krisentheoretisch die gesamtkapitalistische Ebene entscheidend ist und eben nicht die einzelbetriebliche, wie das viel später im Buch „Geld ohne Wert“4 ausführlich ausgebreitet wurde:

„Es wird hier die Verkehrung des wirklichen gesamtgesellschaftlichen Sachverhalts durch die Bewegung der Konkurrenz deutlich. In der totalen Gesamtreproduktion des Kapitals führt jede Verminderung lebendiger Produktionsarbeit, gleichgültig an welcher Stelle sie stattfindet, selbstverständlich auch zur Verminderung der totalen Wertmasse. Aber gerade das Kapital, das diese Verminderung lebendiger Arbeit bewerkstelligt, eignet sich dadurch individuell einen höheren Profit an. Daß sich der wirkliche Prozeß für das Einzelkapital derart verkehrt an der Marktoberfläche darstellt, ist der ‚Flüssigkeit‘ des abstrakten Tauschwerts, des Geldes, im Vergleich zur Starrheit und Sperrigkeit der stofflichen Produktenmasse geschuldet. Die Masse des in stofflichen Gebrauchswerten dargestellten Werts und die Masse der ‚flüssigen‘ Geldware stehen in einem ständig ‚oszillierenden‘, sich durch Disproportionalitäten hindurch herstellenden Ausgleichsverhältnis, das auf Weltmarktebene ungeheuer komplizierte Formen annimmt. Wenn die deutsche und japanische Automobilindustrie eine höhere Arbeitsproduktivität entwickeln als z.B. die englische, so bedeutet dies an sich, daß in jedem in Deutschland und Japan produzierten Auto eine geringere Menge an abstrakt menschlicher Arbeit, eine geringere Wertmasse also, enthalten ist, wenn wir die reale gesellschaftliche Fiktion der ‚Wertgegenständlichkeit‘ der Dinge zugrundelegen. Ferner bedeutet dies, daß in der Automobilindustrie Japans und Deutschlands auch insgesamt absolut eine geringere Wertmasse erzeugt wird als in der englischen, jedenfalls solange nicht zusätzliche Produktionskapazitäten aufgebaut werden. An der Marktoberfläche aber stellt sich dieser Sachverhalt ganz anders dar: gerade ihrer höheren Produktivität wegen, ihrer geringeren Anwendung von lebendiger Arbeit, produzieren die deutschen und japanischen Automobilkapitalisten ‚kostengünstiger‘ als die englischen, das einzige den vulgär-abstrakten bürgerlichen ‚Wirtschaftsverstand‘ interessierende Kriterium, und können daher auch auf dem Markt ‚günstiger‘ anbieten, können die englischen Anbieter aus dem Markt werfen und trotzdem in ihrer Gesamtbilanz noch einen Extraprofit verbuchen. “ (Hervorheb. i. O.)

Dass insbesondere diese Aspekte nicht zur Kenntnis genommen wurden, deutet auch darauf hin, dass es nicht nur eine Sache mangelnder Intellektualität war (bzw. ist), sondern die kategoriale Krise für nicht Wenige einen Identitätsbruch bedeutet(e), so dass in Klärung dieser Verdrängungsleistung, die eben auch in Form vulgärer Kritik erscheint, die psychoanalytische Ebene hinzugezogen werden muss. Die Krise des Kapitals ist eben auch die Krise des Subjekts.5

Nicht wenige Linke bzw. linke Gruppierungen hatten allerdings viele Jahre nichts anderes zu tun, als sich mit Kurzens Ausführungen nicht wirklich auseinanderzusetzen (aber alle mussten sich äußern), seine Gedanken nicht weiter zu denken, sondern mehr oder weniger denunziatorisch vorzugehen, zu vulgarisieren und die Krisentheorie zum Teil auf einem Witzniveau zu diskutieren (das gilt vor allem für mumifizierte Steinzeitmarxisten und Antideutsche). Die Krise wurde mystifiziert, Kurz als Apokalyptiker, als Zeuge Jehova hingestellt. Robert Kurz sei mehr oder weniger ein Spinner, lesen lohne sich nicht!6 „Kannitverstahn“ unterstellte Kurz ein absurdes Verständnis, das schlussendlich auf sein eigenes verweist. Gern wurde auch eine Unmittelbarkeit bemüht, solle doch der Kapitalismus auf eine Art und Weise zusammenbrechen, wie jemand, der einen Herzinfarkt erleidet; ja man wolle gar nicht leugnen, dass der Zusammenbruch eintreten könnte „vielleicht sogar nächste Woche“(!), wie es tatsächlich in einem Pamphlet hieß.7 Von einer ernsthaften Auseinandersetzung konnte daher keineswegs die Rede sein. Jene Leute mögen bestimmt nicht an ihre Fehlleistungen erinnert werden, heute, da die Krise unübersehbar geworden und längst im goldenen Westen angekommen ist. Manche mögen vielleicht peinlich berührt sein, aber einsichtig und lernfähig, andere dagegen bleiben unbelehrbar. Letzteren ist dann nicht mehr zu helfen.

Thomas Meyer für die exit!-Redaktion im November 2018

PDF-Fassung von „Die Krise des Tauschwertes“


2 Ernst Lohoff; Norbert Trenkle: Die große Entwertung – Warum Spekulationen und Staatsverschuldung nicht die Ursache der Krise sind, Münster 2012.

3 Robert Kurz: Der Kollaps der Modernisierung – Vom Zusammenbruch des Kasernensozialismus zur Krise der Weltökonomie, Leipzig 1994, zuerst 1991. Vgl. auch das Interview: „Der Kollaps der Modernisierung“ – 15 Jahre später, https://exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=29&posnr=168&backtext1=text1.php sowie eins in den frühen 90er Jahren geführten: https://archive.org/details/InterviewMitRobertKurzUberInEinderStortendKapitalismus

4 Robert Kurz: Geld ohne Wert – Grundrisse zu einer Transformation der Kritik der Politischen Ökonomie, Berlin 2012.

5 Vgl. den Artikel von Leni Wissen: „Die sozialpsychologische Matrix des bürgerlichen Subjekts in der Krise – Eine Lesart der Freud’schen Psychoanalyse aus wert-abspaltungskritischer Sicht“, in: exit! – Krise und Kritik der Warengesellschaft Nr. 14, sowie online: https://exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=20&posnr=561

6 Diese Kritiken werden von Kurz noch einmal zusammenhängend kritisiert in den Fragmenten: „Krise und Kritik I/II“, in: exit! – Krise und Kritik der Warengesellschaft Nr. 10/11.

7 Und zwar in: Initiative Sozialistisches Forum (Hg.): Der Theoretiker ist der Wert – Eine ideologiekritische Skizze der Wert- und Krisentheorie der Krisis-Gruppe, 1. unver. Nachdruck, Freiburg 2006, zuerst Freiburg 2000, S.81.




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